Sonntag, 18. Juni 2023

Till Brönner & Band, Alte Oper Frankfurt, 17.06.2023 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)

Till Brönner (Foto: Gregor Hohenberg)

Augen auf und wundern

Absolut groovy, was das Septett Till Brönner &Band auf der Bühne des fast voll besetzten großen Saals der Alten Oper Frankfurt abzog. „Augen schließen und träumen“ heißt es schlicht im Programm des Abends. Aber das reicht nicht im Entferntesten. Augen auf und wundern würde es eher treffen. Denn was die sieben Ausnahmekünstler an Musik zauberten, gehörte mit zum Besten der Gattung Fusion- und Funk-Jazz der Gegenwart.

 

Transformation in neue Klangwelten

Till Brönner – von Multitalent kann weiß Gott in seinem Alter keine Rede sein – ist irgendwie die Inkarnation von Miles Davis und Maurice André in einer Person. Nein, er bläst nicht das Instrument, er erweckt es zum Leben mit all seinen hellen und dunklen Facetten. Seine musikalische Auseinandersetzung mit Ohrwürmern aus der Vergangenheit, wie bekannten Songs von Frank Sinatra, Louis Armstrong, Count Basie, Carlos Santana, Hildegart Knef, Gilbert Bécaud und vielen anderen Größen, bekommen bei seinen Arrangements ein neues, zeitgemäßes Feeling, eine Transformation in eine neue Klangwelt.

 

Ein Geschichtenerzähler und Musikversteher

Dazu ist Till Brönner ein eleganter Geschichtenerzähler, der es versteht, seine Lieder, Kompositionen und Arrangements in seinen individuellen Erlebnishorizont einzubauen, die Bedeutung für ihn ganz persönlich hervorzuheben. Das alles mit einem Schuss Humor, kritischer Distanz und intellektuellem Tiefsinn. Bekannt ist seine Kritik an der Corona-Maßnahmenpolitik (so konnte er nicht umhin, das Publikum in der Alten Oper mit der Bemerkung zu begrüßen, endlich wieder in unverhüllte Gesichter schauen zu können, „ohne Netz und doppelte Boden vor drei Jahren“.). Aber auch dem Gender-Wahn versetzte er elegant einen Seitenhieb am Schluss der Performance, indem er die Geschlechtertrilogie und Buchstabensuppe von LPDGXY auf die Schippe nahm. Aber dazu später.

v. l.: Till Brönner, Christian von Kaphengst, Marc Wyand, Bruno Müller, David Haynes
Foto: Mike H. Claan

In sinnliche Landschaften

Die Einleitung mit The good Life, ein Song von Frank Sinatra von 1969, aus dem gleichnamigen Album von 2016, führte gleich in sein Seelenleben ein. Ein angenehmer Swing mit gedämpfter Trompete, gediegener Klavierbegleitung und zurückhaltender Instrumentierung, das alles mit unaufdringlichen Lichteffekten garniert, führte gleich das Publikum mitten in die musikalische Landschaft des Septetts. Es folgte ein ähnlicher Hit aus der LP, ein Chanson von Gilbert Bécaud Et Maintenant. Hinreißend die Weichheit des Tons und die perfekte Abstimmung der Band.

 

Ein Funk-Fusion-Sound

Das Arrangement aus der Filmmusik von Die drei Tage des Condors (1975), ein Thriller der Extraklasse, prägte mit seinem ausgeprägten Funk-Fusion-Sound die nächsten 20 Minuten des Abends. Der ursprüngliche Soundtrack mit zwölf Titeln von David „Dave“ Grusin (*1934), wurde von allen sieben Instrumentalisten auf ganz eigene Weise interpretiert. Hervorzuheben das Tenorsaxophon, die E-Gitarre, aber auch der Mix aus Keyboard, Sampler und Synthesizer. Ein Sechston-Motiv zog sich durch das gesamte Stück und wurde zur Basis von bemerkenswerten Improvisationen aller Teilnehmer. Ganz besonders sind die Schlusspassagen bei Brönner. In der Klassik würde man von Coda sprechen. Bei ihm sind es spezielle Ausschmückungen des Vorhergespielten, fragmentiert aber in sich geschlossen. Eine ganz neue Formidee.

 

Allein die Namen bürgen für beste Qualität

Kommen wir zur Vorstellung der Musiker. Am Piano und E-Piano Olaf Polziehn (*1970), ein praktizierender Professor für Modern Jazz an der Uni für Musik und darstellende Kunst in Graz, mit glänzender Technik und viel Klassik im Blut; Mark Wyand (*1974) am Tenor-Saxophon, einer, wie man sagt, mit der aufregendsten Stimme seiner Generation. Tatsächlich schaffte er es, den Klang der Trompete verblüffend echt nachzuahmen. Dann Christian Frentzen (der Jüngste im erlesenen Kreis) am Keyboard, Synthesizer und Sampler. Bei ihm scheint zwischen Jazz, Hip-Hop, Soul, Funk, House und Rock alles möglich zu sein. Die Gitarren bedient Bruno Müller (*1969), ein Jazzrocker par excellence mit Hang zum Funk und Soul. Christian von Kaphengst (*1966), der alle Bassinstrumente bedient, vom E-Bass bis zum klassischen Kontrabass, agiert zurückhaltend und sehr Band-dienlich, sowie David Haynes (*1981) am Schlagzeug, ein ehemaliger australischer Footballer und als Perkussionist europaweit sehr gefragt. Er schaffte es sogar, ein wenig Michael Shrieve im Arrangement Europa von Carlos Santana zu imitieren. Perfekt. Überhaupt bürgen allein die Namen aller Genannten schon für beste Qualität.

v. l.: Olaf Polziehn, Till Brönner, Christian von Kaphengst, verdeckt: David Haynes, Mark Wyand, Bruno Müller
(Foto: Rekate)

Zwischen Sinkkasten, Jazzkeller und Brönner Straße

Zurück zum Konzertgeschehen. On Vacation, die letzte CD-Produktion von 2020, war jetzt angesagt. Verbal umformt in eine Geschichte aus Saint-Rémy de Provence mit Erinnerungen an Frank Sinatra sang (und trompetete) Till Brönner daraus Lemonade, ein Song, den er mit seinem Freund und Pianisten Bob James an jenem Ort komponiert und getextet hat. Stimmlich zwar weit weg von Sinatra, dafür aber an seinen Gestus angelehnt, und das einfach nur gut. Ein langsamer Blues Safe your love for me folgte als ein absolut smoothes Intermezzo mit mehreren Duetten zwischen Klavier und Trompete, Trompete und Saxophon, wie auch Klavier und Trompete, bevor Till Brönner von Frankfurt, vom Jazzkeller, dem Sinkkasten und der Brönner Straße schwärmte. Alles Balsam für die Alte-Oper-Seelen. 

Und dann. Dann bekannte er sich als Europäer, mit Einschränkung seiner guten Idee, und wechselte zu Carlos Santana. Die Rock-Pop Größe schlechthin. Einer, der sich offenbar in der Jazzszene bestens auskannte und Miles Davis wie einen Gott verehrte. Er soll, so Brönner, das wandelnde Miles Davis Lexikon gewesen sein. Von Santana wählte er Europa, ein Hit von 1976, der monatelang die Charts beherrschte und noch heute so aktuell wie damals ist. Brönner und die Band gaben ihm einen pochenden, treibenden Duktus, gebrauchten Elektronik vom Feinsten und ließen vor allem E-Gitarre und Schlagzeug dominieren. Großartig die beiden Künstler, wie sie die extrem gezogenen Töne auf der Gitarre imitierten und am Schlagzeug den alten Michael Shrieve (*1949) wiederbelebten. Carlos und Michael hätten ihre helle Freude an dieser interpretatorischen Improvisation gehabt.

 

Diverses Singen – es hat nicht weh getan

Gegen Ende dominierte der brasilianische Samba die Szene. Mit Café com pão und Só danço Samba, Songs von Stan Getz und João Gilberto, aus der Rio LP/CD von 2008, zeigten die Meister virtuos noch einmal rhythmische Vielfalt und brachten lateinamerikanisches Flair mit Rumba-Rasseln, Gesang, Soloeinlagen und Kokosnussmilch-Ideen noch einmal auf die Bühne. Das Finale wurde mit einem Jagdhornruf aus der Trompete eingeleitet. Die Jagd ist beendet.

Allerdings wollte Till Brönner das Publikum nicht ohne Gesangeinlage entlassen: O-Ton Brönner: „Wenn ich singen kann, dann können Sie es erst recht.“ Earth, Wind and Fire (1970) ein Hit und Evergreen von der gleichnamigen Band, 1969 von Maurice White in Chicago gegründet, sollte es sein. Dazu Till Brönner: „Da wir alle divers sind, reduziere ich alles auf hoch-tief. Sie können sich selbst einordnen.“ Klasse, wie er die "Genderistik" auf den Arm nimmt, ohne jegliche Beleidigung, aber mit blitzender Ironie. Man sang aus vollem Rohr zur Musik und – „es hat gar nicht weh getan“, so der abschließende Kommentar des hochprofessionellen Moderators, Influencers, Tonsprachen- und Klangfarbenerfinders Till Brönner.

Till Brönner (tillbroennerphotography.com)

Die musikalische Identifizierung machts

Die kurze Zugabe galt der Werbung für die neue CD-Christmas, die im Oktober dieses Jahr veröffentlicht werden soll. Songs für Trio-Besetzung, hier mit Christian von Kaphengst am Kontrabass und Olaf Polziehn am Flügel. Kurzes, Melodisches, jetzt tatsächlich zum Träumen und Augen schließen.

Till Brönner &Band sind sicher keine Neuerer in der Musik, geschweige denn Avantgardisten. Aber, was jeden Einzelnen von Ihnen auszeichnet ist, neben ihrer technischen Versiertheit, vor allem ihre Identifizierung mit den Hits, Songs und Evergreens, ihre eigenwillige, sehr empathische Auseinandersetzung damit und ihre Freude daran, noch einmal das Alte und Bewährte in neuem Licht erglänzen zu lassen. Und das beherrschen Sie perfekt. Till Brönners Moderation, Geschichten, Anekdoten und Begegnungen sind dabei genauso relevant für das Verständnis der Auswahl wie die musikalische Auseinandersetzung damit. Ein rundum Wohlfühl-Paket, im besten Sinne.    

 

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