Elisabeth Leonskaja (Klavier) und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Leitung: Katharina Wincor), Alte Oper Frankfurt, 16.10.2023 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e. V.)
Elisabeth Leonskaja (Foto: Julia Wesely) |
Die
Grande Dame unter den Tastenkünstlern
Elisabeth Leonskaja (*1945), die Grande Dame der exklusiven mittlerweile globalisierten Pianisten Gilde, hatte sich das 2. Klavierkonzert G-Dur op.44 (1880/81) von Peter Tschaikowsky ausgesucht, eines, welches immer im Schatten seines berühmten Ersten, des b-Moll Konzerts, und stets wegen seiner Besonderheiten in der Kritik stand. Tschaikowskys bester Freund, Nikolaj Rubinstein (1835-1881), selbst Komponist und hervorragender Pianist, bemängelte die episodischen Klavierparts und die mangelnde Dominanz des Klaviers, was objektiv mitnichten zutrifft und Tschaikowsky höchstselbst es heftig verneinte.
Tatsächlich aber strotzt vor allem der
Kopfsatz vor einer verwirrenden Vielzahl von Kadenzen und Themenbildungen und
ist mit seinen fast 22 Minuten extrem lang geraten. Auch dominieren im Andante
ma non troppo des zweiten Satzes vor allem die erste Geige und das Cello,
während das Klavier eher eine Staffage abbildet – wenn auch eine wunderschöne.
Großer Einfallsreichtum
Aber kommen wir zum Werk selbst. Warum es so selten gespielt wird, liegt wohl hauptsächlich am weltweiten Erfolg des sechs Jahre vorher entstandenen b-Moll Klavierkonzerts. Denn an Brillanz, Virtuosität und wunderbaren musikalischen Einfällen lässt sich dieses Klavierkonzert durchaus mit seinem Vorgänger vergleichen. Was aber Elisabeth Leonskaja mit Unterstützung des bestens aufgeräumten Opern- und Museumsorchesters und einer höchst motivierten und motivierenden Dirigentin, Katharina Wincor, daraus machten, gehört schon zum gehobenen Aha-Erlebnis des gestrigen Abends.
vorne v. l.: Ingo de Haas, Elisabeth Leonskaja, Katharina Wincor, Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Foto: H.boscaiolo) |
Zwischen
jugendlicher Kraft und Meditation
Leonskaja ist Musik pur. Bereits im Allegro
brillante mit seiner Vielzahl an Themenbildungen, Klavierkadenzen und abschnittsbildenden
triumphalen Mannheimer Raketen aus der Zeit Mozarts, der ständigen
Tonartwechsel und der überaus virtuosen Coda mit Replik auf die beiden Hauptthemen,
demonstrierte sie Geschlossenheit im ständigen Dialog mit dem Orchester und der
Dirigentin. Sie spielt mit einer bemerkenswerten jugendlichen Kraft und
gleichzeitig strahlt sie die Ruhe einer Meditierenden aus. In sich gekehrt, aber
nach außen offen.
Im Andante
non troppo, oft heftig in der Kritik, hält sie sich zwar zurück – die
beiden Solisten Ingo de Haas an der ersten Geige und Mikhail Nemtsov
am Violoncello erzählen in einem balladesken Stil kleine Geschichten – greift
dann aber, sehr spät zwar, in das Geschehen ein und ergänzt das Duett durch arpeggierende
Molltöne und eröffnet damit ein kurzzeitiges Tripelkonzert von ungeheurer
Schönheit. Zwar spielt hier das Klavier eine untergeordnete Rolle, aber mitnichten
eine unerhebliche. Zudem ist die Idee Tschaikowskys, zwei Streichinstrumente
solistisch in das Werk einzubauen, vom Publikum stets goutiert worden. Ein
äußerst belebendes Element. So auch beim gestrigen Vortrag.
Der Abschluss, ein Allegro con fuoco, war gespickt mit russischer Folklore. Ein typisches Rondo mit ständigen rhythmischen Wechseln, je nach Tanztyp, mal Kasatschok, mal Mazeppa, mal Chorowod. Hier zeigten Orchester wie Solistin herrliche Frische, tänzerische Ausstrahlung, aber auch Witz und Humor. Ein fröhlicher Abgesang mit unfassbar virtuoser Coda.
vorne v. l.: Ingo de Haas, Elisabeth Leonskaja, Katharina Wincor, Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Foto: H.boscaiolo) |
Alles
andere als ein Mauerblümchen
Warum dieses
2. Klavierkonzert ein Mauerblümchendasein fristet, ist nach dieser Vorstellung
absolut unerklärlich. Das Publikum nahm es mit Begeisterung auf und überredetet
die Titanin an den Tasten noch zu einer Zugabe. Ausgerechnet das G-Dur Andante
aus Mozarts leichtester Sonate in C-Dur (1788). Elisabeth Leonskaja
ist aber auch hier von einsamer Größe.
Unter
großen Widrigkeiten entstanden
Béla Bartóks
Konzert für Orchester Sz 116 (1944) gehört mit zum Besten, was er in
seinem schöpferischen Leben komponiert hat. Und dennoch ist es unter großen
Widrigkeiten entstanden.
Bekanntlich
verließ er Europa im Jahre 1940 und siedelte in die USA über. Dort aber wurde
er nicht glücklich, denn New York, sein Aufenthaltsort, war ihm zu laut, seine
Werke wurden nicht gespielt, er selbst sprach von einer „quasi Boykottierung“,
und schlimmer noch: Seine materielle Lage verschlechterte sich nahezu täglich. „Ich
kann nur sagen“, klagt er im Mai 1942, „dass ich noch nie in meinem Leben,
seitdem ich mir meinen Unterhalt verdiene … in einer so entsetzlichen Lage war.“
Mit Begeisterung
aufgenommen
Seine Rettung kam indes von der Koussevitzky Music Foundation. Der Dirigent und Bewunderer Bartóks, Serge Koussevitzky (1874-1951) hatte diese Stiftung nach dem Tod seiner Frau ins Leben gerufen und Ihm den Kompositionsauftrag übergeben. Bartók, selbst an Leukämie erkrankt, schaffte es dennoch in den späten Sommermonaten 1943 die Partitur fertigzustellen und am 1. Dezember 1944 wurde es vom Bostoner Symphony Orchester unter der musikalischen Leitung von seinem Sponsor uraufgeführt. Das Werk wird mit Begeisterung aufgenommen. Zwar bessert sich die finanzielle Lage Bartóks, aber wenige Monate später erlag er seiner schweren Krankheit und verstarb am 26.09.1945 im New Yorker Westside Hospital.
Katharina Wincor, Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Foto: H.boscaiolo) |
Hohe
solistische und virtuose Ansprüche
Zum Werk selbst.
Es besteht aus fünf Teilen, ist groß besetzt (drei und vierfach besetzte Bläser,
Streicher 10-fach) und erhält den Titel Konzert wegen der solistischen
und virtuosen Behandlung der einzelnen Instrumente. Die Grundstimmung des Werks
folgt der Dramaturgie des per aspera ad astra. Will heißen: Es beginnt mit
großer Strenge in der Introduction (eine getragene, geheimnisvolle
Einleitung) und endet im Finale mit einem wirbelnden Perpetuum mobile,
einem Feuerwerk fugierter Passagen, untermalt mit volkstümlichen Melodien.
Kennzeichnend sind die permanenten solistischen Einlagen der einzelnen Instrumente und Instrumentengruppen. So vor allem im Giuoco delle Coppie des zweiten Satzes. Ein sehr rhythmisch geprägter Satz, der von Duetten zwischen Klarinetten, Oboen, Flöten und Fagotten lebt. Auch Trompeten, Hörner und Posaunen sind involviert. Auffallend der choralähnliche Mittelteil, der von kleinen Trommeln begleitet wird.
Katharina Wincor, Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Foto: H.boscaiolo) |
Von der
Totenklage zurück zur Lebensfreude
Die Elegie
des dritten Satzes wird auch Totenklage genannt. Hier dominieren zunächst die
Kontrabässe. Dann setzt ein Oboensolo ein, das von Flöten und Klarinetten
arpeggiert wird. Ein Bratschenintermezzo führt zurück zu den tiefen Streichern
und vermittelt das Flair einer Nachtmusik.
Der Tod
spielt mit wird aber im folgenden Intermezzo interrotto (ein
unterbrochenes Zwischenspiel) ad absurdum geführt. Jetzt wird die Welt der Klage
zur Karikatur. Schostakowitsch lässt grüßen. Mit schrägen Marschrhythmen entlehnt
aus seiner Leningrader Sinfonie und einer Persiflage auf Franz Lehars: „Heut
gehen wir ins Maxim“ (aus der: Die lustige Witwe) scheint Bartók das Leben wieder
küssen zu wollen.
Das Ganze wird gesteigert im abschließenden Finale. Hier wird es extrem laut, der Rhythmus changiert zwischen jazzigen Synkopen und gebrochenen Taktfolgen zwischen Dreiviertel, Vierviertel, Sechsachtel und Fünfviertel. Eine gewaltige vierstimmige Fuge, ausgehend von den Streichern, dominiert diesen Teil, wird von den Holz- und Blechbläsern fortgesetzt und endet in einer brutalen Folge von Schlussakkorden des Tutti.
Katharina Wincor (Foto: Andre J. Grilc) |
Präzise
Gestik, elegante Stockführung
Spätestens
an dieser Stelle muss man der Dirigentin, Katharina Wincor, größten Respekt
zollen. Mit sehr präziser Gestik, eleganter Stockführung und ausgesuchter Emotionalität
(allein an ihren Bewegungen konnte man die Spielangaben des Komponisten erahnen),
trug sie ein gehöriges Maß an dem Erfolg dieser Aufführung bei.
Leider keine
Zugabe, dafür aber ein langer und sehr freundlicher Applaus.
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