Freitag, 23. Oktober 2020

Quatuor Ébène, V. Konzert mit Beethovens Streichquartetten Nr. 7, F-Dur op.59/1 und Nr. 16, F-Dur op.135, Großer Saal der Alten Oper Frankfurt, 22.10.2020 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e.V.)

Quatuor Ébène, v. l.: Marie Chilemme, Pierre Colombet, Raphaël  Merlin,
Gabriel Le Magadure

Foto: warnerclassics.com


Ein denkwürdiger Abend

Warum das über alle Kritik erhabene Streichquartett Quatuor Ébène zuerst das op. 135 (1826), Beethovens 16. und letztes vollständiges Streichquartett zuerst spielte, muss wohl ihr eigenes Geheimnis bleiben. Denn im eigentlichen Sinne gehört dieses Quartett in die Rubrik Lebensbilanz und letzte Worte einer quasi viele Jahrzehnte andauernde Entwicklung einer Kunstgattung, die Beethoven an die Grenzen des Möglichen geführt hat.

Nun denn. Beide vorgestellten Streichquartette dieses wieder einmal denkwürdigen Abends im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt – man vergesse nicht die äußerst widrigen Umstände, unter denen zurzeit Kunst überhaupt präsentiert werden kann – stehen in F-Dur, einer eher heiteren Stimmungstonart, was zumindest einen inneren Zusammenhang herzustellen erlaubt. Allerdings fällt  op.59/1 aus dem Jahre 1806 in eine äußerst produktive Schaffens- und Reifephase des Komponisten (so entsteht diese Quartett parallel zum 4. Klavierkonzert, zur 4. Sinfonie, zu seinem Violinkonzert und zur Coriolan-Ouvertüre), während das 16. Streichquartett wenige Monate vor Beethovens Tod unter widrigen äußeren Bedingungen (sein Neffe Karl begeht einen Selbstmordversuch und zwingt Beethoven zum Rückzug in das Waldschlösschen seine Bruders Johann nach Gneixendorf in der Nähe von Wien, um sich seinem Schützling widmen zu können) und fortschreitender Erkrankung des Komponisten entsteht. Beethoven spürte sein irdisches Ende nahen und war gewillt, seinem Werkschaffen einen angemessenen Schlusspunkt zu geben. Und den hat es in der Tat.


Ein Abschied in heiterer Stimmung und großer Grandezza

Denn es ist der Abschied eines Humoristen, eines Menschen, der sein Schicksal in heiterer Stimmung angenommen und noch einmal über seine Musik das Leben Revue passieren lässt, ohne Groll und Hader. Quatuor Ébène mit Pierre Colombet, 1. Violine, Gabriel Le Magadure, 2. Violine, Marie Chilemme, Viola, und Raphaël Merlin, Violoncello, verstand es, diese Stimmung mit Witz und herrlich entspannter Leichtigkeit zu präsentieren. In spielerischem Tonfall das Allegretto des ersten Satzes, in rasend schnellem Tempo das Vivace, oder besser Scherzo des zweiten Satzes. Drei Minuten störrisch, knackiger Aufruhr, wo ein Titan aus allen Nähten platzt. Dann ein dahinschmelzendes Lento, sehr langsam, singend und ruhig, so die Vortragsanweisung. Eine vierteilige Variation in Des-Dur und cis-Moll, mit sprechender Ornamentik, zum Weinen schön.

Der berühmteste Satz wohl all seiner Streichquartette ist das Finale, denn es gilt für die einen als fataler Abschied von dieser Welt, für die anderen eher als Pointe eines großen Humoristen. Jedenfalls gibt der schriftliche Hinweis: Der schwer gefasste Entschluss und zwei textierte Notenbeispiele auf der ersten Partitur Seite: ein f-Moll-Grave im Bassschlüssel mit der Frage: „Muss es sein?“ und einer Antwort in F-Dur-Allegro im Violinschlüssel und doppeltem Dreitonmotiv: „Es muss sein, es muss sein,“ doch einige Rätsel auf, die bei näherer Recherche wohl von einer simplen Auseinandersetzung über eine nicht bezahlte Ausleihgage herrühren. Danach wollte der Wiener Hofkriegsrat Dembscher, ein Hobbygeiger, bei Schuppanzigh (bekanntlich der erste Geiger und Leiter des Beethovenschen Hausquartetts) das op. 130 für eigene Zwecke ausleihen, aber dafür nichts bezahlen. Beethoven verlangte aber 50 Gulden, worauf der Wiener pikiert geantwortet haben soll: Wenn es sein muss!“ Beethoven soll darauf erwidert haben: „Es muss sein, ja, ja, es muss sein!“ Bekanntlich schrieb er auf diese Episode hin einen Kanon, der in seiner Anlage identisch ist mit den Dreiton-Motiven des Finales von op.135.

Simpel oder nicht. Ein Finale voll gespickter Ironie mit einem eingeflochtenen Kinderliedchen, schelmisch und spitzbübisch, insgesamt ein kontrastierender Dialog, ein Frage-und-Antwortspiel zwischen Schicksalsschwere und gelassener Zuversicht. Die langen Triller, heftigen Sforzati und schier endlosen Motiv-Wiederholungen: Es muss sein!! in der Coda, ein Allegro molto con brio, klang wie ein befreites Lachen des Meisters höchstpersönlich. Beethovens Abgang mit großer Grandezza und einem Quartett, das es wieder einmal prächtig verstand, ihn in all seinen menschlichen und sozialen Facetten in Musik umzusetzen.


Einleitung der Ära der Virtuosen und Berufsmusiker

Ganz im Gegensatz zu op.135 das op.59/1, das erste von drei Quartetten, den Rasumowsky-Quartetten, so genannt wegen des Gönners und wichtigen Beethoven Förderers Andrei Kirillowitsch Rasumowsky (1752-1836) aber auch wegen ihres angeblich russischen Charakters.

Ein gewaltiges, fast doppelt so lang andauerndes viersätziges Werk wie op. 135, nahezu 45 Minuten, in romantisch-expressiver Anlage und nicht von ungefähr in Stimmung und Form mit den drei Klaviersonaten op. 31 (1802/03) und op.57 (1805), bekannt als Appassionata, vergleichbar, soll es wohl die Ära der qualifizierten Berufsmusiker einleiten, denn diese Komposition ist von höchster Virtuosität und verlangt technisch versierte Instrumentalisten.

Bereits der erste Satz, ein Allegro, mit kantabler Thematik des Violoncellos, zeichnet sich durch eine extrem lange und differenzierte Durchführung aus, die gemeinsam mit der Reprise wiederholt wird. Ein Novum, das auch im Finalsatz der Appassionata zur Geltung kommt und die Sonatensatzform revolutioniert. Auch die spezielle Schlussgruppe mit den permanenten Wechseln von ritardando zu a Tempo und der kontrastierenden Dynamik zwischen pianissimo und fortissimo, weist auf einen Beethoven mit heroischen, entschlossenen und beherzten Absichten hin. Nicht von ungefähr hat man diesen ersten Satz auch die „Eroica“ des Streichquartetts genannt.

Auch im zweiten Satz dominiert zunächst das Violoncello. Ein Allegretto vivace e sempre scherzando mit trommelndem Thema und schlichter Melodik gleicht einem Scherzo, dessen Motive in vielfacher Weise zerlegt und wieder zusammengesetzt werden. Ein Kampf zwischen Rhythmus und Melodie, einem Gassenhauer oder derben Ländler ähnlich. Ein diabolischer Tanz auf der Rasierklinge, dem ein Adagio in f-Moll folgt, in sotto voce (flüsternd) und morendo (sterbend), voller Wehmut und tiefer Betroffenheit. Man sagte Beethoven übrigens nach, dass er damit seine Fassungslosigkeit über die Heirat seines Bruder Carl mit Johanna Reiss, die er zutiefst ablehnte, zum Ausdruck bringen wollte. Sollte das so stimmen, na denn gute Nacht. Immerhin entschließt er sich für einen fulminanten Übergang zum abschließenden Allegro mit der Überschrift Thème russ.

Quatuor Ébène, v. l.: Pierre Colombet, Gabriel Le Magadure, Marie Chilemme,
Rapha
ël Merlin
Foto: Alte Oper Frankfurt

Ganz Beethoven: Die Grenzen des Machbaren ausloten

Eine lange Kadenz der ersten Geige in 64stel Fiorituren und einem langen Triller auf c führt von f-Moll zu F-Dur zurück und, wieder vom Violoncello ausgehend, in ein russisches Volkslied ein. Sempre piano lautet Vortragsbezeichnung für das Cello was sich aber nach wenigen Takten zum Fortissimo auswächst und dann über weite Passagen einen eher heiteren Charakter behält, eher untypisch für die melancholische russische Seele, aber wohl aus einer Petersburger Volksliedsammlung (Iwan Prach) aus dem Jahre 1790 entnommen. Ob Rondo oder Sonatensatz mit Fugato-Einlagen, die Grenzen sind fließend die technischen Anforderung horrend und in damaligen Zeiten offensichtlich kaum zu bewältigen, dieser Satz endet jedenfalls mit einem ruppigen Presto und neun kadenzierenden Schlussakkorden, was wie ein lautes Gelächter klingt, womit doch ein, wenn auch sehr hypothetischer Bezug zu Beethovens letztem Streichquartett hergestellt werden kann.

Wieder einmal ein absoluter musikalischer Leckerbissen, den Quatuor Ébène in seinem fünften Zyklus bot. Auch der spärlich besetzte Saal war begeistert und man hörte sogar Bravorufe und sah Standing Ovations, ohne Mundschutz versteht sich. Ach ja, auch das Quartett verzichtete dieses Mal weise auf das Schnüffeltuch. Ein weiterer Lichtblick in düsteren Zeiten.

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