Abschlusskonzerte IEMA 2022/23, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK), 19.09.2023
IEMA Ensemble 2022/23 (Foto: Ensemble Modern Website) |
Alles
Deutsche Erstaufführungen
Es ist das zweite der insgesamt drei Abschlusskonzerte im kleinen Saal der HfMDK von Protagonisten des Masterstudiengangs Internationale Ensemble Modern Akademie kurz: IEMA. Elf Musikerinnen und Musiker interpretieren unter der Leitung von Xizi Wang und der Klangregie von Tim Abramczik neueste Musik von zeitgenössischen Komponisten und schließen damit ihre zweijährige Ausbildung ab. An diesem Abend standen fünf Kompositionen von noch sehr jungen internationalen Komponisten auf dem Programm, allesamt Deutsche Erstaufführungen.
Zara Ali (Foto: Ensemble Modern, Website) |
Ein
Quantenlied von algorithmischer Grazie
Die
gebürtige Amerikanerin Zara Ali (*1995) stellte ihr 19 Minuten dauerndes
Werk Isolation Forest vor. Ein Werk mit Sampler- und Synthesizer
Einsatz für 11 Instrumentalisten.
Isolation Forest ist der Name für ein Anomalie-Erkennungsalgorithmus, der im maschinellen Lernen verwendet wird, bei Zara Ali aber durchaus als Vermittler zwischen Digitalem und Analogem verstanden werden möchte. So singt sie in ihren musikalischen Erläuterungen ein „Quantenlied“ über den Wald von „algorithmischer Grazie“, einem „Wald der Drähte und Kabel“. Schaut mit „Augen aus Silizium“ in das Grün und fühlt mit einem „Herzen aus Code“. Ihre Musik ist entsprechend. Ein perkussiver Apparat von Thai-Gongs, Trommeln und Pauken, ein Tamtam und viel Klangstäbe und Glöckchen bilden die musikalische Basis. Lange Flächen, wellenförmige Bewegungen und Rhythmus-Überschneidungen beherrschen die Struktur. Zwischendurch dominiert der Sampler mit menschlichen und tierischen Stimmen, aber auch Melodiefetzen mit harmonischen Ansätzen durchwirken das dann doch zumeist sehr, sehr laute und insgesamt sehr aufgeregte, aber wenig inspirierende Werk.
Adrian Mocanu (Foto: Ensemble Modern Website) |
Dunkelheitserfahrung
Der aus dem ukrainischen Kiew stammende Adrian Mocanu (*1989) nennt seine Erstaufführung Kiovia (der lateinische Name für Kiew) mit dem Zusatz: esplorazioni delle tenebre (frei: Dunkelheitserfahrung). Er bezieht sich in seiner Musik auf die Erfahrung und Vorgänge in Kiew seit 2022, dem Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Bombardierung, Stromausfall, Dunkelheit und Angst dominieren diese Komposition mit elektronischen Einspielungen. Man spielt nicht auf, sondern mit den Instrumenten, es bläst, es reibt, es quietscht oder brummt. Papier raschelt, das Klavier jammert. Man ist ein wenig an die musique concréte eines Helmut Lachenmann erinnert. Dennoch ist das Stück ein Angriff auf die Ohren. Vermeintliche Flugzeugangriffe, Sirenengeheul, Panzerketten und Militärfahrzeuge glaubt man zu vernehmen. Mitunter wird es unerträglich. Mit Dunkelheit hat das nur indirekt etwas zu tun. Der Schluss, eine kurze Sentenz von Geige, Klavier und Klarinette beendet ein zutiefst depressives und kaum zumutbares Werk.
Artun Çekem (Foto: Babel score) |
Stimme
ohne Körper
Nach der
Pause stellt der in Istanbul geborene Artun Çekem (*1992) This Person Is Not Exist vor, ein Werk mit
ausführlicher Erläuterung des Komponisten höchstselbst. Er trennt die Stimme vom
realen Körper und konzentriert sich auf ihre Seele, ihr Bewusstsein oder auch
auf ihre Persönlichkeit. Gerade im digitalen Bereich leben wir mit dieser
Trennung (er bezieht sich auf eine Website gleichen Namens).
Um diesen Zustand musikalisch umzusetzen hat er ein Instrument aus dem 3D-Drucker konstruiert, eines, das die menschliche Stimme abzubilden in der Lage ist. Tatsächlich bläst der Trompeter des Ensembles, Tobias Krieger, in ein schwarzes Rohr (vocal tract tube nennt er das Ding) und erzeugt damit diverse menschliche Stimmen von Sprechen, Heulen, Seufzen, Schimpfen, Lachen und so fort. Das Ganze wird durch eine aufgehängte Rahmentrommel transformiert (ein permanent sich tief in den Bauch eingrabendes Geräusch) und durch permanentes tonloses Blasen in die Instrumente, durch Sand Tambourin und Militärtrommel und geräuschvolle elektronische Einspielungen in einen spukhaften, enigmatischen Zustand wie in einem fiktiven Geisterschloss verfremdet. Heftiges Atmen bis zum Hecheln, der Hund von Baskerville lässt grüßen, lässt das doch einfallsreiche, aber irritierende Werk mit vier letzten Schnappatmungen ausklingen. Stirbt die menschliche Stimme, fragt man sich?
Maria Vincenza Cabizza (Foto: Gaudeamus.nl) |
Wann
kommt die nächste Deadline?
Die Spanierin Maria Vincenza Cabizza (*1991) versucht sich an der Deadline: 2028. In diesem Werk bezieht sie sich auf die sogenannte Klima Uhr, die angeblich die Erderwärmung und den Anteil der CO2 Emissionen misst und täglich darüber Auskunft gibt. Angeblich haben wir nur noch vier Jahre, 312 Tage und ein paar Zerquetschte zu leben, wenn wir nicht, ja wenn wir nicht … Sie sollte allerdings wissen, dass die Klima Uhr ein dämlich´ Ding ist. Sie wird immer wieder neu justiert, gerade wie es kommt. Eigentlich sollte die Welt schon 2015, dann 2021, dann 2023 und jetzt 2028 untergehen bzw. untergegangen sein. Was soll´s. entsprechend aber ist ihre musikalische Umsetzung. Laute Geräuschmusik mit eingespielten Männerstimmen, die sich wohl auf Spanisch auseinandersetzen. Mal sind es Rufe, dann heftiger Streit. Zwischendurch ein Dialog zwischen Stimmen und Instrumenten. Das Ganze ist laut, extrem treibend und pochend, aber alles andere als musikalisch überzeugend.
Alex Paxton (Foto: Ensemble Modern, Website) |
Der süße
Haargummi
Das Finale,
das sei vorweggenommen, versöhnte absolut mit dieser, bis dahin apokalyptisch
depressiven-musikalischen Weltsicht. Der Brite Alex Paxton (*1990) hat
mit seiner Erstaufführung Scrunchy Touch Sweetly to Fall (Kite n Finger
run) – frei übersetzt: das Haargummi fühlt sich zu süß an, um zu fallen
– seinen Humor und Erfindergeist nicht verloren. Er selbst spricht von „Pudding
Time“ (entweder Abendessenszeit oder, gerade noch rechtzeitig) und von „trying
new things now“ und meint das wohl wörtlich bzw. rein musikalisch. Denn sein
Beitrag ist der Ausbund an Lebensfreude und Lust am Humor. Straßenmusik vom
Feinsten, Katzenmusik mitunter, denn alles scheint durch den Kakao gezogen zu
werden. Mal klingt es chinesisch, dann jazzig, dann pfeift es aus allen Löchern.
Es fetzt gewaltig in Lautstärke und schräger Melodik. Man rastet aus, singt,
schreit und endet mit einer eingängigen Straßenmelodie, wobei der Posaunist Michael
Martinez, die Violinistin Miria Sailer und vor allem die Oboistin Jeanne
Degos gesanglich „brillierten“. Sie sangen was das Zeug hielt, erfrischend
schräg und dazu ein bisschen frivol. Die Oboistin hatte dann auch den letzten
Ton zu spielen. Perfekt.
Pure
Freude am Spiel
Überhaupt
gehört diesem IEMA-Ensemble der volle Respekt. Alle Stücke spielten sie
mit bester Einstellung zu den Werken. Ihr Vielseitigkeit und Freude am Spiel
konnten sie mit dem Schlussstück in bester Manier unter Beweis stellen.
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