Antrittskonzert Thomas Guggeis (Dirigent) mit Werken von Lucia Ronchetti, Wolfgang Amadeus Mozart und Gustav Mahler, Alte Oper Frankfurt, 17.09.2023 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e.V.)
Thomas Guggeis (Foto: Sophia Hegewald) |
Außergewöhnliche
Bewegungsästhetik, differenziertestes Dirigat
Thomas
Guggeis ist neuer
Chefdirigent des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters und damit Nachfolger
von Sebastian Weigle. Sein Antrittskonzert im Rahmen der „Abonnement
Sonntagskonzerte“ mit einer Uraufführung von Lucia Ronchetti (*1963) Studio
di ombre. Notturno per orchestra di fiati e percussioni (2023), der Kleinen
Nachtmusik (1887) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) sowie der Siebenten
Sinfonie e-Moll (1904-07) mit dem Beinamen „Lied der Nacht“ von
Gustav Mahler (1860-1911) gehörten zum höchst anspruchsvollen Programm dieser
Matinee. Und, das sei vorweggenommen, Thomas Guggeis überzeugte in allen
Belangen: Im differenziertesten Dirigat, in der außergewöhnlichen
Bewegungsästhetik sowie in seinem ganz speziellen musikalischen
Verständnis.
Nachtmusik,
Notturno, Serenade
Das Motto
der Veranstaltung lässt sich leicht erkennen: Es geht um die Nacht, ihre Rätsel
und Geheimnisse, aber auch um den ganz pragmatischen Umgang mit ihr.
„Karneval
der Klänge“
Bereits die Uraufführung von Lucia Ronchetti ließ die Nacht zum Tage werden. Allein sechs Perkussionisten und zehn Holz- und Blechbläser auf der Bühne. Dazu noch verteilt im Saal Trompeten, Posaunen, und eine Piccolo-Flöte. Ein Raumklang mit besonderer Note, denn Ronchetti überschreibt gerne bereits Bestehendes mit Neuem, hier beispielsweise ein Palimpsest aus Mahlers Scherzo, dem Kernsatz seiner Siebenten. Absolut effektvoll und extrem virtuos, ohne aber echte Bezüge zu Mahler herstellen zu können. Dennoch ein vierminütiges Klanggemälde von ungeheurer Eindringlichkeit. Zudem ein Hexentanz, den der Dirigent durch das „verschwörerische“ Miteinander mit seinen Musikern zu einem spektakulären „Karneval der Klänge“ (Ronchetti) werden ließ. Allein schon optisch ein echter Hingucker.
Thomas Guggeis (Foto: Henning Kaiser) |
Ausbund an Lebensfreude
Kontrastierend
dazu die Kleine Nachtmusik von Wolfgang Amadeus Mozart. In seiner besten
Schaffensphase entstanden, nämlich 1987 – er schreibt parallel dazu an seinem Don
Giovanni, sein Nozze di Figaro feierte bereits große Erfolge und
seine Klavierkonzerte Nr. 23, 24 und 25 waren gerade in trockenen Tüchern und
begeisterten das Publikum. Und ausgerechnet seine Kleine Nachtmusik
bleibt da außen vor. Denn wer sein Auftraggeber dafür war, bleibt unbekannt,
ebenso, ob dieses kleine Bravourstückchen überhaupt zu seinen Lebzeiten jemals
aufgeführt wurde.
Ursprünglich für fünf Sätzen angelegt, bleiben der Nachwelt nur vier erhalten. Die aber haben es in sich. Denn dieses Notturno ist alles andere als dunkel, rätselhaft oder gar geheimnisvoll. Im Gegenteil: Sie ist der Ausbund an Lebensfreude, heiter, romantisch, tänzerisch. Und all das realisierte Thomas Guggeis mit seinem großen Streicherensemble in ausgezeichneter Lebendigkeit und überzeugender Leichtigkeit. Er selbst hätte einen leibhaftigen Rokokotänzer abgeben können, lediglich das entsprechende Outfit fehlte. Dafür überschlugen sich die Musikerinnen und Musiker förmlich vor Spiellaune und Engagement. Man erkannte das Opern- und Museumsorchester kaum wieder. Alle Akteure schienen wie ausgewechselt, sprühten vor Eifer und Lebenslust. Was ein Dirigent in so kurzer Zeit erreichen kann, ließ sich bereits hier klanglich, musikalisch und spielerisch in wenigen Minuten beweisen. Eines der populärsten Serenaden Mozarts brachte unter den Händen des noch sehr jungen Dirigenten ein besonders helles Licht in das eher übliche Dunkel der mannigfaltigen Nachtgeschichten.
Thomas Guggeis mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Foto: Sophia Hegewald) |
„Lied der
Nacht“ ist das Programm
Mahlers Siebente
bildete den Höhepunkt der Matinee.
Eigentlich
komponierte Mahler immer in den Sommermonaten seine insgesamt neun Sinfonien
(seine 10. bleibt unvollendet). Bei der Siebenten dauerte es etwas
länger. Er begann sie 1904 mit den beiden Nachtmusiken (2. und 4. Satz).
Später stellte sich eine kompositorische Blockade aus vielerlei persönlichen
Gründen ein. Erst ein Jahr später kam ihm dann die Idee zum Kopfsatz und bis
zur Uraufführung 1907 nahm er noch diverse Änderungen an der Partitur vor. Den
Beinamen Lied der Nacht erhielt die Sinfonie später vom Verleger, aber
nicht von Mahler. Mahler selbst lehnte jegliche Art von Programmmusik ab,
wenngleich seine gesamte Musik irgendwie denn doch Programmmusik ist.
Zwischen
düsterer Beklemmung und triumphalen Finale
Die Siebente changiert zwischen düsterer Beklemmung, unheilvoller, abgründiger Stimmung und triumphalen Finale. Sie hat, so die Meinung diverser Musikwissenschaftler, den Hang zum „sich zu Tode feiern“. Sie scheint alle Formen der Apotheosen in sich vereinigen zu wollen. Um mit Schopenhauer zu sprechen, stellt sie die lebensentscheidenen Fragen nach dem Verhältnis von „Wille und Vorstellung“. Was treibt uns nach dem Sinn des Lebens zu fragen? Wie sind die Diskrepanzen vom unbewussten Willen und der intelligiblen Vorstellung überhaupt zu überbrücken? Fragen über Fragen, die in diesen gut 80 Minuten musikalisch gestellt und, weiß Gott, nicht befriedigend beantwortet werden. Mahler selbst spricht vom „Röhren der Natur“, „vom Kampf ums Dasein“ und davon, dass die Wege des Menschen vom „brutalen Lebensstrudel“ gesäumt werden.
Thomas Guggeis (Foto: Sophia Hegewald) |
Wechselspiel der Gefühle und Stimmungen
So beginnt
der Erste Satz mit einem beklemmenden Adagio, von den Hörnern und
dem Tenorhorn dominiert. Tatsächlich in der Sonatenhauptsatzform mit
Exposition, Durchführung und Reprise geschrieben, unterteilt sich der Satz in
sehr unterschiedliche Abschnitte. Mal liedhaft, mal in martialischem Marsch-Duktus,
mal in heftigen Dissonanzen und dann wieder in ätherisch entrückten H-Dur
Glissandi. Fast 22 Minuten ein Wechselspiel der Gefühle. Thomas Guggeis lebt
diese Musik. Er ist Ausdruck dieser Stimmung und versteht es körperlich wie
dirigistisch, seinen inneren Zustand auf das Orchester zu übertragen. War es in
der Uraufführung von Ronchetti noch eine Art Verschwörung mit den Musikerinnen
und Musikern, so ist es jetzt seine geistige Übereinstimmung mit Mahlers
Komposition.
Die folgende
Nachtmusik verdeutlicht dies einmal mehr. Sie beginnt mit einem Dialog
zwischen erstem und drittem Horn. Eine Art Weckruf für den einsamen Wanderer.
Oft ist man an Hector Berlioz´ Symphony fantastique oder auch an die
wunderbaren Serenaden Peter Tschaikowskis erinnert. Eine Nachtmusik so
gar nicht unheimlich oder enigmatisch. Man hört die Vöglein zwitschern aber
auch die bizarren Melodien der Walzer und Mazurkas. Reich an bildhaften
Assoziationen von Rembrandt bis Spitzweg. Mahler wird hier dem Lied von der
Nacht vollauf gerecht.
Tanz der
Waldgeister
Das
nachfolgende Scherzo, schattenhaft soll es sein, spukhaft und
unheimlich, erweist sich doch alsbald mit seinen ostinaten Pizzikati, schnellen
Streichertriolen und trennenden Paukenschlägen als ein Tanz der Waldgeister.
Auch kommt unweigerlich die Geschichte des Goethe´schen Zauberlehrlings in den Sinn,
wenn sich die schräge, verzerrte Melodiebildung bis zum Grotesken verschärft.
Der Vierte
Satz, die zweite Nachtmusik, ein Andante amoroso, kommt eher
humorvoll daher, kleines Orchester, bereichert durch Gitarre und Mandoline
tragen zum romantischen Genre bei. Man könnte an eine Salonmusik der besseren
Gesellschaft denken. Ein leichtes Divertimento mit gehobenen Gesprächen der
geladenen Gäste.
Per
aspera ad astra
Triumphal dagegen das Finale, ein Rondo, das per aspera ad astra führt. Vom Dunklen ins Helle, vom Grauen zum Hell-bunten. Mahler lehnt sich hier an Wagners Ouvertüre zu seinen Meistersingern an, ohne allerdings dessen Pathos zu teilen. Hier klingt das jubelnde Refrain Thema, das allein achtmal wiederholt wird, eher schrill, laut und überzogen. Die Couplets dagegen sind tänzerisch, marschähnlich bis martialisch, aber auch liedhaft und lyrisch. Die Schlussstretta nimmt die Thematik des ersten Satzes wieder auf, so als ob jetzt der Kreis der Nacht geschlossen wird. Wir geraten zunehmend in einen phantasmagorischen Zustand. Alles scheint überhöht, Überhell, Überklar, ohne aber visionär oder gar befreiend zu wirken. Man fühlt sich eher erschöpft, eher, wie bereits gesagt, "zu Tode gefeiert".
Thomas Guggeis (Foto: Sophia Hegewald) |
Ein
Glücksgriff für die Frankfurter Musik- und Opernszene
Thomas Guggeis versteht es kongenial, diesen Zustand
zu zelebrieren. Völlig erschöpft erklingt der fast bösartige Schlussakkord, der
Saal erbebt und man braucht einige Zeit, wieder zu sich zu kommen. Ein Mahler
wie aus einem Guss: zerrissen, fragmentiert, collagiert und dennoch ein
logisches und musikalisches Ganzes. Guggeis ist ein absoluter Glücksgriff für
das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, ein mehr als hundertprozentiger
Ersatz für seinen Vorgänger Sebastian Weigle und ein Hoffnungsträger für die
Frankfurter Musik-, Opern- und Kultur-Szene. Man darf gespannt sein.
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