Samstag, 7. März 2020


CRESC … Biennale für aktuelle Musik Frankfurt Rhein Main, 28.02 – 07.03.2020

Metal vs. Ambient, zwei Uraufführungen von Bernhard GanderOozing Earth und Helge StenUtopias, Batschkapp Frankfurt, 06.03.2020

Ensemble Modern bei der Aufführung von Oozing Earth, links stehend: Attila Csihar, Mitte hinter Plexiglas: Flo Mounier, Dirigent: Brad Lubman (Fotos: HR/Ben Knabe)

Ein apokalyptisches „Endzeitpanorama“

Große Erwartungshaltung erfüllte den gut besuchte Saal der Batschkapp nach Ankündigung einer außergewöhnlichen Mischung aus Heavy Metal, Black Metal mit zeitgenössischer Kunstmusik sowie einer atomaren Klangkaskade auf einem eigentümlichen Buchla-Synthesizer. Das Ensemble Modern hatte hierzu zwei Auftragswerke vergeben: Oozing Earth von Bernhard Gander (*1969) und Utopias von Helge Sten (*1971), die beide angetreten sind, einen ganz neuen Sound zu entwickeln und das in der dialektischen Trias von Mensch – Natur – Maschine.

Oozing Earth für Stimme, Extreme Metal Drummer und Ensemble – so sein vollständige Titel – von Bernhard Gander beschreibt ein fast  70-minütiges apokalyptisches „Endzeitpanorama“ (Gander), in dem der kanadische Extreme Metal Drummer, Flo Mounier, angebliche neue Maßstäbe des Schlagzeugspiels setzt, und der norwegische Sänger Attila Csihar, dessen Markenzeichen das Todesröcheln eines Monsters ist, das musikalische Bühnengeschehen dominieren soll.

Ein großes Aufgebot des Ensemble Modern (Dirigent: Brad Lubman), alle auf elektronischen Instrumenten spielend, dazu zwei Perkussionisten (Rainer Römer und David Haller) folgten einem Szenario, dass sich an dem nordischen Weltenbaum Yggdrasill, ein Sinnbild für die Elemente Blut, Eisen, Feuer, aber auch Hass und Rache ist, orientiert. 

Gander, der seine Nähe zu Metal, Hip Hop und Techno nicht verhehlt und in diesem Opus die Metal Szene der 1980er Jahre mit dessen entsprechenden Topoi bedient, reitet darüber hinaus auf der biblischen Offenbarung, lässt apokalyptische Zitate referieren (der Sänger liest sie während seines Gesang vom Blatt ab), die an Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes denken lassen. Er nennt es sinnigerweise im Globalsprech: „Untergang der Menschheit“ – so dass man während des gesamten Vortrags zwischen reaktionärer Untergangsmetaphorik und visioneller schicksalsträchtiger Phantasmagorie schwankt.

Glücklicherweise versteht man sehr wenig vom Text, dafür umso mehr von der Gestik des hinter einer Maske versteckten Sängers, der mal gottgleich, mal in der Pose eines Mephisto mit verzerrter Stimme und lungenkranker Dart-Vader-Attitüde eine etwas schlichte Performance auf der Bühne abliefert. Sein Mitstreiter, angesagt als „Extreme Drummer“, wäre durchaus zu entbehren gewesen, denn die beiden Perkussionisten des Ensemble Modern waren vielseitiger und wirksamer. 

Dennoch beherrschte er sein Schlagzeug im Stile des 1970er Rocks – manche Passagen erinnerten an den kürzlich verstorbenen Ginger Baker von den legendären Cream oder an Jon Hiseman von den Colosseum – exzellent, brillierte durch relativ kurz gefasste Soli, fiel aber hauptsächlich durch ungeheure Lautstärke und halteben durch altbekannte typische Rock-Riffs auf. Nichts Neues, dafür viel Nostalgie.

Ensemble Modern bei der Aufführung von Oozing Earth, Attila Csihar (Sänger)

Zwischen Endzeitgewimmer und virtuosen Passagen


Einmal mehr rettete das Ensemble Modern fast alles. Mit viel Verve und  großer Empathie warfen sich die 18 Ausnahme-InstrumentalistInnen ins Geschirr und versuchten, dem Metal Wirrwarr zumindest einen musikalischen Sinn zu verleihen. Das Endzeitgewimmer (Csihar versuchte sich zwischendurch noch an einem Lamento über die bösen Menschen) zwischen schwarzer Romantik, Industrielärm, Mechanisierung und Entfremdung konnten auch sie nicht überspielen. Gander spricht schicksalsschwanger von „falschen Propheten, die unsere Sinne betäuben“ und möchte durch stampfende Rhythmen, dröhnende Klänge und mächtige Growls (Knurren) die bösen Geister austreiben: Ein Ansinnen, dem er selbst keine Hoffnung zuschreibt.

Seine sogenannten „Heavyweights“ haben sich leider als Leichtgewichte entpuppt. Und die Musik?  Na ja, viele anwesende Metal-Fans fanden sie natürlich fantastisch, vor allem wohl auch wegen der noch nie gehörten guten zeitgenössischen Begleitung des Ensemble Modern – einige hochvirtuose Passagen vor allem von Christian Hommel auf der Oboe, von den Violinisten Giorgios Panagiotidis und Jagdish Mistry, sowie von Uwe Dierksen an der Posaune, um nur einige zu nennen, machten mächtig Eindruck –, die der faden, einfallslosen Performance des Sängers und dem Retroschlagzeuger aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wenigstens einen modernen Impetus entgegensetzten. Über die Idee des Ganzen schweigt man lieber.


Utopia Uraufführung, Helge Sten am Buchla-Synthesizer und Mitglieder des Ensemble Modern (Fotos: HR/Ben Knabe)

Nichts Neues, nur viel weniger Gutes

Die zweite Uraufführung Utopias von dem renommierten norwegischen Komponisten Helge Sten konnte leider ihr Versprechen, einen „unverwechselbaren Sound“ zu bieten und „einzigartige Klangmutationen“ zu erzeugen, nicht einlösen. Stattdessen entwickelte sich dieses gut 40-minütige Werk zu einem Saalrausschmeißer par excellence. Warum das?

Utopia ist ein Werk für Ensemble (10 Spieler) und Buchla-Synthesizer. Die Idee des Komponisten, der in der elektroakustischen Szene Kultstatus genießt, ist es, die Mensch-Maschine-Interaktion über den Buchla-Synthesizer hörbar und erlebbar zu machen. Dazu muss erläutert werden, dass die Besonderheit dieses Synthesizers darin besteht, dass statt einer Tastatur (wie heute bei den Robert Moog Synthesizern üblich) ein Interface-System vorherrscht, das größtenteils auf berührungsempfindlichen Sensorfeldern beruht. Die Behauptung oder Philosophie steht dabei im Raum, dass hierbei ganz neue Klangfelder, Klangfarben und „unbelastete Interaktionsmöglichkeiten zwischen Musiker und Musikmaschine“ geschaffen werden können.

Der Komponist saß höchstpersönlich an seinem Gerät, Buchla-Synthesizer-System genannt, und interagierte mit den zehn InstrumentalistInnen (fünf Bläser und fünf Streicher). Was allerdings herauskam klang wie schon viele Male gehört, nur wesentlich weniger dem „Audio Virus“ entsprechend, wie angesagt. Auch hier wieder ein Begriff, der von „sedimentierten Schichten und klanglichen Trümmerfeldern“, die angeblich „zelluläre Kompositionen entstehen“ lassen, faselt, tatsächlich aber schon zu Zeiten eines György Ligeti oder Karlheinz Stockhausen und den Anfängen der Klangkompositionen in den 1970er Jahren zu hören waren und weiß Gott um Einiges besser.

Helge Sten am Buchla-Synthesizer

Ein nervendes Klanggeschauder

Mit viel Nebel, der die mangelnde Interaktion von Instrumentalisten (man hatte nie den Eindruck dass ein gemeinsames Zusammenspiel vorherrschte) verdecken sollte, und kaum erträglichen Klangversuchen im Mikro- und Makrobereich, einem sichtlich genervten Ensemble, dass lediglich einzelne Töne in das Mammutgerät zu Verarbeitung eingab, um dann wieder in Agonie zu versinken, übertrug sich das wenig effektvolle und schräge Klanggeschauder unweigerlich auf das Publikum, das sichtlich genervt reihenweise den Raum verließ oder sich provokativ laut unterhielt.

Fazit: Metal vs. Ambient (die Bedeutung des zweiten Begriffs = Umgebung, rührt wohl vom norwegischen Ambient-Techno-Produzenten Biosphere) sollte so nicht wiederholt werden. Keine der beiden Uraufführungen konnte überzeugen, einzig die Mitglieder des Ensemble Modern versöhnten mit ihrer Routine und technischen Cleverness die mittelmäßige Performance der beiden Heavyweights - wobei der eigentlich überflüssige Drummer durchaus in einer guten Rockband glänzen könnte - was selbst ihnen bei der kommunikationsarmen fast schon autistischen Vorstellung von Utopia nicht mehr gelang. 
Auch hier kein optimistischer Blick in die Zukunft. Der Untergang der Kultur ist angesagt, wollte man ironisch den apokalyptischen Heavy Metal Verschnitt von Gander und Utopias von Sten auf diesen Abend übertragen.

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