Ensemble Modern, Im Focus Slowenien mit fünf Kompositionen, musikalische Leitung: Lucie Leguay, Sopran: Nika Gorič, Alte Oper Frankfurt, 07.10.2023 (2. Abonnementkonzert der Saison 2023/24)
Ensemble Modern (Foto: Website des EM) |
Ein
pikantes Menü
Ein
Konzertprogramm facettenreich, anspruchsvoll und höchst anregend. Fünf
Komponisten und Komponistinnen aus Slowenien stellten ihre neuesten bzw.
wichtigsten musikalischen Erzeugnisse vor, die von der Quantenphysik, über
Techno, Film- und Vogelmusik bis zum „Buch der Körper“ reichten. Das Menü war
angerichtet, und das in sehr pikanter Weise.
„Unschärfe,
Vagheit, Unvorhersehbarkeit“
Beginnen wir gleich mit der schillernden Petra Strahovnik (*1986). Sie experimentiert gerne mit neuen Klängen, was eigentlich nichts Außergewöhnliches in der neuen Musik ist. Aber ihre Absicht ist es, „immersive Klanglandschaften“ zu kreieren. Darunter versteht sie das Eindringen in die unterbewussten Ebenen der individuellen Erfahrung des natürlichen mikro- und Makrokosmos. Musikalisch hat sie diese Idee in den enigmatischen Titel Q.M. ihres siebenminütigen Septetts gefasst, was für Quantum Mystery steht. Fünf Instrumentalisten auf der Bühne, vier Streicher und ein Hornist, werden räumlich ergänzt durch einen Oboisten und Klarinettisten im Off. Es geht im weitesten Sinne um „Unschärfe, Vagheit und Unvorhersehbarkeit“. Dabei arbeitet sie mit Elektronik, Magneten und Aluminiumfolie. Herausgekommen sind tatsächlich unglaubliche Klangfarben. Eine mysteriöse Wanderung durch die Welt des Klangs konnte beginnen.
Nika Gorič (Foto: Gaja Kutnjak) |
Techne
steht für Kunst und Wissen
Mit Tehno
(das slowenische Wort für Techno) von Matej Bonin (*1986) sollte die Wanderung
fortgesetzt werden. Es ist ein Werk für Sopran und Ensemble (hier 15
Instrumentalisten) und bezieht sich auf den gleichnamigen Text von Ana
Pepelnik (*1979). Ein Auftragswerk des Ensemble Modern, das 2023
fertiggestellt, bereits in Bamberg, Maribor und Ljubljana erste Aufführungen
erfahren hat.
Bonin ist
kein Unbekannter im Raum Frankfurt. Bereits 2017 hat er mit Shimmer II
auf der cresc.-Biennale Aufmerksamkeit erregt. In Tehno geht es
hauptsächlich um die griechisch philosophische Bedeutung des Begriffs techne,
der von einem Verständnis von Kunst, Wissenschaft und Natur ausgeht. Die
slowenische Autorin Ana Pepelnik fragt sich: was ist techno für mich? Und
antwortet vielgestaltig: techno ist meine Droge, techno ist Rausch, Liebe,
Sicherheit, Sex, wärmender Gedanke. Bonin beeindruckt die „Intimität dieses Gedichtbandes“
und entwickelt darauf eine Art „Klangnebel“, einen undurchsichtigen Dialog
zwischen Gesang und musikalischer Begleitung.
Hier kommt
die Sopranistin Nika Gorič ins Spiel. Sie ist ebenfalls keine Unbekannte
in Frankfurt, sang sie doch in Vito Žurajs Blühen die Koloratur-Rolle
der Anna. Hier beschränkte sich ihre Rolle weitestgehend auf das Verlesen des
doch sehr langen Textes, und das noch auf Slowenisch. Zwischendurch ein
klagender, schreiender, manchmal anklagender Ruf in sehr hohem Ton. Ihre Stimme
ist göttlich, aber hier leider weit weg vom Inhalt. Auch ist ihr Vorlesen undramatisch,
eher farblos, was die musikalische Untermalung auch kaum auszugleichen in der
Lage ist. Viel Perkussion, wachsende Expressivität und rhythmische
Überlagerungen wie auch Anklänge an Gustav Mahlers Fünfte (Adagietto) können leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser sehr spannende Text
vielleicht auf Deutsch rezitiert, aber vor allem fesselnder, aufregender hätte
inszeniert werden sollen. So war leider viel Leerlauf für das Ohr zu vernehmen.
Vorwärts
zum Stummfilm
Nina Šenk
(*1982) nennt ihre Arbeit nach dem Titel des Stummfilms Stump the Guesser,
was so viel bedeutet wie: Übertrumpfe den Rater oder kurz: Der Hellseher
(2020). Dieser Stummfilm von drei kanadischen Regisseuren, der 2020 auf der
Berlinale gefeiert wurde, knüpft retromäßig an die surrealen Stummfilme der
20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts an. Wilhelm Reich, Sigmund
Freud, aber auch Salvadore Dali und Luis Buñuel lassen grüßen.
Nina Šenk
entfernt sich von der ursprünglich für diesen Streifen vorgesehenen Musik aus
Wagners Tristan und einem argentinischen Tango und schreibt
stattdessen eine eigene Version, die sie 2021 als Auftragswerk des Kölner
Festivals Acht Brücken erhalten hat.
Man hört diese Musik von 15 Instrumentalisten mit starken perkussiven Elementen ohne die bewegten Bilder. Das hat Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist der, dass derjenige, der die Filmhandlung kennt, leicht irritiert zurückbleibt, denn die Musik hat mit dem Verlauf des Films gar nichts gemein, und den Vorteil, dass die Unkenntnis der Filmhandlung zumindest die Konzentration auf die Musik begünstigt. Und die ist extrem aufreibend. Es schreit, droht und bellt aus allen Rohren. Extreme Lautstärke und Atonalität dominieren die musikalische Struktur. Zwar kommt man immer mal wieder zur Ruhe, sogar lyrische Elemente sind hauszuhören, aber die Dominanz des extrem schrägen Fortgangs bleibt allgegenwärtig. Der Schluss versöhnt ein wenig mit langen Orgelpunkten der unterschiedlichsten Instrumente, Klangclustern des Klaviers und marschähnlichen Schrittfolgen, die langsam leiser werden und in pausenreichen Tonsplittern ersterben.
Lucie Leguay (Foto: Christophe Abramowitz) |
Alle
Vöglein sind schon da
Nach der Pause ein Wiederhören vom Posaunisten und Klangexperimentator Vinko Globokar (*1934). Er, ein altbekannter Lehrer auf den Internationalen Darmstädter Ferienkursen, Wegbegleiter von Luigi Nono, Luciano Berio und Maurizio Kagel, kredenzte eines seiner witzigen, aber extrem kommunikativen Werke. Substitution Anonyme (2007) nennt er es und hat es in einem Sextett vor ziemlich genau 16 Jahren in Ljubljana uraufführen lassen. Globokars Eltern sind Slowenien, die nach Frankreich auswanderten. Globokar selbst ist Internationalist und lebte sowohl in Jugoslawien, wie auch in Deutschland und heute im französischen Anderny.
Sein Substitution Anonyme reduziert sich im eigentlichen Sinne auf Vogellaute. So imitiert die Flöte die Stockente, die Klarinette die Singdrossel und so weiter. Alle Musiker bedienen dazu Vogelpfeifen. Das Stück ist abwechslungsreich mit ausgesprochen improvisatorischen Passagen, aber auch mit kommunikativen Abschnitten. Abschnitte, wo mehrere Instrumentalisten miteinander kommunizieren, dialogisieren oder auch lediglich Ruf und Antwort praktizieren. Ein Spiel mit der Lust am Klang und der Expressivität. Ein rumoriger Entengesang, gepaart mit dem Schnalzen der Schilfrallen leitet einen Abgesang mit Humor und Lust auf einen Spaziergang ein, an einen Ort, wo auch immer die Vögel regieren.
Nika Gorič (Foto: Gaja Kutnjak) |
Ausgesprochene
Körperlichkeit
Die Worte
dominieren auch in Vito Žurajs (*1979) Buch
der Körper (2017/20). Ein Stück für Sopran und Ensemble (13) nach Gedichten
von Aleš Šteger (deutsche Übersetzung: Matthias Göritz).
Der
slowenische Lyriker Aleš Šteger schreibt, so meint es zumindest
Vito Zuraj, „nackt, explosiv, richtungslos“. Er „beschmutzt“ und „fügt Wunden
zu“. Tatsächlich sind seine Texte von ausgesprochener Körperlichkeit: „Das Wort
beschmutzt Erinnerung. Liebe beschmutzt Leben. Das Dunkel beschmutzt sich mit
dem Tag …“. Zuraj wählt aus dessen Lyrikband fünf Gedichte aus und fügt sie zu
einer hochexpressiven Wort- und Klanglandschaft zusammen.
Wieder
übernimmt die Sopranistin Nika Gorič den Gesangspart. Und hier zeigt
sich ihre außergewöhnliche Klasse. Im Stil eines Monodramas inszeniert sie die
deutsche Übersetzung mit starken Koloraturen, großer Gestik und exorbitanter Ausdruckskraft.
Dazu hat Zuraj eine wirklich exzellente musikalische Unterstützung komponiert.
Kraftvoll, wort- und sinnangepasst mit großer Farbigkeit und wunderbaren
solistischen Einspielungen. Auch die Intermezzi zwischen den Gedichten sind von
großer Poesie und tiefem Textverständnis. Das Buch der Körper geht tatschlich
unter die Haut. Es changiert zwischen Nihilismus, Verzweiflung: 1.
Gedicht: Richtungslos … ein Nichts, von
Niemand zu Niemand … 2. Gedicht: Sie gibt die Wunde, und du kriechst hinein ....
3. Gedicht: Nackte Erde, jeder Staub im Staub … 4. Gedicht: Allein mit sich zu
zwein … 5. Gedicht: Das Wort beschmutzt Erinnerung …
Žuraj ist
ein Meister der klanglichen Opulenz. Auch dieses Werk zum Abschluss des
insgesamt sehr anregenden Konzertabends – an dieser Stelle sei noch das
aufmerksame, sehr engagierte Dirigat der Französin Lucie Leguay erwähnt
– war ein Highlight der neuen Musik. Žuraj gehört wirklich zu den besten dieser
Zeit, wie selbstverständlich auch das Ensemble Modern.
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