51. Darmstädter Ferienkurse (05. August - 19.August 2023)
Eröffnungskonzert mit dem Klangforum Wien (Leitung: Emilio Pomàrico), Sporthalle der Lichtenbergschule Darmstadt, 05.08.2023
Eröffnungskonzert der 51. Internationalen Darmstädter Ferienkurse in der Lichtenbergschule Darmstadt (Foto: IMD) |
„Die Wiener
Philharmoniker der Neuen Musik“
Das Klangforum
Wien, neben dem Ensemble Modern und dem Ensemble Intercontemporain
die weltweit wohl bekannteste Formation für zeitgenössische Musik, nicht von
ungefähr werden ihre 24 Ensemblemitglieder auch als „Wiener Philharmoniker der
Neuen Musik“ tituliert, hat für das Eröffnungskonzert der 51. Internationalen Darmstädter
Ferienkurs Situations (2013) von Georges Aperghis (*1945) ausgewählt. Und
das nicht ohne Hintergedanken. Denn zum einen ist dieses monumentale Werk ihnen
ganz persönlich von Aperghis auf den Leib geschrieben worden (Die Uraufführung
fand mit Ihm 2013 auf den Donaueschinger Musiktagen statt), und zum anderen
passt dieses Werk gut 10 Jahre später bestens in diese gewaltigen Umbruchszeiten
der noch andauernden Corona-Krise, dem Ukraine Krieg und der Klimaapokalyptiker.
Eine
Soirée ohne Wohnzimmeratmosphäre
Aber zum Detail.
Situations ist eigentlich gedacht als Soirée, weniger als Konzert.
Aperghis wollte damit Geselligkeit (convivialité musicale) dokumentieren,
wozu er einerseits in der Vorbereitung seiner Komposition die Instrumentalisten
nach ihren persönlichen Vorlieben und Interessen befragte, andererseits aber
auch ein musikalisches Klima eines Wohnzimmers erzeugen wollte. Dazu gehören Fauteuils,
Couches, Sessel, möglicherweise Lampenschirme und typische Accessoires eines
gemütlichen Umfeldes.
Auch gehört
zur Entstehungsgeschichte des fast 80-minütigen Werkes die Auseinandersetzung
mit Elias Canettis (1905-1994) langjährigem Bestseller Masse und Macht (1960).
Ein Buch, das heute nicht aktueller sein könnte. Der Kernsatz dazu lautet: „Nichts
fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.“
Ein
Triptychon wie ein pastorales Gesamtkunstwerk
Aperghis´ kongeniales Werk gleicht einem Triptychon,
zusammengesetzt aus unterschiedlichsten Farben und extremen Kontrastierungen. Aus
etwa 250 Aussagen und Wünschen der Instrumentalisten setzte er in drei großen
Bögen zwischen 1. Introduktion –einer stimmungsvollen Einführung – 2. Individualisierung
– einer brennpunktartigen Auseinandersetzung mit den Spielern, mal solistisch,
mal im Duett, Terzett oder Quartett – und schließlich 3., einer scheinchaotischen
massiven Bewegungsstruktur im finalen epilogischen dritten Teil – einer Art synthetischer
Zusammenstellung des vormals in Fragmenten und mitunter ängstlichem Durcheinander
und fetziger Montage vorgestellter, mit Texten und Gesängen durchbrochener musikalischer
Vorgänge – ein fast pastoral zu bezeichnendes Gesamtkunstwerk, das
zeitlos alle Elemente gesellschaftlicher Problematiken umfasst.
Vom Schweigen
und geduldig Werden
Sehr wichtig
und erhellend dabei sind die von verschiedenen Ensemblemitgliedern vorgetragenen
Texte über das Schweigen: „Das Verschweigen ist als das Bessere bekannt, wer
schweigt weiß mehr und wer schweigt denkt an sein Geheimnis.“ Dieses und noch
viel mehr aus Canettis Meisterwerk. Dann wunderbare Sentenzen des finnischen
Pianisten Joonas Ahonen, der witzige, aber vielsagende Kinderlieder
rezitiert, wie „Ene, mene Muh und aus bist du“, oder unverständliche kindliche
Gassenreime zum Besten gibt. Besonders aber sind seine Bemerkungen zur Ruhe und
zur ruhigen Hand hervorzuheben: „Wie aber sind die Hände geduldig geworden. Wie haben sie das
Feingefühl ihrer Finger bekommen.“ Oder: „Die wahre Größe der Hände ist ihre
Geduld. Die Hände haben die Welt, die wir lieben, geschaffen.“
Große Weisheiten aus der Feder Canettis. Ihm geht es dabei aber nicht um die Hände der Pianisten, sondern um die Bedeutung der Hände bei der Berührung der Dinge, der Menschen wie der Lebewesen. Ja wir sind verdammt zur Berührung, zum Streicheln, zum Kraulen der Körper, denn allein das, so Canetti, ist die Voraussetzung von Gemeinsamkeit und Friedlichkeit.
Klangforum Wien (Foto: Klangforum Wien, Archiv) |
Humor und
geistreiche Hintergründigkeit
Sicher aber
ist auch: Aperghis steckt voller Ironie, Humor und geistreicher
Hintergründigkeit, wie er es in vielen seiner Werke sattsam belegt hat. So strotzt
Situations nur so vor musikalischer, sprachlicher und gesanglicher
Finesse (nicht zu vergessen der Katzengesang der Streicherinnen und
Flötistinnen, einfach nur genial). Es zerrt, zurrt, reißt, man spielt in extremen
Lagen, mal mit schwachem, fast ängstlichem Bogenstrich, mal mit starkem,
aggressiven Saitenreißen. Cluster und akkordische Ausbrüche wechseln mit
zarten, fast lyrisch anmutenden Passagen. Auch instrumental wird man immer
wieder durch ungewöhnliche Klangfarben von Celesta, Wagnertuba, Heckelphon
(Bass Oboe) überrascht. Überhaupt sind die erzeugten Klangflächen von
ungeheurer Wirkung, die bis zum Bauch des Hörers dringen.
Ein Kaleidoskop
der solistischen Qualitäten kommt dazu. Gerade der Mittelteil kommt wie ein
barockes Concerto Grosso rüber. Jedes einzelne Mitglied des Ensembles
ist mal dran. Man ist immer wieder erstaunt, welche Ton- und Klangqualität von
diesen „Philharmonikern“ ausgeht.
„Es darf nun die Seele genesen“
Der Schluss wird dominiert von einem russischen Gedicht aus Alexander Puschkins (1799-1837) Liebesgedichte Sammlung (1836): „Es darf die Seele nun genesen: Und du erscheinst zum zweiten Mal. Ein rasch entfliegend Wunderwesen. Der reinen Schönheit Ideal.“ Vom russischen Akkordeonisten Krassimir Sterev in russischer Sprache mit wunderbarer Ausdruckskraft vorgetragen und musikalisch untermalt von höchstem Flageolett der Streicher und tiefstem Grummeln der beiden Trompeter, des Posaunisten und Bassklarinettisten. Ein Abschluss mit einem kurzen Zitat aus Schostakowitsch Sinfonie Nr. 10. Fünf heftige kurze Schläge mit einem halben Ton abwärts. Ein Fingerzeig der Zerbrechlichkeit, einer Zerbrechlichkeit, die Georges Aperghis mit dieser Musik großartig auszudrücken versteht.
Foto: Internationales Musikinstitut Darmstadt IMD |
Kein
bequemes Wohnzimmer, dafür Mut zur Überwindung …
Ein Vortrag
des Klangforum Wien unter der unauffälligen und übersichtlichen Leitung von Emilio Pomàrico, der es in sich hatte, aber das Flair eines
gemütlichen und bequemen Wohnzimmers doch vermissen ließ. Auch war ursprünglich
das Umhergehen und das gegenseitige gestische Zuhören vorgesehen. All das fehlte
in dieser Aufführung, wenngleich die Akteure viel Spaß miteinander hatten (man lächelte
sich zu oder schaute in Richtung der Solisten oder Kleingruppen, die gerade
aktiv waren).
Der Gedanke der
Gemeinsamkeit, der Solidarität, aber vor allem des Klangs – einer Schallwelle, die keine Grenzen kennt – und auch des Musizierens – einer Tätigkeit, die Nähe,
Zuhören, Verstehen und gemeinsames Atmen erfordert, das sind die Grundelemente,
die diese Musik von Georges Aperghis herausdestilliert. Leider sind
diese Grundbedürfnisse während der Corona-Krise – und zum Teil immer noch – in
Vergessenheit geraten, durch Ausschluss, nicht Zuhören, Absondern und Ablehnen.
Ganz im Sinne des Zahlenreims der Kinder … und Aus bist Du. Das zu
überwinden - im Bewusstsein des Zerbrechlichen - birgt diese Komposition in
exorbitant positiver Weise.
Ein Eröffnungskonzert,
das Mut macht und der Freiheit der Musik neue Impulse zu geben vermag.
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