Mittwoch, 8. November 2023

Berliner Philharmoniker, musikalische Leitung Kirill Petrenko, Alte Oper Frankfurt, 07.11.2023

Kirill Petrenko und Mitglieder der Berliner Philharmoniker
(Foto: Stephan Rabold)

W. A. Mozart vs. Max Reger?

Kirill Petrenko, seit 2019 Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, ist bekannt für seine außergewöhnliche Auswahl von selten gespielten Werken.

Dieses Mal hat er die Variationen und Fuge für Orchester über ein Thema von Mozart op 132 (1914) von Max Reger (1873-1916) mitgebracht. Ein Thema aus Wolfgang Amadeus Mozarts A-Dur Sonate KV 331, bekannt für ihren Türkischen Marsch als Schlusssatz sowie für sein leichtgängiges Andante grazioso seines einleitenden Variationen Satzes im Stile eines barocken Siciliana Tanzes. Warum also wird ein melodischer Ohrwurm so wenig aufgeführt, wo doch die Sonate zum Repertoire eines jeden Pianisten gehört?

 

Fortschritt und Altmeisterlichkeit

Das mag wohl hauptsächlich am Komponisten selbst liegen. Denn Max Reger, der sich selbst als „Fortschrittler“ bezeichnete fiel seiner Zeit eher durch Altmeisterlichkeit und Provinzialismus auf. Seine Werke reizten die Tonalität bis an ihre Grenzen aus, waren oft von akademischem Geist geprägt. Gleichzeitig reagierte er dünnhäutig auf jegliche Kritik, um aber gleichzeitig heftig auszuteilen. So lehnte er strikt jegliche Programmmusik ab, kritisierte direkt wie indirekt seine Zeitgenossen Gustav Mahler und Richard Strauss und forderte stattdessen die Rückkehr zur „Musiziersinfonie“, worunter er „einfachste und unschuldigste Musik“ verstand. Entsprechend zichtigte er die wirklich Modernen seiner Zunft, musikalisch zumindest, als Schafe und Affen. Gut katholisch und königstreu war er obendrein, alles Attribute, die den Workaholic zu einem Außenseiter machten und ihn früh, bereits 1916, das Zeitliche segnen ließ.

Bemerkenswert an dieser Stelle sei, dass die Variationen am 08. Januar 1915, der 1. Weltkrieg war in vollem Gange, in Wiesbaden uraufgeführt wurde. Über ihren Erfolg ist leider nichts bekannt.

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker (Foto: Monika Rittershaus)

Starke Affinität mit Mozarts A-Dur Sonate

Kommen wir zum Werk selbst. Es besteht aus acht Variationen und orientiert sich tatsächlich tonartgleich an der achttaktigen melodischen Struktur der Mozartischen Sonate. Bis zur sechsten Variation scheint sich Reger an Mozarts Vorlage zu halten, erst in der siebenten, dem Andante grazioso, wiederholt er nahezu tongetreu das Variationen Thema, allerdings jetzt in F-Dur, um dann in der letzten, einem Molto sostenuto, ein völlig neues Thema anzubieten, eine meditative Fantasie in schwelgender, farbenreicher, ja unschuldiger Manier.

Die abschließende Doppelfuge, hier greift Reger auf die Schlusssequenz des Variationen Themas zurück, führt alle Instrumentengruppen noch einmal zu kontrapunktischen Höchstleistungen, bevor in einer Art Coda das Werk mit der Wiederaufnahme des Mozart Themas über die Blech- und Holzbläser zu einem majestätischen Ende führt.

 

Übersicht und Vorausschau

Kirill Petrenko ist ein Meister der Animation. Seine unglaubliche Präsenz, gepaart mit Eleganz, Übersicht und vor allem Vorausschau, ist phänomenal. Dazu hat er einen Klangkörper zur Verfügung, der irgendwie mit ihm verschweißt zu sein scheint. Man kommuniziert bis in kleinste Details. Die Phrasierungen, die Spannungsbögen und dynamischen Kontrastierungen sind von außerordentlicher Eingebung und lassen seine, vom Orchester perfekt adaptierte musikalische Interpretation zu einem intensiven Erlebnis werden.

So wie er dieses gut 20-minütige Werk präsentierte, könnten, ja müssten die Variationen zum allgemeinen Repertoire aller Orchester gehören. Allerdings bräuchten sie dann auch einen Klangkörper und einen Dirigenten von dieser Qualität. In dieser Weise vorgetragen rehabilitierten Regers Variationen über ein Thema von Mozart den doch insgesamt umstrittenen Komponisten in bester Manier.

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker (Foto: Monika Rittershaus)

Selbstverherrlichung oder Selbstkritik?

Natürlich gehört die sinfonische Dichtung Ein Heldenleben op.40 (1898) von Richard Strauss (1864-1949) zum Pflichtprogramm eines jeden Orchesters von Weltrang.

Man fragt sich jedes Mal beim Hören, ist es die schamlose Selbstverherrlichung des 35-jährigen sehr gereiften Komponisten - Immerhin vergleicht er sich, mit einem Schuss Ironie zwar, mit Nero und Napoleon -, oder beinhaltet die Dichtung letztendlich doch die Erkenntnis, das Heldentum scheitern muss. Immerhin schreibt Strauss seinem Freund, dem Schriftsteller Romain Rolland: „Ich bin kein Held. Mir fehlt die nötige Kraft, ich bin nicht für die Schlacht gemacht; ich ziehe es vor, mich zurückzuziehen, Ruhe und Frieden zu genießen …“

 

Imaginäre Liebe und Schlachtgetümmel

Ein Heldenleben hat von allem etwas. Das Heldenthema zu Beginn erinnert unweigerlich an Beethovens Eroica. Trompetensignale rufen den Helden zu neuen Taten auf.

Mit schrägen Holzbläser Einlagen, atonalen Abwärtssprüngen, leitet das musikalische Geschehen auf die Widersacher des Helden über. Er überzieht sie mit Spott und Hohn, lässt sie zu Karikaturen werden. Dann kommt er zur Besinnung und gedenkt seiner Gefährtin. Eine imaginäre Geliebte, eine, die sich der Held in seinen kühnsten Träumen wünscht.

Strauss entscheidet sich hier für die Sologeige im Dialog mit Hörnern, Kontrabässen, Englisch Horn sowie Tuba und Bassklarinette. Der erste Konzertmeister, Daishin Kashimoto, übernimmt mit zarten melodischen Episoden diesen wunderbaren Teil des Epos. Große Liebe, überbordende Leidenschaft, romantisches Glücksgefühl beherrschen das Geschehen und der Solist versteht es, im dialogischen Austausch diesen Zustand bis in höchste Höhen zu treiben, bevor es zum Knall kommt. 

Die Schlacht ruft. Den Helden dürstet es nach Kampf und siegreicher Tat. Hier dominieren die Perkussionisten. Militärtrommeln, Schlachtrufe der Trompeten und marschähnliche Taktfolgen in extremer Lautstärke prägen diesen Teil, der allerdings immer wieder durch ein Innehalten des Protagonisten unterbrochen wird. Die Sehnsucht nach der Geliebten unterbricht immer wieder das Schlachtgetümmel.

Kirill Petrenko und Mitglieder der Berliner Philharmoniker
(Foto: Monika Rittershaus)


Abgesang zur positiven Resignation

Der Held besinnt sich. Strauss selbst scheint hier zur Besinnung zu kommen, denn er zitiert aus eigenen Werken wie aus Des Eulenspiegels lustige Streiche (1895), aus Don Juan (1889)oder auch aus der sinfonischen Dichtung Also sprach Zarathustra (1896).

Wohin geht er? Wohin neigt sich sein Wille? Es ist sein Hang zur Weltenflucht. Erinnern wir uns an Straussens Wunsch, sich zurückzuziehen und seine Frieden zu finden. All das geschieht im Epilog. Ein großartiger Abgesang auf alles Heldenhafte, eine positive Resignation, die in einem Liebesduett zwischen Sologeige und Horn endet. Aber Strauss wäre nicht Strauss, wenn er hier abbrechen würde. Ein Triumph muss sein. Mit einer Reminiszenz an Also sprach Zarathustra (zwei Jahre zuvor fertiggestellt) lässt er den Helden in einem pompösen „Staatsbegräbnis“ (O-Ton Strauss) die letzte Ehre erweisen.

 

Staatsbegräbnis als Staatsakt

Ein fünfzig-minütiger Ritt durch alle Gefühlswelten. Kirill Petrenko wurde am Pult zum Über-Helden dieses spannungsgeladenen Epos. Das Orchester zum Heroen, zum Widersacher, zum Liebeslager, wie zum Schlachtfeld. Der Epilog ließ alle Gefühle, die des Orchesters wie die des Dirigenten, noch einmal aufwallen. Das „Staatsbegräbnis“ des Helden ist gleichzeitig das Gütesiegel, quasi ein Staatsakt für die Berliner Philharmoniker und ihres Dirigenten, Kirill Petrenko. Sie waren die wahren Helden dieses einzigartigen Konzertabends.    

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