Quatuor Ébène spielt Beethovens Streichquartette Nr.11 f-Moll op.95 (1810) und Nr. 13 B-Dur op. 130 mit der abschließenden „Großen Fuge“ op. 133 (1826), Großer Saal der Alten Oper Frankfurt, 14.10.2020 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e.V.)
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| Quatuor Ébène, v. l.: Marie Chilemme, Pierre Colombet, Raphaël Merlin, Gabriel Le Magadure Foto: warnerclassics.com |
Wohin treibt diese Bundesrepublik? – fragt man sich bei jedem erneuen Besuch des ehrwürdigen Musiktempels, der Alten Oper Frankfurt. Sind die Kontrollmaßnahmen schon arg übergriffig und der Freiheit der Künste nicht gerade zuträglich, so hat man jetzt bereits hoheitsrechtliche Grundprinzipien, nämlich das Kontrollieren von Ausweisen, auf private Security Organisationen übertragen (mir bereits zum zweiten Mal widerfahren), womit dem grundgesetzlichen Missbrauch Tür und Tor geöffnet werden.
So heißt es gebieterisch auf jeder einzelnen Eintrittskarte: „Einlasskarte und Ausweis sind auf Verlangen vorzuzeigen.“ Name und Adresse der wenigen Besucher sind dem Haus eh bekannt und werden hoffentlich nach wenigen Tagen gelöscht. Was also soll noch das Vorzeigen des Ausweises an Personen, die gesetzlich gar nicht dazu berechtigt sind, wenn nicht die reine Kontrollwut dahintersteckt? Das Virus scheint wohl weniger die Lunge zu drangsalieren, als vielmehr den rationalen Teil des Gehirnlappens. Wollen wir sehenden Auges in einen Willkür- und Kontrollstaat abdriften. Hier ist der Appell an die Leitung des Hauses vonnöten, diese Misstrauensmaßnahme zu überdenken und wieder zu rechtsstaatlichen Prinzipien zurückzukehren. Auch im Interesse der Musik Beethovens, versteht sich.
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| Quatuor Ébène, Foto: Julien Mignot |
Ein Bekenntniswerk mit langer Bedenkzeit
Jetzt aber zum Konzert vor leider fast gähnender Leere im
Großen Saal der Alten Oper. Bekanntlich ist op. 95 im Jahre 1810 komponiert, zu
einer Zeit des österreichisch-französischen Kriegs, in der das kulturelle und
musikalische Leben in Wien pausierte, sich das Gehörleiden Beethovens
verschlimmerte und die Liebesaffären mit Therese Malfatti und Gräfin Deym ein
unglückliches Ende nahmen. Nicht von ungefähr nannte Beethoven dieses Quartett „Quartetto
serioso“ und widmete es seinem Freund Nikolaus Zmeskall, der von all dem
bestens Bescheid wusste. Es ist ein Bekenntniswerk von sehr indifferenter Stimmung,
das Beethoven vier Jahre später überarbeitete und es am liebsten, wie er dem
Begründer der Londoner Philharmonic Society, Sir George Smart, bekannte, nur
einem kleinen, vertrauten Kreis anvertraut hätte.
Dieses viersätzige Werk bildete denn auch den Schlusspunkt seines mittleren Quartettschaffens und leitete eine vierzehnjährige Pause ein. Quatuor Ébène (Pierre Colombet, 1. Violine, Gabriel Le Magadure, 2. Violine, Marie Chilemme, Viola, und Raphaël Merlin, Violoncello) ließ gleich in den ersten Takten erkennen, welche Endzeitstimmung in Beethoven gebrodelt haben muss. Ein schroffer Beginn wird nach einer Generalpause von einer versöhnlichen Melodie fortgesetzt. Eine kaum erkennbare Sonatenform beherrscht extreme Stimmungsschwankungen und endet in einem verzweifelten Pianissimo.
Bereits das Allegretto des zweiten Satzes in D-Dur gehalten und in einer ABA-Liedform gehalten, von einer herabschreitende Melodie vom Violoncello dominiert und einem kanonischen Mittelteil fortgesetzt um in einem hellen D-Dur Akkord zu enden, beschreibt das gesamte Seelenleben des gerade mal 30-Jährigen. Wild und ausufernd mit energischen Sforzati dann das Scherzo des dritten Satzes, ein „Ich will!“ auf extremster Stufe, das dann in ein elegisches, trauerndes Largo des vierten Satzes wechselt.
Aber Beethoven wäre nicht Beethoven, wenn er nicht zuversichtlich und
positiv in die Zukunft schauen würde. Die Musik wird zunehmend beschwingt und heiter.
Das f-Moll zum F-Dur, es juchzt und jauchzt freudig bis zum abschließenden
Presto. Viele Interpretationsversuche wurden unternommen, um diesen plötzlichen
Wandel zu erklären. Per aspera ad astra? Der Dirigent und Musikkritiker, Paul Bekker, meinte dazu: „Dieses
innere Freiwerden, diese Schlusswendung. Damit ist die Lösung der Probleme des
Lebens gefunden.“ Sollte es so sein? Zumindest
konnte Beethoven jetzt erst einmal eine lange Pause einlegen.
Eine Lebensbilanz und eine Zukunftsvision
Zwischen Op. 95 und op. 130 (Januar/Juli 1826) liegen tatsächlich Welten. Op. 130 ist das zweite der letzten fünf Quartette, eigentlich aber das vorletzte und, wenn man die „Große Fuge“ op.133 dazurechnet, sogar die letzte Komposition des Meisters. Warum das? Beethoven schreibt 1826, also kurz vor seinem Tode im März 1827, noch die Streichquartette Nr. 14 cis-Moll (Juli 1826) und Nr. 16 F-Dur (Oktober 1826). Bekanntlich wird der Finalsatz von op. 130, die Große Fuge, vom Publikum nicht verstanden und Beethoven beschließt, ein neues Finale zu komponieren. Es sollte die letzte Komposition vor seinem Tode werden. Die Große Fuge allerdings ließ er separat als op.133 im Juli 1826 veröffentlichen.
Quatuor Ébène spielte, wie seit Jahrzehnten üblich,
die Urversion des sechsteiligen Mammutwerks von 52 Minuten. Vorweg sei gesagt,
keine Sekunde davon möchte man missen. Allein schon der Eingangssatz mit seiner
dominanten Vierergruppe gis-a-f-e, ein wenig an Johann Sebastian Bachs cis-Moll
Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier erinnernd, war an Dynamik, Rhythmik und
Spannung kaum noch zu übertreffen. Eine packende, dreithematische
Sonatenhauptsatzform, die in ihrem Charakter nach bereits weit ins zwanzigste Jahrhundert
schaute.
Das Presto des zweiten Satzes in b-Moll,
konvulsivisch und haarsträubend schnell gespielt, glich einer Hetzjagd quer
durch die Wälder Wiens. Das folgende Andante in Des-Dur gehalten zeugte
vom immer noch existenten Humor des Todkranken. Eine anekdotische Erzählung mit
Witz und schalkhafter Hintergründigkeit. Ein kombinierter Sonaten- und Variationen Satz zwischen Melancholie und resignierender Heiterkeit. Volkstümlich und derb geht
es dagegen im vierten Satz zu. Ein Ländler im Dreivierteltakt, kurz und knackig.
Der fünfte Satz wiederum, Beethoven selbst nennt ihn „die
Krone aller Quartettsätze und sein Lieblingsstück“, schwankt zwischen Weinen
und Lachen. Es zeugt von der Bilanz des Lebens, voller Tränen und Wehmut. Nicht
von ungefähr gehört dieses Stück zur Musik, die die Voyager 2 seit 1977
ins Weltall sendet, um eventuelle außerirdische Lebensformen von der Schönheit
der menschlichen Musik zu überzeugen. Es stimmt, diese Cavatine ist
umwerfend schön und vom Quatuor Ébène interpretiert noch schöner.
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| Quatuor Ébène, v. l.: Pierre Colombet, Gabriel Le Magadure, Marie Chilemme, Raphaël Merlin Foto: Alte Oper Frankfurt |
Frei, ungebunden, kompromisslos
Die große Abschlussfuge toppte dennoch alles davor Gehörte. Fast 18 Minuten kreierte das Quatuor Ébène eine Tonsprache, die auch im 21 Jahrhundert durchaus noch zur Avantgarde gehören könnte. Verständlich, dass die Fuge zu Beethovens Zeit unverständlich blieb und für die Kritiker wie „chinesisch“ klang. Tatsächlich wird die „Große Fuge“ erst im 20. Jahrhundert regelmäßig aufgeführt und gehört heute zum Repertoire aller großen Streichquartette.
Ein extrem freies ungebundenes Werk, das lediglich zu 40
Prozent Fugencharakter hat und ansonsten sehr differenzierte Elemente enthält,
fantasiereich in sechs Abschnitte aufgeteilt mit selten erkennbarem innerem
Zusammenhang. Beethoven meinte dazu: „Eine Fuge zu machen ist keine Kunst …
Aber die Phantasie will auch ihr Recht behaupten, und heutzutage muss in die
alt hergebrachten Form ein anderes, ein wirklich poetisches Element kommen“. Wer
könnte es besser sagen als er.
Beethovens Poesie wurde unter den Händen des Quartetts zu
einem Aufruf an die Menschheit, sich keiner Resignation hinzugeben und zu der
Musik zu stehen, die der ureigenen inneren Haltung entspricht und keine
kleinlichen Kompromisse verträgt. In diesem Sinne ist auch Arnold Schönbergs Urteil
zur Neukomposition des Finales zu verstehen. So schrieb er 1952 in der
österreichischen Musikzeitschrift: „Dass Beethoven sich bewegen ließ, ein neues
Finale zu komponieren, war ein Akt der Resignation.“ Für einen empfindsamen
Menschen wie ihn löste das einen „unerträglichen Schock“ aus. Ähnlich urteilten
auch andere Komponisten und Musiker der Neuzeit. Wichtig aber ist für uns, dass
heute op.130 und op.133 in einem Guss gespielt werden. Beethoven würde es gefallen
und vielleicht hätte er auch unter anderen Umständen das Werk so belassen. Das
ist zwar reine Spekulation, aber sollte in Krisenzeiten jedweder Couleur
immer auch mitbedacht werden.



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