Le Vin Herbé (Der Zaubertrank), Szenisches Oratorium von Frank Martin (1890-1974), szenische Erstaufführung, Oper Frankfurt, 07.07.2023
v.l.n.r.: Juanita Lascarro (Iseut, die Blonde), Jarrett Porter (Herzog Hoël), Theo Lebow (Kaherdin) und Rodrigo Porras Garulo (Tristan) (Fotos: Barbara Aumüller) |
„Wie ein
Bilderbuch, dessen Figuren sich zu regen beginnen“
Ein wahrer
Kontrast zu Richard Wagners Tristan und Isolde. Wer Frank Martins „Der
Zaubertrank“ richtig hören und erleben will, der muss notgedrungen Wagners Oper
vergessen können, so schwer es auch fallen möge. Denn dieses weltliche Oratorium
ist, so schreibt es zurecht Kurt Pahlen in seinem legendären Opernführer, „wie
ein Bilderbuch, dessen Figuren sich plötzlich zu regen beginnen – ein wenig nur,
um für kurze Zeit und wie hinter einem Schleier, oder wie von einem
Puppenspieler sanft geführt – ihr Leid, ihre Liebe zu Gehör bringen.“
Ein
Produkt aus der Frühzeit der Corona-Krise
Eigentlich ein Produkt aus der Frühzeit der Corona-Krise (die Premiere des Oratoriums war für den Oktober 2020 geplant) – Abstandsregeln und sinnfreie Verordnungen machten eine Inszenierung fast unmöglich. All diese erzwungenen Maßnahmen ließen das Team um Tilman Köhler (Regie), Karoly Risz (Bühnenbild), Susanne Uhl (Kostüme), Takeshi Moriuchi (musikalische Leitung) sowie Tilman Michael (Chor) zu außergewöhnlichen, ja kreativen Maßnahmen greifen. So besteht die Bühne aus einer Art Panoptikum, aus abgeschlossen vierstöckigen Zellen, alle vom Zuschauerraum einsehbar. Der Abstand der 24 (statt 12 bei Martin) Chorsänger und Sängerinnen ist damit gewahrt. Auch finden die Protagonisten Iseut die Blonde (alias Isolde) und Tristan eigentlich nie zusammen, obwohl vom Libretto im ersten und dritten Teil verlangt.
oben links: Juanita Lascarro (Iseut, die Blonde) und unten rechts: Rodrigo Porras Garulo (Tristan) sowie Chor der Oper Frankfurt (Foto: Barbara Aumüller) |
Ein statischer,
objektivierender Charakter
Das ganze Geschehen
bekommt dadurch einen statischen, ja im eigentlichen Sinne objektivierenden
Charakter. Die Inszenierung schafft somit eher ein sakrales, passionsähnliches
Klima. Der Chor, im Stil eines altgriechischen Kommentators, und die acht
fantastischen Sänger und Sängerinnen des Frankfurter Opernstudios, gemeinsam
mit dem instrumentalen Oktett, schaffen dennoch unglaublich spannende, ja komplizierte
Musik sowie nachdenkliche Textvertonungen aus dem Buch von Josef Bédiers Le Roman
de Tristan et Iseut (1900). Wortvertonungen, die vom Komponisten selbst als
genuin für sein Werk betrachtet wurden. So schreibt er dazu: „Musik ist nicht
die Sprache der Gefühle, aber sie ist Gefühl als Sprache.“
Vergessen
wir Wagner
Drei Kapitel
aus den insgesamt 19 hat Frank Martin (1890-1974) für dieses gut 90-minütige
Werk herausgenommen, die Kapitel vier (Der Liebestrank), neun (Der Wald von
Morois) und neunzehn (der Tod). Die dramaturgische Chronologie ähnelt somit der
von Wagners, aber die Unterschiede treten unmittelbar zutage. Hier sei kurz die
Handlung skizziert:
Wie in der Dreiteiligkeit angedeutet, beginnt die Erzählung mit der Überfahrt Iseuts (alias Isolde) zu ihrem ungeliebten, aber versprochenen Gatten König Marc, es folgen die Verwechslung des Zaubertranks, die Entdeckung der Liebenden im Wald von Morois von König Marc und schließlich der Tod der Beiden, ein Liebestod der besonderen Art. Was aber beide Werke in Handlung und Szenenführung voneinander unterscheidet ist: Bei Martin irrt sich eine junge Dienerin und gibt ungewollt den Liebestrank Iseut und Tristan, obwohl er für Marc bestimmt ist, Marc verzeiht bei der Entdeckung des schlafenden Liebespaares den „Verrat“, Tristan und Iseut kommen zur Vernunft und trennen sich friedlich, Tristan heiratet stattdessen eine zweite Iseut, die Weißhändige, die er nicht liebt. Iseut die Weißhändige rächt sich aus Eifersucht, lässt ihren Mann sterben und ist auch für den Freitod von Iseut der Blonden verantwortlich.
vorne liegend: Rodrigo Porras Garulo (Tristan) und Juanita Lascarro (Iseut, die Blonde) sowie Kihwan Sim (König Marc; mit Schwert) Foto: Barbara Aumüller |
Zwischen
Archaik, Moderne und eigener Stilmittel
Große Differenzen
also, die sich auch in der Musik zeigen. Während Wagner noch ganz den
spätromantischen Stilmitteln verhaftet ist, bewegt sich Martin zwischen Archaik
und Moderne. Vieles bei ihm lässt Debussy, Ravel und Strawinsky erahnen, aber
auch die neoklassische Minimalität eines Hindemith oder Orff. Selbst Anklänge
an die Gregorianik sind herauszuhören, was der Musik, die stark syllabisch und eng
textbezogen agiert, mitunter einen fast sakral-Mysterien ähnlichen
Sprachrhythmus verleiht. Lediglich an wenigen Stellen wird dieser Code
aufgebrochen und beispielsweise bei Tristan oder auch Iseut zu einem hoch dramatischen
Ausbruch an Emotionen. So im zweiten Teil (die Selbstanklage) und auch Schlussteil
(das Todesdrama) des Oratoriums.
Nichts
ist à la Mode
Wie seine Musik nicht à la Mode, so auch seine Auffassung von Bühnendramatik. Martin schrieb dieses Werk, das er übrigens für sein Wichtigstes hielt, in Kriegszeiten. Aus Budget- und Platzgründen brauchte er lediglich sieben Streicher und ein Piano, dazu 12 Sängerinnen und Sänger, die in kammermusikalischer Intimität und epischer Distanz das Liebesdrama auf die Bühne bringen sollten. „Entdramatisiert“ und „Ent-Erotisiert“ sollte es sein, aber trotzdem die Leidenschaft und Nöte zweier Liebender herausstreichen. Hier ähnelt dieses Werk durchaus denen von Igor Strawinskys Oedipus Rex und Arthur Honeggers Johanna auf dem Scheiterhaufen (beides Oratorien, die mit großem Erfolg auf der Opern-Bühne Frankfurts aufgeführt wurden).
Sehens- und hörenswert – höchstes Niveau
La Vin
Herbé ist gewiss ein
Solitär in der Operngattungs-Familie und nur bedingt einzuordnen. Was das Team
der Oper Frankfurt daraus machte, ist, unter Berücksichtigung der bereits erwähnten
Einschränkungen, durchaus sehens- und hörenswert.
Herauszuheben
ist vor allem der geniale Chor unter der Leitung von Tilman Michael, die
in mittelalterlich anmutenden Wamsen die Zellen bevölkerten. Dann die
handelnden Personen. Allen voran Rodrigo Porras Garulo (einziger Gast
des Aufgebots) als Tristan, ein herausragender Tenor mit gewaltigem Stimmumfang
bis in den Baritonen Bereich und theatralischer Natürlichkeit. Auch Juanita
Lascarro, langjähriges Mitglied des Opernstudios, konnte mit ihrem Sopran und
ihrer erotischen Ausstrahlung durchaus gefallen. Wie gesagt fehlte leider das
zutiefst menschlich-empathische der Liebenden, die Nähe und Berührung. Klara
Kim, Debütantin und Mitglied des Studios, überzeugte durch ihren Sopran und
ihre Verzweiflungsgestik, während Kihwan Sim als König Marc mit durchaus
stimmgewaltigem Bassbariton und Schwert an seiner Seite durchaus etwas von
einem umsichtigen und einsichtigen Herrscher verkörperte. Alle anderen glänzten
durch gute Stimmen, wie gewohnt in diesem Haus, und guter Ausstrahlung.
Herauszuheben
das Oktett. Makellos bewältigtes es die höchst komplizierten Passagen
und schaffte durch beste Kommunikation mit den Sängerinnen und Sängern sowie
den Solisten, natürlich auch ermöglicht durch das ausgezeichnete Dirigat von Takeshi
Moriuchi, einen, zumindest musikalisch auf höchstem Niveau, großartigen
Premierenabend.
Leider war der Besuch mäßig, vielleicht wetterbedingt. Dafür der Applaus lang und herzlich.
vorne: Juanita Lascarro (Iseut, die Blonde) und Rodrigo Porras Garulo (Tristan) sowie im Hintergrund Ensemble und Chor der Oper Frankfurt (Foto: Barbara Aumüller) |
In
eigener Sache
Kurz in
eigener Sache: Warum muss man immer noch die unselige Fahne der Ukraine im
Opernsaal ertragen, auf der zum Überfluss der Slogan: „For Peace, We are Standing
in Solidarity“ abgedruckt ist. Was soll das, wo doch immer klarer wird, wer die
wirklichen Strippenzieher sind. Vierfünftel der Weltgemeinschaft sagen es
offen, dass die eigentlichen aggressiven Drahtzieher dieses Krieges die NATO und
ihre Verbündeten sind. Die Ukraine ist keine Friedensareal, wie auch, wo
Faschisten, wie u.a. Stepan Banderas und das Asow-Regiment zu den wichtigsten
Helden, und Korruption und politische Verfolgung von Andersdenkenden zur Tagesordnung gehören Hierzu ein Zitat von Niccolò
Machiavelli: „Nicht wer zuerst zu den Waffen greift, ist Anstifter des Unheils,
sondern wer dazu nötigt.“ Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
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