Sonntag, 24. September 2023

Abschlusskonzerte IEMA 2022/23, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK), 23.09.2023

IEMA-Ensemble 2022/23 (Foto: Ensemble Modern Website)

Großartige Werke von renommierten Komponisten

Es ist das letzte der insgesamt drei Abschlusskonzerte im kleinen Saal der HfMDK von Protagonisten des Masterstudiengangs Internationale Ensemble Modern Akademie kurz: IEMA.

Elf Musikerinnen und Musiker (ohne Gäste) interpretieren unter der Leitung von Xizi Wang und der Klangregie von Tim Abramczik neueste Musik von zeitgenössischen Komponisten und schließen damit ihre zweijährige Ausbildung ab. Am Abschlussabend standen fünf Kompositionen von renommierten wie von zeitgenössischen Komponisten auf dem Programm, Werke von Kaija Saariaho (1952-2023), Helmut Lachenmann (*1935), Yann Robin (*1974), Francisco Dominguez (*1993) sowie Friedrich Goldmann (1941-2009).

Kaija Saariaho (Foto: M. Kytöharju)

Kaija Saariaho wird nicht schweigen

Das Konzert beginnt mit einer Schweigeminute im Gedenken an die erst kürzlich verstorbene und an der Hochschule wie auch im Rhein Main Gebiet äußerst beliebte Kaija Saariaho. Man spielt von ihr Lichtbogen für neun Musiker und live Elektronik (1986). Sie selbst führt die Idee dieses 16-minütigen Werks auf das Nordlicht zurück, die großartigen flirrenden Lichter am dunklen Himmel ihrer finnischen Heimat. Es ist einer ihrer wenigen Werke mit Computereinspielungen. Aber, das sei vorweggenommen, wüsste man es nicht, man würde es nicht oder zumindest kaum heraushören.

Tatsächlich beginnt die Komposition mit einem langen Unisono der Instrumente auf dem eingestrichenen Fis, fortgesetzt mit langsam sich entwickelnden Schwingungen und leichten Verschiebungen der Tonstrukturen. Ein kleines Flötensolo schafft Abwechslung und leichte Skalierungen wie chromatische Ab- und Aufwärtsbewegungen, alles im piano Bereich, lassen Lichtspektren erahnen. Alles scheint in völliger Harmonie vonstatten zu gehen, kongenial unterstützt von einem Computer gestützten Harmonizer, und mit leichtem Hall sphärisch in lichte Höhen gehoben. Dazu ein Glockenspiel und einem unvermittelten finalem Aufbruch ins Forte mit heftigem Zupfen der Streicher. Die Erinnerung an die irdische Realität? Jedenfalls spricht die Flötistin Phöbe Bognár in ihr Instrument, eindringlich und mit tiefer Emotion, bevor das Stück langsam vergeht. Großes Lob an die Instrumentalisten und besonders an die genannte Flötistin.

Helmut Lachenmann (Foto: Jörg Carstensen)

Der strukturelle Lachenmann

Helmut Lachenmanns Trio fluido (1966) gehört noch in die Vor-musique-concrète-instrumentale Schaffensphase des Komponisten. Hier versucht er über die Kombination Viola (Miho Kawai), Kontrabass Klarinette (Drew Gilchrist) und Perkussion (Ying-Cheng Chuang) den Widerspruch des strukturellen Musizierens, wie er selbst sagt, zu überwinden. Lachenmann geht es hier um die Materialwahrnehmung der sehr unterschiedlichen Instrumente und die daraus extrapolierte musikalische Expressivität.

Real hatte man den Eindruck eines Versuchs, die gewaltigen materialen Differenzen zwischen punktueller, isolierter und verflüssigter, sinfonischer Gegensätze zusammenzuführen. Ein insgesamt sehr gelungener Versuch von spannungsgeladener Dichte und höchster Klangqualität. Besonders die Perkussionistin Ying-Cheng Chuang war extrem gefordert und bewältigte ihren Part mit tänzerischer Eleganz und souveräner Übersicht. Aber auch die beiden Mitstreiter glänzten durch Virtuosität und übersichtliche Klangreflexion.

Yann Robin (Foto: Jean Radel)

Sechs anstrengende Minuten

Mit einem kurzen Trio Chants contre Champs (2005) für Englisch Horn, Kontrabass-Klarinette und Posaune, ebenfalls eine eigenwillige Zusammensetzung, macht der noch junge Franzose Yann Robin (*1974) auf sich aufmerksam. Sechs Minuten können sehr anstrengend sein, das konnte man aus den Gesichtern der drei Interpreten, Drew Gilchrist, Kontrabass Klarinette, Michael Martinez, Posaune, Jean Degos, Englisch Horn, unschwer herauslesen. Dieses Stück will die Resonanzmöglichkeiten der Instrumente ausloten, irgendwie ihre spektralen Möglichkeiten erkunden. Auch die menschlichen Stimmen kommen zu ihrem Recht und werden instrumental verwoben. Ein äußerst lebendiges und spannungsgeladenes Unterfangen, was die drei Akteure exzellent meisterten.

Francisco Dominguez (Foto: Website)

Eine Deklamation mit perfektem Accompagnato

Der Spanier Francisco Dominguez präsentierte als jüngster der Komponisten, mit gerade einmal 30 Jahren, und selbst anwesend an diesem Abend sein Werk iAy! (2023) für elf Instrumentalisten. Warum Ay? Ganz einfach. Es basiert auf dem gleichnamigen Gedicht von Miguel Hernández (1910-1942) und drei Liedern des Flamencosängers Manuel Mairena (1934-2013). Ay bedeutet, so der Komponist in seiner musikalischen Beschreibung, entweder „tiefer Gesang“, „die Klage eines Flamenco Sängers“, „Seufzer“ oder einfach „traurige Klage“.

Das zehn minütige Stück ist dreigeteilt. Es beginnt mit einer erregten Bläser Sequenz, begleitet vom lautlosen Streichen der Violinen. Alles klingt wie ein erregter Dschungel-Betrieb: sehr perkussiv, Glissandi-Passagen und langen ostinaten Repetitionen. Eine Fermate lässt den Komponisten und Sprecher auf der Bühne erscheinen. Er deklamiert zwischen Gesang und Sprechen den Text aus Hernández´ Gedicht Ay und wird dabei nahezu synchron vom Ensemble gestützt wie auch musikalisch ergänzt. Ein perfektes Accompagnato mit starken Pointen und großer Expressivität. Ein sehr gelungener interpretatorischer Auftritt, ein bisschen Pierrot Lunaire? Zumindest hätte Arnold Schoenberg seine Freude daran gehabt.

Friedrich Goldmann (Foto: Astrid Karger)

Absolute Musik

Den krönenden Abschluss bot Friedrich Goldmann mit seinem Ensemblekonzert Nr.2 (1985/86). Hier halfen fünf Gäste aus, denn es ist für 16 Instrumente geschrieben.

Friedrich Goldmann, ein echter DDRler, war immer ein gern gesehener Gast bei den Darmstädter Ferienkursen wie in Frankfurt überhaupt. Sein Oeuvre umfasst mehr als 200 Werke aller Couleur, ausgenommen Opern. Sein Ensemblekonzert Nr.2. gehört in seine wohl letzte Schaffensphase, in der er das absolute Komponieren, das heißt den Eigengesetzen der Musik ohne außermusikalische Bezüge, bevorzugte und einer Polystilistik wie einer Chromatik sowie einer Mikrotonalität folgte.

All das findet sich in dieser Komposition wieder. Es beginnt mit einer langen unisono Passage von Posaune, Viola, Flöte und Streicher. Dann fächert sich das Ganze mikrotonal auf. Lange Flächen beherrschen das Geschehen. Ein plötzlicher Weckruf, fast fanfarenhaft, öffnet das Ohr für einen neuen Teil. Er ist homophon angelegt, neigt zur Wildheit, zum Martialischen und wechselt abrupt in ein melodisches, harmonisches Zwischenspiel: ein Wunschkonzert? Es wird sogar witzig, jazzig mit synkopischen Raffinessen und chromatischen Einschüben. Dann wieder Fermate, ein strukturelles Merkmal dieser Komposition überhaupt.

Es folgen kurze solistische Auftritte von Oboe, Klarinette, Trompete und Flöte, um dann in einem Unisono-Tutti in Wehmut und mit einem Seufzer langsam zu vergehen.

Xizi Wang, Dirigentin (Foto: Website)

Hervorragende Dirigentin mit wunderbaren Interpreten

Ein spannungsgeladenes Werk von absoluter Musik. Oder auch nicht, wer weiß? Jedenfalls herausragend interpretiert und von der das IEMA-Ensemble begleitenden Dirigentin Xizi Wang hervorragend geführt.

 

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