Dienstag, 27. Oktober 2020

Alexandre Tharaud, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 26.10.2020

Alexandre Tharaud, Foto: Jean-Baptiste Millot

Reifer und selbstsicherer

Es sind ziemlich genau zwei Jahre vergangen, als Alexandre Tharaud (*1968) das Publikum im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt, es war der 15.10.2018, begeisterte. Ein Vergleich mit dem legendären italienischen Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli (1920-1995) lag damals buchstäblich auf der Hand, was seine Ästhetik, seine makellose Klaviertechnik, seine Eleganz sowie seine „Schüchternheit“ anbetrafen.

Die Corona-Krise (interessanterweise ist Tharaud in Brescia aufgewachsen, neben Bergamo der Hotspot der Corona-Pandemie im Frühjahr dieses Jahres) hat nicht nur seine äußere Erscheinung verändert – er wirkte gereifter, selbstsicherer und wesentlich robuster als damals –, sondern auch in weiten Teilen seinen Interpretationsstil.

Auf seinem Programm standen vier Sonaten (K 9, K 380, K 3, K 514) von Domenico Scarlatti (1685-1757) – neben Jeanne Philippe Rameau sein barocker Lieblingskomponist –, fünf Fantasiestücke op.3 (1892) von Sergej Rachmaninow (1873-1943) und Maurice Ravels (1875-1937) Miroirs (1904/05).  


Ein Tasten- und Klangkünstler

Vier Sonaten von insgesamt 555, vermutlich zwischen 1738 und 1749 entstanden und von Ralph Kirkpatrick (K) im Jahre 1953 katalogisiert, eröffneten bereits Hörerlebnisse in einer Vielfalt seiner Anschlagtechnik, seiner Virtuosität und nicht zuletzt seiner Klanggenialität. Mal waren es die spannungsgeladenen Triller in der Sonate  K  9, ein gar nicht ernsthaftes D-Moll in gesanglicher Qualität. Mal das herrliche Echospiel in K 380. Ein helles E-Dur mit unglaublich ausgeprägtem Fingerspiel. Oder aber die rasant abfallenden Tonleitern, die hanebüchen schnellen Repetitionen in K 3 und in K 514. Letztgenannte Sonate noch mit heftigen Akzenten, romantischen Rubati, aber von federnder Leichtigkeit. Immer aber überraschte Tharaud mit neuen Einfällen und spielerischen Akzentuierungen.

Bekanntlich setzte sich Scarlatti zeitlebens über musikalische und kompositorische Konventionen hinweg. Seine Stücke leben von der Interpretation und erzeugen je Auffassung des Spielers romantische wie auch impressionistische Effekte. Tharaud, hier ganz französische Schule, ließ Scarlatti zu einem Zeitgenossen Maurice Ravels oder auch Claude Debussy werden mit einem Hauch von Empfindsamkeit, tief empfundener Emotion und lombardischer Lebensfreude.

Alexandre Tharaud, Foto: warnerclassics.com

Viel Pedal und zu wenig Kontraste

Die Morceaux de fantaisie (Fantasiestücke), eine fünfteilige Sammlung des erst 19-jährigen Sergej Rachmaninow, lassen bereits den melancholisch dramatischen Stil des Komponisten erkennen. Gleich zu Anfang die eigentlich schwermütige Elegie, die allerdings unter den Händen von Tharaud eher zu einem flott gespielten Maestoso geriet. Die weit ausladenden Achtbewegungen mit schlichter Melodie und für Rachmaninow typische Fiorituren hinterließen eher einen erhabenen als schwermütigen Eindruck.

Das berühmte und wohl bekannteste unter den fünf, das Prélude in cis- Moll, ein Dreitonmotiv mit dramatischer Entwicklung bis zum Triolensturm im Mittelteil, ein Bravourstück für jeden Pianisten gleich welcher Qualität, spielte Tharaud zwar effektvoll und rasend schnell. Leider aber fehlte der Kontrast zwischen gefordertem Lento und der Toccata artigen abfallenden Kaskade als Höhepunkt dieses ungeheuer schwierig klingenden aber technisch relativ einfach zu spielenden Vorspiel-Stückchens.

Sehr kantabel dann die an dritter Stelle stehende Mélodie, ein Adagio sostenuto, das Tharaud mit fast schon extremer Betonung der melodischen Line und leider übertriebener Pedalierung präsentierte. Ähnliches gilt auch für die darauffolgenden Polichinelle, ein bewegtes dramatisch gefasstes an die Commedia dell ‘arte angelehntes und an den „Gnomenreigen“ aus Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung erinnerndes Stückchen, in der Tharaud die virtuosen Partien in Klangclustern regelrecht verschwimmen ließ.

Parodistisch dann die abschließende Serenade, ein in 3/8 Takt und B-Dur gefasstes Sostenuto, wo er den Walzer zu einem Gassenhauer und Wirtshausspektakel ummünzte. Das wiederum war klasse und gehörte zum Besten dieser Pentade.


Eine Interpretation, die Maßstäbe setzt

Maurice Ravels Miroirs, ebenfalls ein Zyklus aus fünf Klavierstücken, zählt neben Gaspard de la Nuit (1908) zu den Schlüsselwerken des Impressionismus. Ravel, angeregt von seinen Vorbildern Franz Liszt, Modest Mussorgsky aber auch Claude Debussy, schaffte mit Miroirs ein Klavierwerk von höchstem Anspruch an den Pianisten aber gleichzeitig auch an das Instrument. Einfach formuliert: Dieses Werk braucht einen außergewöhnlichen Interpreten wie auch einen Flügel von bester Qualität. Auf einem Klavier oder mittelmäßigen Flügel sind diese Piecen so gut wie nicht spielbar.

Tharaud setzte bereits Maßstäbe im Ersten des Zyklus´ Noctuelles (Nachtfalter). Technisch eine Herausforderung erste Güte lässt sich hier ein Nachtfalter vorstellen, der wild um eine Lichtquelle flattert, bis ihn das Schicksal ereilt. Hier bereits spürte man den inneren Bezug des Pianisten zu diesem Werk. Sein feinst ziseliertes Tastenspiel mit herrlichen Tremolos und differenzierter Pedalarbeit war ein absoluter Hörgenuss und so noch nie gehört, was übrigens auch für die folgenden vier Stücke zutraf.

Bei Oiseaux tristes (traurige Vögel) zwischen fantastischem Vogelgesang und tief trauriger Begleitung hätte Olivier Messiaen (1908-1992), bekannt durch seinen Catalogue D’oiseaux für Klavier, Vogelgesänge aus der Französischen Provinz, seine pure Freude gehabt. Meisterhaft auch Une barque sur l´océan (eine Barke auf dem Ozean), ein Wellengang ohne Anfang und Ende. Impressionismus pur und stark an Debussys im gleichen Jahr uraufgeführtes Orchesterstück La Mer angelehnt. Ravel selbst wollte diesen Part „vom Pedal eingehüllt“ wissen, um die Wasserspiele um die schwankende Barke innerlich erlebbar zu machen. Tharaud versetzte das Publikum förmlich in diese Szenerie und ließ es erst mit Alborada del gracioso (Morgenlied des Narren) in die Realität des Saales zurückkehren. Beißende Dissonanzen, wahnwitzige Tonrepetitionen und glasklare, präzise perlende Motivreihen charakterisieren dieses Narrenstück, unterbrochen von einem spanischen Flamenco im Mittelteil.

Ein diabolischer Schluss leitete dann zu La Vallée des Cloches (Das Tal der Glocken) über. Ein ruhiger Abgang, mit Glockenschlägen an einem Sonntagmorgen auf dem Lande vergleichbar. Tharaud beendete dieses wohl einmalige Hörerlebnis mit wunderbarer Gelassenheit und Besinnlichkeit.

Alexandre Tharaud, Foto: Marco Borggreve

Großer Dank und die Hoffnung auf Bühnen-Normalität

Der Beifall war herzlich, hielt sich Corona bedingt allerdings in Grenzen. Wie auch, wenn mittlerweile sogar während des Konzerts die Masken getragen werden müssen, was nicht nur den Geist benebelt, sondern auch die Gesundheit schädigt. Aber Alexandre Tharaud zeigte auch hier ein ganz neues Gesicht. Nicht allein, dass er kein Maskenspiel veranstaltete (erst nach der Zugabe erschien er mit Maske, um dem Publikum deutlich zu machen, dass es keine weitere Zugabe aus besagten Gründen geben darf), sondern er wandte sich auch in englischer Sprache ans Publikum, bedankte sich aufrichtig dafür, dass er wieder auf die Bühne, seine eigentliche Heimat  („the stage is my House“) darf und gab seiner Hoffnung Ausdruck, wieder unter normalen Bedingungen auftreten zu können. Allen im Saal wünschte er beste Gesundheit.  

Seine Zugabe (Corona bedingt eigentlich nicht gewünscht) bestand aus Scarlattis K 141, eine Repetitionssonate in d-Moll, ein Allegro von unglaublicher Brillanz, rhythmischer Vielfalt und energetischen Tremoli, was sogar noch Platz für eine Schlussstretta ließ. Tharaud spielt schon vor zwei Jahren diese Sonate als Zugabe. Heute erschien sie nicht nur gereifter, sondern auch durchdachter und schlüssiger. Tharaud gehört zu den Welt-Top-Pianisten und damit auch zu einem regelmäßigen Gast in der Frankfurter Alten Oper.

 

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