Sonntag, 13. August 2023

51. Darmstädter Ferienkurse (05. August - 19.August 2023)

Music Cooperative, vier Uraufführungen mit dem Spóldzielnia Muszyczna Contemporay Ensemble, Lichtenbergschule, 12.08.2023

Spóldzielnia Muszyczna Contemporay Ensemble (Foto: Klaudyna Schubert)

Eine Musikgenossenschaft – furchtlos, zupackend

Das polnische Ensemble Spóldzielnia Muszyczna, was so viel Musikgenossenschaft bedeutet, stammt aus Krakau, ist aus dem Workshop for Contemporary Music bei den Ferienkursen 2014 erwachsen und arbeitet seit dieser Zeit kontinuierlich zusammen. Experimentierfreudig, furchtlos, flexibel, kommunikativ, zupackend, sind die Attribute, die dieser Formation zugesprochen werden.

In der nur mäßig besuchten großen Halle der Lichtenbergschule Darmstadt trat dieses Ensemble in Residence auf den diesjährigen Ferienkursen (zwei Konzerte, ein Workshop) mit vier Uraufführungen polnischer Komponistinnen und Komponisten auf.

 

Ein Rockhammer wie in Frühzeiten

Zunächst mit Artur Zagajewskis (…) !?, ein derber Rockhammer mit einfachen Motivblöcken, angeführt vom Komponisten selbst, der seine E-Gitarre im Stil eines übermotivierten Rockstars führte und mit lautesten Patterns die Ohren heftig zu quälen verstand. Keyboard und Klavier taten ihr Übriges mit schnellen Beats und einfachen Dreiklängen. Dazu Saxophon, Klarinette und Flöte, Violine und Bratsche. Der Drummer haute auf seine Trommeln und Snares, dass es nur so krachte. Kurzum: 10-Minuten ohrenbetäubender Lärm, man fühlte sich in die Frühzeit der Punkmusik und des Heavy Metall versetzt.

 

Eine Polka ohne Rhythmus

Nina Fukuoka tituliert ihre Komposition mit: Polka is a Czech Dance. Nur war leider von Polka im gesamten Stück nichts zu hören. Stattdessen ein Video über ein Callcenter mit computergenerierten Personeninnen aus aller Welt. Man verkaufte und warb, suchte Jobs und Kontakte. Dazu eine Musik, die eher an eine Hintergrundmusik in einem Supermarkt erinnerte, als an – wie gesagt – eine Polka oder wenigstens einen Tanz.

Der zweite Teil bestand aus eine Sushi-Werbung der besten Art. Dazu ein Hauch von Rock bzw. Rhythmus, um dann überzuwechseln zu einer Traffic-Light-Werbung. Reisen in alle Teile der Welt mit Naturvideos und einem Kinderlied-Einwurf. Alles in allem eher eine Musik der Werbeuntermalung, denn eine von kritischer Durchleuchtung, geschweige denn ein Tschechischer beschwingter Rundtanz.


Mysteriös und verschreckt

Kommen wir zur dritten Aufführung, genannt Wallflower, übersetzt auch Mauerblume möglich. Diese Uraufführung von Monika Szpyrka lebte von permanentem Brummen und Klacken mit langen Dauertönen von Flöte, Violine und Violoncello. Ein wenig mysteriös, verschreckt, ungreifbar bis abschließend ersterbend. Ein insgesamt sehr ruhiges Werk mit wenig Höhepunkten und erkennbarer Struktur.


Vöglein, Vöglein an der Wand …

Rafael Raterskis Birdsongs, ein Stück von gut 30 Minuten, sollte den Abschluss wie auch Höhepunkt des Konzertabends darstellen. Tatsächlich hatte man zu Anfang den Eindruck, dass Vogelgezwitscher das Thema abbilden sollten.

Mit Trillern, abwechselnd von allen Instrumenten vollführt, hatte man sogar die Vorstellung, in einem Urwald diverser Vögel zu sein. Dazu ein Video mit Zweibeinern aus aller Herren Länder zwischen Südafrika und Norwegen, Amerika und Asien. Allerdings trillern die Vögel nicht ausschließlich, wie in dieser Komposition. Auch nicht, wenn sie über die Kontinente fliegen, sich als Starenschwärme zeigen, oder im Winter, bei Schnee und Eis ihr Federfell plustern.

Dann ein hochgeistiger Schnitt. Der Mensch kommt ins Spiel. Zunächst spricht der Sprecher (später stellt sich heraus, es ist der Komponist höchstpersönlich) von Homöostase (meint die immerwährende Gleichgewichtssuche der Körperfunktionen), aufklärerisch, belehrend. Schwadroniert dann von Sympathikus und Parasympathikus, und so fort.

Der Schnitt folgt auf dem Fuß. Das Huhn wird jetzt strapaziert. Seine Anatomie, seine Fähigkeit, Eier, viel Eier zu produzieren. Ein Zustand der Ausbeutung. Die Massentierhaltung, ja die Massentierhaltung, die ist das Elend der Welt. Nein, falsch. Es ist der Umstand, dass der Mensch nicht fliegen kann. Also schafft er sich Flugobjekte: Jets, Raketen, Marssonden, Space-Shuttles etc. Ja, der Mensch ist das Problem. Er beutet alle irdischen und lebendigen Ressourcen aus, will zwar ins Weltall vordringen, schafft es aber nicht einmal, die Welt sauber zu halten.

Es wird wild und wilder. Die Stimme wird heftiger, die Musik, oder was davon überhaupt so genannt werden kann, lauter. Stroboskoplichter quälen die Augen. Der ausgemachte Unsinn, der Juli 2023 sei der wärmste seit Menschengedenken (!), setzt dem Ganzen noch sein Krönchen auf. Was bleibt, ist: Zurück zur Natur. Und die vielsagende Frage „What do you do?“

Oh, oh. Da hat der Komponist sich aber gehörig verzockt. Ein Seminar, ein Kathedervortrag mit übergriffiger Selbstherrlichkeit, schwarzweiß-Denken und Besserwisserei. Und die Musik? Die Musik gab es eigentlich nicht. Sie reduzierte sich auf eine Geräuschkulisse, mal laut, mal leise, ohne wirkliche Kunstfertigkeit. Das arme Ensemble krächzte und schob, rieb und blies, aber ohne ästhetische Bedeutung. Man hörte sie ja weitgehend eh nicht. Hier wurde eindeutig die Musik der Propaganda untergeordnet, eine Technik, die wir von totalitären Regimen kennen und die wir eigentlich nicht wieder in der Musik haben wollen. Schade, Schade, schade. Dieses Machwerk gehört eigentlich in die Tonne.

Spóldzielnia Muszyczna Contemporay Ensemble (Foto: eigene Website)

Der Musikkooperative bzw. dem Spóldzielnia Muszyczna Contemporay Ensemble ist kein Vorwurf zu machen. Sie spielten ihre Parts höchst professionell und verstanden es blendend, die vogelzwitschernden Kompositionen wie tausendfache Starenschwärme zusammenzuhalten. Leider konnte keines der vier Kompositionen überzeugen. Das ist dann doch die schlechte Nachricht.

  

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