36. Rheingau Musik Festival vom 24.06. bis zum 02.09.2023
Javier Perianes (Foto: Ansgar Klostermann) |
Spanische Klaviernacht
Spanische Klaviernacht lautete das Motto dieser
Veranstaltung an einem außergewöhnlichen Ort. Nicht unbedingt vergleichbar mit
dem Ambiente der Alhambra, aber irgendwie doch an einem Ort von großer
Spiritualität und außergewöhnlicher Geschichte: Der Kreuzgang des Klosters Eberbach.
Mittelpunkt des seit 900 Jahren verbrieften Zisterzienserklosters, von Bernhard
von Clairvaux gegründet und in seiner Hochzeit von mehr als 150 Mönchen
bewohnt. Nebenbei bemerkt diente es auch zur berühmten Verfilmung von Umberto Ecos
Im Namen der Rose (1985) als Kulisse.
Spanische Musik als modische Ausdruckform
Der 1978 im
spanischen Nerva geborene Javier Perianes konnte eigentlich kein
besserer sein, als das Flair Spaniens um die Wende zum 20.Jahrhundert lebendig
werden zu lassen. Bekam doch die spanische Musik vor allem durch Komponisten
wie Manuel de Falla (1876-1946), Isaac Albéniz (1860-1909) oder auch Enrique Granados
(1867-1916) internationale Bedeutung und wurde vor allem in der französischen
Kultur und Musikszene regelrecht zur modischen Ausdrucksform erkoren. Claude
Debussy, Maurice Ravel, Igor Strawinsky wie auch das Ballet Russe unter Sergej Diagilew
ließen spanische Rhythmen, Tänze und Stilmittel zum Bestandteil ihrer Kompositionen
werden, wogegen die oben genannten spanischen Komponisten den französischen Impressionismus
in ihre Fandangos, Flamencos und Habaneras einfließen ließen. Eine Mischung von
höchster Brisanz und spannungsgeladener Expressivität.
Weinseligkeit bei spanischer Melancholie
Javier Perianes
feierte sein Debüt auf dem RMF, bei vollem Kreuzgang, weinseliger Stimmung und
vor allem lautem Vogelgesang mit Werken der drei genannten spanischen
Komponisten, ergänzt durch drei Piecen von Claude Debussy.
Der Bruch mit allen Konventionen
Allein der musikalische Einstieg war von besonderer Bedeutung und sollte den gesamten Abend prägen. Die Homenaje „Le Tombeau de Claude Debussy“ von Manuel de Falla. Eine Hommage des Komponisten an seinen Freund Claude von 1920, die es in sich hat. Benjamin Britten soll einmal dazu gesagt haben: „Das Stück ist nur sieben Minuten lang, aber es stecken 20 Minuten drin.“ Tatsächlich dauert es knapp drei Minuten, aber diese Aussage sagt alles über den musikalischen Gehalt. Eigentlich ein Gitarrenstück, ein Klagelied auf den Tod eines geliebten Menschen, bricht es doch mit allen Konventionen und gleicht mitunter einem lasziven Tanz mit dem Wiegeschritt einer Habanera. Dazu subtil eingebaute Zitate aus Debussys Préludes pour Piano sowie seinen Estampes und da vor allem La Soirée dans Granada, das de Falla selbst als „das getreueste musikalisch pianistische Abbild Spaniens“ bezeichnete. Überhaupt lebt dieses unscheinbare Stückchen vom cante jondo (dem ursprünglichen Flamenco) und gleichzeitig vom spanischen Grundcharakter dieser Zeit: zutiefst melancholisch. So meinte kein geringerer als der Gitarrist Julian Gray dazu. „Falla schafft hier wirklich einen Moment, wie wenn Hamlet über den Tod sagt, er sei das unentdeckte Land, aus dem kein Reisender zurückkehrt.“
Javier Perianes (Foto: Igor Studio) |
Der Sängerwettstreit
Die folgenden
drei Stücke von Claude Debussy, La Soirée dans Grenada aus seinen
Estampes, Prélude Nr. 3 La Puerta del Vino (2. Buch) und Prélude Nr. 4 La
Serenade interrompue (1. Buch), alles Werke zwischen 1902 und 1909
entstanden, ließen die Eingangs-Homenaje de Fallas noch einmal in seiner
gesamten Breite erkennen und die große Gemeinsamkeit der Komponisten zutage
treten.
Javier Perianes spielte diese aussagekräftigen Piecen mit großer
Gelassenheit, weicher Hand, nachdenklich und facettenreich. Auffallend dabei
seine rhythmische und dynamisch Variabilität, seine extreme Akzentuierung sowie
seine Liebe zum Pianissimo, was wohl die ansässigen Turmfalken und die
Mauerschwalben dazu veranlasste, einen Sängerwettstreit vom Zaune zu brechen.
Vor allem die Falken schimpften wie die Kesselflicker und ließen in ihrem
Kriegsgeschrei auch nicht bei Isaac Albéniz´ El Albaizin aus seinem
berühmten Zyklus Iberia (1905-1908) nach. Ein Flamenco in der
Urform, wild und grenzenlos spontan, aber jetzt Teil des Titanen Kampfes
zwischen Klavier und Vogel- „Gesang“.
Die Fortsetzung
folgte stante pede mit de Fallas Fantasia Baetica (1919), eine
andalusische Fantasie, die er dem damals wohl weltberühmtesten Pianisten Arthur
Rubinstein gewidmet hat. Allerdings strich es Rubinstein sehr bald aus seinem
Programm. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Aber im Kreuzgang des Klosters
kann man mit Fug und Recht behaupten: Sieger des Wettstreits waren eindeutig
die schimpfenden Falken und die fröhlich und laut zwitscherten Schwalbenschwärme.
Irritiert und amüsiert ging es in die Pause. Für Gesprächsstoff war zumindest
gesorgt.
Eine spanische Romeo-und-Julia-Tragödie
Höhepunkt des
Rezitals sollte unzweifelhaft die für Klavier bearbeitete Oper Goyescas
aus dem Jahre 1915 sein, die Enrique Granados aus seiner Klaviersuite
gleichen Namens in einem Akt und drei Bildern nach einem spanischen Libretto 1916
in der Metropolitan Opera in New York mit überragendem Erfolg uraufführen
konnte. Leider ist sie alsbald aufgrund des 1. Weltkrieges in Vergessenheit
geraten.
Die Suite von 1911, von frühen Kunstwerken Francisco Goyas inspiriert, erzählt in sechs Bildern eine Geschichte im Stil Romeos und Julias, eine Liebesgeschichte, die in einer Tragödie endet. Es ist kein Kampf der Familien und Clansitten, sondern der eines Kampfes um Ehre, ein Duell mit tödlichem Ausgang. Ein fast einstündiges Werk, gespickt mit spanischer Folklore, erfundenen Melodien, dramatischen Zuspitzungen, aber auch vielen und langen Figuraturen, Improvisationen ohne direkten Bezug zur Handlung.
Javier Perianes (Foto: Igor Studio) |
Zwischen Schmerz, Begehren und Todesfurcht
So ist der Dialog
im zweiten Bild eher ein erotisches Werbegeplänkel und das Klagelied des
Mädchens im vierten Bild ein spannungs- und entwicklungsarmer Übergang zur
Ballade von der Liebe und dem Tod. Zwar ist diese Suite gespickt mit Chromatik,
komplizierten Oktavskalen und ausgesprochener Expressivität, aber dennoch dominieren
auch hier hauptsächlich leise Passagen, langen Largo-Linien und der
melancholische Grundcharakter. Erst die Schlussserenade, der Epilog, öffnet ein
wenig das Moll zum Dur. Gepaart mit der einsetzenden Dunkelheit, die das Licht
der spanischen Flagge mehr und mehr konturierte und den Pianisten gleichzeitig
zu einer Schattenfigur werden ließ, geriet das doch langatmige Werk zu einem
versöhnlichen Finale. Ein wenig Virtuosität, aber auch laissez fair und
pianistische Improvisationen ließen noch einmal den Geist über den inzwischen
verstummten Turmfalken schweben und die verschlungenen Liebespaare im Publikum
wieder aufhorchen. Denn, das sei bemerkt, diese Klaviersuite ist schwer tanzbar
und zugleich irgendwie auch schwere Kost. Sie changiert zwischen Seichtheit und
tiefen Gefühlen. Nicht von ungefähr meinte Granados selbst zu seiner Komposition
(Oper wie Suite), dass sie zwischen Schmerz, Begehren und Todesfurcht wandele.
Etwas mehr spanische Lebensfreude und Spontaneität
Auch sei
bemerkt, dass das Spiel des mit Preisen übersäten RMF-Debütanten, Javier Perianes,
zwar makellos und vor allem in seiner rhythmischen Vielfalt und Ausgereiftheit
zweifellos als überragend zu bezeichnen ist. Aber es fehlten denn doch in
weiten Teilen seines Vortrags das Mitreißende dieser Musik. Perfektion heißt
nicht unbedingt auch Lebendigkeit. Man hätte vielleicht ein wenig mehr
spanische Spontaneität und Lebensfreude erwartet. Dennoch, Javier Perianes
ist eine Bereicherung des RMFs.
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