Samstag, 28. Oktober 2023

Take a Stand – Festakt der Akademie Musiktheater heute, drei szenische Miniatur-Musiktheaterstücke, LAB Frankfurt, 27.10.2023 (eine Veranstaltung der Deutsche Bank Stiftung)

Probenfoto zu No choice im Rahmen des Festakts der Akademie Musiktheater heute (Foto: Wonge Bergmann)

Haltung zeigen

Gemeinsam mit Mitgliedern der Hochschulschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) und dem Ensemble Modern (EM) feierten 15 Stipendiatinnen und Stipendiaten des Förderprogramms der Deutschen Bank Stiftung mit drei Miniopern zum Thema Take a Stand den Abschluss ihrer zweijährigen musikalischen, schauspielerischen und dramaturgischen Ausbildung im vollbesetzten LAB-Frankfurt. Drei Miniopern, oder besser drei Musiktheater (alle drei natürlich Uraufführungen) zu den Themen Heimat, Geschlechterbilder und Ungleichheit wurden präsentiert, die ganz eigene Standpunkte und Einstellungen der Künstler und Künstlerinnen widerspiegelten.

Probenfoto mit Cong Wei zu no-mads (Foto: Wonge Bergmann)

Heimat – Heimatlosigkeit

Gehen wir gleich in medias res. Das erste ca. 20 Minuten dauernde Werk nannte sich No-mads (frei übersetzt: keine Nomaden) und fragte konsequent nach dem Heimatbegriff. Eine Sprecherin, Nora Solcher (sie kommt von der HfMDK) machte erst einmal deutlich, wie unbedeutend der Mensch auf diesem Globus sei. Im Hintergrund bewegten sich drei clownshafte Figuren (Sänger der HfMDK), die sich auf vier ständig bewegten Freitreppen tummelten und wirklich in bestem Mezzo (Natsumi Wolff), Sopran (Daria Tymoschenko) und Tenorfalsett (Michael Kieslich, eigentlich Bassbariton) die Problematik der Heimatfindung besangen. Die Musik der Komponistin Cong Wei, von neun Instrumentalisten des EM unter der Leitung von Pontus Schirmer realisiert, changierte zwischen Melodik und krasser Atonalität. Insgesamt aber sehr angepasst an den Text und die schwierigen Gesänge, solistisch, im Duett und im Terzett. Insgesamt bewegte sich der Tenor dieser Miniatur zwischen Depression, Aggression, Verlassenheit und tiefer Trauer. Der Vorhang fällt und alle Fragen bleiben offen. „Heimat ist da, wo man daheim ist“, dazu Reptilienmasken übergezogen? Zumindest macht Heimatlosigkeit in dieser Performance nicht glücklich.

Probenfoto mit Aigerim Seilova zu Ich-Elektra (Foto: Wonge Bergmann)

Elektra gegendert?

Genderbilder sollten durch Ich-Elektra hinterfragt und reflektiert werden. Ich-Elektra, so die Regisseurin Sarah Kohm und die Komponistin Aigerim Seilova will den male gaze, den männlichen Blick auf die antike Person unter weiblichen Gesichtspunkten neu interpretieren. Dazu nehmen sie zwar Bezug auf die Musik von Richard Strauss und das Libretto von Hugo von Hofmannsthal zur Oper Elektra, aber auch unter textlichen Ergänzungen von Paulina Czienskowski, in Anlehnung an die Tragödien von Sophokles und Euripides, aber all das unter dem musikalischen und dramaturgischen Blickwinkel von Frauen über Frauen, oder konkret: „Von Elektra über Elektra.“

Das Bühnenbild (Ariane Stamatescu) besteht aus einem schwarzen Kreis, in dessen Mitte ein mit Wasser gefülltes Becken thront. Ein Gesangsquartett simuliert den antiken Tragödienchor, in schwarzem Renaissance Outfit gekleidet (Adrian Bärwinkel). Die Schauspielerin und Sängerin, Eva Hüster (von der neben Sarah Kohm auch die Idee dieser Inszenierung stammt), dominiert als Elektra die Bühne wie auch den Fortgang der Handlung. Sie baut beschriftete Schiffchen, Rache-Schiffchen, denn eigentlich möchte sie ihre Mutter töten, und verteilt sie in das Wasserbecken. „Ich warte, warte, warte, dass meine Mutter nach ihrem Leben schreit“, singt sie mit ausdrucksstarkem Sopran.

Szene aus Ich-Elektra mit Eva Hüster (Foto: Wonge Bergmann)

Gebärmutter oder Racheengel

Der musikalische Grundton, von neun Mitgliedern des EM erzeugt, ist minimalistisch, elektronisch verfremdet, von schmalen Flächen durchzogen, die mitunter von nervösen Clustern unterbrochen werden. Der Tragödienchor (zu den drei oben genannten Sängern gesellte sich noch der Bariton Seongjae Choe, ebenfalls HfMDK) erzählt Geschichten aus dem Umfeld der Königsfamilie. Elektra selbst verwandelt sich zunehmend (ausgedrückt auch durch die ständigen Wechsel ihrer weißen Papierkleider) in eine fragende, an sich zweifelnde Person: „Ich bin Chrysothemis“, „ich bin Klytämnestra“. Sie wird aber auch zur Lulu, zur Medea, zur Salome oder zur Lucia. Sie entwirft sich neu, ohne wirkliche Überzeugung. Bin ich Chrysothemis oder Elektra, bin ich Gebärmutter oder Racheengel? Alles färbt sich rot, Blutspritzer werden ausgeteilt und alle blutigen Kleiderstücke im Wasser des Beckens reingewaschen. Ihr Fazit: „Ich trage mein Schicksal nicht still“, „wer sich wehrt ist allein, aber Gefügigkeit wird uns nicht retten“.

 

Drama ohne Zuversicht

Tatsächlich singt und spielt Eva Hüster ausgezeichnet und absolut ausdrucksstark mit sehr gut akzentuierter Stimme. Auch die insgesamt minimalistisch angelegte Musik von Aigerim Seilova überzeugte durch Ideenreichtum (so ein eingeschobenes Bassklarinetten Solo von Dana Barak, oder auch choralähnliche Elemente für das Gesangquartett) und angemessener Musiksprache. Drama pur möchte man meinen, aber auch hier wenig Zuversicht. Statt eines selbstbewussten Abgangs, ein statisches Einfrieren des Chors und das Verschwinden von Elektra im Nebel des Bühnenhintergrunds. Ohne Wiederkehr versteht sich.

Katharina Roth Komponistin von No choice (Foto: oe1 ORF.at)

Das Leben ist ein Glücksspiel

Die Statik wird durchbrochen durch einen in Frack gekleideten, an die 1920er Jahre erinnernden Conférencier, Simon Kluth. Er fragt ganz unverblümt das Publikum, während die Bühne umgestaltet wird: „Ist es nicht schön, wenn alle ihren Platz haben, alles am Platz ist? … Ich hoffe, Sie hatten eine gute Zeit. Das wird sich jetzt ändern … Das Leben ist manchmal ein Glücksspiel …“

Elektra ist tot, es lebe das Glücksspiel, heißt es jetzt, denn sein Auftritt lässt unmittelbar die weibliche Tragödie vergessen. Simon Kluth ist ein geborener Unterhalter. Er versetzt mit wenigen Worten und Gesten das Publikum in einen neuen Zustand.

Simon Kluth (Foto: Bernd Brundert)

Ein Experiment in rot, grün, blau und gelb

No Choice heißt das abschließende Musiktheater und meint damit im eigentlichen Sinne die Unmöglichkeit, alles was geschieht auch erleben zu können. Was sagt der Conférencier dazu?: „Sie werden unterschiedliches erleben. Keine Angst – Leben sind unterschiedlich. Man kann nicht alles mitbekommen, was auf der Welt passiert.“  Eigentlich banal, aber hier in ein Experiment von außerordentlichem Wagnis eingebettet.

Jetons in rot, blau, gelb und grün werden ausgeteilt, die Bühne ist dreigeteilt, und das Publikum wird aufgefordert, nach Farbe der Jetons sich in die verschiedenen Abteilungen der Bühne wie auch der Tribüne zu begeben. Ein Spaß, scheinbar, denn jetzt ertönt an vier Stellen des Saals gleichzeitig Musik (von Mitgliedern des EM) und drei Sprecher (neben Simon Kluth noch Nora Solcher noch der Bariton Seongjae Choe) reden laut in die Mikrofone. In abgegrenzten Räumen wird man einem verwirrenden Geräuschpegel ausgesetzt. Es fällt schwer, sich zu konzentrieren. Auch wird einem untersagt, in andere Abteilungen der Bühne zu wechseln. Chaos vielleicht, aber eines, das zum Denken anregen soll. 

Während die Sprecher Ungleichheiten aller Art anprangern und das Leben zu einem Glückspiel machen, steht man inmitten einer Kakophonie von Tonsplittern und fragmentarischer Geräuschkulisse. Man hört alles und nichts. Die vorgegebenen Regeln hemmen jeden Einzelnen, während unsere Entscheidung, hierhin oder dorthin zu sehen und zu hören, ständig durch fremde Lautstärken beeinträchtigt, ja unterbunden wird.

Probenszene mit Nora Solcher (Foto: Wonge Bergmann)

Eher Abschalten als Nachdenken

Das aber ist im richtigen Leben nichts unbedingt Neues, fragmentarisches Erleben ist eher die Regel als die Ausnahme.

No choice in dieser Form präsentiert, die Komposition von Katharina Roth und alles andere miteingeschlossen, führte eher zum Abschalten als zum Nachdenken. Sicher ist diese Performance, worin, ohne Abstriche, alles enthalten ist, was modernes Musiktheater ausmacht, mag vielleicht ein witziges Unterfangen sein (immerhin wurde viel gelacht), aber die ganze Welt des Theaters passt nun mal nicht in eine Mini-Oper. Fremdbestimmheit, keine Wahl zu haben, unterschiedliche Erlebniswelten etc., all das gehört zu den Alltäglichkeiten und muss nicht künstlerisch und musikalisch nachempfunden werden, zumal Text, Regie und Musik so nicht erlebt werden konnten. Der Schlusssatz aus dem Programm zu No choice: „Es liegt an uns, zu entscheiden“ ist vor diesem Hintergrund eher kontraproduktiv, denn hätte man es in die Tat umgesetzt, wäre das Stück geplatzt.

Szene aus no choice , Sänger Seongjae Choe  (Foto: Wonge Bergmann)

Sehr gute Künstler aber viel geistiges Chaos

Alles in Allem bildet Take a Stand einen beeindruckenden Ist-Zustand der jungen Künstlerszene ab. Sehr gute Einzeldarsteller, Sänger und Schauspieler, ideenreiche und gekonnte Kompositionen, gute Regie bei bester Unterstützung vom EM, Studenten der HfMDK sowie professioneller Klangregie, Norbert Ommer, Tontechnik, Tim Abramczik, und Koordination, Rainer Römer. All das zusammengenommen war ausschlaggebend für einen gelungenen Abend, verbunden mit einem respektablen Abschlussfest der Stipendiaten. Allerdings bleibt auch nicht verborgen, dass die jungen Künstlerinnen und Künstler stark beeinträchtigt werden von den gesellschaftlichen Vorgaben des Genderns, der Wokeness und der unseligen, von allen Seiten geforderten Haltungsdokrin. Interessanterweise zeigte keines der Miniopern wirkliche Haltung, sondern eher Verzweiflung und Niedergeschlagenheit. Vor allem in no-mads und Ich-Elektra. Aber auch no-choice konnte das geistige Chaos nicht aus der Welt schaffen. Tatsächlich kam hier der Conférencier Simon Kluth dem momentanen Zeitgeist am nächsten: „Wüste Nevada, Las Vegas – der Oberhammer! Aber wo ist der Fluss?“   

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen