36. Rheingau Musik Festival vom 24.06. bis zum 02.09.
Yuja Wang (Klavier) und das Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter der Leitung von Gustavo Gimeno, Friedrich-von-Thiersch-Saal Wiesbaden, 02.07.2023
Yuja Wang, Gustavo Gimeno (Foto: Ansgar Klostermann) |
Charismatisch,
ehrlich, fesselnd
Alle im
vollbesetzten Friedrich-von-Thiersch-Saal warteten auf die Sensation des
Abends, Yuja Wang. Charismatisch, ehrlich, fesselnd soll sie sein. Eine
attraktive Erscheinung mit Sexappeal und umwerfender Schönheit. Gemeinsam mit Gustavo
Gimeno betrat sie endlich, nach prickelnden Warteminuten, die Bühne, und
alles stimmte. Beinfrei, Rückenfrei, Schulterfrei, mit einem fast ebenso
schönen Mann an ihrer Seite, der Chefdirigent dieses wunderbaren Luxemburger Orchesters.
Nahezu
unspielbar – ein Pakt mit dem Teufel
Sergei
Rachmaninows (1873-1943) Rhapsodie über ein Thema von Paganini op.43
(1934), gab sie zum Besten, und das gleich mit einer fulminanten Introduktion
zu dem bekannten Thema aus Niccolò Paganinis (1782-1840) 24 Capricci für
Solovioline von 1817.
Rachmaninow,
das sei vorweggenommen, nahm sich die für Violine nahezu unspielbare
Teufelsvariation zur Vorlage, um auf dieser Basis ein für Piano fast ebenso
unspielbares Werk zu schaffen, eines, das den übermenschlichen pianistischen
Fähigkeiten des Komponisten auf den Tasten Reverenz erweist, und das Rachmaninow
höchstselbst auch am 17.November 1934 am Flügel in der Begleitung des
Philadelphia Orchesters unter der Leitung des legendären Leopold Stokowski uraufführte.
Ein
faustisches Dies Irae
Es sind 24
Variationen von ungeheurer Dichte, Virtuosität, aber auch Spiritualität. Denn
es geht um Leben und Tod. Ganz im faustischen Sinne stellt sich die Frage, was
geschieht, wenn man sich des Glückes wegen, dem Teufel verkauft. Das Dies
Irae, dies illa, ein Text eines mittelalterlichen Hymnus über das Jüngste
Gericht, bekannt aus diversen Requien und Offertorien von Bach, Mozart bis
Puccini, begleitet die Thematik der Capricen von der siebenten Variation an,
wird aber figuriert von tief romantischen, melancholischen und lyrischen
Einschüben, meist von Holz- und Blechbläsern dialogisierend mit der Solistin intoniert,
vor allem in den Variationen 12-15. Furios geht es durch Emotionen und findet
seinen Höhepunkt in der 18. Variation, im Andante cantabile, ein
Ohrwurm, der in Film und Theater bereits seine Unsterblichkeit gefunden hat.
Dann die letzten fünf Variationen. Sie sprudeln vor Temperament. Wer gewinnt
den legendären Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Sein oder Nichtsein? Die Antwort
bleibt offen, wie auch das Tastenspiel (das Gute?) im Kontext zum Orchester
(das Böse?).
Keine
Zugabe – Warum?
Der Worte dazu genug. Yuja Wang erfüllte eigentlich alles, was man von ihr erwartete. Ihr brillantes Spiel hätte mit Sicherheit Sergej Rachmaninow absolut überzeugt. Aber dennoch. Irgendetwas schien zu fehlen. Ihre speziellen Verbeugungen wurden vom Publikum mit Begeisterung goutiert. Aber, so fragte man sich: Wo war der Geist dieses dämonenhaften Paktes? Er kam vor allem aus dem Orchester. Leider aber nicht so recht von ihr. Ein wenig zu mechanisch, zu professionell, zu busy möchte man ihr Spiel beurteilen. Ein Feuerwerk zwar, aber ohne Dramaturgie der Handlung. Ob die Künstlerin das spürte? Man forderte durch langes, anhaltendes Klatschen eine Zugabe von ihr. Aber sie verweigerte sie. Die Gerüchteküche wurde somit eröffnet und das Rätseln über das Warum und Weshalb bestimmten den Pausendiskurs.
Yuja Wang, Orchestre Philharmonique du Luxembourg (Foto Ansgar Klostermann) |
Der Walzer
– aus der Zeit gefallen?
Das Orchestre
Philharmonique du Luxembourg kredenzte im Zweiten Teil des Abends eine
Zeitreise durch den Walzer. Ja, der Walzer, ein Tanz des 19. Jahrhunderts
zwischen den Welten der Aristokratie und des aufstrebenden Bürgertums. Ein
Tanz, der Abstand und Nähe, Berührung und direkte Führung in seiner „DNA“ trägt.
Richard Strauss thematisierte ihn in seinem Rosenkavalier (1910/1911),
von dem Thomas Mann meinte, er mache Rückschritte im Fortschrittsstreben der
Musik. War es so?
Jedenfalls paraphrasierte im Jahre 1945 der Musikdirektor des New York Philharmonic, Artur Rodzinski (1892-1958), eine Suite-ähnliche Sammlung – nach meinem Dafürhalten eher eine aus der Oper komprimierte sinfonische Dichtung –, die mit allen Wassern gewaschen ist. Ein Zeitdokument mit Handlungsmomenten, bezogen auf die Marschallin, die über die sonderbare Zeit sinniert, eine Zeit, die die Orientierung zu verlieren scheint, die eine eigene Zeitrechnungen aufstellt. Dann das Verwechslungsspiel der Paare, zwischen Octavian und Sophie und dem übergriffigen Baron Ochs, die allesamt aus der Zeit gefallen sind. Endlich der Walzer. Die Leitmusik dieser Suite, die den Namen trägt: Suite für Orchester aus der Oper „Der Rosenkavalier“ op.59. (1934/1945).
Orchestre Philharmonique du Luxembourg (Foto: Johann Sebastian Hänel) |
Mal komödiantisch, mal sarkastisch
Keine Frage.
Das Orchester gehört ohne Zweifel in die Oberklasse der Weltorchester. Wie sie
den Walzer interpretieren, das können nur noch die Wiener Symphoniker. Gustavo
Gimeno, Debütant auf dem RMF und seit neun Jahren Chefdirigent dieses
Klangkörpers, ließ ihn mal komödiantisch, mal sarkastisch, mal lieblich,
süßlich, immer aber schwungvoll und tänzerisch interpretieren.
Mal
hässliche Fratze – Es lebe der Walzer
Erst in Mauricio Ravels (1875-1937) Orchesterstück La Valse. Poème choréographique (1920), als Orchesterstück komponiert (später für Klavier transkribiert. Man erinnert sich an die glänzende Vorstellung von Anna Vinnitskaya auf dem RMF), das Sergei Diagilew, der Impresario des legendären Ballet-Ruße, ein Meisterwerk nannte, das er, Ironie der Geschichte, selbst als Ballettmusik in Auftrage gegeben hatte, aber als tanzfähiges Stück ablehnte, wird das Dilemma des Walzers auf die Spitze getrieben. Er wird zur hässlichen Fratze des 20. Jahrhunderts, zum bitteren Abgesang eines Gesellschaftstanzes, der immerhin mehr als hundert Jahre zum Gesellschaftanz schlechthin avancierte.
Der 1. Weltkrieg schaffte neue Staaten,
neue Normalitäten, neue Menschen. Der Walzer passte da nicht mehr herein.
Dennoch kann man bis heute sagen: Der Walzer ist tot, es lebe der Walzer. Ravel
jedenfalls geht mit Brachialgewalt gegen ihn vor. Er changiert zwischen scharfer
Würze und süffisanter Süße. Die 13 Minuten strotzen nur so vor Sarkasmus,
unechten Seufzern und hämischen Lachern. Ein Kaleidoskop des verachteten Alten
in einer Zeit, wo das Neue noch in den Kinderschuhen steckte. Brilliant interpretiert
vom Orchester, das vom eleganten und präzisen Dirigat ihres Chefdirigenten
souverän durch das äußerst anspruchsvolle Werk geführt wurde.
Ein perfekter
Abend
Frenetischer
Beifall hier und deshalb auch eine Zugabe. Wie sollte es anders sein: Natürlich
Schostakowitschs Walzer Nr. 2 aus dem russischen Film: Die erste
Staffel (1956). Vielleicht seine meistgespielte Komposition, aber unter den
Händen des Orchestre Philharmonique du Luxembourg und der Führung des
Dirigenten Gustavo Gimeno ein Zuckerguss zum Abschied. Ein perfekter
Abend, eingeschlossen Yuja Wang, die vielleicht mal mit einem Rezital
mit Zugabe aufwarten sollte.
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