Dienstag, 6. Oktober 2020

 

Maurizio Pollini, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 05.10.2020

Maurizio Pollini in der Alten Oper Frankfurt, Foto: Wonge Bergmann


Ein Klangerlebnis der besonderen Art


Zuletzt vor dreieinhalb Jahren konnte man die Lichtgestalt an den Tasten im großen Saal der Alten Oper Frankfurt mit einem reinen Chopin-Programm erleben. Maurizio Pollini (*1942) sichtbar gealtert, mit fragiler Gestalt und markantem römischen Profil kommt ohne Pflichtmaske auf die Bühne, setzt sich an seinen gewohnt eigenen Flügel, ein von dem italienischen Klavierbauer und Klangmagier, Angelo Fabbrini, extra für seine pianistischen Anforderungen präparierter Steinway & Sons, und beginnt mit den drei späten Intermezzi op.117 von Johannes Brahms (1833-1897).

Eine nachdenkliche Stimmung verbreitete sich im durch die Corona bedingten Maßnahmen nur spärlich besetzten Saal der Alten Oper. Ein sphärisch-halliger verträumter Klang eines schottischen Wiegenlieds wechselte in das fließende b-Moll des zweiten Andante non troppo e con molto espressione. Pollini spielte nicht, er sang. Man hörte ihn sogar die Melodien summen. Im dritten Stück, verlangt ist ein molto piano e sotto voce sempre, auf Deutsch: ein ewiges Flüstern, zeigte Pollini einmal mehr seine Verbundenheit mit den Tasten seines Arbeitsgeräts. Ein Klangerlebnis der besonderen Art, tief romantisch aber ohne Pathos.


Auch Atonalität kann singen

Arnold Schoenbergs (1874-1951) Klavierstücke op.11 (1909) gehören noch in die spätromantische Phase des Komponisten. Auch sie bestehen aus drei relativ kurzen Stücken von sehr unterschiedlichem Charakter. Ist das erste noch sehr gesanglich und fast noch in der Tradition Brahms stehend (bekanntlich war Brahms das große musikalische Vorbild Schoenbergs), so sind die beiden folgenden Ausdruck des Kampfes mit der traditionellen Harmonik und bilden bereits die Vorstufe zur Entwicklung seiner Zwölftonmusik einige Jahre später. Achteltöne in Quartsprüngen und langsamer Metrik dominieren den spannungsgeladenen zweiten Teil der Trilogie, durchgängig ohne tonales Zentrums, aber in deutlicher Struktur, während das Schlussstück, mit der Bezeichnung Bewegt, unter den Händen des Interpreten zu einem entfesselten Ausbruch der Emotionen wurde. Extreme dynamische Wechsel schaffen eine fast gewalttätige Stimmung, die zu einem ungewöhnlichen, ja fast friedfertigen Schluss führt. Es soll nach Meinung vieler Komponisten und Musikwissenschaftler das innovativste unter den dreien sein und wird auch in den 1950er Jahren den Serialismus prägen.

Pollini, ein Meister der zeitgenössischen Musik (wovon nicht allein seine Gesamteinspielungen der Klavierwerke Schoenbergs, aber auch die von Boulez, Nono und Stockhausen zeugen), verband  mit höchst differenziertem Anschlag Motivmaterial, Atonalität und strukturelle Unübersichtlichkeit der drei Stücke zu einer malerischen und höchst stimmungsvollen Einheit.

Maurizio Pollini, Foto: Alte Oper Frankfurt


Pollini und Chopin, zwei Wesensverwandte

Nach einer kurzen Verschnaufpause (Pausen sind ja unter Corona Bedingungen nicht erlaubt) widmete sich Pollini seinem Lieblings-Komponisten: Frederic Chopin (1810-1849). Vier Werke hatte er auf dem Programm. Die Polonaise fis-Moll op.44 (1840/41), die Barcarolle Fis-Dur op. 60 (1845/46), die Mazurka c-Moll op. 56/3 (1843) sowie das Scherzo Nr.3 cis-Moll op.39 (1839).

Alles Werke von großer Virtuosität, kraftraubenden Passagen und tiefer romantischer Musikalität. Bekanntlich gewann Pollini bereits mit 18 Jahren den Chopin-Wettbewerb in Warschau und gilt als einer besten Chopin Interpreten weltweit. Was soll man sagen?

Jedes der genannten Werke war ein Hörgenuss. Trotz seiner sichtbaren Gebrechlichkeit hatte er an den Tasten an Feuer und Dynamik nichts verloren. Sicher kann man den jugendlichen Elan nicht bis ins hohe Alter mitnehmen. Aber was Pollini auszeichnet ist seine tiefe Musikalität und Verbundenheit mit den Werken. Alles ist durchdacht, keine Phrase ist ohne Bedeutung und keine Figur ohne Zusammenhang. Die große Linie ist stimmig und zu jeder Zeit transparent.


Pollini: Drei Jahrhundert-Komponisten werden lebendig

Sein Scherzo beispielsweise war von ausnehmender Schönheit. Selten gehört der Kontrast zwischen dem bombastischen Thema und den engelhaften Figurationen. Auch wenn die Armkraft naturbedingt nachlässt und Sprünge nicht mehr so schnell und präzise gelingen können, so brillierte Pollini vor allem durch seine außergewöhnliche Musikalität (mitunter schien er mit seinem Flügel regelrecht verwachsen zu sein), mit seinem gesanglichen Impetus, unterstützt von seinem glockenhaft gestimmten Flügel, und nicht zuletzt durch seine langjährige Auseinandersetzung mit dem Werk. Aus ihm sprach nicht allein Frederic Chopin, sondern auch Johannes Brahms und Arnold Schoenberg. Drei Jahrhundert-Komponistenpersönlichkeiten, die unter den Händen Maurizio Pollinis wieder lebendig wurden. Möge uns dieser außergewöhnliche Pianist noch lange erhalten bleiben.

Der Beifall war zu Recht überschwänglich und bewog den doch erschöpften Meister zu einer Zugabe, die aus Corona Gründen eigentlich gar nicht zulässig war. Er spielte die Ballade g-Moll op.23 in knapp zehn Minuten, gespickt mit Skalen, Läufen und technischen Finessen. Pollini meisterte auch hier alles makellos und ließ sogar Freude im Gesicht erkennen. Er und sein Flügel. Zumindest scheint der Magier Angelo Fabbrini auch seinen Anteil daran zu haben.

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