CRESC … Biennale für aktuelle Musik Frankfurt Rhein Main,
28.02 – 07.03.2020
Metal vs. Ambient, zwei Uraufführungen von Bernhard Gander: Oozing Earth und Helge Sten: Utopias, Batschkapp Frankfurt, 06.03.2020
| Ensemble Modern bei der Aufführung von Oozing Earth, links stehend: Attila Csihar, Mitte hinter Plexiglas: Flo Mounier, Dirigent: Brad Lubman (Fotos: HR/Ben Knabe) |
Ein apokalyptisches „Endzeitpanorama“
Große Erwartungshaltung erfüllte den gut besuchte Saal der Batschkapp nach Ankündigung einer außergewöhnlichen Mischung aus Heavy Metal, Black Metal mit zeitgenössischer Kunstmusik sowie einer atomaren Klangkaskade auf einem eigentümlichen Buchla-Synthesizer. Das Ensemble Modern hatte hierzu zwei Auftragswerke vergeben: Oozing Earth von Bernhard Gander (*1969) und Utopias von Helge Sten (*1971), die beide angetreten sind, einen ganz neuen Sound zu entwickeln und das in der dialektischen Trias von Mensch – Natur – Maschine.
Oozing Earth für Stimme,
Extreme Metal Drummer und Ensemble – so sein vollständige Titel – von
Bernhard Gander beschreibt ein fast 70-minütiges
apokalyptisches „Endzeitpanorama“ (Gander), in dem der kanadische Extreme Metal
Drummer, Flo Mounier, angebliche
neue Maßstäbe des Schlagzeugspiels setzt, und der norwegische Sänger Attila Csihar, dessen Markenzeichen das
Todesröcheln eines Monsters ist, das musikalische Bühnengeschehen dominieren
soll.
Ein großes Aufgebot des Ensemble
Modern (Dirigent: Brad Lubman), alle auf elektronischen Instrumenten spielend, dazu zwei
Perkussionisten (Rainer Römer und David Haller) folgten einem Szenario,
dass sich an dem nordischen Weltenbaum Yggdrasill,
ein Sinnbild für die Elemente Blut, Eisen, Feuer, aber auch Hass und Rache ist,
orientiert.
Gander, der seine Nähe zu Metal, Hip Hop und Techno nicht verhehlt
und in diesem Opus die Metal Szene
der 1980er Jahre mit dessen entsprechenden Topoi bedient, reitet darüber hinaus
auf der biblischen Offenbarung, lässt apokalyptische Zitate referieren (der Sänger
liest sie während seines Gesang vom Blatt ab), die an Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes denken lassen.
Er nennt es sinnigerweise im Globalsprech: „Untergang der Menschheit“ – so dass
man während des gesamten Vortrags zwischen reaktionärer Untergangsmetaphorik
und visioneller schicksalsträchtiger Phantasmagorie schwankt.
Glücklicherweise versteht man sehr wenig vom Text, dafür
umso mehr von der Gestik des hinter einer Maske versteckten Sängers, der mal gottgleich,
mal in der Pose eines Mephisto mit verzerrter Stimme und lungenkranker Dart-Vader-Attitüde
eine etwas schlichte Performance auf der Bühne abliefert. Sein Mitstreiter,
angesagt als „Extreme Drummer“, wäre durchaus zu entbehren gewesen, denn die
beiden Perkussionisten des Ensemble
Modern waren vielseitiger und wirksamer.
Dennoch beherrschte er sein
Schlagzeug im Stile des 1970er Rocks – manche Passagen erinnerten an den kürzlich
verstorbenen Ginger Baker von den legendären Cream oder an Jon Hiseman von den
Colosseum – exzellent, brillierte durch relativ kurz gefasste Soli, fiel aber
hauptsächlich durch ungeheure Lautstärke und halteben durch altbekannte typische Rock-Riffs
auf. Nichts Neues, dafür viel Nostalgie.
| Ensemble Modern bei der Aufführung von Oozing Earth, Attila Csihar (Sänger) |
Zwischen Endzeitgewimmer und virtuosen Passagen
Einmal mehr rettete das Ensemble Modern fast alles. Mit viel Verve und großer Empathie warfen sich die 18
Ausnahme-InstrumentalistInnen ins Geschirr und versuchten, dem Metal Wirrwarr
zumindest einen musikalischen Sinn zu verleihen. Das Endzeitgewimmer (Csihar versuchte sich zwischendurch noch an einem
Lamento über die bösen Menschen) zwischen schwarzer Romantik, Industrielärm,
Mechanisierung und Entfremdung konnten auch sie nicht überspielen. Gander
spricht schicksalsschwanger von „falschen Propheten, die unsere Sinne betäuben“
und möchte durch stampfende Rhythmen, dröhnende Klänge und mächtige Growls
(Knurren) die bösen Geister austreiben: Ein Ansinnen, dem er selbst keine
Hoffnung zuschreibt.
Seine sogenannten „Heavyweights“ haben sich leider als
Leichtgewichte entpuppt. Und die Musik?
Na ja, viele anwesende Metal-Fans fanden
sie natürlich fantastisch, vor allem wohl auch wegen der noch nie gehörten guten zeitgenössischen Begleitung
des Ensemble Modern – einige hochvirtuose Passagen vor allem von Christian Hommel auf der Oboe, von den
Violinisten Giorgios Panagiotidis
und Jagdish Mistry, sowie von Uwe
Dierksen an der Posaune, um nur einige zu nennen, machten mächtig Eindruck –, die der faden,
einfallslosen Performance des Sängers und
dem Retroschlagzeuger aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wenigstens
einen modernen Impetus entgegensetzten. Über die Idee des Ganzen schweigt man
lieber.
| Utopia Uraufführung, Helge Sten am Buchla-Synthesizer und Mitglieder des Ensemble Modern (Fotos: HR/Ben Knabe) |
Nichts Neues, nur viel weniger Gutes
Die zweite Uraufführung Utopias
von dem renommierten norwegischen Komponisten Helge Sten konnte leider ihr Versprechen, einen „unverwechselbaren
Sound“ zu bieten und „einzigartige Klangmutationen“ zu erzeugen, nicht
einlösen. Stattdessen entwickelte sich dieses gut 40-minütige Werk zu einem
Saalrausschmeißer par excellence. Warum das?
Utopia ist ein Werk
für Ensemble (10 Spieler) und Buchla-Synthesizer.
Die Idee des Komponisten, der in der elektroakustischen Szene Kultstatus
genießt, ist es, die Mensch-Maschine-Interaktion über den Buchla-Synthesizer
hörbar und erlebbar zu machen. Dazu muss erläutert werden, dass die
Besonderheit dieses Synthesizers darin besteht, dass statt einer Tastatur (wie
heute bei den Robert Moog Synthesizern üblich) ein Interface-System
vorherrscht, das größtenteils auf berührungsempfindlichen Sensorfeldern beruht.
Die Behauptung oder Philosophie steht dabei im Raum, dass hierbei ganz neue
Klangfelder, Klangfarben und „unbelastete Interaktionsmöglichkeiten zwischen
Musiker und Musikmaschine“ geschaffen werden können.
Der Komponist saß höchstpersönlich an seinem Gerät, Buchla-Synthesizer-System genannt, und interagierte mit
den zehn InstrumentalistInnen (fünf Bläser und fünf Streicher). Was allerdings
herauskam klang wie schon viele Male gehört, nur wesentlich weniger dem „Audio
Virus“ entsprechend, wie angesagt. Auch hier wieder ein Begriff, der von „sedimentierten
Schichten und klanglichen Trümmerfeldern“, die angeblich „zelluläre
Kompositionen entstehen“ lassen, faselt, tatsächlich aber schon zu Zeiten eines
György Ligeti oder Karlheinz Stockhausen und den Anfängen der Klangkompositionen
in den 1970er Jahren zu hören waren und weiß Gott um Einiges besser.
| Helge Sten am Buchla-Synthesizer |
Ein nervendes Klanggeschauder
Mit viel Nebel, der die mangelnde Interaktion von Instrumentalisten
(man hatte nie den Eindruck dass ein gemeinsames Zusammenspiel vorherrschte) verdecken
sollte, und kaum erträglichen Klangversuchen im Mikro- und Makrobereich, einem
sichtlich genervten Ensemble, dass lediglich einzelne Töne in das Mammutgerät zu Verarbeitung eingab, um dann wieder in Agonie zu versinken, übertrug sich das wenig
effektvolle und schräge Klanggeschauder unweigerlich auf das Publikum, das
sichtlich genervt reihenweise den Raum verließ oder sich provokativ laut
unterhielt.
Fazit: Metal vs.
Ambient (die Bedeutung des zweiten Begriffs = Umgebung, rührt wohl vom norwegischen
Ambient-Techno-Produzenten Biosphere) sollte so nicht wiederholt werden. Keine
der beiden Uraufführungen konnte überzeugen, einzig die Mitglieder des Ensemble Modern versöhnten mit ihrer
Routine und technischen Cleverness die mittelmäßige Performance der beiden
Heavyweights - wobei der eigentlich überflüssige Drummer durchaus in einer guten
Rockband glänzen könnte - was selbst ihnen bei der kommunikationsarmen fast schon
autistischen Vorstellung von Utopia nicht mehr gelang.
Auch hier kein optimistischer Blick in die
Zukunft. Der Untergang der Kultur ist
angesagt, wollte man ironisch den apokalyptischen Heavy Metal Verschnitt von Gander und Utopias von Sten auf diesen Abend übertragen.
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