Maurizio Pollini, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 05.10.2020
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| Maurizio Pollini in der Alten Oper Frankfurt, Foto: Wonge Bergmann |
Ein
Klangerlebnis der besonderen Art
Zuletzt vor
dreieinhalb Jahren konnte man die Lichtgestalt an den Tasten im großen Saal der
Alten Oper Frankfurt mit einem reinen Chopin-Programm erleben. Maurizio
Pollini (*1942) sichtbar gealtert, mit fragiler Gestalt und markantem
römischen Profil kommt ohne Pflichtmaske auf die Bühne, setzt sich an seinen gewohnt
eigenen Flügel, ein von dem italienischen Klavierbauer und Klangmagier, Angelo
Fabbrini, extra für seine pianistischen Anforderungen präparierter Steinway
& Sons, und beginnt mit den drei späten Intermezzi op.117 von Johannes
Brahms (1833-1897).
Eine
nachdenkliche Stimmung verbreitete sich im durch die Corona bedingten Maßnahmen
nur spärlich besetzten Saal der Alten Oper. Ein sphärisch-halliger verträumter Klang
eines schottischen Wiegenlieds wechselte in das fließende b-Moll des zweiten Andante
non troppo e con molto espressione. Pollini spielte nicht, er sang. Man
hörte ihn sogar die Melodien summen. Im dritten Stück, verlangt ist ein molto
piano e sotto voce sempre, auf Deutsch: ein ewiges Flüstern, zeigte Pollini
einmal mehr seine Verbundenheit mit den Tasten seines Arbeitsgeräts. Ein
Klangerlebnis der besonderen Art, tief romantisch aber ohne Pathos.
Auch
Atonalität kann singen
Arnold Schoenbergs
(1874-1951) Klavierstücke op.11 (1909) gehören noch in die
spätromantische Phase des Komponisten. Auch sie bestehen aus drei relativ
kurzen Stücken von sehr unterschiedlichem Charakter. Ist das erste noch sehr
gesanglich und fast noch in der Tradition Brahms stehend (bekanntlich war
Brahms das große musikalische Vorbild Schoenbergs), so sind die beiden
folgenden Ausdruck des Kampfes mit der traditionellen Harmonik und bilden
bereits die Vorstufe zur Entwicklung seiner Zwölftonmusik einige Jahre später. Achteltöne
in Quartsprüngen und langsamer Metrik dominieren den spannungsgeladenen zweiten
Teil der Trilogie, durchgängig ohne tonales Zentrums, aber in deutlicher
Struktur, während das Schlussstück, mit der Bezeichnung Bewegt, unter
den Händen des Interpreten zu einem entfesselten Ausbruch der Emotionen wurde.
Extreme dynamische Wechsel schaffen eine fast gewalttätige Stimmung, die zu
einem ungewöhnlichen, ja fast friedfertigen Schluss führt. Es soll nach Meinung vieler Komponisten und Musikwissenschaftler das
innovativste unter den dreien sein und wird auch in den 1950er Jahren den
Serialismus prägen.
Pollini, ein
Meister der zeitgenössischen Musik (wovon nicht allein seine Gesamteinspielungen
der Klavierwerke Schoenbergs, aber auch die von Boulez, Nono und Stockhausen
zeugen), verband mit höchst
differenziertem Anschlag Motivmaterial, Atonalität und strukturelle
Unübersichtlichkeit der drei Stücke zu einer malerischen und höchst
stimmungsvollen Einheit.
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| Maurizio Pollini, Foto: Alte Oper Frankfurt |
Pollini
und Chopin, zwei Wesensverwandte
Nach einer
kurzen Verschnaufpause (Pausen sind ja unter Corona Bedingungen nicht erlaubt)
widmete sich Pollini seinem Lieblings-Komponisten: Frederic Chopin (1810-1849).
Vier Werke hatte er auf dem Programm. Die Polonaise fis-Moll op.44
(1840/41), die Barcarolle Fis-Dur op. 60 (1845/46), die Mazurka
c-Moll op. 56/3 (1843) sowie das Scherzo Nr.3 cis-Moll op.39 (1839).
Alles Werke
von großer Virtuosität, kraftraubenden Passagen und tiefer romantischer
Musikalität. Bekanntlich gewann Pollini bereits mit 18 Jahren den Chopin-Wettbewerb
in Warschau und gilt als einer besten Chopin Interpreten weltweit. Was soll man
sagen?
Jedes der
genannten Werke war ein Hörgenuss. Trotz seiner sichtbaren Gebrechlichkeit
hatte er an den Tasten an Feuer und Dynamik nichts verloren. Sicher kann man
den jugendlichen Elan nicht bis ins hohe Alter mitnehmen. Aber was Pollini
auszeichnet ist seine tiefe Musikalität und Verbundenheit mit den Werken. Alles
ist durchdacht, keine Phrase ist ohne Bedeutung und keine Figur ohne Zusammenhang.
Die große Linie ist stimmig und zu jeder Zeit transparent.
Pollini: Drei
Jahrhundert-Komponisten werden lebendig
Sein Scherzo
beispielsweise war von ausnehmender Schönheit. Selten gehört der Kontrast zwischen
dem bombastischen Thema und den engelhaften Figurationen. Auch wenn die
Armkraft naturbedingt nachlässt und Sprünge nicht mehr so schnell und präzise
gelingen können, so brillierte Pollini vor allem durch seine außergewöhnliche Musikalität
(mitunter schien er mit seinem Flügel regelrecht verwachsen zu sein), mit seinem
gesanglichen Impetus, unterstützt von seinem glockenhaft gestimmten Flügel, und
nicht zuletzt durch seine langjährige Auseinandersetzung mit dem Werk. Aus ihm
sprach nicht allein Frederic Chopin, sondern auch Johannes Brahms und Arnold
Schoenberg. Drei Jahrhundert-Komponistenpersönlichkeiten, die unter den Händen
Maurizio Pollinis wieder lebendig wurden. Möge uns dieser außergewöhnliche
Pianist noch lange erhalten bleiben.
Der Beifall
war zu Recht überschwänglich und bewog den doch erschöpften Meister zu einer Zugabe,
die aus Corona Gründen eigentlich gar nicht zulässig war. Er spielte die Ballade
g-Moll op.23 in knapp zehn Minuten, gespickt mit Skalen, Läufen und
technischen Finessen. Pollini meisterte auch hier alles makellos und ließ sogar
Freude im Gesicht erkennen. Er und sein Flügel. Zumindest scheint der Magier Angelo
Fabbrini auch seinen Anteil daran zu haben.


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