Das Aris Quartett und Eliot Quartett spielen Streichoktette von George Enescu (1889-1955) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), Alte Oper Frankfurt, 12.10.2023 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e. V.)
Eliot Quartett: v. l.: Dmitry Hahalin, Maryana Osipova, Michael Preuss, Alexander Sachs (Foto: Website, kaupokikas) |
Frankfurt
die Basis ihres Erfolgs
Das Aris- und das Eliot-Quartett gehören quasi zur Frankfurter Musik- und Kulturfamilie. Hier studierten sie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK), gründeten sich 2009 bzw. 2014, von hier aus entwickelte sich ihre Karriere und Frankfurt ist quasi die Basis ihres mittlerweile internationalen Erfolgs.
Aris Quartett: v. l.: Anna Katharina Wildermuth, Caspar Vinzens, Noémi Zipperling, Lukas Sieber (Foto: Website Aris Quartett) |
Sie fühlen
sich wie auf einem Hauskonzert
Man könnte ihr
Auftreten in der Alten Oper Frankfurt mit den Sonntagskonzerten der Familie
Mendelssohn in der Berliner Leipziger Straße 3 vergleichen. Dort, wo heute der
Deutsche Bundesrat tagt, hatte im 19. Jahrhundert die Bankers Familie Mendelssohn
ihr Anwesen. Hier traf sich allwöchentlich die Crème de la Crème, darunter
Alexander von Humboldt, Georg Friedrich Hegel, Friedrich Schleiermacher oder E.T.A.
Hoffmann, und alle zwei Wochen, an den Sonntagnachmittagen, veranstaltete man
ein öffentliches Konzert, was über die Grenzen Berlins heraus bekannt war und
gerne besucht wurde. Hier übrigens konnte der 16-jährige Felix sein erstes und
einziges Streich-Oktett 1825 zur Uraufführung bringen.
Ein Mitglied
des Aris Quartetts betonte in diesem Sinne auch, dass ihre Auftritte in
Frankfurt sich wie Hauskonzerte anfühlten. An diesem Ort, vor diesem Publikum
spielten sie mit größtem Vergnügen. Die Alte Oper sei das Refugium ihrer Kraftschöpfung.
Die
größte musikalische Erscheinung seit Mozart
Erstmals
wagten sich beide Quartette an die wohl einzigen, zumindest berühmtesten
Streichoktette der Neuzeit. Das von George Enescu (1889-1955) in C-Dur, op.7
(1900/1909) und das von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) in Es-Dur
op. 20 (1825).
Enescu, von dem Pablo Casals einmal sagte, er sei „die größte musikalische Erscheinung seit Mozart“, gehört tatsächlich, wie übrigens Felix Mendelssohn auch, zu den genialen Ausnahmeerscheinungen in der Musikwelt des 19./20. Jahrhunderts. Vielseitig talentiert als Violinvirtuose, Musikwissenschaftler, Dirigent und Pädagoge, ist sein kompositorisches Oeuvre zwar schmal, dafür aber einzigartig. Sein Streichoktett gehört dazu. Im Jahre 1900 fertiggestellt kam es erst neun Jahre später zur Uraufführung, vor allem auch deshalb, weil es sehr ausgedehnt, opulent, ja orchestral ausfiel und für viele Streicher kaum spielbar erschien. Es sei „zu riskant“, meinte der Dirigent und Impresario Édouard Colonne (1838-1910), und strich es einfach aus seinem Programm.
Bahnbrechende Klangsprache
Enescus Klangsprache changiert zwischen rumänischer Volksmusik, orthodoxer Kirchenmusik und weitestgehender Kontrapunktik. Vieles erinnert an Béla Bartók, aber auch Claude Debussy, Maurice Ravel, also die französischen Impressionisten, sind durchaus heraushörbar. Nicht zu vergessen seine Anlehnung an Formvorstellungen von Franz Liszt und César Franck.
Dieses fast 40-minütige Werk besteht zwar formal aus vier Sätzen, ist aber so zusammengeschweißt, dass eine einzige Monumentalform entsteht. Enescu nennt sie „Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit“. Das heißt, der erste Satz, Très modéré, fungiert quasi als Exposition, das Finale, Mouvement de valse bien rhythmée, als Reprise, dazwischen die beiden Sätze, Très fougeux und Lentement, als Durchführung. Ob die h-Moll Sonate Franz Liszts oder César Francks Klavierquintett Pate gestanden haben, sei dahingestellt. Enescu betrachtete dieses Werk jedenfalls als Zyklus, in dem die einzelnen Sätze ineinander übergehen, so dass ein einziger Sinfoniesatz übrigbleibt. Auch besteht dieses Werk aus insgesamt neun Themen, von denen allein im ersten Satz, der Exposition, sechs vorgestellt werden.
v. l.: Wildermuth, Schumann (statt: Zipperling), Osipova, Sachs, Vinzens, Hahalin, Sieber, Preuss Foto: H.boscaiolo |
Eine
Abstimmung wie aus einem Guss
Das Oktett, es
spielte erfreulicherweise im Stehen, verstand es sofort, das Publikum mitzunehmen.
Gleich zu Beginn ein majestätisches Unisono, unterfüttert durch Tremoli der
Celli. Dann folgen Themenblöcke der Bratsche und der ersten Geige. An
dieser Stelle sei festgestellt, dass zunächst das Eliot Quartett im Vordergrund
stand. Man hatte sich in die erste und zweite Geige aufgeteilt, also Eliot mit Maryana
Osipova und Alexander Sachs, dann Aris mit Anna Katharina
Wildermuth und Ken Schumann (er ersetzte Noémi Zipperling, die wegen
einer Schulterverletzung absagen musste), es folgten Dmitry Hahalin und Caspar
Vinzens an den Violen und Michael Preuss sowie Lukas Sieber
an den Violoncelli.
Auffallend die gute Abstimmung wie aus einem Guss, die ausgefeilte Dynamik (großartiges Pianissimo und sehr kraftvolles Dreifach Forte) und die gut funktionierende Kommunikation, was den sinfonischen Charakter dieses Werkes unterstrich. Hier waren alle Ebenen der Expressivität gefordert. Mal seufzender Trauergesang im Lentement und Steigerung zur hoffnungsvollen Fröhlichkeit. Dann im Finale eine extreme Persiflage auf den Walzer (Ravel könnte sich seine La valse Idee hier stibitzt haben), ein Auseinandernehmen des Dreiviertel Takts. Hier konnten die beiden Cellisten ihre Meisterschaft voll zur Geltung bringen. Eine ausgedehnte Coda mit Rekapitulation auf das ersten Seitenthema der Exposition, lässt noch einmal die Emotionen zum Zerplatzen bringen. Mit fast brutaler Intensität endet dieses gewaltig schöne Oktett. Ein Jahrhundertwerk ohne Frage.
v. l.: Osipova, Sachs, Wildermuth, Schumann, Hahalin, Vinzens, Preuss, Sieber Foto: H.boscaiolo |
Mehr solistische Schwerpunktsetzung
Ganz im Gegensatz
dazu das ebenso geniale Werk Felix Mendelssohns Bartholdys. Wie bereits gesagt
schrieb er es als 16-jähriger pubertierender Adoleszent für seinen Freund und
brillanten Geigenvirtuosen Eduard Rietz (1803-1832). Uraufgeführt wurde es im
Sommer 1825 auf dem besagten Anwesen der Mendelssohns, publizierte es aber erst
nach dem Tode seines Freundes, dem er das Werk auch widmete.
Worin unterscheiden
sich beide Werke? Der Unterschied liegt vor allem in der solistischen
Schwerpunktsetzung, die im Wesentlichen durch die Begleitung der übrigen Instrumente
besteht. Also weniger Sinfonie, sondern mehr Konzert? Nein, das
kann man auch nicht sagen, denn Mendelssohn selbst forderte von diesem Oktett,
dass es „im Style eines symphonischen Orchesters gespielt werden“ muss. Dennoch
verlangen die virtuosen und solistischen Anforderungen in diesem viersätzigen
Werk höchste Präzision und technische Versiertheit. Die beiden Quartette hatten
für dieses Oktett die Seiten gewechselt. Jetzt stand das Aris Quartett
an erster Stelle, gefolgt vom Eliot Quartett.
So gibt bereits der erste Satz, Allegro moderato ma con fuoco, Zeugnis strahlender um nicht zu sagen überbordender Jugend ab. Ein Sonatensatz quicklebendig mit dramatischer Entladung in der Reprise und explosionsartiger Steigerung in der Coda. Hier brillierte die erste Geigerin Anna Katharina Wildermuth.
v. l.: Wildermuth, Schumann (statt: Zipperling), Osipova, Sachs, Vinzens, Hahalin, Sieber, Preuss Foto: H.boscaiolo |
Zwischen
Schlager und Harakiri
Das
fünftönige Thema des Andantes mit Schubertschem Lyrismus im 6/8-Takt
könnte durchaus als moderner Schlager in die Charts aufgenommen werden, während
das folgende Scherzo im Allegro leggierissimo ein Wolkenkuckucksheim öffnen könnte. Thematisch ist es aus der
Walpurgisnacht Szene aus Goethes Faust I entnommen: „Luft und Laub und Wind
im Ohr, und alles ist zerstoben.“ Und
genau so soll es interpretiert werden. Im Pianissimo, die Geisterwelt der Hexen
widerspiegelnd. Rasend schnell im Staccato und blitzenden Trillern. Hier sind
die Violoncelli wie auch die Bratschen gefordert. Ihr Spiel grenzt an Harakiri,
aber auch in diesem Grenzbereich verliert niemand seine Stellung.
Das abschließende
Finale kann da nur noch das Perpetuum des Scherzos durch ein Fugato der
Extraklasse kontern. Mendelssohn greift hier auf das Seitenthema des ersten Satzes
zurück und konstruiert eine siebenstimmige Fuge von ungeheurer Schlagkraft mit
orchestraler Wirkung. Jetzt werden noch einmal alle technischen Möglichkeiten
der Instrumente voll ausgereizt und sogar Georg Friedrich Händels Halleluja
aus seinem Messias musikalisch noch einmal bemüht.
Das Oktett
kommt hier allerdings an seine Grenzen. Fast ein wenig übermotiviert müssen sie
das gewaltige Gewimmel der Variationen zusammenhalten, was nicht immer souverän
gelingt, aber dennoch zu einem doch noch glücklichen Abschluss führt.
„Man möchte einen Besenstil in die Hand nehmen“
Das
Publikum fordert begeistert eine Zugabe, und die besteht aus dem besagten Scherzo
aus der Walpurgisnacht. Die aber gelingt jetzt nahezu perfekt. Ein Scherzo,
bei dem man, so formulierte es einstmals Fanny, die Schwester von Felix: „sich
so nahe der Geisterwelt (fühlte), so leicht in die Lüfte gehoben, ja man möchte
selbst einen Besenstil in die Hand nehmen, der luftigen Schar besser zu folgen.
Am Schluss flattert die erste Geige federleicht auf – und alles ist zerstoben.“ Kein weiterer Kommentar dazu nötig.
Ein
außergewöhnlicher Premieren-Abend mit zwei selten gehörten Werken, brillant
interpretiert von zwei Streichquartetten: Chapeau dem Aris Quartett und Eliot Quartett.
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