Quatuor Ébène, V. Konzert mit Beethovens Streichquartetten Nr. 7, F-Dur op.59/1 und Nr. 16, F-Dur op.135, Großer Saal der Alten Oper Frankfurt, 22.10.2020 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e.V.)
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| Quatuor Ébène, v. l.: Marie Chilemme, Pierre Colombet, Raphaël Merlin, Gabriel Le Magadure Foto: warnerclassics.com |
Warum das über alle Kritik erhabene Streichquartett Quatuor
Ébène zuerst das op. 135 (1826), Beethovens 16. und letztes vollständiges Streichquartett
zuerst spielte, muss wohl ihr eigenes Geheimnis bleiben. Denn im eigentlichen
Sinne gehört dieses Quartett in die Rubrik Lebensbilanz und letzte Worte einer
quasi viele Jahrzehnte andauernde Entwicklung einer Kunstgattung, die Beethoven
an die Grenzen des Möglichen geführt hat.
Nun denn. Beide vorgestellten Streichquartette dieses wieder
einmal denkwürdigen Abends im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt – man vergesse
nicht die äußerst widrigen Umstände, unter denen zurzeit Kunst überhaupt präsentiert
werden kann – stehen in F-Dur, einer eher heiteren Stimmungstonart, was
zumindest einen inneren Zusammenhang herzustellen erlaubt. Allerdings fällt op.59/1 aus dem Jahre 1806 in eine äußerst
produktive Schaffens- und Reifephase des Komponisten (so entsteht diese
Quartett parallel zum 4. Klavierkonzert, zur 4. Sinfonie, zu seinem
Violinkonzert und zur Coriolan-Ouvertüre), während das 16. Streichquartett
wenige Monate vor Beethovens Tod unter widrigen äußeren Bedingungen (sein Neffe
Karl begeht einen Selbstmordversuch und zwingt Beethoven zum Rückzug in das
Waldschlösschen seine Bruders Johann nach Gneixendorf in der Nähe von Wien, um
sich seinem Schützling widmen zu können) und fortschreitender Erkrankung des Komponisten
entsteht. Beethoven spürte sein irdisches Ende nahen und war gewillt, seinem
Werkschaffen einen angemessenen Schlusspunkt zu geben. Und den hat es in der
Tat.
Ein Abschied in heiterer Stimmung und großer Grandezza
Denn es ist der Abschied eines Humoristen, eines Menschen,
der sein Schicksal in heiterer Stimmung angenommen und noch einmal über seine
Musik das Leben Revue passieren lässt, ohne Groll und Hader. Quatuor Ébène
mit Pierre Colombet, 1. Violine, Gabriel Le Magadure, 2. Violine, Marie
Chilemme, Viola, und Raphaël Merlin, Violoncello, verstand
es, diese Stimmung mit Witz und herrlich entspannter Leichtigkeit zu
präsentieren. In spielerischem Tonfall das Allegretto des ersten Satzes,
in rasend schnellem Tempo das Vivace, oder besser Scherzo des
zweiten Satzes. Drei Minuten störrisch, knackiger Aufruhr, wo ein Titan aus
allen Nähten platzt. Dann ein dahinschmelzendes Lento, sehr langsam,
singend und ruhig, so die Vortragsanweisung. Eine vierteilige Variation in Des-Dur
und cis-Moll, mit sprechender Ornamentik, zum Weinen schön.
Der berühmteste Satz wohl all seiner Streichquartette ist
das Finale, denn es gilt für die einen als fataler Abschied von dieser Welt,
für die anderen eher als Pointe eines großen Humoristen. Jedenfalls gibt der schriftliche
Hinweis: Der schwer gefasste Entschluss und zwei textierte
Notenbeispiele auf der ersten Partitur Seite: ein f-Moll-Grave im Bassschlüssel
mit der Frage: „Muss es sein?“ und einer Antwort in F-Dur-Allegro im
Violinschlüssel und doppeltem Dreitonmotiv: „Es muss sein, es muss sein,“ doch einige
Rätsel auf, die bei näherer Recherche wohl von einer simplen Auseinandersetzung
über eine nicht bezahlte Ausleihgage herrühren. Danach wollte der Wiener Hofkriegsrat
Dembscher, ein Hobbygeiger, bei Schuppanzigh (bekanntlich der erste Geiger und
Leiter des Beethovenschen Hausquartetts) das op. 130 für eigene Zwecke ausleihen,
aber dafür nichts bezahlen. Beethoven verlangte aber 50 Gulden, worauf der
Wiener pikiert geantwortet haben soll: Wenn es sein muss!“ Beethoven soll
darauf erwidert haben: „Es muss sein, ja, ja, es muss sein!“ Bekanntlich
schrieb er auf diese Episode hin einen Kanon, der in seiner Anlage identisch
ist mit den Dreiton-Motiven des Finales von op.135.
Simpel oder nicht. Ein Finale voll gespickter Ironie mit
einem eingeflochtenen Kinderliedchen, schelmisch und spitzbübisch, insgesamt
ein kontrastierender Dialog, ein Frage-und-Antwortspiel zwischen
Schicksalsschwere und gelassener Zuversicht. Die langen Triller, heftigen
Sforzati und schier endlosen Motiv-Wiederholungen: Es muss sein!! in der Coda,
ein Allegro molto con brio, klang wie ein befreites Lachen des Meisters
höchstpersönlich. Beethovens Abgang mit großer Grandezza und einem Quartett,
das es wieder einmal prächtig verstand, ihn in all seinen menschlichen und
sozialen Facetten in Musik umzusetzen.
Einleitung der Ära der Virtuosen und Berufsmusiker
Ganz im Gegensatz zu op.135 das op.59/1, das erste von drei
Quartetten, den Rasumowsky-Quartetten, so genannt wegen des Gönners und wichtigen
Beethoven Förderers Andrei Kirillowitsch Rasumowsky (1752-1836) aber auch wegen
ihres angeblich russischen Charakters.
Ein gewaltiges, fast doppelt so lang andauerndes viersätziges
Werk wie op. 135, nahezu 45 Minuten, in romantisch-expressiver Anlage und nicht
von ungefähr in Stimmung und Form mit den drei Klaviersonaten op. 31 (1802/03)
und op.57 (1805), bekannt als Appassionata, vergleichbar, soll es wohl
die Ära der qualifizierten Berufsmusiker einleiten, denn diese Komposition ist
von höchster Virtuosität und verlangt technisch versierte Instrumentalisten.
Bereits der erste Satz, ein Allegro, mit kantabler Thematik
des Violoncellos, zeichnet sich durch eine extrem lange und differenzierte Durchführung
aus, die gemeinsam mit der Reprise wiederholt wird. Ein Novum, das auch im
Finalsatz der Appassionata zur Geltung kommt und die Sonatensatzform
revolutioniert. Auch die spezielle Schlussgruppe mit den permanenten Wechseln
von ritardando zu a Tempo und der kontrastierenden Dynamik
zwischen pianissimo und fortissimo, weist auf einen Beethoven mit
heroischen, entschlossenen und beherzten Absichten hin. Nicht von ungefähr hat
man diesen ersten Satz auch die „Eroica“ des Streichquartetts genannt.
Auch im zweiten Satz dominiert zunächst das Violoncello. Ein
Allegretto vivace e sempre scherzando mit trommelndem Thema und
schlichter Melodik gleicht einem Scherzo, dessen Motive in vielfacher Weise zerlegt
und wieder zusammengesetzt werden. Ein Kampf zwischen Rhythmus und Melodie,
einem Gassenhauer oder derben Ländler ähnlich. Ein diabolischer Tanz auf der
Rasierklinge, dem ein Adagio in f-Moll folgt, in sotto voce
(flüsternd) und morendo (sterbend), voller Wehmut und tiefer
Betroffenheit. Man sagte Beethoven übrigens nach, dass er damit seine Fassungslosigkeit
über die Heirat seines Bruder Carl mit Johanna Reiss, die er zutiefst ablehnte,
zum Ausdruck bringen wollte. Sollte das so stimmen, na denn gute Nacht. Immerhin
entschließt er sich für einen fulminanten Übergang zum abschließenden Allegro
mit der Überschrift Thème russ.
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| Quatuor Ébène, v. l.: Pierre Colombet, Gabriel Le Magadure, Marie Chilemme, Raphaël Merlin Foto: Alte Oper Frankfurt |
Ganz Beethoven: Die Grenzen des Machbaren ausloten
Eine lange Kadenz der ersten Geige in 64stel Fiorituren und einem
langen Triller auf c führt von f-Moll zu F-Dur zurück und, wieder vom Violoncello
ausgehend, in ein russisches Volkslied ein. Sempre piano lautet Vortragsbezeichnung
für das Cello was sich aber nach wenigen Takten zum Fortissimo auswächst und dann
über weite Passagen einen eher heiteren Charakter behält, eher untypisch für
die melancholische russische Seele, aber wohl aus einer Petersburger Volksliedsammlung
(Iwan Prach) aus dem Jahre 1790 entnommen. Ob Rondo oder Sonatensatz mit Fugato-Einlagen,
die Grenzen sind fließend die technischen Anforderung horrend und in damaligen
Zeiten offensichtlich kaum zu bewältigen, dieser Satz endet jedenfalls mit
einem ruppigen Presto und neun kadenzierenden Schlussakkorden, was wie
ein lautes Gelächter klingt, womit doch ein, wenn auch sehr hypothetischer
Bezug zu Beethovens letztem Streichquartett hergestellt werden kann.
Wieder einmal ein absoluter musikalischer Leckerbissen, den Quatuor
Ébène in seinem fünften Zyklus bot. Auch der spärlich besetzte Saal war
begeistert und man hörte sogar Bravorufe und sah Standing Ovations, ohne Mundschutz
versteht sich. Ach ja, auch das Quartett verzichtete dieses Mal weise auf das
Schnüffeltuch. Ein weiterer Lichtblick in düsteren Zeiten.


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