Dienstag, 3. Oktober 2023

Kronberg Festival vom 21.09. – 03.10.2023


In Memoriam Pablo, Steven Isserlis (Violoncello) und Connie Shih (Klavier) spielen Werke von Johann Sebastian Bach, Pablo Casals und Johannes Brahms, Bechstein Saal Kronberg, 03.10.2023

Connie Shih und Steven Isserlis (Foto: City Recital Hall)


Absolute osmotische Fähigkeit

Ein herrlicher Abschluss der Tage des Kronberg Festivals (21.09.-03.10.2023) mit zwei außergewöhnlichen Künstlern an ihren Instrumenten: der Brite Steven Isserlis (*1958) an einem Stradivari Violoncello von 1726 und die Kanadierin ohne Altersangabe, Connie Shih, an einem Bechstein Flügel. Man könnte von Zwillingen sprechen, wären beide vom Phänotyp nicht so unterschiedlich. Denn in musikalischer Hinsicht demonstrieren sie zweifellos eine absolute osmotische Fähigkeit von einzigartiger Ausdruckskraft.

 

Cello und Klavier sind gleichberechtigt

Sie spielten zunächst von Johann Sebastian Bach (1685-1750) das erste seiner insgesamt drei Sonaten für Violoncello und Klavier G-Dur (BWV 1027). Ein viersätziges Werk (Adagio, Allegro ma non tanto, Andante, Allegro moderato), wahrscheinlich Ende der 1730er Jahre in Leipzig entstanden, kontrapunktisch gesetzt, sehr dialogisch, teilweise noch mit Basso Continuo verssehen und nahezu gleichberechtigt für beide Instrumente geschrieben –  für diese Epoche ungewöhnlich.

Die Instrumentalkünstler spielten sehr dialogisch, ohne Pathos und Vibrato von Seiten des Cellos. Ursprünglich für zwei Querflöten mit (Basso) Continuo konzipiert, scheint Bach später eine Ergänzung für Gambe hinzugefügt zu haben. Heute spielt man es hauptsächlich mit Violoncello – aber auch Bratsche und Kontrabass sind möglich. Shih und Isserlis verstanden es vom ersten Ton an, den übervollen Saal (viele Zuhörer mussten stehen) in ihren Bann zu ziehen.

Steven Isserlis (Foto: Kronberg Festival)

Irgendwie im Ungefähren

In Memoriam Pablo Casals sollte den Mittelteil der Schluss-Veranstaltung prägen. Zwei Stücke von Casals (1876-1973) selbst komponiert (bekanntlich gibt es wenige Kompositionen von ihm) sollten seinen überaus weltumspannenden Einfluss noch einmal verdeutlichen. Man spielt zunächst sein 1907 entstandenes kaum vier Minuten dauerndes Morceau de Concours (ein Stück für den Wettkampf) und dann unmittelbar darauf die 1893 komponierte Pastoral.

Isserlis und Shih entschieden sich in der Art eines marche funèbre zu beginnen, im trauernden Marschrhythmus, um dann in einen elegischen Stimmungswechsel überzugleiten. Die folgende Pastorale wurde durch einen punktierten Siciliano, einem alten sizilianischen Volkstanz, charakterisiert. Insgesamt tief melancholisch. Nach einer langen Fermate ruft noch einmal das Cello zum Aufbruch, und in einer kurzen Reminiszenz des Vorherigen verklingt das Stück irgendwie im Ungefähren. Schlicht, aber einfach nur gut interpretiert und von Casals Geist durchdrungen.

Connie Shih (Foto: Kronberg Festival)

Ein Tohuwabohu der Sommerfrische

Das Finale sollte durch die Johannes Brahms (1833-1897) Sonate Nr.  F-Dur für Klavier und Violoncello op.99 (1886) gestaltet werden. Brahms komponierte diese viersätzige Sonate am Thuner See in der Sommerfrische. Die Kritiker allerdings sahen in diesem Werk eher ein „Tohuwabohu“. So schrieb Hugo Wolf dazu, seinesgleichen sowohl Kritiker als auch Komponist: Ja, was ist denn heutzutage Musik, was Harmonie, was Melodie, was Rhythmus, was Inhalt, was Form – wenn dieses Tohuwabohu allen Ernstes Musik sein soll.“

Tatsächlich ist diese Sonate eher von kristallener Klarheit, voll ausladender Kraft, Energie, aber auch von ausnehmender Lyrik. Bereits der Kopfsatz, Allegro vivace, changiert zwischen Feuerwerk und tiefer Poesie. Das Adagio des zweien Satzes besteht aus einem wunderbaren beseelten Dialog, der in zwei Quintfall Sequenzen gipfelt. Auffallend dabei das gewaltige Zupfen an den Cello-Saiten und das energetisch Dreifach-Forte der Pianistin. Beide scheinen am Zaubertrank des Miraculix genippt zu haben.

Legendär dann das vor nervöser Energie strotzende Scherzo des Allegro Passionato. In dramatischem e-Moll gehalten mit wilden Triolen gespickt und teppichartigen Arpeggien untermalt, kommt es im Trio zwar etwas zur Ruhe, aber nur zum Schein, denn alsbald wechselt man wieder zum Ursprung, geht in energischen Schritten dem Ende dieses Teils entgegen.

Steven Isserlis und Connie Shih (Foto: Gramola Vienna)

Zwei Ausnahme Kraftpakete

Wer glaubt, das Finale könnte da noch eine Apotheose setzen, hat sich getäuscht. Brahms wird hier ganz versöhnlich. Herrliche G-Dur Melodien dominieren den Schlusssatz und geben dem Ganzen der Sonate noch einmal eine Note des Warmherzigen, des Mit-der-Welt-im-Reinen-Seins. Liedhaft im thematischen und vorwärtsschreitend im Rhythmus. Was auch hier wieder beide Künstler auszeichnet, ist ihre gezielt eingesetzte Energie, die sie mit der Musik verbindet. Zwei Ausnahme Kraftpakete.

Eine Zugabe durfte nicht fehlen, und zwar der von Pablo Casals so geliebte und oft gespielte Vogelgesang: El cant dels Ocells, ein altes katalanische Volks- und Weihnachtslied. Besser kann der Abschied nicht ausfallen.


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