Freitag, 13. Oktober 2023

Das Aris Quartett und Eliot Quartett spielen Streichoktette von George Enescu (1889-1955) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), Alte Oper Frankfurt, 12.10.2023 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e. V.)

Eliot Quartett: v. l.: Dmitry Hahalin, Maryana Osipova, Michael Preuss, Alexander Sachs
(Foto: Website, kaupokikas)

Frankfurt die Basis ihres Erfolgs

Das Aris- und das Eliot-Quartett gehören quasi zur Frankfurter Musik- und Kulturfamilie. Hier studierten sie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK), gründeten sich 2009 bzw. 2014, von hier aus entwickelte sich ihre Karriere und Frankfurt ist quasi die Basis ihres mittlerweile internationalen Erfolgs.

Aris Quartett: v. l.: Anna Katharina Wildermuth, Caspar Vinzens, Noémi Zipperling, Lukas Sieber
(Foto: Website Aris Quartett)  

Sie fühlen sich wie auf einem Hauskonzert

Man könnte ihr Auftreten in der Alten Oper Frankfurt mit den Sonntagskonzerten der Familie Mendelssohn in der Berliner Leipziger Straße 3 vergleichen. Dort, wo heute der Deutsche Bundesrat tagt, hatte im 19. Jahrhundert die Bankers Familie Mendelssohn ihr Anwesen. Hier traf sich allwöchentlich die Crème de la Crème, darunter Alexander von Humboldt, Georg Friedrich Hegel, Friedrich Schleiermacher oder E.T.A. Hoffmann, und alle zwei Wochen, an den Sonntagnachmittagen, veranstaltete man ein öffentliches Konzert, was über die Grenzen Berlins heraus bekannt war und gerne besucht wurde. Hier übrigens konnte der 16-jährige Felix sein erstes und einziges Streich-Oktett 1825 zur Uraufführung bringen.  

Ein Mitglied des Aris Quartetts betonte in diesem Sinne auch, dass ihre Auftritte in Frankfurt sich wie Hauskonzerte anfühlten. An diesem Ort, vor diesem Publikum spielten sie mit größtem Vergnügen. Die Alte Oper sei das Refugium ihrer Kraftschöpfung.

 

Die größte musikalische Erscheinung seit Mozart

Erstmals wagten sich beide Quartette an die wohl einzigen, zumindest berühmtesten Streichoktette der Neuzeit. Das von George Enescu (1889-1955) in C-Dur, op.7 (1900/1909) und das von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) in Es-Dur op. 20 (1825).

Enescu, von dem Pablo Casals einmal sagte, er sei „die größte musikalische Erscheinung seit Mozart“, gehört tatsächlich, wie übrigens Felix Mendelssohn auch, zu den genialen Ausnahmeerscheinungen in der Musikwelt des 19./20. Jahrhunderts. Vielseitig talentiert als Violinvirtuose, Musikwissenschaftler, Dirigent und Pädagoge, ist sein kompositorisches Oeuvre zwar schmal, dafür aber einzigartig. Sein Streichoktett gehört dazu. Im Jahre 1900 fertiggestellt kam es erst neun Jahre später zur Uraufführung, vor allem auch deshalb, weil es sehr ausgedehnt, opulent, ja orchestral ausfiel und für viele Streicher kaum spielbar erschien. Es sei „zu riskant“, meinte der Dirigent und Impresario Édouard Colonne (1838-1910), und strich es einfach aus seinem Programm.


Bahnbrechende Klangsprache

Enescus Klangsprache changiert zwischen rumänischer Volksmusik, orthodoxer Kirchenmusik und weitestgehender Kontrapunktik. Vieles erinnert an Béla Bartók, aber auch Claude Debussy, Maurice Ravel, also die französischen Impressionisten, sind durchaus heraushörbar. Nicht zu vergessen seine Anlehnung an Formvorstellungen von Franz Liszt und César Franck.

Dieses fast 40-minütige Werk besteht zwar formal aus vier Sätzen, ist aber so zusammengeschweißt, dass eine einzige Monumentalform entsteht. Enescu nennt sie „Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit“. Das heißt, der erste Satz, Très modéré, fungiert quasi als Exposition, das Finale, Mouvement de valse bien rhythmée, als Reprise, dazwischen die beiden Sätze, Très fougeux und Lentement, als Durchführung. Ob die h-Moll Sonate Franz Liszts oder César Francks Klavierquintett Pate gestanden haben, sei dahingestellt. Enescu betrachtete dieses Werk jedenfalls als Zyklus, in dem die einzelnen Sätze ineinander übergehen, so dass ein einziger Sinfoniesatz übrigbleibt. Auch besteht dieses Werk aus insgesamt neun Themen, von denen allein im ersten Satz, der Exposition, sechs vorgestellt werden.

v. l.: Wildermuth, Schumann (statt: Zipperling), Osipova, Sachs, Vinzens, Hahalin, Sieber, Preuss
Foto: H.boscaiolo

Eine Abstimmung wie aus einem Guss

Das Oktett, es spielte erfreulicherweise im Stehen, verstand es sofort, das Publikum mitzunehmen. Gleich zu Beginn ein majestätisches Unisono, unterfüttert durch Tremoli der Celli. Dann folgen Themenblöcke der Bratsche und der ersten Geige. An dieser Stelle sei festgestellt, dass zunächst das Eliot Quartett im Vordergrund stand. Man hatte sich in die erste und zweite Geige aufgeteilt, also Eliot mit Maryana Osipova und Alexander Sachs, dann Aris mit Anna Katharina Wildermuth und Ken Schumann (er ersetzte Noémi Zipperling, die wegen einer Schulterverletzung absagen musste), es folgten Dmitry Hahalin und Caspar Vinzens an den Violen und Michael Preuss sowie Lukas Sieber an den Violoncelli.

Auffallend die gute Abstimmung wie aus einem Guss, die ausgefeilte Dynamik (großartiges Pianissimo und sehr kraftvolles Dreifach Forte) und die gut funktionierende Kommunikation, was den sinfonischen Charakter dieses Werkes unterstrich. Hier waren alle Ebenen der Expressivität gefordert. Mal seufzender Trauergesang im Lentement und Steigerung zur hoffnungsvollen Fröhlichkeit. Dann im Finale eine extreme Persiflage auf den Walzer (Ravel könnte sich seine La valse Idee hier stibitzt haben), ein Auseinandernehmen des Dreiviertel Takts. Hier konnten die beiden Cellisten ihre Meisterschaft voll zur Geltung bringen. Eine ausgedehnte Coda mit Rekapitulation auf das ersten Seitenthema der Exposition, lässt noch einmal die Emotionen zum Zerplatzen bringen. Mit fast brutaler Intensität endet dieses gewaltig schöne Oktett. Ein Jahrhundertwerk ohne Frage.

v. l.: Osipova, Sachs, Wildermuth, Schumann, Hahalin, Vinzens, Preuss, Sieber
Foto: H.boscaiolo

Mehr solistische Schwerpunktsetzung

Ganz im Gegensatz dazu das ebenso geniale Werk Felix Mendelssohns Bartholdys. Wie bereits gesagt schrieb er es als 16-jähriger pubertierender Adoleszent für seinen Freund und brillanten Geigenvirtuosen Eduard Rietz (1803-1832). Uraufgeführt wurde es im Sommer 1825 auf dem besagten Anwesen der Mendelssohns, publizierte es aber erst nach dem Tode seines Freundes, dem er das Werk auch widmete.

Worin unterscheiden sich beide Werke? Der Unterschied liegt vor allem in der solistischen Schwerpunktsetzung, die im Wesentlichen durch die Begleitung der übrigen Instrumente besteht. Also weniger Sinfonie, sondern mehr Konzert? Nein, das kann man auch nicht sagen, denn Mendelssohn selbst forderte von diesem Oktett, dass es „im Style eines symphonischen Orchesters gespielt werden“ muss. Dennoch verlangen die virtuosen und solistischen Anforderungen in diesem viersätzigen Werk höchste Präzision und technische Versiertheit. Die beiden Quartette hatten für dieses Oktett die Seiten gewechselt. Jetzt stand das Aris Quartett an erster Stelle, gefolgt vom Eliot Quartett.

So gibt bereits der erste Satz, Allegro moderato ma con fuoco, Zeugnis strahlender um nicht zu sagen überbordender Jugend ab. Ein Sonatensatz quicklebendig mit dramatischer Entladung in der Reprise und explosionsartiger Steigerung in der Coda. Hier brillierte die erste Geigerin Anna Katharina Wildermuth.

v. l.: Wildermuth, Schumann (statt: Zipperling), Osipova, Sachs, Vinzens, Hahalin, Sieber, Preuss
Foto: H.boscaiolo

Zwischen Schlager und Harakiri

Das fünftönige Thema des Andantes mit Schubertschem Lyrismus im 6/8-Takt könnte durchaus als moderner Schlager in die Charts aufgenommen werden, während das folgende Scherzo im Allegro leggierissimo ein Wolkenkuckucksheim öffnen könnte. Thematisch ist es aus der Walpurgisnacht Szene aus Goethes Faust I entnommen: „Luft und Laub und Wind im Ohr, und alles ist zerstoben.“ Und genau so soll es interpretiert werden. Im Pianissimo, die Geisterwelt der Hexen widerspiegelnd. Rasend schnell im Staccato und blitzenden Trillern. Hier sind die Violoncelli wie auch die Bratschen gefordert. Ihr Spiel grenzt an Harakiri, aber auch in diesem Grenzbereich verliert niemand seine Stellung.

Das abschließende Finale kann da nur noch das Perpetuum des Scherzos durch ein Fugato der Extraklasse kontern. Mendelssohn greift hier auf das Seitenthema des ersten Satzes zurück und konstruiert eine siebenstimmige Fuge von ungeheurer Schlagkraft mit orchestraler Wirkung. Jetzt werden noch einmal alle technischen Möglichkeiten der Instrumente voll ausgereizt und sogar Georg Friedrich Händels Halleluja aus seinem Messias musikalisch noch einmal bemüht.

Das Oktett kommt hier allerdings an seine Grenzen. Fast ein wenig übermotiviert müssen sie das gewaltige Gewimmel der Variationen zusammenhalten, was nicht immer souverän gelingt, aber dennoch zu einem doch noch glücklichen Abschluss führt.

 

„Man möchte einen Besenstil in die Hand nehmen“

Das Publikum fordert begeistert eine Zugabe, und die besteht aus dem besagten Scherzo aus der Walpurgisnacht. Die aber gelingt jetzt nahezu perfekt. Ein Scherzo, bei dem man, so formulierte es einstmals Fanny, die Schwester von Felix: „sich so nahe der Geisterwelt (fühlte), so leicht in die Lüfte gehoben, ja man möchte selbst einen Besenstil in die Hand nehmen, der luftigen Schar besser zu folgen. Am Schluss flattert die erste Geige federleicht auf – und alles ist zerstoben.“ Kein weiterer Kommentar dazu nötig. 

Ein außergewöhnlicher Premieren-Abend mit zwei selten gehörten Werken, brillant interpretiert von zwei Streichquartetten: Chapeau dem Aris Quartett und Eliot Quartett.

 

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