Berliner Philharmoniker, musikalische Leitung Kirill Petrenko, Alte Oper Frankfurt, 07.11.2023
Kirill Petrenko und Mitglieder der Berliner Philharmoniker (Foto: Stephan Rabold) |
W. A. Mozart vs. Max Reger?
Kirill
Petrenko, seit 2019 Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, ist bekannt für
seine außergewöhnliche Auswahl von selten gespielten Werken.
Dieses Mal
hat er die Variationen und Fuge für Orchester über ein Thema von Mozart op
132 (1914) von Max Reger (1873-1916) mitgebracht. Ein Thema aus Wolfgang
Amadeus Mozarts A-Dur Sonate KV 331, bekannt für ihren Türkischen Marsch
als Schlusssatz sowie für sein leichtgängiges Andante grazioso seines einleitenden
Variationen Satzes im Stile eines barocken Siciliana Tanzes. Warum also
wird ein melodischer Ohrwurm so wenig aufgeführt, wo doch die Sonate zum Repertoire
eines jeden Pianisten gehört?
Fortschritt
und Altmeisterlichkeit
Das mag wohl
hauptsächlich am Komponisten selbst liegen. Denn Max Reger, der sich selbst als
„Fortschrittler“ bezeichnete fiel seiner Zeit eher durch Altmeisterlichkeit und
Provinzialismus auf. Seine Werke reizten die Tonalität bis an ihre Grenzen aus,
waren oft von akademischem Geist geprägt. Gleichzeitig reagierte er dünnhäutig
auf jegliche Kritik, um aber gleichzeitig heftig auszuteilen. So lehnte er
strikt jegliche Programmmusik ab, kritisierte direkt wie indirekt seine Zeitgenossen
Gustav Mahler und Richard Strauss und forderte stattdessen die Rückkehr zur „Musiziersinfonie“,
worunter er „einfachste und unschuldigste Musik“ verstand. Entsprechend
zichtigte er die wirklich Modernen seiner Zunft, musikalisch zumindest, als Schafe
und Affen. Gut katholisch und königstreu war er obendrein, alles Attribute, die
den Workaholic zu einem Außenseiter machten und ihn früh, bereits 1916, das
Zeitliche segnen ließ.
Bemerkenswert an dieser Stelle sei, dass die Variationen am 08. Januar 1915, der 1. Weltkrieg war in vollem Gange, in Wiesbaden uraufgeführt wurde. Über ihren Erfolg ist leider nichts bekannt.
Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker (Foto: Monika Rittershaus) |
Starke
Affinität mit Mozarts A-Dur Sonate
Kommen wir
zum Werk selbst. Es besteht aus acht Variationen und orientiert sich tatsächlich
tonartgleich an der achttaktigen melodischen Struktur der Mozartischen Sonate.
Bis zur sechsten Variation scheint sich Reger an Mozarts Vorlage zu halten,
erst in der siebenten, dem Andante grazioso, wiederholt er nahezu
tongetreu das Variationen Thema, allerdings jetzt in F-Dur, um dann in der
letzten, einem Molto sostenuto, ein völlig neues Thema anzubieten, eine meditative
Fantasie in schwelgender, farbenreicher, ja unschuldiger Manier.
Die
abschließende Doppelfuge, hier greift Reger auf die Schlusssequenz des Variationen
Themas zurück, führt alle Instrumentengruppen noch einmal zu kontrapunktischen
Höchstleistungen, bevor in einer Art Coda das Werk mit der Wiederaufnahme
des Mozart Themas über die Blech- und Holzbläser zu einem majestätischen Ende führt.
Übersicht
und Vorausschau
Kirill
Petrenko ist ein
Meister der Animation. Seine unglaubliche Präsenz, gepaart mit Eleganz,
Übersicht und vor allem Vorausschau, ist phänomenal. Dazu hat er einen
Klangkörper zur Verfügung, der irgendwie mit ihm verschweißt zu sein scheint.
Man kommuniziert bis in kleinste Details. Die Phrasierungen, die Spannungsbögen
und dynamischen Kontrastierungen sind von außerordentlicher Eingebung und
lassen seine, vom Orchester perfekt adaptierte musikalische Interpretation zu einem intensiven
Erlebnis werden.
So wie er dieses gut 20-minütige Werk präsentierte, könnten, ja müssten die Variationen zum allgemeinen Repertoire aller Orchester gehören. Allerdings bräuchten sie dann auch einen Klangkörper und einen Dirigenten von dieser Qualität. In dieser Weise vorgetragen rehabilitierten Regers Variationen über ein Thema von Mozart den doch insgesamt umstrittenen Komponisten in bester Manier.
Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker (Foto: Monika Rittershaus) |
Selbstverherrlichung
oder Selbstkritik?
Natürlich
gehört die sinfonische Dichtung Ein Heldenleben op.40 (1898) von Richard
Strauss (1864-1949) zum Pflichtprogramm eines jeden Orchesters von Weltrang.
Man fragt
sich jedes Mal beim Hören, ist es die schamlose Selbstverherrlichung des
35-jährigen sehr gereiften Komponisten - Immerhin vergleicht er sich, mit einem
Schuss Ironie zwar, mit Nero und Napoleon -, oder beinhaltet die Dichtung letztendlich
doch die Erkenntnis, das Heldentum scheitern muss. Immerhin schreibt Strauss
seinem Freund, dem Schriftsteller Romain Rolland: „Ich bin kein Held. Mir fehlt
die nötige Kraft, ich bin nicht für die Schlacht gemacht; ich ziehe es vor,
mich zurückzuziehen, Ruhe und Frieden zu genießen …“
Imaginäre
Liebe und Schlachtgetümmel
Ein Heldenleben
hat von allem etwas. Das Heldenthema zu Beginn erinnert unweigerlich an
Beethovens Eroica. Trompetensignale rufen den Helden zu neuen Taten auf.
Mit schrägen
Holzbläser Einlagen, atonalen Abwärtssprüngen, leitet das musikalische Geschehen
auf die Widersacher des Helden über. Er überzieht sie mit Spott und Hohn, lässt
sie zu Karikaturen werden. Dann kommt er zur Besinnung und gedenkt seiner
Gefährtin. Eine imaginäre Geliebte, eine, die sich der Held in seinen kühnsten
Träumen wünscht.
Strauss entscheidet sich hier für die Sologeige im Dialog mit Hörnern, Kontrabässen, Englisch Horn sowie Tuba und Bassklarinette. Der erste Konzertmeister, Daishin Kashimoto, übernimmt mit zarten melodischen Episoden diesen wunderbaren Teil des Epos. Große Liebe, überbordende Leidenschaft, romantisches Glücksgefühl beherrschen das Geschehen und der Solist versteht es, im dialogischen Austausch diesen Zustand bis in höchste Höhen zu treiben, bevor es zum Knall kommt.
Die Schlacht ruft. Den Helden dürstet es nach Kampf und siegreicher Tat. Hier dominieren die Perkussionisten. Militärtrommeln, Schlachtrufe der Trompeten und marschähnliche Taktfolgen in extremer Lautstärke prägen diesen Teil, der allerdings immer wieder durch ein Innehalten des Protagonisten unterbrochen wird. Die Sehnsucht nach der Geliebten unterbricht immer wieder das Schlachtgetümmel.
Kirill Petrenko und Mitglieder der Berliner Philharmoniker (Foto: Monika Rittershaus) |
Abgesang
zur positiven Resignation
Der Held
besinnt sich. Strauss selbst scheint hier zur Besinnung zu kommen, denn er
zitiert aus eigenen Werken wie aus Des Eulenspiegels lustige Streiche (1895), aus Don
Juan (1889), oder auch aus der sinfonischen Dichtung Also sprach Zarathustra (1896).
Wohin geht
er? Wohin neigt sich sein Wille? Es ist sein Hang zur Weltenflucht. Erinnern
wir uns an Straussens Wunsch, sich zurückzuziehen und seine Frieden zu finden.
All das geschieht im Epilog. Ein großartiger Abgesang auf alles Heldenhafte,
eine positive Resignation, die in einem Liebesduett zwischen Sologeige und Horn
endet. Aber Strauss wäre nicht Strauss, wenn er hier abbrechen würde. Ein Triumph
muss sein. Mit einer Reminiszenz an Also sprach Zarathustra (zwei Jahre
zuvor fertiggestellt) lässt er den Helden in einem pompösen „Staatsbegräbnis“
(O-Ton Strauss) die letzte Ehre erweisen.
Staatsbegräbnis
als Staatsakt
Ein fünfzig-minütiger Ritt durch alle Gefühlswelten. Kirill Petrenko wurde am Pult zum Über-Helden dieses spannungsgeladenen Epos. Das Orchester zum Heroen, zum
Widersacher, zum Liebeslager, wie zum Schlachtfeld. Der Epilog ließ alle Gefühle,
die des Orchesters wie die des Dirigenten, noch einmal aufwallen. Das „Staatsbegräbnis“
des Helden ist gleichzeitig das Gütesiegel, quasi ein Staatsakt für die Berliner
Philharmoniker und ihres Dirigenten, Kirill Petrenko. Sie waren die
wahren Helden dieses einzigartigen Konzertabends.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen