Daniil Trifonov, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 20.06.2023
Daniil Trifonov (Foto: Tibor-Florestan Pluto) |
Daniil
Trifonov – Großes Glück für Frankfurt
Daniil Olegowitsch
Trifonov (*1991), gebürtig im russischen Nischni Nowgorod gehörte bereits als Kind
zu den talentiertesten Pianisten seines Landes. Er gewann bereits als Teenager Preise
auf den renommiertesten internationalen Wettbewerben wie dem Chopin Wettbewerb
in Warschau im Jahre 2010 (3. Preis), dem Tschaikowsky Wettbewerb in Moskau 2011
(1. Preis) sowie dem Arthur Rubinstein Wettbewerb in Tel Aviv im gleichen Jahr
(1. Preis). Seit 2011 lebt er in den USA, musiziert mit den besten Orchestern
und den bekanntesten Dirigenten der Welt, tritt allerdings in den vergangenen
Jahren weniger solistisch in Erscheinung. Großes Glück also für das Team der
Alten Oper Frankfurt, ihn nach sechs Jahren Abstinenz wieder einmal engagieren
zu können.
Was er an
pianistischer Literatur mitbrachte, ließ einen zunächst ungläubig mit dem Kopf
schütteln. Einfachstes neben Kompliziertestem, Seltenstes neben Bekanntestem
und Innigstes neben absoluter Entgrenzung.
Ein
Kinderalbum – kinderleicht?
Fünf Werke waren es. Zunächst die sehr selten gespielten und gehörten 24 Miniaturen aus dem Kinderalbum op.39 (1878) von Peter Tschaikowsky (1840-1993). Tschaikowsky schrieb sie eigentlich auf der Flucht vor seine Frau Antonina, die er kurz zuvor geheiratet, aber in Richtung Genfer See verlassen hat, „weil“, so schreibt er, „sein Hass gegen (sie) von Stunde zu Stunde wächst.“ Bekanntlich war es seine Homosexualität, die ihn zu dieser Reaktion zwang, ihn aber offensichtlich geistig befreite und zu seinem berühmten Violinkonzert op.35 inspirierte. Aber eben auch zu diesem Kinderalbum. Warum das? Es sollte ein Beweis für seine echte Kinderliebe sein (er widmete es seinem Neffen Wladimir Dawydow, ein Sohn seiner Schwester Alexandra) und auch eine Hommage an Robert Schumanns Album für die Jugend op.15. Piecen aus dem richtigen Leben, europäische Tänze, Träumereien, Puppen- und Reiterspiele, Erzählungen und Beobachtungen. Eigentlich ein Spiegelbild der Schumannschen Programmatik, aber, und das unterscheidet beide voneinander, sehr einfach und kindgerecht. Kinderleicht also?
Daniil Trifonov (Foto: Homepage Daniil Trifonov) |
Tief
versunken – "Der Dichter spricht"
Trifonov in
grauem Anzug auf weißem Hemd, strähnigem Haar und Vollbart, spielte das etwa
30-Minuten dauernde Konvolut mit sehr leichtem, fast zartem Anschlag. Nahezu ausschließlich
im piano-Bereich, tief versunken in die einzelnen Narrative und dennoch spannungsgeladen,
differenziert und tänzerisch (immerhin neun Tänze). Lediglich die Hexe Baba
Yaga (Nr.20) ließ das Kinder-Spiel aus der Reihe tanzen, aber die darauffolgende
Träumerei brachte alles wieder ins Lot. Viel Ähnlichkeit mit Schumanns
Kinderszenen (der Schluss hätte auch Der Dichter spricht heißen können) und
doch befreiter, dem kindlichen Geist angemessener.
Frühe Werbung
für Beethoven
Dann folgte,
nahezu ohne Atempause Robert Schumanns (1810-1856) Fantasie C-Dur op.17
(1836/38). Schumann schrieb diese Fantasie ursprünglich als dreiteilige Sonate,
gedacht als Hommage an Beethoven in der Absicht Franz Liszts im Jahre 1836, ihm
ein Denkmal in seinem Geburtsort Bonn zu errichten. Sozusagen frühe Werbung für
ein teures Projekt, das durch eine Komposition Unterstützung bekommen sollte.
Stattdessen wurde daraus eine Fantasie, wohl auch deshalb, weil die ursprünglich
beabsichtigte Programmatik – Ruinen-Triumphbogen-Sternenkranz – eher die
Fantasie beflügelte, als das Regulativ der Sonatenhauptsatzform. Sei´s drum.
Herausgekommen ist wohl eines der bekanntesten und wohl gelungensten Werke seines Schaffens. Viel Reminiszenzen an Beethoven (aus dessen Zyklus An die ferne Geliebte im ersten Abschnitt, sowie ein Thema aus dem Allegretto der 7. Sinfonie) aber auch viel Herzschmerz an seine Geliebte Clara Wieck, deren Vater die Liaison der Beiden rundweg ablehnte. Es besteht aus dem immer wiederkehrenden Konflikt zwischen dem enthusiastischen, überbordenden Florestan und dem besinnlich, sinnlichen Eusebius. Ein Gegensatzpaar, das in Schumanns Oeuvre eine dominante Rolle einnimmt. Hier gerät die Komposition mit autobiographischer Attitüde zu einem tief romantischen, exzentrischen Meisterwerk von außerordentlicher Passion mit pantheistischem Gestus eines Friedrich Schlegels (1772-1829), der Lieblingsphilosoph Schumanns, dessen Gedicht er zum Motto dieser Fantasie machte: „Durch alle Töne tönet, im bunten Erdentraum, ein leiser Ton gezogen, für den, der heimlich lauschet.“
Daniil Trifonov (Foto: Homepage Daniil Trifonov) |
„Durch
alle Töne tönet“
Auch hier
zeigte Trifonov große pianistische Qualität und tiefstes Verständnis der
Literatur. Seine Interpretation vor allem des zweiten Teils, von Schumann selbst
mit: Mäßig. Durchaus energisch tituliert, gestaltete sich zwischen
Triumphmarsch und komplexer Arpeggierung. Die abschließende Coda, ein mit
extremen Sprüngen technisch grenzwertiger Part, bewältigte Trifonov mit einer
Leichtigkeit und Präzision, die nur Staunen hinterließ. Ganz im Gegensatz dazu
das lyrisch innige Gebilde des Schlussabschnitts. Durchweg leise zu halten,
meint dazu der Komponist. Und Trifonov gelingt das schier Unmögliche. Angelehnt
an Brahms Intermezzi und Schuberts Impromptu Ges-Dur, aber auch an
Zitate aus Beethovens Sonate As-Dur op.26, dem Trauermarsch, lässt
dieser Teil der Fantasie freien Lauf. Trifonov versetzt uns hier mit leisen Tönen
ins Urbild der Ideen, in die Dreiheit von Bewusstsein-Seele-Sein, einfach
fantastisch.
Kurzweilig
mit klassischem Gestus
Nach der
Pause Mozarts (1756-1791) Fantasie c-Moll KV 475 (1785). Ein sehr
bekanntes Werk in der Hochzeit seiner Schaffenskraft (er komponierte allein 12
seiner insgesamt 23 Klavierkonzerte in dieser Zeit, einschließlich der Oper Le
nozze di Figaro) entstanden und meist in Kombination mit seiner 1784 komponierten
Sonate c-Moll KV 457 aufgeführt und bewertet. Tatsächlich ist diese
Fantasie eine grandiose Improvisation, sich an einem barocken Thema
abarbeitend, mehrteilig aufgesplittet zwischen Adagio, Allegro, Andantino,
Piú Allegro und zurück zum Tempo primo. Kurzweilig, aber noch ganz
im klassischen Gestus der Zeit. So auch die Interpretation Trifonovs. Klar,
ohne Rubati, ohne Crescendo bzw. Decrescendo. Dafür mit wunderbarer Klangfarbe,
was wohl dem Austausch der Mechanik in der Pause zu verdanken war.
Der
Teufel am Werk
Maurice Ravels
(1875-1937) Gaspard de la Nuit (1908) zählt zum Schwierigsten in der
Klavierliteratur überhaupt. Nicht umsonst könnte man es auch Der Teufel der
Nacht benennen. Eine dreiteilige Dichtung (Ondine, Le Gibet, Scarbo),
inspiriert vom gleichnamigen Prosagedicht von Aloysius Bertrand (1807-1841), welches
er 1842 veröffentlichte. Ravel machte aus der Gruselgeschichte (die Spätromantiker
liebten die Nachtmähre und den Schatten des Bösen) ein wahrhaftiges Teufelswerk.
Er selbst meinte dazu: „Ich fühle mich vom Teufel inspiriert … kein Wunder, da
er (gemeint der Teufel) der eigentliche Autor dieser Gedichte ist.“
Herausgekommen ist eine dreiteilige Phantasmagorie von ungeheurer musikalischer Strahlkraft. Ganz banal: Es sollte in Konkurrenz zu Mili Balakirews (1837-1910) Fantasie Islamej (1870) stehen, ein bis dahin als kaum spielbares Pendent.
Daniil Trifonov (Foto: Tibor-Florestan Pluto |
Zwischen
Dauerstress und brillantem Feuerwerk
Kurz: Gaspard
de la Nuit sollte Islamej überflügeln. Sozusagen noch einen I-Punkt an technischem
Anspruch draufsetzen. Das scheint gelungen. Denn kaum ein Pianist der Weltklasse
wagt sich an diesen ca. 25-minütigen Dauerstress. Trifonov schien die
Schwierigkeiten nicht zu kennen. Die Nixe (Ondine) schwamm mit Eleganz und
Schwerelosigkeit durch die wilden Wasser, der Galgen (Le Gibet) faszinierte
durch den fortlaufenden Orgelpunkt, der von einem fiktiven Mysterienspiel,
einem nebulösen Geistertanz überwölbt wurde. Und schließlich sollte der
umherwirbelnde Zwerg (Scarbo) dem Ganzen ein fine infernale setzen.
Wahnsinnsrepetitionen, größte Transparenz zwischen Klang und Fläche sowie eine
fantastische Dynamik beherrschten die letzten neun Minuten. Ein brillantes
Feuerwerk zwischen Detonation und herrlichen polychromen Bildern.
Mystische
Akkorde für den Advocatus Diabolo
Trifonov wäre
nicht Trifonov, wenn er sich nach dieser exorbitanten pianistischen Performance
feiern ließe. Nein. Sofort, nach kurzem frenetischem Beifall, machte er weiter
mit Alexander Skrjabins (1871-1915) 5. Sonate Fis-Dur op.53 (1907). Wenn
Trifonov meinte, erst mit der pianistischen Auseinandersetzung mit Skrjabins
Werk habe er das Klavier ernst genommen, so muss man das ihm glauben, auch wenn
es schwerfällt. Aber eines ist unbestritten. Seine Interpretation dieses 471
Takte umfassenden Sonatenhauptsatzes war ein gigantischer Qualitätsbeweis
dieses doch nicht unbestrittenen Komponisten.
Selbst ein
ausgezeichneter Pianist, orientierte er sich an seine Zeitgenossen Liszt,
Wagner, Chopin, erweiterte aber das gängige harmonische System durch Quartschichtungen,
sogenannte „mystische Akkorde“, eine atonale Technik, die an die erst viele
Jahre später entwickelte Zwölftontechnik erinnert. Seine Musik changiert so
zwischen herber Brüchigkeit und impressionistischer Flüchtigkeit; in dieser
Sonate, stark an den vorhergehenden Ravel anknüpfend, zwischen völliger Selbstvergessenheit
und formidablem Vulkanausbruch. Ein energetischer Fluss auf der Bühne, der
regelrecht aufs Publikum überschwappte. Trifonov, der eigentlich immer sehr
gelassen, kaum bewegt vor der Tastatur sitzt, wird hier zum Advocatus Diabolo.
Ein an
den Wahnsinn andockender Pianist
Der Beifall
des vollbesetzten großen Saales der Alten Oper wollte kein Ende nehmen. Trifonov
ist kein Entertainer, keiner der vom Publikum geliebt werden möchte. Keiner,
den sich Mütter zu ihren Schwiegersöhnen wünschen. Er ist ganz der, oder besser
seiner Musik verpflichtet. Seine beiden Zugaben, ein Rachmaninow Prélude op.29 und ein Arrangement über eine Rachmaninow Vokalise waren lediglich freundliche Gesten ans begeisterte
Publikum. Mehr nicht. Trifonov: Ein an den Wahnsinn andockender Pianist mit
einer obsessiven Liebe zur Musik.
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