Donnerstag, 5. Oktober 2023

Missa Solemnis (1819-1823), Feierliche Messe von Ludwig van Beethoven mit dem Bachchor und dem Bachorchester Mainz (Leitung: Christoph Spering) und den Solisten Susanne Bernhard (Sopran), Catriona Morison (Alt), Georg Poplutz (Tenor) und Yorck Felix Speer (Bass), Alte Oper Frankfurt, 04.10.2023 (eine Veranstaltung der Frankfurter Bachkonzerte e. V.)

Beethoven bei der Arbeit an der Missa Solemnis (Gemälde von Joseph Karl Stieler um 1820)

„Unter widerwärtigen Lebensverhältnissen“ komponiert

Man tut sich schwer mit diesem gewaltigen, heute noch selten aufgeführten Werk, das Beethoven unter schwierigen wirtschaftlichen und gesundheitlichen, er selbst schreibt „untBeethoven bei er widerwärtigen Lebensverhältnissen“ ans Licht der Welt brachte. Die Tantiemen flossen nur noch spärlich, der Vormundschaftsprozess in Sachen Karl, der sogenannte „Neffenkonflikt“ zwischen Beethoven und seiner Schwägerin um das Sorgerecht ihres Sohnes Karl van Beethoven, die zunehmenden Hörprobleme und damit einhergehend die Konflikte mit der Dienerschaft, all das zerrte an den Nerven und sorgte dafür, dass das Werk, eigentlich zur Amtseinführung seines Freundes und Gönners Erzherzog Rudolf als Erzbischof von Olmütz im März 1820 gedacht, erst drei Jahre später, am 19.März 1823, als Reinschrift von fast 300 Seiten (70 Seiten mehr als die Neunte) fertiggestellt und gedruckt werden konnte. Und selbst das reichte noch nicht. Denn die gedruckte Erstausgabe konnte wegen Geldmangels erst posthum im Jahre 1827 beim Mainzer Schott Verlag erscheinen.

 

Möge es zu Herzen gehen

Die ungeheure Mühe, die Beethoven dieses Werk gekostet hat, drückt sich auch in Beethovens Bemerkung unter dem Autograph des Kyrie aus: „Von Hertzen – möge es wieder – zu Hertzen gehen.“

Fast 50 Musikerinnen und Musiker, überwiegend auf historischen Instrumenten wie Naturhörner, Barocktrompeten, Barockfagotte und Barockoboen und vermutlich auch mit Naturdarm versehenen Streichinstrumenten, wurden durch einen 70-köpfigen vierstimmigen Chor ergänzt. Dazu vier Gesangsolisten: Susanne Bernhard (Sopran), Catriona Morison (Alt), Georg Poplutz (Tenor) und Yorck Felix Speer (Bass). Die obligatorische Orgel fehlte allerdings, was den von Beethoven geforderten Raumklang nicht unbeträchtlich minimieren sollte.

Die klassische Aufteilung in fünf Abschnitte (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus mit Benedictus und Agnus Dei) sollte auch diese Messe bestimmen, wenn auch von Beethoven noch ein Graduale und ein Offertorium geplant war, was sich nicht mehr verwirklichen ließ.

Bachchor Mainz (Archivfoto aus der Website)

Viel Wechselgesang von Chor und Solisten

Das Kyrie beginnt sehr akkordisch und einem vom Tutti des Orchesters getragenen Adagio. Hier werden die vier Solisten vorgestellt. Eine Art Choral mit kontrapunktisch angelegter Stimmführung, während die Solisten mit dem Ruf, Herr erbarme Dich unser ihre Stimmgewalt erstmals auf die Probe stellen konnten. Hier gleich auffallend der stimmlich sehr gut zusammengesetzte Chor mit glänzenden und frischen Sopran- und Tenorstimmen.

Das Gloria setzt erstmals große Energie in das Orchester. Hörner, Trompeten und Posaunen bestimmen den kanonischen Duktus zwischen Solisten und Chor. Ab Quoniam tu solus Sanctus (Denn du allein bist der Heilige) wechselt die Stimmung in einen Triumphgesang und wird im Gloria Dei Patris (die Herrlichkeit Gottes) zu einer Fuge im Wechselgesang von Chor und Solisten von gewaltiger Ausdruckskraft transformiert.

 

Ein brillanter Mainzer Bachchor

Nach einer langen Stimmpause folgt das Credo. Es zählt zu den bemerkenswertesten Kapiteln dieser Messe. Zunächst ruft der Chor das Credo in unum Deum (Ich glaube an den einen Gott) und erzählt die Geschichte der Menschwerdung Gottes. In einem modalen, etwas düsteren Duktus folgt dann das Incarnatus est (er hat Fleisch angenommen). Hier dialogisieren Chor und Solisten, wobei der Chor im Unisono agiert. Das Auferstehungskapitel Et resurrexit tertia die (er ist auferstanden am dritten Tag) ist eine reiner Triumpfgesang des Chores, der in eine Fuge von außergewöhnlicher Schönheit mündet. In der Erwartung der Auferstehung von den Toten singt der Chor vom Leben der zukünftigen Welt (Et vitam venturi saeculi), eine Fuge von großer Noblesse mit schwierigsten Passagen, die aber meisterlich bewältigt wurden. Hier beweist der Mainzer Bachchor seine besondere Klasse, vor allem im furiosen Ende, das im doppelten Tempo daherkommt.

Missa Solemnis: Bachchor und Bachorchester Mainz, vorne stehend v.l.n.r.: 
Christoph Spering, Catriona Morison, Susanne Bernhard, Georg Poplutz, York Felix Speer
Foto: Frankfurter Bachkonzerte e. V. 

Sologeige als Vermittlerin zwischen Himmel und Erde

Nach einer langen Pause, die auch durch einen Schwächeanfall einer Dame im Publikum auf mehr als 10 Minuten ausgedehnt wird, folgt das Sanctus mit dem angehängten Benedictus. Heilig, Heilig, Heilig singen die Solisten im Stil eines Chorals und werden dabei von einem orchestralen Präludium unterstützt. Hier hat sich Beethoven etwas Besonderes ausgedacht. Er lässt die Sologeige als Vermittlerin zwischen dem Heiligen Geist und der Menschwerdung Gottes (Himmel und Erde sind erfüllt von Deiner Herrlichkeit) wunderschöne liedhafte Sentenzen spielen, was der Konzertmeisterin Margarete Adorf auch beeindruckend gelingt. Hier können die Solisten noch einmal ihre gesangliche Qualität beweisen. Allen voran die Sopranistin Susanne Bernhard mit einer klar, akzentuierten und mit warmen Höhen ausgestatteten Stimme; der Altistin Catriona Morison, die durch eine wunderbar timbrierte mittlere Lage hervorstach; der Tenor Georg Poplutz, der durch eine helle, wenn auch sehr zarte Stimme glänzte; sowie der Bass York Felix Speer, dessen außergewöhnliche Stimmtiefe auffiel, der aber leider zu oft seinen Gesangpart herauspresste.


Ein Verwirrspiel zwischen Krieg und Frieden

Das Agnus Dei, das flehende Miserere nobis (erbarme Dich unser) wird von der Bassstimme eingeleitet und von Chor, Sopran, Tenor und Alt fortgesetzt. Hier wechseln die Stimmungen zwischen Bittgesang und Jagdgeheul, um nicht zu sagen Kriegsgerassel. Das Dona nobis pacem (Gib uns den Frieden) wird zum einzigen Verwirrspiel. Das Orchester übernimmt zeitweise das Zepter, verliert sich in schwierige, virtuose Passagen mit militärischem Pauken und Trommelwirbel. Man glaubt das Kriegsgetümmel vor den Toren Wiens zu vernehmen. Dann wieder sind wir bei Händels Messias, beim Halleluja des Chores (Und er regiert auf immer und ewig) angelangt.

Missa SolemnisBachchor und Bachorchester Mainz, vorne stehend v.l.n.r.: 
York Felix Speer, Georg Poplutz, Christoph Spering, Catriona Morison, Susanne Bernhard  
Foto: Frankfurter Bachkonzerte e. V. 

Die Missa solemnis, ein Wagnis in jeder Beziehung

Ein Schluss von einiger Verwirrung, zumal hier das Orchester überfordert und das Zusammenwirken von Gesang und Spiel aus den Fugen zu geraten drohte. An dieser Stelle muss man auch konstatieren, dass das Dirigat von Christoph Spering ein wenig zu dieser Lage beitrug. Ihm fehlte der Esprit, den dieses gewaltige Werk verdient hätte. Viele Stellen gerieten unter seiner Hand zu getragen, zu schleppend, ja zu langsam. Und der dynamische Kontrast, den das Werk Beethovens allgemein und dieses Werk im Besonderen ausstrahlt, nämlich die verzweifelte Suche nach seinem ganz persönlichen Gottesverständnis sowie sein Wunsch, dass dieses Werk das „Schönste seines Lebens“ sein sollte, war selten herauszuhören.

Der Beifall des gut besetzten großen Saals der Alten Oper Frankfurt fiel denn auch freundlich aber nicht überschwänglich aus. Die Beethovensche Missa Solemnis ist und bleibt ein Wagnis in jeder Beziehung. Hier sei ein Kritiker aus der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung aus dem Jahre 1827 zitiert: „Wer sich anmaßt, ein so complicirtes (sic.) Tonwerk nach einmaligem Hören gefasst und verstanden zu haben, mag es wagen, ein Urtheil (sic.) darüber zu fällen. Der Ref.(erent) bekennt sich unfähig dazu.“ (aus: Gesammelte Konzertberichte und Rezensionen bis 1830, hrsg. von Theodor Schmid, Andreas Traub und Gerda Burghard, Laaber 1987, S.429)

 

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