Alexandre Tharaud, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 26.10.2020
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| Alexandre Tharaud, Foto: Jean-Baptiste Millot |
Reifer und selbstsicherer
Es sind ziemlich genau zwei Jahre vergangen, als Alexandre
Tharaud (*1968) das Publikum im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt, es war
der 15.10.2018, begeisterte. Ein Vergleich mit dem legendären italienischen
Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli (1920-1995) lag damals buchstäblich auf
der Hand, was seine Ästhetik, seine makellose Klaviertechnik, seine Eleganz sowie
seine „Schüchternheit“ anbetrafen.
Die Corona-Krise (interessanterweise ist Tharaud in Brescia
aufgewachsen, neben Bergamo der Hotspot der Corona-Pandemie im Frühjahr dieses
Jahres) hat nicht nur seine äußere Erscheinung verändert – er wirkte gereifter,
selbstsicherer und wesentlich robuster als damals –, sondern auch in weiten
Teilen seinen Interpretationsstil.
Auf seinem Programm standen vier Sonaten (K 9, K 380,
K 3, K 514) von Domenico Scarlatti (1685-1757) – neben Jeanne Philippe Rameau sein
barocker Lieblingskomponist –, fünf Fantasiestücke op.3 (1892) von Sergej
Rachmaninow (1873-1943) und Maurice Ravels (1875-1937) Miroirs (1904/05).
Ein Tasten- und Klangkünstler
Vier Sonaten von insgesamt 555, vermutlich zwischen 1738 und
1749 entstanden und von Ralph Kirkpatrick (K) im Jahre 1953 katalogisiert,
eröffneten bereits Hörerlebnisse in einer Vielfalt seiner Anschlagtechnik,
seiner Virtuosität und nicht zuletzt seiner Klanggenialität. Mal waren es die spannungsgeladenen
Triller in der Sonate K 9, ein gar nicht ernsthaftes D-Moll in gesanglicher
Qualität. Mal das herrliche Echospiel in K 380. Ein helles E-Dur mit
unglaublich ausgeprägtem Fingerspiel. Oder aber die rasant abfallenden Tonleitern,
die hanebüchen schnellen Repetitionen in K 3 und in K 514. Letztgenannte Sonate
noch mit heftigen Akzenten, romantischen Rubati, aber von federnder
Leichtigkeit. Immer aber überraschte Tharaud mit neuen Einfällen und
spielerischen Akzentuierungen.
Bekanntlich setzte sich Scarlatti zeitlebens über
musikalische und kompositorische Konventionen hinweg. Seine Stücke leben von
der Interpretation und erzeugen je Auffassung des Spielers romantische wie auch
impressionistische Effekte. Tharaud, hier ganz französische Schule, ließ
Scarlatti zu einem Zeitgenossen Maurice Ravels oder auch Claude Debussy werden
mit einem Hauch von Empfindsamkeit, tief empfundener Emotion und lombardischer
Lebensfreude.
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| Alexandre Tharaud, Foto: warnerclassics.com |
Viel Pedal und zu wenig Kontraste
Die Morceaux de fantaisie (Fantasiestücke), eine
fünfteilige Sammlung des erst 19-jährigen Sergej Rachmaninow, lassen bereits
den melancholisch dramatischen Stil des Komponisten erkennen. Gleich zu Anfang
die eigentlich schwermütige Elegie, die allerdings unter den Händen von
Tharaud eher zu einem flott gespielten Maestoso geriet. Die weit ausladenden
Achtbewegungen mit schlichter Melodie und für Rachmaninow typische Fiorituren hinterließen
eher einen erhabenen als schwermütigen Eindruck.
Das berühmte und wohl bekannteste unter den fünf, das Prélude
in cis- Moll, ein Dreitonmotiv mit dramatischer Entwicklung bis zum
Triolensturm im Mittelteil, ein Bravourstück für jeden Pianisten gleich welcher
Qualität, spielte Tharaud zwar effektvoll und rasend schnell. Leider aber
fehlte der Kontrast zwischen gefordertem Lento und der Toccata artigen abfallenden Kaskade als Höhepunkt dieses ungeheuer schwierig klingenden aber
technisch relativ einfach zu spielenden Vorspiel-Stückchens.
Sehr kantabel dann die an dritter Stelle stehende Mélodie,
ein Adagio sostenuto, das Tharaud mit fast schon extremer Betonung der
melodischen Line und leider übertriebener Pedalierung präsentierte. Ähnliches gilt
auch für die darauffolgenden Polichinelle, ein bewegtes dramatisch
gefasstes an die Commedia dell ‘arte angelehntes und an den „Gnomenreigen“ aus Modest
Mussorgskys Bilder einer Ausstellung erinnerndes Stückchen, in der
Tharaud die virtuosen Partien in Klangclustern regelrecht verschwimmen ließ.
Parodistisch dann die abschließende Serenade, ein in
3/8 Takt und B-Dur gefasstes Sostenuto, wo er den Walzer zu einem
Gassenhauer und Wirtshausspektakel ummünzte. Das wiederum war klasse und
gehörte zum Besten dieser Pentade.
Eine Interpretation, die Maßstäbe setzt
Maurice Ravels Miroirs, ebenfalls ein Zyklus aus fünf
Klavierstücken, zählt neben Gaspard de la Nuit (1908) zu den Schlüsselwerken
des Impressionismus. Ravel, angeregt von seinen Vorbildern Franz Liszt, Modest
Mussorgsky aber auch Claude Debussy, schaffte mit Miroirs ein
Klavierwerk von höchstem Anspruch an den Pianisten aber gleichzeitig auch an
das Instrument. Einfach formuliert: Dieses Werk braucht einen außergewöhnlichen
Interpreten wie auch einen Flügel von bester Qualität. Auf einem Klavier oder
mittelmäßigen Flügel sind diese Piecen so gut wie nicht spielbar.
Tharaud setzte bereits Maßstäbe im Ersten des Zyklus´
Noctuelles (Nachtfalter). Technisch eine Herausforderung erste Güte lässt
sich hier ein Nachtfalter vorstellen, der wild um eine Lichtquelle flattert,
bis ihn das Schicksal ereilt. Hier bereits spürte man den inneren Bezug des
Pianisten zu diesem Werk. Sein feinst ziseliertes Tastenspiel mit herrlichen Tremolos
und differenzierter Pedalarbeit war ein absoluter Hörgenuss und so noch nie
gehört, was übrigens auch für die folgenden vier Stücke zutraf.
Bei Oiseaux tristes (traurige Vögel) zwischen
fantastischem Vogelgesang und tief trauriger Begleitung hätte Olivier Messiaen
(1908-1992), bekannt durch seinen Catalogue D’oiseaux für Klavier,
Vogelgesänge aus der Französischen Provinz, seine pure Freude gehabt. Meisterhaft
auch Une barque sur l´océan (eine Barke auf dem Ozean), ein Wellengang
ohne Anfang und Ende. Impressionismus pur und stark an Debussys im gleichen
Jahr uraufgeführtes Orchesterstück La Mer angelehnt. Ravel selbst wollte
diesen Part „vom Pedal eingehüllt“ wissen, um die Wasserspiele um die schwankende
Barke innerlich erlebbar zu machen. Tharaud versetzte das Publikum förmlich in
diese Szenerie und ließ es erst mit Alborada del gracioso (Morgenlied
des Narren) in die Realität des Saales zurückkehren. Beißende Dissonanzen,
wahnwitzige Tonrepetitionen und glasklare, präzise perlende Motivreihen
charakterisieren dieses Narrenstück, unterbrochen von einem spanischen Flamenco
im Mittelteil.
Ein diabolischer Schluss leitete dann zu La Vallée des Cloches (Das Tal der Glocken) über. Ein ruhiger Abgang, mit Glockenschlägen an einem Sonntagmorgen auf dem Lande vergleichbar. Tharaud beendete dieses wohl einmalige Hörerlebnis mit wunderbarer Gelassenheit und Besinnlichkeit.
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| Alexandre Tharaud, Foto: Marco Borggreve |
Großer Dank und die Hoffnung auf Bühnen-Normalität
Der Beifall war herzlich, hielt sich Corona bedingt allerdings
in Grenzen. Wie auch, wenn mittlerweile sogar während des Konzerts die Masken getragen
werden müssen, was nicht nur den Geist benebelt, sondern auch die Gesundheit
schädigt. Aber Alexandre Tharaud zeigte auch hier ein ganz neues
Gesicht. Nicht allein, dass er kein Maskenspiel veranstaltete (erst nach der Zugabe
erschien er mit Maske, um dem Publikum deutlich zu machen, dass es keine
weitere Zugabe aus besagten Gründen geben darf), sondern er wandte sich auch in
englischer Sprache ans Publikum, bedankte sich aufrichtig dafür, dass er wieder
auf die Bühne, seine eigentliche Heimat („the
stage is my House“) darf und gab seiner Hoffnung Ausdruck, wieder unter normalen
Bedingungen auftreten zu können. Allen im Saal wünschte er beste Gesundheit.
Seine Zugabe (Corona bedingt eigentlich nicht gewünscht)
bestand aus Scarlattis K 141, eine Repetitionssonate in d-Moll, ein Allegro
von unglaublicher Brillanz, rhythmischer Vielfalt und energetischen Tremoli, was
sogar noch Platz für eine Schlussstretta ließ. Tharaud spielt schon vor zwei
Jahren diese Sonate als Zugabe. Heute erschien sie nicht nur gereifter,
sondern auch durchdachter und schlüssiger. Tharaud gehört zu den Welt-Top-Pianisten
und damit auch zu einem regelmäßigen Gast in der Frankfurter Alten Oper.



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