Samstag, 8. Juli 2023

Le Vin Herbé (Der Zaubertrank), Szenisches Oratorium von Frank Martin (1890-1974), szenische Erstaufführung, Oper Frankfurt, 07.07.2023

v.l.n.r.: Juanita Lascarro (Iseut, die Blonde), Jarrett Porter (Herzog Hoël), Theo Lebow (Kaherdin) und Rodrigo Porras Garulo (Tristan) (Fotos: Barbara Aumüller)

„Wie ein Bilderbuch, dessen Figuren sich zu regen beginnen“

Ein wahrer Kontrast zu Richard Wagners Tristan und Isolde. Wer Frank Martins „Der Zaubertrank“ richtig hören und erleben will, der muss notgedrungen Wagners Oper vergessen können, so schwer es auch fallen möge. Denn dieses weltliche Oratorium ist, so schreibt es zurecht Kurt Pahlen in seinem legendären Opernführer, „wie ein Bilderbuch, dessen Figuren sich plötzlich zu regen beginnen – ein wenig nur, um für kurze Zeit und wie hinter einem Schleier, oder wie von einem Puppenspieler sanft geführt – ihr Leid, ihre Liebe zu Gehör bringen.“

 

Ein Produkt aus der Frühzeit der Corona-Krise

Eigentlich ein Produkt aus der Frühzeit der Corona-Krise (die Premiere des Oratoriums war für den Oktober 2020 geplant) – Abstandsregeln und sinnfreie Verordnungen machten eine Inszenierung fast unmöglich. All diese erzwungenen Maßnahmen ließen das Team um Tilman Köhler (Regie), Karoly Risz (Bühnenbild), Susanne Uhl (Kostüme), Takeshi Moriuchi (musikalische Leitung) sowie Tilman Michael (Chor) zu außergewöhnlichen, ja kreativen Maßnahmen greifen. So besteht die Bühne aus einer Art Panoptikum, aus abgeschlossen vierstöckigen Zellen, alle vom Zuschauerraum einsehbar. Der Abstand der 24 (statt 12 bei Martin) Chorsänger und Sängerinnen ist damit gewahrt. Auch finden die Protagonisten Iseut die Blonde (alias Isolde) und Tristan eigentlich nie zusammen, obwohl vom Libretto im ersten und dritten Teil verlangt.

oben links: Juanita Lascarro (Iseut, die Blonde) und unten rechts: Rodrigo Porras Garulo (Tristan) sowie Chor der Oper Frankfurt (Foto: Barbara Aumüller)

Ein statischer, objektivierender Charakter

Das ganze Geschehen bekommt dadurch einen statischen, ja im eigentlichen Sinne objektivierenden Charakter. Die Inszenierung schafft somit eher ein sakrales, passionsähnliches Klima. Der Chor, im Stil eines altgriechischen Kommentators, und die acht fantastischen Sänger und Sängerinnen des Frankfurter Opernstudios, gemeinsam mit dem instrumentalen Oktett, schaffen dennoch unglaublich spannende, ja komplizierte Musik sowie nachdenkliche Textvertonungen aus dem Buch von Josef Bédiers Le Roman de Tristan et Iseut (1900). Wortvertonungen, die vom Komponisten selbst als genuin für sein Werk betrachtet wurden. So schreibt er dazu: „Musik ist nicht die Sprache der Gefühle, aber sie ist Gefühl als Sprache.“

 

Vergessen wir Wagner

Drei Kapitel aus den insgesamt 19 hat Frank Martin (1890-1974) für dieses gut 90-minütige Werk herausgenommen, die Kapitel vier (Der Liebestrank), neun (Der Wald von Morois) und neunzehn (der Tod). Die dramaturgische Chronologie ähnelt somit der von Wagners, aber die Unterschiede treten unmittelbar zutage. Hier sei kurz die Handlung skizziert:

Wie in der Dreiteiligkeit angedeutet, beginnt die Erzählung mit der Überfahrt Iseuts (alias Isolde) zu ihrem ungeliebten, aber versprochenen Gatten König Marc, es folgen die Verwechslung des Zaubertranks, die Entdeckung der Liebenden im Wald von Morois von König Marc und schließlich der Tod der Beiden, ein Liebestod der besonderen Art. Was aber beide Werke in Handlung und Szenenführung voneinander unterscheidet ist: Bei Martin irrt sich eine junge Dienerin und gibt ungewollt den Liebestrank Iseut und Tristan, obwohl er für Marc bestimmt ist, Marc verzeiht bei der Entdeckung des schlafenden Liebespaares den „Verrat“, Tristan und Iseut kommen zur Vernunft und trennen sich friedlich, Tristan heiratet stattdessen eine zweite Iseut, die Weißhändige, die er nicht liebt. Iseut die Weißhändige rächt sich aus Eifersucht, lässt ihren Mann sterben und ist auch für den Freitod von Iseut der Blonden verantwortlich. 

vorne liegend: Rodrigo Porras Garulo (Tristan) und Juanita Lascarro (Iseut, die Blonde) sowie Kihwan Sim (König Marc; mit Schwert) Foto: Barbara Aumüller

Zwischen Archaik, Moderne und eigener Stilmittel

Große Differenzen also, die sich auch in der Musik zeigen. Während Wagner noch ganz den spätromantischen Stilmitteln verhaftet ist, bewegt sich Martin zwischen Archaik und Moderne. Vieles bei ihm lässt Debussy, Ravel und Strawinsky erahnen, aber auch die neoklassische Minimalität eines Hindemith oder Orff. Selbst Anklänge an die Gregorianik sind herauszuhören, was der Musik, die stark syllabisch und eng textbezogen agiert, mitunter einen fast sakral-Mysterien ähnlichen Sprachrhythmus verleiht. Lediglich an wenigen Stellen wird dieser Code aufgebrochen und beispielsweise bei Tristan oder auch Iseut zu einem hoch dramatischen Ausbruch an Emotionen. So im zweiten Teil (die Selbstanklage) und auch Schlussteil (das Todesdrama) des Oratoriums.

 

Nichts ist à la Mode

Wie seine Musik nicht à la Mode, so auch seine Auffassung von Bühnendramatik. Martin schrieb dieses Werk, das er übrigens für sein Wichtigstes hielt, in Kriegszeiten. Aus Budget- und Platzgründen brauchte er lediglich sieben Streicher und ein Piano, dazu 12 Sängerinnen und Sänger, die in kammermusikalischer Intimität und epischer Distanz das Liebesdrama auf die Bühne bringen sollten. „Entdramatisiert“ und „Ent-Erotisiert“ sollte es sein, aber trotzdem die Leidenschaft und Nöte zweier Liebender herausstreichen. Hier ähnelt dieses Werk durchaus denen von Igor Strawinskys Oedipus Rex und Arthur Honeggers Johanna auf dem Scheiterhaufen (beides Oratorien, die mit großem Erfolg auf der Opern-Bühne Frankfurts aufgeführt wurden).

vorne: Juanita Lascarro (Iseut, die Blonde) und Rodrigo Porras Garulo (Tristan) sowie im Hintergrund in der untersten Reihe v.l.n.r. Theo Lebow (Kaherdin), Cláudia Ribas (Die Mutter von Iseut der Blonden), Kihwan Sim (König Marc), Clara Kim (Branghien), Jarrett Porter (Herzog Hoël) und Cecelia Hall (Iseut, die Weisshändige) sowie darüber Chor der Oper Frankfurt (Foto: Barbara Aumüller)

Sehens- und hörenswert – höchstes Niveau

La Vin Herbé ist gewiss ein Solitär in der Operngattungs-Familie und nur bedingt einzuordnen. Was das Team der Oper Frankfurt daraus machte, ist, unter Berücksichtigung der bereits erwähnten Einschränkungen, durchaus sehens- und hörenswert.

Herauszuheben ist vor allem der geniale Chor unter der Leitung von Tilman Michael, die in mittelalterlich anmutenden Wamsen die Zellen bevölkerten. Dann die handelnden Personen. Allen voran Rodrigo Porras Garulo (einziger Gast des Aufgebots) als Tristan, ein herausragender Tenor mit gewaltigem Stimmumfang bis in den Baritonen Bereich und theatralischer Natürlichkeit. Auch Juanita Lascarro, langjähriges Mitglied des Opernstudios, konnte mit ihrem Sopran und ihrer erotischen Ausstrahlung durchaus gefallen. Wie gesagt fehlte leider das zutiefst menschlich-empathische der Liebenden, die Nähe und Berührung. Klara Kim, Debütantin und Mitglied des Studios, überzeugte durch ihren Sopran und ihre Verzweiflungsgestik, während Kihwan Sim als König Marc mit durchaus stimmgewaltigem Bassbariton und Schwert an seiner Seite durchaus etwas von einem umsichtigen und einsichtigen Herrscher verkörperte. Alle anderen glänzten durch gute Stimmen, wie gewohnt in diesem Haus, und guter Ausstrahlung.

Herauszuheben das Oktett. Makellos bewältigtes es die höchst komplizierten Passagen und schaffte durch beste Kommunikation mit den Sängerinnen und Sängern sowie den Solisten, natürlich auch ermöglicht durch das ausgezeichnete Dirigat von Takeshi Moriuchi, einen, zumindest musikalisch auf höchstem Niveau, großartigen Premierenabend.

Leider war der Besuch mäßig, vielleicht wetterbedingt. Dafür der Applaus lang und herzlich.

vorne: Juanita Lascarro (Iseut, die Blonde) und Rodrigo Porras Garulo (Tristan) sowie im Hintergrund Ensemble und Chor der Oper Frankfurt (Foto: Barbara Aumüller)

In eigener Sache

Kurz in eigener Sache: Warum muss man immer noch die unselige Fahne der Ukraine im Opernsaal ertragen, auf der zum Überfluss der Slogan: „For Peace, We are Standing in Solidarity“ abgedruckt ist. Was soll das, wo doch immer klarer wird, wer die wirklichen Strippenzieher sind. Vierfünftel der Weltgemeinschaft sagen es offen, dass die eigentlichen aggressiven Drahtzieher dieses Krieges die NATO und ihre Verbündeten sind. Die Ukraine ist keine Friedensareal, wie auch, wo Faschisten, wie u.a. Stepan Banderas und das Asow-Regiment zu den wichtigsten Helden, und Korruption und politische Verfolgung von Andersdenkenden zur Tagesordnung gehören Hierzu ein Zitat von Niccolò Machiavelli: „Nicht wer zuerst zu den Waffen greift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt.“ Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

 

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