Missa Solemnis (1819-1823), Feierliche Messe von Ludwig van Beethoven mit dem Bachchor und dem Bachorchester Mainz (Leitung: Christoph Spering) und den Solisten Susanne Bernhard (Sopran), Catriona Morison (Alt), Georg Poplutz (Tenor) und Yorck Felix Speer (Bass), Alte Oper Frankfurt, 04.10.2023 (eine Veranstaltung der Frankfurter Bachkonzerte e. V.)
Beethoven bei der Arbeit an der Missa Solemnis (Gemälde von Joseph Karl Stieler um 1820) |
„Unter
widerwärtigen Lebensverhältnissen“ komponiert
Man tut sich
schwer mit diesem gewaltigen, heute noch selten aufgeführten Werk, das
Beethoven unter schwierigen wirtschaftlichen und gesundheitlichen, er selbst
schreibt „untBeethoven bei er widerwärtigen Lebensverhältnissen“ ans Licht der Welt brachte.
Die Tantiemen flossen nur noch spärlich, der Vormundschaftsprozess in Sachen Karl,
der sogenannte „Neffenkonflikt“ zwischen Beethoven und seiner Schwägerin um das
Sorgerecht ihres Sohnes Karl van Beethoven, die zunehmenden Hörprobleme und
damit einhergehend die Konflikte mit der Dienerschaft, all das zerrte an den
Nerven und sorgte dafür, dass das Werk, eigentlich zur Amtseinführung seines
Freundes und Gönners Erzherzog Rudolf als Erzbischof von Olmütz im März 1820
gedacht, erst drei Jahre später, am 19.März 1823, als Reinschrift von fast 300
Seiten (70 Seiten mehr als die Neunte) fertiggestellt und gedruckt werden
konnte. Und selbst das reichte noch nicht. Denn die gedruckte Erstausgabe konnte
wegen Geldmangels erst posthum im Jahre 1827 beim Mainzer Schott Verlag erscheinen.
Möge es
zu Herzen gehen
Die ungeheure
Mühe, die Beethoven dieses Werk gekostet hat, drückt sich auch in Beethovens
Bemerkung unter dem Autograph des Kyrie aus: „Von Hertzen – möge es wieder –
zu Hertzen gehen.“
Fast 50 Musikerinnen
und Musiker, überwiegend auf historischen Instrumenten wie Naturhörner,
Barocktrompeten, Barockfagotte und Barockoboen und vermutlich auch mit
Naturdarm versehenen Streichinstrumenten, wurden durch einen 70-köpfigen
vierstimmigen Chor ergänzt. Dazu vier Gesangsolisten: Susanne Bernhard
(Sopran), Catriona Morison (Alt), Georg Poplutz (Tenor) und Yorck
Felix Speer (Bass). Die obligatorische Orgel fehlte allerdings, was den von
Beethoven geforderten Raumklang nicht unbeträchtlich minimieren sollte.
Die klassische Aufteilung in fünf Abschnitte (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus mit Benedictus und Agnus Dei) sollte auch diese Messe bestimmen, wenn auch von Beethoven noch ein Graduale und ein Offertorium geplant war, was sich nicht mehr verwirklichen ließ.
Bachchor Mainz (Archivfoto aus der Website) |
Viel
Wechselgesang von Chor und Solisten
Das Kyrie
beginnt sehr akkordisch und einem vom Tutti des Orchesters getragenen Adagio.
Hier werden die vier Solisten vorgestellt. Eine Art Choral mit kontrapunktisch
angelegter Stimmführung, während die Solisten mit dem Ruf, Herr erbarme Dich
unser ihre Stimmgewalt erstmals auf die Probe stellen konnten. Hier gleich auffallend
der stimmlich sehr gut zusammengesetzte Chor mit glänzenden und frischen Sopran-
und Tenorstimmen.
Das Gloria
setzt erstmals große Energie in das Orchester. Hörner, Trompeten und Posaunen
bestimmen den kanonischen Duktus zwischen Solisten und Chor. Ab Quoniam tu
solus Sanctus (Denn du allein bist der Heilige) wechselt die Stimmung in
einen Triumphgesang und wird im Gloria Dei Patris (die Herrlichkeit
Gottes) zu einer Fuge im Wechselgesang von Chor und Solisten von gewaltiger Ausdruckskraft
transformiert.
Ein brillanter
Mainzer Bachchor
Nach einer langen Stimmpause folgt das Credo. Es zählt zu den bemerkenswertesten Kapiteln dieser Messe. Zunächst ruft der Chor das Credo in unum Deum (Ich glaube an den einen Gott) und erzählt die Geschichte der Menschwerdung Gottes. In einem modalen, etwas düsteren Duktus folgt dann das Incarnatus est (er hat Fleisch angenommen). Hier dialogisieren Chor und Solisten, wobei der Chor im Unisono agiert. Das Auferstehungskapitel Et resurrexit tertia die (er ist auferstanden am dritten Tag) ist eine reiner Triumpfgesang des Chores, der in eine Fuge von außergewöhnlicher Schönheit mündet. In der Erwartung der Auferstehung von den Toten singt der Chor vom Leben der zukünftigen Welt (Et vitam venturi saeculi), eine Fuge von großer Noblesse mit schwierigsten Passagen, die aber meisterlich bewältigt wurden. Hier beweist der Mainzer Bachchor seine besondere Klasse, vor allem im furiosen Ende, das im doppelten Tempo daherkommt.
Missa Solemnis: Bachchor und Bachorchester Mainz, vorne stehend v.l.n.r.: Christoph Spering, Catriona Morison, Susanne Bernhard, Georg Poplutz, York Felix Speer Foto: Frankfurter Bachkonzerte e. V. |
Sologeige
als Vermittlerin zwischen Himmel und Erde
Nach einer langen Pause, die auch durch einen Schwächeanfall einer Dame im Publikum auf mehr als 10 Minuten ausgedehnt wird, folgt das Sanctus mit dem angehängten Benedictus. Heilig, Heilig, Heilig singen die Solisten im Stil eines Chorals und werden dabei von einem orchestralen Präludium unterstützt. Hier hat sich Beethoven etwas Besonderes ausgedacht. Er lässt die Sologeige als Vermittlerin zwischen dem Heiligen Geist und der Menschwerdung Gottes (Himmel und Erde sind erfüllt von Deiner Herrlichkeit) wunderschöne liedhafte Sentenzen spielen, was der Konzertmeisterin Margarete Adorf auch beeindruckend gelingt. Hier können die Solisten noch einmal ihre gesangliche Qualität beweisen. Allen voran die Sopranistin Susanne Bernhard mit einer klar, akzentuierten und mit warmen Höhen ausgestatteten Stimme; der Altistin Catriona Morison, die durch eine wunderbar timbrierte mittlere Lage hervorstach; der Tenor Georg Poplutz, der durch eine helle, wenn auch sehr zarte Stimme glänzte; sowie der Bass York Felix Speer, dessen außergewöhnliche Stimmtiefe auffiel, der aber leider zu oft seinen Gesangpart herauspresste.
Ein
Verwirrspiel zwischen Krieg und Frieden
Das Agnus Dei, das flehende Miserere nobis (erbarme Dich unser) wird von der Bassstimme eingeleitet und von Chor, Sopran, Tenor und Alt fortgesetzt. Hier wechseln die Stimmungen zwischen Bittgesang und Jagdgeheul, um nicht zu sagen Kriegsgerassel. Das Dona nobis pacem (Gib uns den Frieden) wird zum einzigen Verwirrspiel. Das Orchester übernimmt zeitweise das Zepter, verliert sich in schwierige, virtuose Passagen mit militärischem Pauken und Trommelwirbel. Man glaubt das Kriegsgetümmel vor den Toren Wiens zu vernehmen. Dann wieder sind wir bei Händels Messias, beim Halleluja des Chores (Und er regiert auf immer und ewig) angelangt.
Missa Solemnis: Bachchor und Bachorchester Mainz, vorne stehend v.l.n.r.: York Felix Speer, Georg Poplutz, Christoph Spering, Catriona Morison, Susanne Bernhard Foto: Frankfurter Bachkonzerte e. V. |
Die Missa
solemnis, ein Wagnis in jeder Beziehung
Ein Schluss
von einiger Verwirrung, zumal hier das Orchester überfordert und das
Zusammenwirken von Gesang und Spiel aus den Fugen zu geraten drohte. An dieser
Stelle muss man auch konstatieren, dass das Dirigat von Christoph Spering
ein wenig zu dieser Lage beitrug. Ihm fehlte der Esprit, den dieses
gewaltige Werk verdient hätte. Viele Stellen gerieten unter seiner Hand zu
getragen, zu schleppend, ja zu langsam. Und der dynamische Kontrast, den das Werk
Beethovens allgemein und dieses Werk im Besonderen ausstrahlt, nämlich die verzweifelte Suche nach seinem ganz persönlichen Gottesverständnis sowie sein Wunsch, dass
dieses Werk das „Schönste seines Lebens“ sein sollte, war selten herauszuhören.
Der Beifall
des gut besetzten großen Saals der Alten Oper Frankfurt fiel denn auch freundlich
aber nicht überschwänglich aus. Die Beethovensche Missa Solemnis ist und
bleibt ein Wagnis in jeder Beziehung. Hier sei ein Kritiker aus der Leipziger Allgemeinen
musikalischen Zeitung aus dem Jahre 1827 zitiert: „Wer sich anmaßt, ein so complicirtes
(sic.) Tonwerk nach einmaligem Hören gefasst und verstanden zu haben, mag es
wagen, ein Urtheil (sic.) darüber zu fällen. Der Ref.(erent) bekennt sich unfähig
dazu.“ (aus: Gesammelte
Konzertberichte und Rezensionen bis 1830, hrsg. von Theodor Schmid, Andreas
Traub und Gerda Burghard, Laaber 1987, S.429)
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