Dienstag, 17. Oktober 2023

Elisabeth Leonskaja (Klavier) und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Leitung: Katharina Wincor), Alte Oper Frankfurt, 16.10.2023 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e. V.)

Elisabeth Leonskaja (Foto: Julia Wesely)


Die Grande Dame unter den Tastenkünstlern

Elisabeth Leonskaja (*1945), die Grande Dame der exklusiven mittlerweile globalisierten Pianisten Gilde, hatte sich das 2. Klavierkonzert G-Dur op.44 (1880/81) von Peter Tschaikowsky ausgesucht, eines, welches immer im Schatten seines berühmten Ersten, des b-Moll Konzerts, und stets wegen seiner Besonderheiten in der Kritik stand. Tschaikowskys bester Freund, Nikolaj Rubinstein (1835-1881), selbst Komponist und hervorragender Pianist, bemängelte die episodischen Klavierparts und die mangelnde Dominanz des Klaviers, was objektiv mitnichten zutrifft und Tschaikowsky höchstselbst es heftig verneinte. 

Tatsächlich aber strotzt vor allem der Kopfsatz vor einer verwirrenden Vielzahl von Kadenzen und Themenbildungen und ist mit seinen fast 22 Minuten extrem lang geraten. Auch dominieren im Andante ma non troppo des zweiten Satzes vor allem die erste Geige und das Cello, während das Klavier eher eine Staffage abbildet – wenn auch eine wunderschöne.

 

Großer Einfallsreichtum

Aber kommen wir zum Werk selbst. Warum es so selten gespielt wird, liegt wohl hauptsächlich am weltweiten Erfolg des sechs Jahre vorher entstandenen b-Moll Klavierkonzerts. Denn an Brillanz, Virtuosität und wunderbaren musikalischen Einfällen lässt sich dieses Klavierkonzert durchaus mit seinem Vorgänger vergleichen. Was aber Elisabeth Leonskaja mit Unterstützung des bestens aufgeräumten Opern- und Museumsorchesters und einer höchst motivierten und motivierenden Dirigentin, Katharina Wincor, daraus machten, gehört schon zum gehobenen Aha-Erlebnis des gestrigen Abends.

vorne v. l.: Ingo de Haas, Elisabeth Leonskaja, Katharina Wincor, Frankfurter Opern- und Museumsorchester
(Foto: H.boscaiolo)


Zwischen jugendlicher Kraft und Meditation

Leonskaja ist Musik pur. Bereits im Allegro brillante mit seiner Vielzahl an Themenbildungen, Klavierkadenzen und abschnittsbildenden triumphalen Mannheimer Raketen aus der Zeit Mozarts, der ständigen Tonartwechsel und der überaus virtuosen Coda mit Replik auf die beiden Hauptthemen, demonstrierte sie Geschlossenheit im ständigen Dialog mit dem Orchester und der Dirigentin. Sie spielt mit einer bemerkenswerten jugendlichen Kraft und gleichzeitig strahlt sie die Ruhe einer Meditierenden aus. In sich gekehrt, aber nach außen offen.

Im Andante non troppo, oft heftig in der Kritik, hält sie sich zwar zurück – die beiden Solisten Ingo de Haas an der ersten Geige und Mikhail Nemtsov am Violoncello erzählen in einem balladesken Stil kleine Geschichten – greift dann aber, sehr spät zwar, in das Geschehen ein und ergänzt das Duett durch arpeggierende Molltöne und eröffnet damit ein kurzzeitiges Tripelkonzert von ungeheurer Schönheit. Zwar spielt hier das Klavier eine untergeordnete Rolle, aber mitnichten eine unerhebliche. Zudem ist die Idee Tschaikowskys, zwei Streichinstrumente solistisch in das Werk einzubauen, vom Publikum stets goutiert worden. Ein äußerst belebendes Element. So auch beim gestrigen Vortrag.

Der Abschluss, ein Allegro con fuoco, war gespickt mit russischer Folklore. Ein typisches Rondo mit ständigen rhythmischen Wechseln, je nach Tanztyp, mal Kasatschok, mal Mazeppa, mal Chorowod. Hier zeigten Orchester wie Solistin herrliche Frische, tänzerische Ausstrahlung, aber auch Witz und Humor. Ein fröhlicher Abgesang mit unfassbar virtuoser Coda.

vorne v. l.: Ingo de Haas, Elisabeth Leonskaja, Katharina Wincor, Frankfurter Opern- und Museumsorchester
(Foto: H.boscaiolo)

Alles andere als ein Mauerblümchen

Warum dieses 2. Klavierkonzert ein Mauerblümchendasein fristet, ist nach dieser Vorstellung absolut unerklärlich. Das Publikum nahm es mit Begeisterung auf und überredetet die Titanin an den Tasten noch zu einer Zugabe. Ausgerechnet das G-Dur Andante aus Mozarts leichtester Sonate in C-Dur (1788). Elisabeth Leonskaja ist aber auch hier von einsamer Größe.

 

Unter großen Widrigkeiten entstanden

Béla Bartóks Konzert für Orchester Sz 116 (1944) gehört mit zum Besten, was er in seinem schöpferischen Leben komponiert hat. Und dennoch ist es unter großen Widrigkeiten entstanden.

Bekanntlich verließ er Europa im Jahre 1940 und siedelte in die USA über. Dort aber wurde er nicht glücklich, denn New York, sein Aufenthaltsort, war ihm zu laut, seine Werke wurden nicht gespielt, er selbst sprach von einer „quasi Boykottierung“, und schlimmer noch: Seine materielle Lage verschlechterte sich nahezu täglich. „Ich kann nur sagen“, klagt er im Mai 1942, „dass ich noch nie in meinem Leben, seitdem ich mir meinen Unterhalt verdiene … in einer so entsetzlichen Lage war.“  

 

Mit Begeisterung aufgenommen

Seine Rettung kam indes von der Koussevitzky Music Foundation. Der Dirigent und Bewunderer Bartóks, Serge Koussevitzky (1874-1951) hatte diese Stiftung nach dem Tod seiner Frau ins Leben gerufen und Ihm den Kompositionsauftrag übergeben. Bartók, selbst an Leukämie erkrankt, schaffte es dennoch in den späten Sommermonaten 1943 die Partitur fertigzustellen und am 1. Dezember 1944 wurde es vom Bostoner Symphony Orchester unter der musikalischen Leitung von seinem Sponsor uraufgeführt. Das Werk wird mit Begeisterung aufgenommen. Zwar bessert sich die finanzielle Lage Bartóks, aber wenige Monate später erlag er seiner schweren Krankheit und verstarb am 26.09.1945 im New Yorker Westside Hospital.

Katharina Wincor, Frankfurter Opern- und Museumsorchester
(Foto: H.boscaiolo)


Hohe solistische und virtuose Ansprüche

Zum Werk selbst. Es besteht aus fünf Teilen, ist groß besetzt (drei und vierfach besetzte Bläser, Streicher 10-fach) und erhält den Titel Konzert wegen der solistischen und virtuosen Behandlung der einzelnen Instrumente. Die Grundstimmung des Werks folgt der Dramaturgie des per aspera ad astra. Will heißen: Es beginnt mit großer Strenge in der Introduction (eine getragene, geheimnisvolle Einleitung) und endet im Finale mit einem wirbelnden Perpetuum mobile, einem Feuerwerk fugierter Passagen, untermalt mit volkstümlichen Melodien.

Kennzeichnend sind die permanenten solistischen Einlagen der einzelnen Instrumente und Instrumentengruppen. So vor allem im Giuoco delle Coppie des zweiten Satzes. Ein sehr rhythmisch geprägter Satz, der von Duetten zwischen Klarinetten, Oboen, Flöten und Fagotten lebt. Auch Trompeten, Hörner und Posaunen sind involviert. Auffallend der choralähnliche Mittelteil, der von kleinen Trommeln begleitet wird.

Katharina Wincor, Frankfurter Opern- und Museumsorchester
(Foto: H.boscaiolo)


Von der Totenklage zurück zur Lebensfreude

Die Elegie des dritten Satzes wird auch Totenklage genannt. Hier dominieren zunächst die Kontrabässe. Dann setzt ein Oboensolo ein, das von Flöten und Klarinetten arpeggiert wird. Ein Bratschenintermezzo führt zurück zu den tiefen Streichern und vermittelt das Flair einer Nachtmusik.

Der Tod spielt mit wird aber im folgenden Intermezzo interrotto (ein unterbrochenes Zwischenspiel) ad absurdum geführt. Jetzt wird die Welt der Klage zur Karikatur. Schostakowitsch lässt grüßen. Mit schrägen Marschrhythmen entlehnt aus seiner Leningrader Sinfonie und einer Persiflage auf Franz Lehars: „Heut gehen wir ins Maxim“ (aus der: Die lustige Witwe) scheint Bartók das Leben wieder küssen zu wollen.

Das Ganze wird gesteigert im abschließenden Finale. Hier wird es extrem laut, der Rhythmus changiert zwischen jazzigen Synkopen und gebrochenen Taktfolgen zwischen Dreiviertel, Vierviertel, Sechsachtel und Fünfviertel. Eine gewaltige vierstimmige Fuge, ausgehend von den Streichern, dominiert diesen Teil, wird von den Holz- und Blechbläsern fortgesetzt und endet in einer brutalen Folge von Schlussakkorden des Tutti.

Katharina Wincor (Foto: Andre J. Grilc) 

Präzise Gestik, elegante Stockführung

Spätestens an dieser Stelle muss man der Dirigentin, Katharina Wincor, größten Respekt zollen. Mit sehr präziser Gestik, eleganter Stockführung und ausgesuchter Emotionalität (allein an ihren Bewegungen konnte man die Spielangaben des Komponisten erahnen), trug sie ein gehöriges Maß an dem Erfolg dieser Aufführung bei.

Leider keine Zugabe, dafür aber ein langer und sehr freundlicher Applaus.   

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen