Montag, 2. November 2020

Igor Levit, Klavier, und die Camerata Salzburg in der Alten Oper Frankfurt, 01.11.2020 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)

Igor Levit und die Camerata Salzburg in der Alten Oper Frankfurt, Foto: PRO ARTE/Sabine Siemon

Die Maskerade im Kulturgefängnis ist für die Katz

Es kommt einem vor wie eine Maskerade, wie ein Spiel mit der Angst auf der Kulturbühne. Trotz millionenschwerer Hygienemaßnahmen gegen eine unsichtbare Seuche hat alles nichts genutzt. Die Kulturhäuser werden wieder einmal, wie im März, geschlossen. Vier Wochen nur, wird versprochen, aber wer es glaubt wird selig. Ein Maskenspiel in der Manier eines apokalyptischen Science-Fiction-Melodrams, begleitet durch skurril-freundliche Anweisungen aus „Orwellsche“ Lautsprechern: „Halten Sie mindestens eineinhalb Meter Abstand“, „Überholen Sie ausschließlich Links“, „Halten Sie sich an den Rechtsverkehr“, „Tragen sie während der gesamten Vorstellung Masken“!! Seien Sie versichert, alles dient nur Ihrer Gesundheit! So oder ähnlich. Tatsache ist leider oder trotzdem: Alle Hygiene ist für die Katz und hat nicht gefruchtet. Wieder einmal wird mit der Überfüllung der Krankenhäuser und der Triage gedroht, obwohl keinerlei Evidenz dafür besteht, und die Kultur zu Grabe getragen.

Schon im März 2020 eine glatte Fehleineinschätzung. Im November 2020 vermutlich noch viel mehr und schlimmer. Das ist bei kluger Analyse der Lage – und die ist gesundheitspolitisch, juristisch und sozialpolitisch vorhanden – bereits jetzt schon abzusehen.


Ein Arrangement, das dem Original nicht standhält

Die Camerata Salzburg, das führende Kammerorchester weltweit, so heißt es zumindest im Programm, spielte zu Anfang das 11. Streichquartett f-Moll (1810/11) von Ludwig van Beethoven (1770-1827), genannt auch Quartetto serioso, weil es die tief traurige und verzweifelte Stimmung des Komponisten widerspiegelt, die ihn sogar 1816 veranlasste, seinem Freund und Begründer der Londoner Philharmonic Society, Sie George Smart, anzuvertrauen, dass er dieses Werk eher für einen ausgesuchten Kennerkreis als für ein Publikum geschrieben habe. Nebenbei bemerkt sollte dieses Quartett das letzte seiner „mittleren Quartette“ repräsentieren. Erst vierzehn Jahre später komponierte er seine letzten fünf Streichquartette.

Die Frage stellt sich allerdings, wer dieses Streichquartett für Streichorchester arrangiert hat und warum. Es ist vermutlich Alexander Friedrich von Hessen (1863-1945), der lange in Frankfurt lebte, freundschaftliche Kontakte zu Clara Schumann, Franz Liszt, Engelbert Humperdinck, Joachim Raff und nicht zuletzt mit Johannes Brahms pflegte, eine musikalische Ausbildung genossen hatte und sich als Komponist zur damaligen Zeit einen Namen machte. Warum er sich Beethovens Quartetto serioso aussuchte, bleibt leider unbekannt. Allerdings ist verbrieft, dass er dieses Arrangement seinem Freund und Musikdirektor des Wiesbadener Kurhausorchesters, Louis Lüstner (1840-1918), widmete, der es wiederum 1898 im Wiesbadener Kurhaus uraufführte.

Wer dieses Werk mehrmals von exzellenten Streichquartetten, zuletzt vom Quatuor Ébène in der Alten Oper, gehört hat und erleben durfte, der musste hier weitgehend enttäuscht werden. Denn das Arrangement für Orchester kann der musikalischen Qualität von op. 95 kaum gerecht werden. Sechs erste Streicher, fünf zweite, vier Bratschen, drei Violoncelli und zwei Kontrabässe ließen zwar gewaltige Passagen zu, aber es fehlte schlicht der differenzierte Ton, die wunderbare Klangvielfalt eines Streichquartett gegenüber der vergleichsweise rauen Gangart eines 20-köpfigen Ensembles.

So wundert es nicht, dass das Larghetto, die kurze Einleitung des Schlusssatzes, gespielt von einem Quartett aus dem Orchester, zu einer klanglichen Wohltat geriet. Das folgende Agitato, sehr spritzig und tänzerisch gestaltet, konnte denn doch versöhnen und die Klasse dieses Ensembles beweisen.

Igor Levit und die Camerata Salzburg in der Alten Oper Frankfurt,
Foto: PRO ARTE/Sabine Siemon

„Jeunehomme“, ein Weltwunder

Dann kam Igor Levit. Mit Bart, exotischer schwarzer Hose, darüber ein anthrazitfarbenes Hemd und natürlich mit Maske, tiefschwarz. Locker setzte er sich an den Flügel, lächelte zum Publikum und zum Orchester, das sich mittlerweile mit zwei Hörnern, einer Oboe und einer Klarinette erweitert hatte, und sorgte dann für gut 30 Minuten für höchsten musikalischen Genuss.

Man spielte Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1792) 9. Klavierkonzert in Es-Dur (KV 271), 1777 vom 21-jährigen Mozart selbst uraufgeführt und der Konzertpianistin Victoire Noverre, verheiratete Jenamy, gewidmet, was wohl als „Jeunehomme“ missinterpretiert wurde. Der Name dieses Klavierkonzerts, das letzte und zugleich bedeutendste aus der Salzburger Zeit (Mozart wechselte bekanntlich nach Wien), hat sich allerdings bis heute durchgesetzt.

Dreisätzig gestaltet mit vielen kühnen Neuerungen, die zur damaligen Zeit als revolutionär galten, so unter anderem der gemeinsame Einsatz des Soloklaviers mit der Orchesterexposition oder die Wiederaufnahme des Klavierspiels nach der Kadenz, dazu die Sturm-und-Drang-Elemente vor allem im zweiten Satz oder auch die unglaubliche Virtuosität, melodische Schönheit und Frische, machten das Werk bereits zu Mozarts Zeiten zum Renner des Konzertbetriebs. Kein geringerer als der Pianist und Mozartspezialist, Alfred Brendel, erklärte es zu „einem der größten Weltwunder“ der Musikwelt.

Igor Levit und die Camerata Salzburg in der Alten Oper Frankfurt,
Foto: PRO ARTE/Sabine Siemon

Piano und Orchester, ein Gedicht

Kommen wir aber zu Igor Levit und der Camerata Salzburg. Hier kamen zwei Klangkörper zusammen, die wie eineiige Zwillinge agierten. Jeder der drei Sätze ein Hörerlebnis von klanglicher Schönheit und einzigartiger Farbe. Dem Dialog zwischen Klavier und Horn vor der Solokadenz im Allegro des 1. Satzes, ein hinreißendes Klangfarbengedicht mit Übergang im leisesten Pianissimo, folgte ein Andantino in c-Moll mit unglaublich ausladendem Spannungsbogen. Fast 500 Takte rezitativische Erzählung von ausgeprägter Lyrik und ernsthafter Melodik ließen Zeit und Raum für fast 15 Minuten zu einem Lichtpunkt zusammenschrumpfen. 

Zurück in die Realität führte das Rondofinale, ein Presto, perlend und kristallklar vom Solisten und Orchester vorgeführt. Herrlich spritzige Übergänge führten zu virtuosen Höchstleistungen beider Klangkörper. Herausragend dann das Menuett im Mittelteil, verspielt und verträumt zugleich, von Pizzikati begleitet mit langen Fermaten, humorvoll angelegtem Ritardando und Accelerando bis zum finalen Übergang zum ersten Rondo-Thema, der die ganze Kraft dieses Werks und die perfekte Interpretation noch einmal punktgenau zusammenführte.

Viel Beifall und eine Zugabe mit kleinen Besonderheiten. Levit kam mit einem digitalen Notenbuch, fand aber sein Stück nicht. „Das kann nicht wahr sein!“ sprudelte es aus ihm heraus. „Na dann, ich spiele etwas anderes“. Die Lacher waren auf seiner Seite. Schließlich rief er: „Geht doch!“ Offensichtlich war er fündig geworden und sagte kurz: „Danny Boy“ an. Danny Boy, eine irische Ballade aus dem frühen 20. Jahrhundert, die inoffizielle Hymne der Iren, von berühmten Sängern und Sängerinnen wie Harry Belafonte, Johnny Cash oder auch Hazel O´Connor gesungen und interpretiert, handelt von einer rührenden Abschiedsszene, ein Verlassen vom gemeinsamen Glück in eine ungewisse Zukunft.

Igor Levit (Foto: Jewish Journal)

Politisches Engagement, aber wohin?

Möglicherweise möchte Igor Levit so seine Haltung zur Coronakrise musikalisch zur Geltung bringen. Er spielte zumindest herzerweichend, ausdrucksstark und sehnsuchtsvoll, nicht ohne Theatralik und mit ein bisschen Ironie. Der ansonsten so lautstarke und wortradikale Kämpfer für Gerechtigkeit und Demokratie, dem sogar im Jahre 2019 der 5. Internationale Beethovenpreis für sein politisches Engagement vergeben (ja man liest richtig), und erst vor wenigen Wochen das Bundesverdienstkreuz angeheftet wurde, scheint mittlerweile die leisen Töne zu bevorzugen.

Leider, denn in seiner Position, musikalisch, pianistisch und politisch unangefochten, hätte es vielleicht einmal gutgetan, ein Wort für seine künstlerischen Mitstreiter einzulegen und die sinnlosen Schließungen der Kulturhäuser, das kunstzerstörende Hygienegebaren, das zu keinem zählbaren Nutzen geeignet ist, das politisch auferlegte zu Grabe tragen dessen, was das Leben lebenswert macht, anzuprangern.

Mittlerweile stirbt die Gesellschaft an einem Virus, das laut WHO-Expertise bei 0,14 Prozent Letalität weltweit liegt und nicht gefährlicher eingestuft wird als die Grippeviren, die uns seit Jahrmillionen umgeben. Gleichzeitig werden wir von einem PCR-Test verfolgt, der weder validiert ist noch eine Infektion feststellen kann (der portugiesische Weltfußballer Cristiano Ronaldo wurde zum Beispiel bei voller Gesundheit 18 Mal positiv getestet. Erst beim 19. Test war er negativ. Sein Kommentar (übersetzt): „Der Standard PCR-Test ist bullshit!“). Die Kollateralschäden an Menschenleben dagegen gehen in die Millionen, Existenzvernichtungen in die Milliarden bis Billionen Dollar. Hier wäre ein gewichtiges Machtwort vonnöten. Ein Igor Levit hat zumindest bisher seine Chance vertan. Schade.

 

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