36. Rheingau Musik Festival vom 24.06. bis zum 02.09.2023
Claire Huangci, Klavierrezital im Fürst-von-Metternich Saal auf Schloss Johannisberg, 18.07.2023
Claire Huangci (Foto: Ansgar Klostermann) |
Préludes, Préludes,
Préludes – eine gewagte Reise
Ein
herrlicher Sommertag neigt sich dem Ende zu, als Claire Huangci (*1990) in schwarzen
Leggins, High Heels und gelber lockerer Bluse die Bühne des vollbesetzten Fürst-von-Metternich
Saal betritt und vor ihrem Solorezital Einiges über ihre Interpretation der 24 Chopinschen
und einer Auswahl der 24 Rachmaninowschen Préludes zu erzählen weiß.
Sie wolle
eine Geschichte erschließen, meint die Wahl-Frankfurterin aus den USA mit
chinesischen Wurzeln. Sie halte die vorliegenden Zyklen – Chopin schrieb seine Préludes
im Jahre 1838 am Stück auf dem Karthäuser Kloster im Mallorcinischen Valldemossa
und Rachmaninow seine zwischen 1892 (fünf Stück als Morceaux de Fantasie
op 3, wovon lediglich das cis-Moll zu seiner Préludes-Serie gehört), 10 Stücke
zwischen 1901 und 1903 sowie 13 Stücke um 1910 – für eine romanhafte Fantasie,
voller Leidenschaften und spezieller Stimmungen. Chopin und Rachmaninow ergänzten
sich darin in bemerkenswerter Weise. „Ich nehme sie mit“, meint sie
abschließend, „auf eine gewagte Reise.“
Brauchen Préludes
programmatische Titel?
Zunächst präsentierte sie neun der 24 Préludes von Frederic Chopin (1810-1849). Hier sei noch vorab bemerkt, dass die Préludes, im Gegensatz zu seinen Bachschen Vorbildern, keine Vorspiele für die nachfolgende Fugen bedeuten, sondern höchst eigenwillige, meist monothematische Skizzen oder Mini-Ouvertüren abbilden, scheinbar wild durcheinander angelegt im Wechsel von Dur und Moll, changierend zwischen Etüden, Elegien, Nocturnes, Tänzen oder schlichten Stimmungsbildern von Himmel hoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Auch sei angemerkt, dass die Préludes von Chopin hier quasi programmatisch betitelt wurden, was auf den Pianisten Alfred Cortot (1877-1962) zurückgeht, aber alles andere als im Sinne des Komponisten gewesen sein sollte. So beginnt es beispielsweise mit „Fieberhaftes Warten auf die Geliebte“ in 1 und endet mit „Prophetische Stille“ in 9. Eher irritierend, aber für die Pianistin Orientierungspunkt ihrer Interpretation.
Claire Huangci (Foto: Ansgar Klostermann) |
Viel Show
und Manierismus
Auffallend
theatralisch gestaltete sich denn auch ihr Spiel auf den Tasten. Sehr manieriert
bearbeitete sie den Flügel, drehte und wendete ihre Finger und trieb ein
spektakuläres Schauspiel auf dem Klavierhocker. Dazu fehlten durchweg die
typischen Chopinschen Bögen und vor allem das Legato. Es klapperte gehörig bei
jedem Lauf bei extremen Rubati und dynamischer Übertreibung wie ein heftiger
Schluckauf.
Leider setzte sich das bei Sergej Rachmaninows (1873-1943) Prélude cis-Moll, op.3 Nr. 2, nahtlos fort. Ein Frühwerk des damals 19-jährigen, das sich sofort als Publikumshit herausstellte und seinen Bekanntheitsgrad in den USA enorm steigerte. Hier allerdings von Claire Huangci zwar in rasender Geschwindigkeit und dreifachem Forte präsentiert, aber alles andere als akzentuiert und prägnant, vor allem in den Triolen des Mittelteils, kein wirkliches Highlight. Eine enorme Geräuschkulisse ließ den Kern dieses Bravourstückes quasi im Nirwana verschwinden. Schade.
Claire Huangci (Foto: Ansgar Klostermann) |
Wie ein
scheues Pferd von größter Erregung
Denn Claire
Huangci ist durchaus gesegnet mit ungeheurer Virtuosität und wahnsinniger
Energie. Aber die immer höchst sichtbare und fühlbare Erregung geht ihr oft
durch, wie ein scheues Pferd. Sie scheint sich selbst immer überholen zu wollen,
was den Préludes nicht unbedingt gerecht wird – nicht gerecht werden kann.
Nach der
wohlverdienten Pause tritt sie in einem schwarzen Outfit auf, nicht gerade
vorteilhaft, und setzt ihren Roman mit Chopins Nr. 13-16 fort, wobei das
berühmte, viel gespielte Regentropfen Prélude Nr. 15 hier „Aber der Tod
ist da, im Dunkel“ uminterpretiert wird. Irgendwie unpassend, aber ebenso auch
die Wiedergabe der Pianistin. Kein Gedanke an das durchgehende Regentropfen Ostinato,
dafür ein Pferdegetrappel mit übertriebener Dynamik und extremer Lautstärke.
Tod und Teufel auch nicht.
Auch bei den
folgenden drei Auswahlstücken von Rachmaninow aus op.32, hier 1, 5 und 6, sehr
bekannt das Nocturne Nr. 5, fehlte die der Lyrik angemessene Weichheit des
Anschlags. Überhaupt neigt die Pianistin zu großen Arm- und Handbewegungen (ein
Wilhelm Busch hätte seine Freude dran gehabt) und schlägt die Tastatur an wie
ein Gitarrist oder Kontrabassist seine Saiten. Dabei trifft sie nicht immer
genau und der Klang bekommt einen fast klirrenden Charakter. Man kann es mögen.
Aber im Sinne der beiden Romantiker ist das bestimmt nicht.
Mit der Auswahl 10, 12, und 13 aus Rachmaninows op.32 endet denn auch das Rezital. Ein bisschen wie das Ende aus Robert Schumanns Kinderszenen op.15 „Der Dichter spricht“. Etwas ruhiger, orchestral und majestätisch.
Claire Huangci (Foto: Ansgar Klostermann) |
Ein Experiment - kaum mehr
Sicher sind
die Préludes bis heute ein beliebtes Stilmittel. So haben auch Debussy, Schostakowitsch,
Skrjabin, um nur einige Komponisten zu nennen, die besondere Form der Préludes
genutzt, um, wie Theodor W. Adorno zu Recht schreibt, „ihren fragmentarischen Charakter
auszureizen“, ohne den beispielsweise die Neue Musik eines Arnold Schoenberg
oder Anton Webern nicht denkbar gewesen wäre. Eine Geschichte, einen Roman
bilden sie aber bei weitem nicht ab, und es ist im Nachhinein von Claire Huangci
vielleicht geahnt worden, dass ihre Reise durchaus sehr gewagt war. Ein
Experiment, das meines Erachtens nicht aufgegangen ist. Préludes wollen bloße
Gesten sein, Stimmungsbilder, aber keine Romane und Geschichten erzählen.
Der Beifall
des Publikums war nicht überschwänglich, dafür herzlich. Ihre beiden Zugaben,
einmal eine sehr fragmentierte Jazzversion aus Mozarts türkischem Marsch (Sonate
14 von 1779) sowie eine Scarlatti Sonate, eine aus seinen über 600, konnten zumindest
den Eindruck vom Abendkonzert und zur Künstlerin nicht in Zweifel ziehen.
Claire Huangci (Foto: Kimi Rump) |
Ein herrlicher Sommerabend mit wenig Chopin und Rachmaninow, höchster Erregung, gewaltigen Gefühlsausbrüchen, wilder Expression und einer sehr sympathischen Pianistin, Claire Huangci, die Sturm-und-Drang, Umbrüche und Krisen des 21. Jahrhunderts in personam verkörperte, aber auch überwinden müsste.
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