Kronberg Festival vom 21.09. – 03.10.2023
Klingende Bilder, Gidon Kremer (Violine) und die Kremerata Baltica im Casals Forum, Großer Saal, Kronberg, 28.09.2023 (eine Veranstaltung der Kronberg Academy)
Gidon Kremer (Foto: picture alliance/dpa) |
Ein
Potpourri durch die Welt der Musik
Es sollte ein sehr langer Abend werden mit Uraufführungen, Arrangements und bekannten Ohrwürmern. Ein Potpourri durch die Welt der Musik der letzten 200 Jahre. Das Motto der Klingenden Bilder trifft hier nur teilweise zu (abgesehen von der Bearbeitung von Mussorgskys Bilder einer Ausstellung). Vielmehr spiegelte die Veranstaltung eher ein Kaleidoskop der von Gidon Kremer 1997 gegründeten Kremerata Baltica, die an diesem Abend versuchte, die gesamte Bandbreite ihres Repertoires vorzustellen, was leider der Qualität des Konzerts nicht besonders guttat. Aber dazu später.
Kremerata Baltica (Foto: CRR Concert Hall) |
Für Pablo
Casals
Man begann
mit Victor Kissines (*1953) kurzem Premiere Stückchen „Für Pablo“ für
Violine, Klavier und Violoncello (2023). Eigentlich ein Duett für Violine (Gidon
Kremer) und Klavier (Georgijs Osokins), aber mit einer wunderschönen
Einleitungskantilene des Violoncellos (Magdalena Ceple). Eine
Reminiszenz an Pablo Casals Lieblingsstück El Cant dels Ocells (der
Gesang der Vögel). Ein wunderschöner einleitender Vortrag mit viel Seele und
musikalischer Hingabe. Warum allerdings Gidon Kremer (*1947) ein schwarz-weißes
Wams trug, im Stil einer priesterlichen Soutane, wird wohl sein ureigenes
Geheimnis bleiben.
Klassik
und Romantik im Kontrast
Josef
Haydn (1732-1809)
schrieb sein Doppelkonzert in F-Dur Hob XVIII:6 im Jahre 1765. Ein dreiteiliges
galantes Konzert, das vor allem durch seinen Schlusssatz auffällt. Eine
Tanzsuite im Dreiviertel Takt, die 20 Jahre später, fast identisch, von Wolfgang
Amadeus Mozart in seinem Finalsatz der Kleinen Nachtmusik übernommen wurde. Gidon
Kremer und sein Gegenpart Georgijs Osokins spielten sich gekonnt die
Bälle zu, was für sie offensichtlich ein Leichtes gewesen ist.
Mit Franz Schuberts (1797-1828) Rondo A-Dur, ein Frühwerk des erst 19-Jährigen, stellte sich eine Violinistin der Sonderklasse vor. Die Neuseeländerin Geneva Lewis (*1998) machte aus dem Ohrwurm im Walzerrhythmus ein echtes Hörerlebnis. Tief romantisch mit ausgefeiltem Vibrato, kräftigem Strich und einer tänzerischen Note begeisterte sie das Publikum im vollbesetzten Großen Saal des Casals-Forums und musste dreimal auf der Bühne erscheinen. Eine Zugabe lag in der Luft.
Geneva Lewis (Foto: Capital Region Classical) |
Verblüffende
Schlichtheit
Ganz im
Gegensatz dazu Mieczyslaw Weinbergs (1919-1996) Nocturne für
Violine und Klavier (vermutlich aus den 1930er Jahren), hier für Ensemble und
Violine von Andrei Pushkarev arrangiert, ein kanonisch angelegtes Kinderlied
von verblüffender Schlichtheit. Gidon Kremer, der die leisen Töne liebt,
ist hierfür wohl die beste Interpretation des Abends gelungen.
Geräuschvolles
Ungefähre
Mit den zwei letzten Bildern (IX und X) aus Modest Mussorgskys (1839-1881) Bilder einer Ausstellung (1874), arrangiert für Streichorchester von Jaques Cohen, versuchte die Kremerata Baltica mit einem großen Perkussionsapparat einen neuen Weg der Orchesterfassung zu gehen. Sehr engagiert mit viel Fortissimo und sehr lautem Getöse von Pauken, Militärtrommel, Holz-Klapper, Klangröhren und sonstigen diversen Krachmachern, die allerdings das Dilemma der doch naturgemäß schwachen Streicher nicht ersetzt konnten. Man hörte eigentlich dominant die Perkussion, die Streicher blieben dagegen wie summende Insektenschwärme im Hintergrund. Die Hexe Baba-Jaga und das Tor von Kiew verschwanden ein wenig im geräuschvollen Ungefähren. Dem Publikum allerdings gefiel es.
Nobuko Imai (Foto: Kronberg Festival) |
Nobuko
Imai verleiht Flügel
Nach einer sehr langen Pause folgte der Monolog für Viola und Streicher (1988?) von Alfred Schnittke (1934-1998). Die legendäre Nobuko Imai (*1943) übernahm den Solopart auf der Bratsche. Zuvor allerdings wurde sie noch von Verantwortlichen der Kronberg Academy (Raimund Trenkler und Friedemann Eichhorn) für ihre langjährige Tätigkeit am Institut (seit 2007) geehrt und ein Förderprogramm in ihrem Namen ausgesetzt. Nobuko Imai hat die Entwicklung des Festivals Kronberg entscheidend mitgeprägt und gilt als Ikone und Energieträger dieser Veranstaltung.
„Nobuko verleiht Flügel“, mit diesem Schlusswort übergab
man ihr das Zepter für den Monolog. Der aber hatte es in sich. Schnittke
schrieb ihn in einer sehr schwierigen persönlichen Phase. Er selbst war krank
und die Sowjetunion löste sich gerade auf. Das Stück wechselt zwischen tiefer
Depression und heftigster Aggression. Mal liebevoll, dann wieder gewalttätig.
Ein Psychothriller, den die in weiß gekleidete, fragile Dame und Künstlerin in
unglaublicher Dichte und Kraft zum Ausdruck brachte. Hier passte alles. Auch
die Verbindung zwischen solistischem und orchestralem Part, wobei letzterer
sich im Wesentlichen auf einen Teppich im Hintergrund reduzierte, das aber
eindringlich und mit tief unter die Haut gehenden farbenreichen Clustern.
Hans
Dampf in allen Gassen
Das Finale - die Zeit war bereits fortgeschritten - sollte von einem Auftragswerk der Kronberg Academy gestaltet werden. Drei Stücke: Anyone with a Heart, Freedom und Zuerst Mensch von dem Entertainer, Pianisten, Komponisten und Hans Dampf in allen Gassen, Iiro Rantala (*1970). Wer aber ist Rantala? Der Finne scheint überall zu Hause zu sein, in der Klassik, im Pop, im Jazz und wo sonst noch. Auch liebt er nach eigenen Aussagen Melodien, Harmonien und Emotionen. Der Schalk sitzt ihm im Nacken und mit Witz, Charme und Humor beglückt er sein Publikum. Auch ist er sich nicht zu schade Konzerte und Opern zu komponieren und Gershwin ist wohl der letzte Schrei seines Programms.
Iiro Rantala (Foto: Crescendo Redaktion) |
Entertainment
ist alles
Die drei genannten Stücke leitete der in Sträflingskleidung auftretende Künstler (man ist an Cilly Gonzales erinnert, der in Schlappen und Morgenrock auftritt) mit einer Telenovela reifen Einleitung ein, und kredenzte zunächst schlichte Unterhaltungsmusik, untermalt natürlich von der Kremerata Baltica.
Freedom wiederum sollte seine improvisatorischen Fähigkeiten beweisen, die er
gemeinsam mit dem ersten Geiger der Kremerata, Džeraldas Bidva, absolvierte. Ziemlich dünn, wenn
man ehrlich ist. Endlich menschelte es mit Zuerst Mensch. Ein "Final-Quatsch",
den er selbst so nannte. Eine Persiflage auf die Romantik, mit übertriebener
Gefühligkeit, dann viel klischeehaften Quintfällen im Stil von Chopin und - mit
Abstrichen - Rachmaninow. Pathos pur, der noch von Jazz-Synkopen
durchbrochen wurde. Das Orchester hatte seinen Spaß, wohl auch das Publikum.
Denn es johlte und schien aus tiefem Schlaf erwacht zu sein, obwohl die Uhr
kurz vor 23 stand.
Nach so viel Ernst, Auszeichnung und glänzenden Kompositionen, allen voran die von Victor Kissine, Franz Schubert, Mieczyslaw Weinberg und Alfred Schnittke – dann dieser Abschluss? Ein Kulturschock ersten Ranges. Da hat sich der Programmgestalter aber völlig verhoben. Schade. Von „klingenden Bildern“ ganz zu schweigen. Bei aller Liebe: Iiro Rantala hätte einen eigenen Abend verdient gehabt.
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