Le Grand Macabre, Oper in zwei Akten von György Ligeti, Frankfurter Erstaufführung, Oper Frankfurt, 05.11.2023
Simon Neal (Nekrotzar) (alle Fotos von Barbara Aumüller) |
Der große
Makabre ist Leichenbestatter
Le Grand
Macabre ist ein
Spiegelbild der heutigen Welt. Von Kriegen geplagt, von Pandemien gepeinigt,
von Umweltzerstörungen erschreckt, scheint die Menschheit ihren eigenen
Untergang zu planen. Die biblische Offenbarung rückt näher, die sieben Plagen
vor dem angekündigten Jüngsten Tag melden sich bedrohlich an. Der Große
Makabre, der Prophet des Untergangs, ein Leichenbestatter, betritt die
Weltbühne und verkündet die baldige Vernichtung des belebten Globus.
Feind
jeglicher Ideologie
György Ligeti (1923-2006) schrieb diese knapp zweistündige Oper im Jahre 1978, angesichts der politischen Weltlage des Kalten Krieges, der Atomkriegsangst, des permanenten Kampfes zwischen Freiheit und Unterdrückung. Er selbst, Jude, unmittelbar Betroffener des Holocausts, in Ungarn geboren, und nach dem Volksaufstand 1956 in den Westen geflohen, war ein entschiedener Gegner sämtlicher Ideologien, sowohl rechter wie linker, als auch religiöser.
v.l.n.r. Anna Nekhames (Venus), Peter Marsh (Piet vom Fass), Elizabeth Reiter (Amanda), Karolina Makula (Amando) und Simon Neal (Nekrotzar) sowie im Hintergrund Statisterie der Oper Frankfurt |
Eine
Antwort auf den Faschismus
Le Grand
Macabre – er hat
dieses Werk mehrere Male umgeschrieben bis zu seiner letzten Fassung 1996, die
auch aktuell in Frankfurt gespielt wird – ist insofern eine musikalische und
theatrale Auseinandersetzung mit menschlichen Charakteren in außergewöhnlichen
Situationen. In Weltuntergangssituationen. In Todesangstsituationen. Le
Grand Macabre ist die Konfrontation mit dem Tod. Ligeti dazu: „Es ist die
Angst vor dem Tod, die Apotheose der Angst und das Überwinden der Angst durch
Komik, durch Humor, durch Groteske.“
Aha. Es ist also absurdes Theater, ein Dadaismus der Extreme, eine Anti-Anti Oper zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Rationalität und Irrationalität. Ligeti wählte die Thematik aus Michel de Ghelderodes (1898-1962) Farce La Balade du Grand Macabre aus den frühen 1930er Jahren. Eine ironische Antwort auf den Faschismus.
vorne v.l.n.r. Anna Nekhames (Venus; im Sarg liegend), Simon Neal (Nekrotzar) und Peter Marsh (Piet vom Fass) sowie im Hintergrund Statisterie der Oper Frankfurt |
Manipulation
– die Schwäche der Menschen
Worum geht
es? Ein Komet nähert sich der Welt und droht die gesamte Menschheit zu
vernichten. Videoeinblendungen (Ruth Stofer, Tabea Rothfuchs,
Videos) bringen Nachrichten aus aller Herren Länder. Staus auf Straßen und Autobahnen
lassen entsetzte Menschen aus ihren PKWs steigen (Zinovy Margolin,
Bühnenbild) und ein schräges Hupkonzert (übrigens eine Art barocke Ouvertüre)
stimmt in das Chaos ein. Der Bestatter Nekrotzar (Simon Neal, Bariton)
sieht seine Chance gekommen. Schon immer wollte er im gesellschaftlichen Mittelpunkt
stehen, und deklamiert jetzt Texte des Untergangs. Schauergeschichten à la E.T.A
Hoffmann. Er geriert sich als der große Makabre und schafft es, die Menschen zu
manipulieren. Nichts weiter hat er im Sinn, als das angebliche Ende der Welt
mit aberwitzigen Geschichten zu garnieren. Dazu wählt er sich den notorischen
Trinkgesellen Piet vom Fass (Peter Marsh, Tenor) als begleitenden Apostel
aus, oder eher als sklavischen Handlanger. Eine windige Figur, die dem üblen Spiel
eine bacchanale Note erteilt.
Lediglich ein Liebespaar lässt sich nicht vereinnahmen. Amando (Karolina Makula, Mezzo) und Amanda (Elizabeth Reiter, Sopran). Sie verkriechen sich im Sarg (aus dem allerdings die „Leiche“ der Venus vorher entnommen wurde) und lassen Weltende Weltenende sein. Sie wollen sich lieben, und weiter nichts.
In Partylaune
zum Untergang
Natürlich braucht das Jüngste Gericht groteske Gestalten. Da sind Astradamors (Alfred Reiter, Bass) und Mescalina (Claire Barnett-Jones, Mezzo) – wer denkt da nicht an Nostradamus und Messalina, die Nimmersatte – wie auch die Venus (Anna Nekhames, Sopran), „die Schlampe“ (so nennt sie Nekrotzar), oder die gesamte Palette historischer Gestalten wie Dschingis Khan, Josef Stalin, Napoleon, Kaiser Wilhelm II., Cleopatra, Caesar und viele mehr. Allen voran aber die gewandelte Venus als Chef der Geheimpolizei, Gepopo (Anna Nekhames, hier Koloratursopranistin). Sie bildet quasi den Überbau der historischen Lei(d)figuren wie eine Königin der Nacht. Mit abwegigen Nightmäregeschichten beschreibt sie in halsbrecherischen Koloratur Kaskaden die Apokalypse und versetzt den Fürsten Go-Go (Eric Jurenas, Countertenor), eigentlich ein großzügiger Gastgeber der Untergangsparty, wie auch die gesamte Feierbagage, in Angst und Schrecken.
Bildmitte v.l.n.r. Eric Jurenas (Fürst Go-Go; mit rotem Kopfputz) und Michael McCown (Weißer Minister) sowie Ensemble |
Kein
Hurra – sie leben noch
Wie dem auch
sei. Die Uhr läuft ab. Nekrotzar kommt im orgiastischen buntgemischten
lichtgeschwängerten Partygetümmel (Olga Shaishmelashvili, Kostüme, Joachim
Klein, Licht) nicht so recht an (er wird als „Furz“ bezeichnet) und gerät
in den Besäufnistaumel seines Handlangers Piet vom Fass.
Der Komet
schlägt ein, oder auch nicht. Jedenfalls kracht es mächtig. Aber es passiert
nichts. Alle glauben sich tot. Die Reinigungskolonne und ein Trupp Elektriker,
vor allem aber auch der eintretende Hunger und Durst geben Klarheit: Sie leben
noch. Kein Jüngster Tag, kein Richter, der die Guten von den Schlechten trennt.
Die Enttäuschung ist groß.
Liebe
kennt keine Furcht vor dem Jüngsten Gericht
Aber: Amando
und Amanda, das Hosenrollen Duo, steigen aus dem Sarg, sinnlos verliebt, haben
vom Trubel nichts mitgekommen und wollen heiraten: „Wir fürchten uns nicht vor
dem Jüngsten Gericht. Wir haben keine Angst.“
Die Party ist vorbei, die Party kann beginnen. Kein Lieto fine, kein Deus ex Machina, keine Katharsis. Dafür ein Defilée, eine Passacaglia, vorbei an den Liebenden. Der Chor (Tilman Michael) singt: „Wer Liebe gibt, der soll auch geliebt werden.“ … Das Leben geht weiter.
Chor der Oper Frankfurt |
Ein Kaleidoskop
der Musik- und Gesangsstile
Ligeti
changiert in seiner musikalischen Arbeit zwischen Mittelalter, barocken Suiten,
und neuester Musik, musique concrète, Serialismus. Er malt quasi Breughelsche
wie auch Hieronymus Bosch Landschaften, dazu Surreales von Salvadore Dali und
René Magritte. Ein Spiel mit Allusionen und puppenhaft greller Ästhetik. Vor
allem Venus wie auch Gepopo, alias Anna Nekhames, wirken wie an Strippen
gezogene Marionetten (nicht von ungefähr arbeitete Ligeti eng mit dem
Librettisten Michael Meschke (*1931), dem Stockholmer Direktor des
Marionettentheaters zusammen). Seine Verzahnung zwischen Musik und Sprache hat Ligeti
immer wieder neu justiert und erst 1996 vollendet. Großartig gelingt ihm dies
bei den beiden Hauptprotagonisten Simon Neal als Nekrotzar und Pieter
Marsh als Piet vom Fass. Beide glänzen durch vulgäres Gebaren und
ständige Wechsel in extreme Höhenlagen. Und beide sind von heldenhafter Natur
und gerieren sich als gottgleiche Autoritäten, gesanglich wie theatralisch.
Wildes,
apokalyptisches Endgeschrei
Vor allem
der Bass Astradamus, großartig interpretiert von Alfred Reiter,
wird von den tiefsten Tiefen in höchste Falsetthöhen getrieben. Ein
unglaublicher Kraftakt, den er mit auffallender Leichtigkeit beherrschte. Er
hatte sichtbaren Spaß an seiner Rolle, denn allein als Witwer (sein Frau Mescalina
wurde ermordet) war ihm den Untergang der Welt wert.
Mit
lyrischem Akzent dann die beiden Liebenden, Elizabeth Reiter und Karolina
Makula. Hier erinnert sich Ligeti an die ungarische und rumänische Folklore,
aber auch Reminiszenzen an spanischen Flamenco und orientalische Pentatonik
waren herauszuhören. Das Hosenrollen Duo glänzte vor allem durch Sprachwitz und
eine gehörige erotische Brise.
Last but not least der wundersame Fürst Go-Go alias Eric Jurenas. Er sang nicht nur im prächtigen Männersopran mit Cembalobegleitung, sondern fiel auch durch behände Beweglichkeit auf. Großartig seine Begrüßungen der Partygäste mit Bezeichnungen wie: Pissnelke, Schnapsnase, Pfeife, Rotznase und viele Attribute mehr. Auch hier glänzte Ligeti mit Sprachwitz und musikalischer Angleichung durch Trommel-, Holz- oder auch Blech“Geschrei“. Wild und schräg, wie vieles auf der apokalyptischen Time-End-Party.
v.l.n.r. Iain MacNeil (Schwarzer Minister), Anna Nekhames (Chef der Gepopo) und Eric Jurenas (Fürst Go-Go) sowie Ensemble |
Regie
geht kongruent mit der musikalischen Leitung
An dieser Stelle
muss die Regie um den noch sehr jungen Vasily Barkhatov (bekannt durch
seine Zauberin) und Thomas Guggeis, den brandneuen Leiter des Opern-
und Museumsorchesters, ein wenig beleuchtet werden.
Barkhatov scheut sich nicht, Veränderungen an der Handlung vorzunehmen. Denn eigentlich ist Nekrotzar ein Höllenfürst, ein Prophet von Nirgendwo. Hier wird er zum klassischen Hochstapler. Er ist Leichenbestatter von Beruf. Eine perfekte Idee. Denn sind die westlichen Gesellschaften nicht seit einigen Jahren von Hochstaplern umgeben? Entsprechend versetzt er den Hofastrologen und seine Frau in einen Campingwagen, als spießige Kleinfamilie mit einem sozial abgehängten Teenie. Der Fürstenhof schrumpft zu einer schrill buntigen Bar der Oberklasse (der Beifall des Publikums bezeugte die gute Idee) und der Schlusschor: „Fürchtet Euch nicht“, eigentlich eine optimistische Vorausschau auf das Weltenklima, wird bei ihm zum ehrenerweisenden Defilée an den beiden Verlobten vorbei.
Simon Neal (Nekrotzar; in grünem Umhang) und Alfred Reiter (Astradamors; rechts daneben) sowie Chor der Oper Frankfurt |
Hier hat
pure Musik gesprochen
Das alles
wird kongenial von Thomas Guggeis unterstützt. Er erweist sich als
Ligeti Fan, liebt dessen Stilmix und dadaistische Komik und lobt die extreme
Verwandlung des Orchesters. Statt Vorrang der Streicher, hier Vorrang der
Perkussionisten und Bläser. Ein Wagner der Moderne. Guggeis lobt zu Recht die
enge Zusammenarbeit mit Barkhatov (und vice versa), denn die unglaublichen musikalischen,
gesanglichen und stilistischen Anforderungen sind ohne engste Verzahnung
zwischen musikalischer Leitung, Regie wie auch den Akteuren nicht zu meistern. Diese
Premiere gibt ein herausragendes Beispiel absolut gelungener
Gemeinschaftsarbeit. Eine Premiere ohne Makel, „kurz, direkt und verblüffend“,
um im Jargon Ligetis zu sprechen. Hier hat die pure Musik gesprochen.
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