36. Rheingau Musik Festival vom 24.06. bis zum 02.09.2023
Alexandra Dovgan, Klavierrezital im Fürst-von Metternich Saal auf
Schloss Johannisberg, 17.08.2023
Alexandra Dovgan (Foto: Ansgar Klostermann) |
Alexandra Dovgan – ein Phänomen
Erst sechszehn
Jahre alt und bereits zum dritten Mal auf dem Rheingau Musik Festival.
Alexandra Dovgan ist eine Ausnahmeerscheinung an den Tasten. Bereits 2021
erntete sie mit Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2, Robert Schumanns
Waldszenen und Frederic Chopins Balladen und dessen Grande Polonaise nur
sprachloses Staunen. Im vergangenen Jahr, noch musste man auf den Konzert-Kubus
zurückgreifen, unterstrich sie ebenfalls mit Werken von Beethoven, Schumann und
Chopin ihre Ausnahmestellung unter den Pianisten der Welt und überstieg noch
einmal ihre Vorstellung des vorangegangenen Jahres um ein Vielfaches.
In diesem Jahr, Alexandra Dovgan hat gerade das zarte Alter von sechzehn Jahren erreicht, trumpfte sie mit Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 6 e-Moll (1731), mit Ludwig van Beethovens Sonate Es-Dur Les Adieux op. 81 (1809) sowie mit Johannes Brahms´ legendären Variationen und Fuge B-Dur über ein Thema von Georg Friedrich Händel (1861) und seinen Drei Intermezzi op.117 (1892) auf, und, was will man dazu sagen: Ihr Weg in den Parnass der Musen ist noch lange nicht zu Ende. Alexandra Dovgan ist ein Phänomen.
Alexandra Dovgan (Foto: Ansgar Klostermann) |
Eine Suite zwischen Tanz und Brillanz
Aber kommen wir
zu ihren Interpretationen. Bachs Partiten sind im eigentlichen Sinne barocke
Tanzsuiten, sieben an der Zahl, darunter Corrente, Gavotte oder auch Gigue. Er
schrieb sie mit jahrlangen Unterbrechungen zwischen 1720 und 1730. Teile davon
finden sich in seinem Notenbüchlein für seine Frau Magdalena, aber auch
in seiner Clavier-Übung I von 1726. Kühn und dramatisch verziert sind vor
allem die Allemande und die Sarabande, aber auch die abschließende Gigue mit
seiner doppelthematischen Fuge ist nicht von schlechten Eltern. Genau genommen
changiert das etwa 30-minütige Werk zwischen Tanz und brillanter Fingertechnik.
Bereits die einleitende Toccata, eine Ouvertüre der besonderen Art, verlangt dem
Interpreten alles ab.
Philosophisches Gedankenspiel
Alexandra Dovgan musste erst einmal den klapprig, hölzern gestimmten Steinway Flügel bändigen, was ihr nach wenigen Takten blendend gelang. Herrlich perlend mit ausgeprägter Dynamik und langen Phrasierungen kitzelte sie dieser „Etüde“ den Gesang des Spätbarocks heraus und ließ den höfischen Tanz in den Fürst-von-Metternich Saal überspringen. Vor allem die Sarabande, ein stolzer, von getragenen Schritten dominierter spanischer Tanz aus dem 17. Jahrhundert, hatte es ihr angetan. Majestätisch, mit unglaublicher Ausdruckstärke und Gedankentiefe ließ sie diesen Tanz, gespickt mit improvisatorischen Elementen, zu einem philosophischen Gedankenspiel werden. Einen winzigen Aussetzer in der Gigue meisterte sie elegant mit einer Fermate, was die menschliche Seite ihrer spielerischen Perfektion nurmehr in besonderer Weise hervorhob.
Alexandra Dovgan (Foto: Ansgar Klostermann) |
Eine Geschichte zwischen Erschütterung, Zweifel und
ungetrübter Freude
Beethovens Les Adieux erst 1811 in Leipzig gedruckt, ist eines der ersten Werke des Meisters mit einer vorangestellten Programmatik und einem biographischen Bezug. Nicht von ungefähr bezeichnet man es auch als „Einbruch des Poetischen“ in sein Werkverständnis. Wie ist es entstanden? Beethoven schrieb es in Reaktion auf die Flucht seines Freundes und Gönners Erzherzog Rudolf vor den napoleonischen Truppen, die vor Wien standen. Es ist metaphorisch gelesen ein Liebesbeweis an einen Freund zwischen Lebewohl, Abwesenheit und Wiedersehen, ganz im Geiste von Goethes West-östlichem Divan der Trennung und Rückkehr zweier Liebenden. Gleich zu Beginn das Dreiermotiv mit den darüber gesetzten Silben Le-be-wohl, ein 17-taktiges Adagio von tiefer Erschütterung, gefolgt aber von einem hoffnungsvollen Allegro, kraftvoll und dynamisch. Das kurze Lied des zweiten Satzes (Abwesenheit im Andante Espressivo), gerade einmal 42 Takte lang, beschreibt einen Zustand der Ungewissheit und des Zweifels. Ein Dreitonmotiv in der Paralleltonart c-Moll, zieht sich durch das Stückchen wie ein Warnruf.
Alexandra Dovgan (Foto: Irina Schymchak) |
In-sich-gekehrt-verliebt
Dann das
Wiedersehen, von Beethoven mit Vivacissimamente, im lebhaftesten Zeitmaß
übertitelt. „Hier wirft sich der Wartende“, meinte zumindest der Schweizer
Pianist, Edwin Fischer (16-1960), „förmlich an die Brust des Zurückkommenden.“
Es ist ein Sonatensatz der puren Freude, atemlos, in wilden Strudel der
ungebrochenen Freude versinkend. Aber Beethoven wäre falsch verstanden, würde er
sich damit zufriedengeben. Nein. In der Coda, einem poco Andante,
kehrt er in sich, wird poetisch und verfällt kurzfristig ins Zärtliche, ja
Verliebte. Ein kurzes Ritardando kehrt sich aber nahezu unvermittelt ins
ausufernde Tempo der Wiedersehensfreude. Wenige Takte nur, aber dafür umso
eindringlicher.
Alexandra Dovgan
erzählte hier eine Geschichte, zwischen Trauer, Tragik, Hoffnung, Zweifel und
ungetrübter Freude, ja Liebe. Diese junge Frau hat dem Werk eine ganz neue Perspektive
abgenötigt. Eine, die vermuten lässt, dass sie möglicherweise selbst verliebt
zu sein scheint. Aber das ist reine Spekulation.
In Harmonik, Metrik und Melodik formal ausgerichtet
Mit Brahms´
Variationen über eine Händel Aria, ein Werk, das er seiner Freundin und heimlichen
Geliebten Clara Schumann widmete, begann Alexandra Dovgan den zweiten
Teil des Klavierrezitals.
Brahms war gerade einmal 28 Jahre alt, als er dieses Meisterwerk schuf, das durchaus in der Reihe der Bachschen Goldberg Variationen oder der Beethovenschen Diabelli Variationen eingereiht werden kann. Es ist keine Fantasie-Variation, sondern eher ein streng konzipiertes geschlossenes Konstrukt, in Harmonik, Metrik und Melodik formal ausgerichtet. Das heißt, es steht fast durchweg in B-Dur (Ausnahme die 13. Var. In b-Moll), folgt ausschließlich einem Vierer-Metrum innerhalb einer jeweils zu wiederholenden achttaktiken Thematik, und hält sich konsequent an das damals übliche Variationen-Konzept. Dennoch zählt dieses Werk unbestritten zu den wichtigsten Vertretern der Spätromantik und man sollte vielleicht an dieser Stelle Richard Wagner zitieren, der dazu meinte: „Man sieht, was sich mit alten Formen noch leisten lässt, wenn einer kommt, sie zu behandeln.“
Alexandra Dovgan (Foto: Irina Schymchak) |
So perfekt noch nie gehört
25 Variationen und
eine abschließende Fuge wurden unter den Händen der Pianistin zu einem echten Erlebnis.
Ein Auf und Ab der romantischen Gefühlswelten mit dem Gipfelpunkt der 13.
Variation in besagtem b-Moll, einer Paralleltonart von Des-Dur, wo Alexandra
Dovgan in durchgehenden Sexten das ganze Gewicht der Largamente, ma non piú,
zur Geltung kommen ließ. Die abschließende vierstimmige Fuge, auch thematisch
sehr verwandt mit der Aria, geriet unter ihren Händen zu einer
klangmächtigen Hymne von kompositorischer Vielfalt und transparenter Dichte. Man
kann mit Fug und Recht behaupten: So perfekt noch nie gehört. Warum sie
allerdings den Schluss fast nachdenklich gestaltete, bleibt ihr Geheimnis.
Die geistige Technik verlangt feines Verständnis
Dafür ein perfekter Übergang zu den Intermezzi op.117. Hier können wir durchaus auf Les Adieux zurückgreifen. Es sei vorangestellt, dass Brahms die drei in Andante gehaltenen Piecen von insgesamt 17 Minuten im Sommer 1892 in seiner Residenz in Bad Ischgl schrieb. Er selbst bezeichnete sie als „Wiegenlieder meiner Schmerzen“. War es die Alterseinsamkeit? Die unerfüllte Liebe zu Clara Schumann? Jedenfalls sind sie ein Ausbund an Melancholie mit Bezügen zu Johann Gottfried Herders Gedichtsammlung: „Stimmen der Völker“. Nicht von ungefähr bezeichnete besagte Clara Schumann, der die Intermezzi gewidmet sind, diese Stücke mit „was die Fingerfertigkeit anbetrifft, nicht schwer, aber die geistige Technik darin verlangt ein feines Verständnis, und man muss ganz vertraut mit Brahms sein, um sie so wiederzugeben, wie er sich das gedacht hat.“
Alexandra Dovgan (Foto: Irina Schymchak) |
Eine persönliche Metamorphose?
Alexandra Dovgan
gelang dies ohne Abstriche. Ein Abschluss, der vermuten lässt, dass man gar
nicht so falsch liegen mag, dass in ihr eine persönliche Metamorphose stattfindet.
Sie ist rein äußerlich ebenfalls reifer geworden (ihre pinkfarbene Robe war
bestens ausgewählt) und hat ihr angeborenes Charisma durch Anmut,
Bescheidenheit und sympathische Präsenz noch einmal perfektioniert.
Ihre zwei
Zugaben sollten die Lebendigkeit und Virtuosität, aber auch die unbändige Sinnlichkeit
und Wärme des Lebens, in den Vordergrund stellen. Dazu spielte sie eine Etüde
op 8 Nr. 2 sowie ein weiteres Prélude von Alexander Skrjabin, höchst
expressiv mit impressionistischem Duktus in einer Art Chopinscher Ehrerbietung.
Ein Abend, den man getrost in die Rubrik Abschied-Trennung-Wiedersehen und philosophisch durchaus als kosmisches Ganzes, einordnen könnte. Alexandra Dovgan: Wieder ein Highlight
des Festivals.
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