Freitag, 29. September 2023

Kronberg Festival vom 21.09. – 03.10.2023

Klingende Bilder, Gidon Kremer (Violine) und die Kremerata Baltica im Casals Forum, Großer Saal, Kronberg, 28.09.2023 (eine Veranstaltung der Kronberg Academy)

Gidon Kremer (Foto: picture alliance/dpa)

Ein Potpourri durch die Welt der Musik

Es sollte ein sehr langer Abend werden mit Uraufführungen, Arrangements und bekannten Ohrwürmern. Ein Potpourri durch die Welt der Musik der letzten 200 Jahre. Das Motto der Klingenden Bilder trifft hier nur teilweise zu (abgesehen von der Bearbeitung von Mussorgskys Bilder einer Ausstellung). Vielmehr spiegelte die Veranstaltung eher ein Kaleidoskop der von Gidon Kremer 1997 gegründeten Kremerata Baltica, die an diesem Abend versuchte, die gesamte Bandbreite ihres Repertoires vorzustellen, was leider der Qualität des Konzerts nicht besonders guttat. Aber dazu später.

Kremerata Baltica (Foto: CRR Concert Hall)

Für Pablo Casals

Man begann mit Victor Kissines (*1953) kurzem Premiere Stückchen „Für Pablo“ für Violine, Klavier und Violoncello (2023). Eigentlich ein Duett für Violine (Gidon Kremer) und Klavier (Georgijs Osokins), aber mit einer wunderschönen Einleitungskantilene des Violoncellos (Magdalena Ceple). Eine Reminiszenz an Pablo Casals Lieblingsstück El Cant dels Ocells (der Gesang der Vögel). Ein wunderschöner einleitender Vortrag mit viel Seele und musikalischer Hingabe. Warum allerdings Gidon Kremer (*1947) ein schwarz-weißes Wams trug, im Stil einer priesterlichen Soutane, wird wohl sein ureigenes Geheimnis bleiben.

 

Klassik und Romantik im Kontrast

Josef Haydn (1732-1809) schrieb sein Doppelkonzert in F-Dur Hob XVIII:6 im Jahre 1765. Ein dreiteiliges galantes Konzert, das vor allem durch seinen Schlusssatz auffällt. Eine Tanzsuite im Dreiviertel Takt, die 20 Jahre später, fast identisch, von Wolfgang Amadeus Mozart in seinem Finalsatz der Kleinen Nachtmusik übernommen wurde. Gidon Kremer und sein Gegenpart Georgijs Osokins spielten sich gekonnt die Bälle zu, was für sie offensichtlich ein Leichtes gewesen ist.

Mit Franz Schuberts (1797-1828) Rondo A-Dur, ein Frühwerk des erst 19-Jährigen, stellte sich eine Violinistin der Sonderklasse vor. Die Neuseeländerin Geneva Lewis (*1998) machte aus dem Ohrwurm im Walzerrhythmus ein echtes Hörerlebnis. Tief romantisch mit ausgefeiltem Vibrato, kräftigem Strich und einer tänzerischen Note begeisterte sie das Publikum im vollbesetzten Großen Saal des Casals-Forums und musste dreimal auf der Bühne erscheinen. Eine Zugabe lag in der Luft.

Geneva Lewis (Foto: Capital Region Classical)

Verblüffende Schlichtheit

Ganz im Gegensatz dazu Mieczyslaw Weinbergs (1919-1996) Nocturne für Violine und Klavier (vermutlich aus den 1930er Jahren), hier für Ensemble und Violine von Andrei Pushkarev arrangiert, ein kanonisch angelegtes Kinderlied von verblüffender Schlichtheit. Gidon Kremer, der die leisen Töne liebt, ist hierfür wohl die beste Interpretation des Abends gelungen.

 

Geräuschvolles Ungefähre

Mit den zwei letzten Bildern (IX und X) aus Modest Mussorgskys (1839-1881) Bilder einer Ausstellung (1874), arrangiert für Streichorchester von Jaques Cohen, versuchte die Kremerata Baltica mit einem großen Perkussionsapparat einen neuen Weg der Orchesterfassung zu gehen. Sehr engagiert mit viel Fortissimo und sehr lautem Getöse von Pauken, Militärtrommel, Holz-Klapper, Klangröhren und sonstigen diversen Krachmachern, die allerdings das Dilemma der doch naturgemäß schwachen Streicher nicht ersetzt konnten. Man hörte eigentlich dominant die Perkussion, die Streicher blieben dagegen wie summende Insektenschwärme im Hintergrund. Die Hexe Baba-Jaga und das Tor von Kiew verschwanden ein wenig im geräuschvollen Ungefähren. Dem Publikum allerdings gefiel es.

Nobuko Imai (Foto: Kronberg Festival)

Nobuko Imai verleiht Flügel

Nach einer sehr langen Pause folgte der Monolog für Viola und Streicher (1988?) von Alfred Schnittke (1934-1998). Die legendäre Nobuko Imai (*1943) übernahm den Solopart auf der Bratsche. Zuvor allerdings wurde sie noch von Verantwortlichen der Kronberg Academy (Raimund Trenkler und Friedemann Eichhorn) für ihre langjährige Tätigkeit am Institut (seit 2007) geehrt und ein Förderprogramm in ihrem Namen ausgesetzt. Nobuko Imai hat die Entwicklung des Festivals Kronberg entscheidend mitgeprägt und gilt als Ikone und Energieträger dieser Veranstaltung. 

„Nobuko verleiht Flügel“, mit diesem Schlusswort übergab man ihr das Zepter für den Monolog. Der aber hatte es in sich. Schnittke schrieb ihn in einer sehr schwierigen persönlichen Phase. Er selbst war krank und die Sowjetunion löste sich gerade auf. Das Stück wechselt zwischen tiefer Depression und heftigster Aggression. Mal liebevoll, dann wieder gewalttätig. Ein Psychothriller, den die in weiß gekleidete, fragile Dame und Künstlerin in unglaublicher Dichte und Kraft zum Ausdruck brachte. Hier passte alles. Auch die Verbindung zwischen solistischem und orchestralem Part, wobei letzterer sich im Wesentlichen auf einen Teppich im Hintergrund reduzierte, das aber eindringlich und mit tief unter die Haut gehenden farbenreichen Clustern.

 

Hans Dampf in allen Gassen

Das Finale - die Zeit war bereits fortgeschritten - sollte von einem Auftragswerk der Kronberg Academy gestaltet werden. Drei Stücke: Anyone with a Heart, Freedom und Zuerst Mensch von dem Entertainer, Pianisten, Komponisten und Hans Dampf in allen Gassen, Iiro Rantala (*1970). Wer aber ist Rantala? Der Finne scheint überall zu Hause zu sein, in der Klassik, im Pop, im Jazz und wo sonst noch. Auch liebt er nach eigenen Aussagen Melodien, Harmonien und Emotionen. Der Schalk sitzt ihm im Nacken und mit Witz, Charme und Humor beglückt er sein Publikum. Auch ist er sich nicht zu schade Konzerte und Opern zu komponieren und Gershwin ist wohl der letzte Schrei seines Programms.

Iiro Rantala (Foto: Crescendo Redaktion)

Entertainment ist alles

Die drei genannten Stücke leitete der in Sträflingskleidung auftretende Künstler (man ist an Cilly Gonzales erinnert, der in Schlappen und Morgenrock auftritt) mit einer Telenovela reifen Einleitung ein, und kredenzte zunächst schlichte Unterhaltungsmusik, untermalt natürlich von der Kremerata Baltica

Freedom wiederum sollte seine improvisatorischen Fähigkeiten beweisen, die er gemeinsam mit dem ersten Geiger der Kremerata, Džeraldas Bidva, absolvierte. Ziemlich dünn, wenn man ehrlich ist. Endlich menschelte es mit Zuerst Mensch. Ein "Final-Quatsch", den er selbst so nannte. Eine Persiflage auf die Romantik, mit übertriebener Gefühligkeit, dann viel klischeehaften Quintfällen im Stil von Chopin und - mit Abstrichen - Rachmaninow. Pathos pur, der noch von Jazz-Synkopen durchbrochen wurde. Das Orchester hatte seinen Spaß, wohl auch das Publikum. Denn es johlte und schien aus tiefem Schlaf erwacht zu sein, obwohl die Uhr kurz vor 23 stand.

Nach so viel Ernst, Auszeichnung und glänzenden Kompositionen, allen voran die von Victor Kissine, Franz Schubert, Mieczyslaw Weinberg und Alfred Schnittke – dann dieser Abschluss? Ein Kulturschock ersten Ranges. Da hat sich der Programmgestalter aber völlig verhoben. Schade. Von „klingenden Bildern“ ganz zu schweigen. Bei aller Liebe: Iiro Rantala hätte einen eigenen Abend verdient gehabt.

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