Freitag, 14. Juli 2023

36. Rheingau Musik Festival vom 24.06. bis zum 02.09.2023

 Javier Perianes, Klavierrezital im Kreuzgang des Klosters Eberbach, 13.07.2023

Javier Perianes  (Foto: Ansgar Klostermann)

Spanische Klaviernacht

Spanische Klaviernacht lautete das Motto dieser Veranstaltung an einem außergewöhnlichen Ort. Nicht unbedingt vergleichbar mit dem Ambiente der Alhambra, aber irgendwie doch an einem Ort von großer Spiritualität und außergewöhnlicher Geschichte: Der Kreuzgang des Klosters Eberbach. Mittelpunkt des seit 900 Jahren verbrieften Zisterzienserklosters, von Bernhard von Clairvaux gegründet und in seiner Hochzeit von mehr als 150 Mönchen bewohnt. Nebenbei bemerkt diente es auch zur berühmten Verfilmung von Umberto Ecos Im Namen der Rose (1985) als Kulisse.

 

Spanische Musik als modische Ausdruckform

Der 1978 im spanischen Nerva geborene Javier Perianes konnte eigentlich kein besserer sein, als das Flair Spaniens um die Wende zum 20.Jahrhundert lebendig werden zu lassen. Bekam doch die spanische Musik vor allem durch Komponisten wie Manuel de Falla (1876-1946), Isaac Albéniz (1860-1909) oder auch Enrique Granados (1867-1916) internationale Bedeutung und wurde vor allem in der französischen Kultur und Musikszene regelrecht zur modischen Ausdrucksform erkoren. Claude Debussy, Maurice Ravel, Igor Strawinsky wie auch das Ballet Russe unter Sergej Diagilew ließen spanische Rhythmen, Tänze und Stilmittel zum Bestandteil ihrer Kompositionen werden, wogegen die oben genannten spanischen Komponisten den französischen Impressionismus in ihre Fandangos, Flamencos und Habaneras einfließen ließen. Eine Mischung von höchster Brisanz und spannungsgeladener Expressivität.

 

Weinseligkeit bei spanischer Melancholie

Javier Perianes feierte sein Debüt auf dem RMF, bei vollem Kreuzgang, weinseliger Stimmung und vor allem lautem Vogelgesang mit Werken der drei genannten spanischen Komponisten, ergänzt durch drei Piecen von Claude Debussy.

 

Der Bruch mit allen Konventionen

Allein der musikalische Einstieg war von besonderer Bedeutung und sollte den gesamten Abend prägen. Die Homenaje „Le Tombeau de Claude Debussy“ von Manuel de Falla. Eine Hommage des Komponisten an seinen Freund Claude von 1920, die es in sich hat. Benjamin Britten soll einmal dazu gesagt haben: „Das Stück ist nur sieben Minuten lang, aber es stecken 20 Minuten drin.“ Tatsächlich dauert es knapp drei Minuten, aber diese Aussage sagt alles über den musikalischen Gehalt. Eigentlich ein Gitarrenstück, ein Klagelied auf den Tod eines geliebten Menschen, bricht es doch mit allen Konventionen und gleicht mitunter einem lasziven Tanz mit dem Wiegeschritt einer Habanera. Dazu subtil eingebaute Zitate aus Debussys Préludes pour Piano sowie seinen Estampes und da vor allem La Soirée dans Granada, das de Falla selbst als „das getreueste musikalisch pianistische Abbild Spaniens“ bezeichnete. Überhaupt lebt dieses unscheinbare Stückchen vom cante jondo (dem ursprünglichen Flamenco) und gleichzeitig vom spanischen Grundcharakter dieser Zeit: zutiefst melancholisch. So meinte kein geringerer als der Gitarrist Julian Gray dazu. „Falla schafft hier wirklich einen Moment, wie wenn Hamlet über den Tod sagt, er sei das unentdeckte Land, aus dem kein Reisender zurückkehrt.“

Javier Perianes (Foto: Igor Studio)

Der Sängerwettstreit

Die folgenden drei Stücke von Claude Debussy, La Soirée dans Grenada aus seinen Estampes, Prélude Nr. 3 La Puerta del Vino (2. Buch) und Prélude Nr. 4 La Serenade interrompue (1. Buch), alles Werke zwischen 1902 und 1909 entstanden, ließen die Eingangs-Homenaje de Fallas noch einmal in seiner gesamten Breite erkennen und die große Gemeinsamkeit der Komponisten zutage treten.

Javier Perianes spielte diese aussagekräftigen Piecen mit großer Gelassenheit, weicher Hand, nachdenklich und facettenreich. Auffallend dabei seine rhythmische und dynamisch Variabilität, seine extreme Akzentuierung sowie seine Liebe zum Pianissimo, was wohl die ansässigen Turmfalken und die Mauerschwalben dazu veranlasste, einen Sängerwettstreit vom Zaune zu brechen. Vor allem die Falken schimpften wie die Kesselflicker und ließen in ihrem Kriegsgeschrei auch nicht bei Isaac Albéniz´ El Albaizin aus seinem berühmten Zyklus Iberia (1905-1908) nach. Ein Flamenco in der Urform, wild und grenzenlos spontan, aber jetzt Teil des Titanen Kampfes zwischen Klavier und Vogel- „Gesang“.

Die Fortsetzung folgte stante pede mit de Fallas Fantasia Baetica (1919), eine andalusische Fantasie, die er dem damals wohl weltberühmtesten Pianisten Arthur Rubinstein gewidmet hat. Allerdings strich es Rubinstein sehr bald aus seinem Programm. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Aber im Kreuzgang des Klosters kann man mit Fug und Recht behaupten: Sieger des Wettstreits waren eindeutig die schimpfenden Falken und die fröhlich und laut zwitscherten Schwalbenschwärme. Irritiert und amüsiert ging es in die Pause. Für Gesprächsstoff war zumindest gesorgt.

 

Eine spanische Romeo-und-Julia-Tragödie

Höhepunkt des Rezitals sollte unzweifelhaft die für Klavier bearbeitete Oper Goyescas aus dem Jahre 1915 sein, die Enrique Granados aus seiner Klaviersuite gleichen Namens in einem Akt und drei Bildern nach einem spanischen Libretto 1916 in der Metropolitan Opera in New York mit überragendem Erfolg uraufführen konnte. Leider ist sie alsbald aufgrund des 1. Weltkrieges in Vergessenheit geraten.

Die Suite von 1911, von frühen Kunstwerken Francisco Goyas inspiriert, erzählt in sechs Bildern eine Geschichte im Stil Romeos und Julias, eine Liebesgeschichte, die in einer Tragödie endet. Es ist kein Kampf der Familien und Clansitten, sondern der eines Kampfes um Ehre, ein Duell mit tödlichem Ausgang. Ein fast einstündiges Werk, gespickt mit spanischer Folklore, erfundenen Melodien, dramatischen Zuspitzungen, aber auch vielen und langen Figuraturen, Improvisationen ohne direkten Bezug zur Handlung.

Javier Perianes (Foto: Igor Studio)

Zwischen Schmerz, Begehren und Todesfurcht

So ist der Dialog im zweiten Bild eher ein erotisches Werbegeplänkel und das Klagelied des Mädchens im vierten Bild ein spannungs- und entwicklungsarmer Übergang zur Ballade von der Liebe und dem Tod. Zwar ist diese Suite gespickt mit Chromatik, komplizierten Oktavskalen und ausgesprochener Expressivität, aber dennoch dominieren auch hier hauptsächlich leise Passagen, langen Largo-Linien und der melancholische Grundcharakter. Erst die Schlussserenade, der Epilog, öffnet ein wenig das Moll zum Dur. Gepaart mit der einsetzenden Dunkelheit, die das Licht der spanischen Flagge mehr und mehr konturierte und den Pianisten gleichzeitig zu einer Schattenfigur werden ließ, geriet das doch langatmige Werk zu einem versöhnlichen Finale. Ein wenig Virtuosität, aber auch laissez fair und pianistische Improvisationen ließen noch einmal den Geist über den inzwischen verstummten Turmfalken schweben und die verschlungenen Liebespaare im Publikum wieder aufhorchen. Denn, das sei bemerkt, diese Klaviersuite ist schwer tanzbar und zugleich irgendwie auch schwere Kost. Sie changiert zwischen Seichtheit und tiefen Gefühlen. Nicht von ungefähr meinte Granados selbst zu seiner Komposition (Oper wie Suite), dass sie zwischen Schmerz, Begehren und Todesfurcht wandele.

 

Etwas mehr spanische Lebensfreude und Spontaneität

Auch sei bemerkt, dass das Spiel des mit Preisen übersäten RMF-Debütanten, Javier Perianes, zwar makellos und vor allem in seiner rhythmischen Vielfalt und Ausgereiftheit zweifellos als überragend zu bezeichnen ist. Aber es fehlten denn doch in weiten Teilen seines Vortrags das Mitreißende dieser Musik. Perfektion heißt nicht unbedingt auch Lebendigkeit. Man hätte vielleicht ein wenig mehr spanische Spontaneität und Lebensfreude erwartet. Dennoch, Javier Perianes ist eine Bereicherung des RMFs.   

   

 

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