Sonntag, 26. April 2020

Offener Brief an alle, die an die Kultur glauben

Wer glaubt, in der Demokratie schlafen zu können, der wird womöglich in einer Diktatur aufwachen (frei nach Giorgio Agamben)

Es erübrigt sich, die Stelle in Goethes „Faust“ zu zitieren, der am Ende der Tragödie zweiter Teil „der Weisheit letzter Schluss“ folgendermaßen zusammenfasst: „Nur der verdient sich Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muss.“ (Textzeile 11575-11577).
Warum diese Vorrede?


Die schwerste Krise seit Menschengedenken

Wir befinden uns in einer der schwersten Krisen seit Menschengedenken (die biblische Sintflut vielleicht ausgenommen), ausgelöst durch einen unsichtbaren Virus, den man SARS COV-2 nennt und die von ihm ausgelöste Erkrankung Covid-19. Ein Virus, das es in wenigen Monaten schaffte, die ganze Welt in Angst und Schrecken zu versetzen und die Regierungen veranlasste, sämtliche Regeln der Demokratie außer Kraft zu setzen, die Wirtschaften an die Wand zu fahren und die zumindest in der westlichen Welt hart errungenen Freiheiten auf ein Mindestmaß zu reduzieren, teilweise sogar auszuschalten. Alles wegen eines Virus´, das sich, wie sich immer deutlicher zeigt, genauso gefährlich und ungefährlich wie in allen vorhergehenden Epidemien verhält, ja sogar weit unter der Sterblichkeitsrate der Influenza von 2018 liegt (auch unter der von 2020 wie neuerdings auch ermittelt wurde), wo statistisch gesehen ca. 25.000 Menschen allein in Deutschland an der Grippe verstarben, aber niemand nur eine Maßnahme zum "Schutz" der Bevölkerung durchführte. Schlimmer noch. In der gleichen Zeit diskutierte man über die Schließung von 50 Prozent der Krankenhäuser und förderte mit allen erdenklichen Mitteln die Privatisierung des Gesundheitssystems und verschenkte sogar für einen symbolischen Euro Krankenhäuser an profitorientierte Unternehmen.

Warum also jetzt, wo doch innerhalb von sechs Wochen ungefähr 5000 Menschen mit oder an Corona gestorben sind (man weiß es nicht genau, weil Autopsien zunächst nicht gewünscht waren und mittlerweile mehr als einhundert auf eigenen Faust unternommene Autopsien ergeben haben, dass niemand der Toten ursächlich an Corona verstorben sei) bei täglich ca. 2700 Menschen, die an diversen Krankheiten oder Unfällen sterben. Eine Zahl also, die keine zwei Tage deckt und wo nicht einmal klar ist, ob die Toten überhaupt an diesem Virus verstorben sind – Man rechnet etwa 10-15 Prozent, was einer Zahl von max. 750 (!) entspräche.

Was also, stellt sich die Frage, will man mit dieser Pandemie erreichen, wo doch allein der Begriff schon widersprüchlich ist, denn Pandemie bedeutet laut WHO-Definition seit 2009 nichts weiter als eine Epidemie, die in zwei oder mehreren Staaten mit gleichen oder ähnlichen Symptomen auftritt.    


Das Desaster

Angefangen hat das Desaster in China im Dezember 2019. Bekannt allerdings war laut Robert Koch Institut (RKI) dieses „neue“ Virus bereits im Oktober desselben Jahres. Dann verbreitete es sich, man möchte sagen in einer globalisierten Welt naturgemäß, über Südostasien auf die gesamte nördliche Halbkugel: in alle Länder also, wo Urlaub und Big Business die Regel geworden ist. Erst im Februar reagierte man in Europa, erst beschwichtigend, dann panisch vor dem Hintergrund, dass China ein Gebiet um Wuhan von mehr als 11 Millionen Bewohnern abriegelte, Notlazarette baute und der Eindruck entstand, hier würde eine Plage biblischen Ausmaßes stattfinden.

Die politischen Reaktionen sind sattsam bekannt. Seit dem 13. März – der Höhepunkt der Epidemie hatte seinen Zenit bereits überschritten und war absolut im Sinkflug begriffen (siehe entsprechende RKI Tabelle) – sprach man von einem „Killervirus“, der laut Robert Koch Institut und „Internes Strategiepapier des Innenministeriums“ vom 18.03.2020 (die Leitlinie der politischen Maßnahmen bis heute) bis zu 1,5 Millionen Todesopfer allein in Deutschland fordere und steckte nahezu die gesamte westliche Welt unter Quarantäne. Anfangs durchaus verständlich, weil man tatsächlich an ein absolut tödliches Virus glaubte und der Begriff einer weltweiten Pandemie sein Übriges zu dieser Angst beitrug.


Grundgesetz und Demokratie auf Eis gelegt

Gesetze wurden von Jetzt auf Gleich eingefroren, Notstand verordnet und demokratische Regeln, angeblich zeitlich limitiert, außer Kraft gesetzt. In Deutschland bedeutete das unter anderem: Versammlungsverbot, Berufsausübungsverbot für zunächst alle Branchen, eingeschlossen das Auftrittsverbot für alle Künstler und Musiker, Schließung aller öffentlichen Einrichtungen (darunter Museen, Ausstellungshallen, Konzerthäuser und Opern), Aufhebung des Rechts auf Privatheit, Abstandspflicht, „Maulkorbpflicht“ bis hin zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, belegt durch eine wachsende Anzahl von Löschungen kritischer Beiträge aus den Medien sowie der Verhinderung eines kritischen wissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Diskurses.

Mittlerweile gibt es weltweit mehr als 120 Wissenschaftler, darunter Virologen, Nobelpreisträger, Universitätspräsidenten, Epidemiologen, Mikrobiologen, Psychologen, Rechtswissenschaftler, Rechtsanwälte, Statistiker und viele vor Ort arbeitende Fachleute aller „systemrelevanten“ Berufe, die fundiert und ohne politische Absichten das Virus als normal gefährlich einstufen, die Epidemie bzw. fälschlicherweise die Pandemie für beendet erklären (die Daten und Fakten beweisen es), die Aufhebung aller einschränkenden Maßnahmen, die Wiederaufnahme aller wirtschaftlichen Bereiche und die Wiedereinrichtung der verfassungsmäßigen Rechte einfordern. Abgesehen davon erweisen sich mittlerweile auch die gesundheitlichen Kollateralschäden gravierender als die Coronafälle, die übrigens in den Krankenhäusern von Anfang an als untergeordnet eingestuft wurden.

Angst bestimmt das Geschehen

Leider wurden in den vergangenen Wochen wichtige Operationen ausgesetzt, um angeblich Intensivbetten frei zu haben, so dass zurzeit 15.000 Betten gar nicht besetzt sind und die Krankenhausverwaltungen erste Mitarbeiter entlassen oder in Kurzarbeit schicken. Welch ein Widersinn, zumal viele Menschen vor Angst einsam und ohne Begleitung sterben zu müssen, gar nicht erst die Krankenhäuser aufsuchen und die Palliativabteilungen meiden, weil auch hier die Angehörigen, Priester oder psychologischen Begleiter kein Besuchsrecht haben. Der Irrsinn auf die Spitze getrieben.

Was aber hat das mit der Kultur, den Künstlern, den Schauspielern, den Musikern, den Komponisten, den Intendanten der großen Häuser und Theater, den Dirigenten der Ensembles und kleinen wie großen Orchester, den Patronatsgesellschaften, den Förderern der Künste sowie der langen Liste ihrer Geschäftsführungen zu tun?


Sehr viel. Denn ihnen allen kommt eine der wichtigsten Aufgaben in einer globalisierten und gleichzeitig auseinanderdriftenden Welt zu. Welche Ziele verfolgte doch die Kunst und ihre Vertreter seit der Aufklärung? Man erinnere sich an Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Martin Heidegger und unbedingt auch Theodor W. Adorno, die allesamt auf ihre Weise der Kultur wie der Kunst einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert beimaßen. So besteht beispielsweise Adornos Kunstbegriff, den er in seiner Ästhetischen Theorie formuliert hat, darin, dass Kunst vor allem in ihrer unversöhnlichen Gegenposition zur Gesellschaft ihre Autonomie erhalten soll und muss. „Indem sie sich als Eigenes in sich kristallisiert, statt bestehenden gesellschaftlichen Normen zu willfahren und als gesellschaftlich nützlich sich zu qualifizieren, kritisiert sie die Gesellschaft durch ihr bloßes Dasein.“


Wir brauchen Kultur

Im Klartext heißt das, dass Kultur eine Lebensform ist, die, um mit dem großen Kulturdezernenten Frankfurts, Hilmar Hoffmann (1925-2018), zu sprechen, „zum Zweck der Emanzipation für alle da sein soll, für Individuen, die politische und kulturelle Verantwortung für sich und ihre Gesellschaft übernehmen“. Die Künste sind ein Anregungspotential, sie sollen kritische Prozesse und Diskurse eröffnen, um die Gesellschaft lebendig und veränderungsoffen zu halten. Dazu aber braucht es Öffentlichkeit, Offenheit, Wahrhaftigkeit und unbedingten gegenseitig Respekt, was ohne einen demokratischen Unterbau schon überhaupt nicht geht.

All das aber fehlt uns seit mehr als sechs Wochen in Deutschland und nahezu allen demokratisch verfassten Ländern. Die Kultur scheint in Zeiten der Notverordnungen und wachsender wirtschaftliche Depression (denn dahin wird dieser selbstverschuldete Ausstand führen) keine Rolle mehr zu spielen. Selbst in der Bundestagsdebatte vom 22.04., wo es um „Hilfen“ für die notleidende Bevölkerung und Wirtschaft ging, ist kein einziges Mal von der Notlage der Kultur die Rede gewesen. So, als ob in der Not auch die Kultur von der Bildfläche verschwinde, unsichtbar werde wie ein Virus.


Ohne Kultur keine Gesellschaft

Noch einmal. Kultur ist eine Lebensform. Ohne sie bestehen keine Gesellschaften, erst recht nicht moderne, hochkomplexe Zivilisationen, wie unsere. Wo aber sind sie geblieben, die vielen angesprochenen Kulturträger und Verantwortlichen? Sind sie abgetaucht?

Jedenfalls ist bis heute, mal abgesehen von einigen Hip Hoppern (meine Hochachtung für sie), niemand an die Öffentlichkeit getreten, um Kritik an den an Diktaturen erinnernden Maßnahmen, an den bewusst zerstörerischen wirtschaftlichen Eingriffen, an den mangelnden Diskursen über Sinn oder Unsinn der Corona bedingten Einschränkungen, an der medialen Einseitigkeit, mehr noch: an der Hofberichterstattung nahezu aller öffentlich rechtlichen Einrichtungen, und vor allem an der Missachtung und Ignoranz gegenüber der Kultur und ihren künstlerischen Abteilungen zu üben.

Wo sind die einflussreichen Opern- und Konzerthäuser weltweit, wo die Komponisten, die ihre Musik als Stachel gegen die gesellschaftlichen Missstände begreifen, wo die Internationalisten, die im Sinne Immanuel Kants von einem freien Weltbürgertum träumen? Wo die weltberühmten Solisten, die zwar eifrig von der globalen Rechtsentwicklung schwadronieren, aber dann, wenn es ernst wird, ihren Schnabel halten und glauben, durch Online-Konzerte ihr Publikum halten zu können? Mich jedenfalls nicht. Wo die Intendanten und Geschäftsführer, die vollmundig ihre Geldgeber loben, weil sie ihnen eine freie Tätigkeit und vollkommene Kreativität ermöglichen, und jetzt schweigen?


Demokratie braucht Kritik und Diskurs

Gerade in Notzeiten erweist sich die Kunst sowie alle kulturellen Einrichtungen als das, was sie sind: Entweder sie nehmen ihre Aufgabe, kritisches gesellschaftliches Element zu sein, ernst, Alternativen zu kreieren und über den Rand ihrer Tätigkeiten zu schauen, oder, und so scheint es jetzt, sie tauchen ab und warten solange, bis der Anfall vorbei ist.

Wie sagte ich doch zu Anfang: Wer in der Demokratie schläft, muss sich nicht wundern, wenn er in einer Diktatur aufwacht. Goethe möchte ich nicht wieder zitieren, aber eines ist sicher:

Wer als Künstler, Kulturschaffender und überhaupt als kritischer Mensch nicht hinter die Kulissen schaut, sein wissenschaftliches Verständnis an der Haustür ablegt, Sinn von Unsinn nicht wirklich unterscheiden möchte oder nicht zu unterscheiden weiß, der sollte sich zumindest an die Prinzipien der Aufklärung erinnern, und da an Kants Axiom: „Aufklärung ist der Ausgang der Menschen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit; Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Wie wahr und wie aktuell in einer heutigen Zeit.

Musik ist Lebenselixier


Liebe Musiker, und an Euch richte ich mich als Musikkritiker jetzt: 

Ich kenne viele von Euch, schreibe seit Jahren über Eure wunderbaren Konzerte und Auftritte, kenne teilweise Eure kritischen Kommentare, Standpunkte sowie Eure Einstellung zu dieser deutschen Gesellschaft. Wenn es um die Abgrenzung gegen rechts, gegen Rechtspopulismus, gegen Nazis und so fort geht, seid ihr klar dabei, funktioniert sogar Konzerte um und beschimpft zurecht alles Undemokratische, Nationalistische, kurz: Reaktionäre und Menschenfeindliche.

Was jetzt über uns alle aber hereinbricht, ist allerdings die Realität des viel Schlimmeren. Jetzt geht es ums Eingemachte und zwar nicht auf der Bühne mit viel Applaus und medialer Umarmung. Nein, jetzt geht es um die wirkliche Freiheit und zwar in echt und vor der Haustür. Jetzt besteht wirkliche Gefahr von Diktaturen im Sinne von Aldous Huxleys Schöne neue Welt oder George Orwells 1984 (immer noch so aktuell wie vor knapp hundert Jahren). Jetzt könnt ihr beweisen, dass ihr nicht schlaft, sondern die Kultur wieder zu dem macht, was sie sein sollte: zur wichtigsten Lebensform in guten wie in schlechten Zeiten.


Musik muss Stachel und Widerstand in der Gesellschaft sein

Glaubt nicht, dass dieser Zustand, wie wir ihn jetzt erleben, bald schon wieder vorbei sein wird, denn wenn die Regierung davon spricht, dass wir uns „erst am Anfang der Pandemie befinden“ (so steht es auch im internen Strategiepapier und so formulierte es unlängst Frau Merkel und Herr Professor Drosten), dann meint sie nicht wirklich das Corona Virus, sondern das wirtschaftliche Desaster, das auf uns zukommen wird (Euch wird das noch härter treffen als der jetzige Zustand), ein Desaster, wozu sie die Aufhebung der demokratischen Rechte braucht. Denn nur ein isoliertes Volk kann man auch manipulieren und führen. Massentheorien (Gustave le Bons Psychologie der Massen ist dafür ein erkenntnisreicher Lesestoff) und die Geschichte beweisen das sattsam.

Reduziert Eure Musik nicht auf YouTube, Instagram, Twitter oder Facebook, sondern meldet Euch mit Statements, schreibt offene Briefe und nutzt Eure Musik dazu, der Gesellschaft wieder echte Kultur zu vermitteln: eine kritische, mit Stacheln und Widerständen. Organisiert zum Beispiel Flashmobs (natürlich mit dem nötigen Abstand) und macht deutlich, dass ihr aufgeklärte Menschen seid, kritisch und mündig und nicht alles glaubt, was die Hofberichterstattung mit ihren politischen Adlaten und wissenschaftlichen Göttern auftischen.


Meine Wenigkeit versucht weiterhin, der Kunst und Musik treu zu bleiben, warte aber gespannt auf Taten der Kulturprotagonisten aller Couleur. Ich jedenfalls werde aktiv für den Erhalt unserer Verfassung und damit unserer Freiheit und Demokratie einstehen. 

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