Mittwoch, 1. November 2023

Happy New Ears, Lucerne Festival Academy zu Gast mit fünf Kompositionen zwei Komponistinnen und drei Komponisten sowie dem Ensemble Modern, Oper Frankfurt, 31.10.2023

Foto: Vincent Stefan


Fünf brandneue Kompositionen

Es ist das dritte Kooperations-Werkstattkonzert im Rahmen des Happy New Ears (HNE)-Zyklus mit der Lucerne Festival Academy. Bekanntlich kooperiert das Ensemble Modern (EM) und die Internationale Ensemble Modern Academy (IEMA) seit 2021 mit der Academy, die im Jahre 2016 von Wolfgang Rihm und Dieter Amman gegründet wurde, in der Absicht, neue Nachwuchstalente zu sichten und ihnen eine Plattform ihrer Kompositionen zu bieten. Auch dieses Mal wieder haben Mitglieder der IEMA und des EM den jährlich stattfindenden Sommerkurs im Schweizerischen Luzern besucht und aus den insgesamt acht vorgestellten Kompositionen fünf ausgewählt, die nach zweiwöchiger Bearbeitung, Erprobung und Einstudierung heute in der Oper Frankfurt im Rahmen von HNE vorgestellt werden.

Die Besonderheit heute: die Dirigentin Xizi Wang, eine Allround Musikerin, versiert am Klavier wie am Schlagwerk, die erst vor wenigen Wochen als Stipendiatin der IEMA ihr Dirigentendiplom erworben hat, sowie in seiner Funktion als Moderator, Dietmar Wiesner, Flötist, Komponist, Koordinator wie auch Mitbegründer des EM im Jahre 1980.

Fünf Werke zwischen sieben und zehn Minuten Dauer wurden präsentiert von Nachwuchstalenten aus Ungarn, China, Schweiz, den USA und Litauen. Alle mit besonderen Titeln, die bereits die programmatische Absicht der Kompositionsidee beschreiben. Also Curtain_call, Vorhang auf! – für fünf Deutsche Erstaufführungen.

stehend: Dietmar Wiesner (Moderator), Xizi Wang (Dirigentin), Ensemble Modern
(Foto: H.boscaiolo)

Tanzende Spatzen

Abigél Varga (*1996), gebürtige Ungarin konnte leider nicht anwesend sein. Ihr Werk Dancing Sparrows, zu Deutsch Tanzende Spatzen, für 12 Instrumente besteht aus zwei Sätzen und beginnt tatsächlich mit diversen Vogelstimmen der Holz- und Blechbläser, vor allem die Bass-Klarinette und die Bass-Flöte dominieren hier das musikalische Geschehen. Dietmar Wiesner, verstand es, als Musiker und Moderator, mit wenigen Taktbeispielen das Wesen dieser Komposition herauszustreichen und die Besonderheiten der Textur zu vermitteln. So sind das Cello wie der Kontrabass ein Viertel-Ton tiefer gestimmt, was eine nebulöse Stimmung verursacht. Auch sind Anlehnungen an György Ligetis Kammersinfonie (hier am Klavier) unverkennbar wie auch ungarische Volksmusikelemente und typische Rhythmen, die an Béla Bartóks rumänische Tänze erinnern. Einige Hörbeispiele konnten dies verdeutlichen. Ein neun minütiges, von großer Vielfalt geprägtes Stück, das vor allem im zweiten Satz hohes klangliches wie rhythmisches Niveau erreichte.

 

Vergängliche Pracht

Es folgte die Chinesin Bo Huang (*2001). Die bereits jetzt schon mit vielen Preisen dotierte junge Frau, die bereits mit 12 Jahren in die USA wechselte, bot mit Transient Splendor: Illusion (zu Deutsch etwa: vergängliche Pracht: alles Illusion), ein neun-minütiges Werk für 13 Instrumente von großer Intensität. Wiesner vergleicht es im Gespräch mit der Komponistin mit Wim Wenders Film The Million Dollar Hotel (2000), in dem gesellschaftlich Abgehängte leben und zwischen Krimi, Liebesgeschichten und Freakshow nicht mehr unterscheiden können. Bo Huang ergänzt, dass sie durchaus buddhistische Bezüge herstellen und das Karma als Idee in der Komposition verarbeitet habe, mit viel Perkussion, Zimbeln und Tamtam. Eine wirklich aufrüttelnde Musik von starkem Ausdruck und facettenreichen Elementen. Eine beeindruckende Schlusscoda, dominiert von einer Flötenmelodie, beendet in ruhigem Timbre das insgesamt doch aufwühlende Werk.

Dietmar Wiesner im Gespräch mit Lukas Stamm, EM (Foto: H.boscaiolo)

Alles fließt

Lukas Stamm (*1994) aus dem Schweizer Schaffhausen, stellte seine Komposition all that is solid melts into air (auf Deutsch abgekürzt: Alles fließt) vor. Die Idee, so der Komponist im Gespräch sei es, das Gefühl der Beschleunigung, des Zeitdrucks, der Verdichtung von Zeit, musikalisch zu materialisieren. Alles sei in dieser Musik „angespannt“, auf extremen Ausdruck gebürstet. Ob beim Hören Freiheit oder Leere übrigbleibt, das überlässt er dem Rezipienten.

Tatsächlich lebt seine Musik für Ensemble hauptsächlich von dem hellen Flageolett der Streicher, von Luftgeräuschen der Bläser und von der Verdichtung der einzelnen Klangschichten, wobei das Trio von Bass Flöte, Trompete und Posaune besonders hervorsticht. Auch hier eine relativ kurze, sieben-minütige Komposition von großer Ausdruckskraft. Spannungsgeladen im wahrsten Sinne.

 

Sprache spricht mit uns

Sofia Ouyang (*2001) Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln, hat es mit der Sprachmusik. Ihr neun-minütiges Werk Through of from which language speaks (zu Deutsch: Wie spricht die Sprache mit uns) will Sprache musikalisch transparent machen. Sprache animiert, verbindet, tanzt und vieles mehr. Ihre Musik für 13 Instrumente ist sehr kontrastreich. Die Musiker zischen, rufen und dialogisieren mit ihren Instrumenten. Zwischen Mysterium der Töne und knallharten Ausrastern ist alles dabei. Dennoch ist der Schluss versöhnlich: Die Erste Geige entlässt den Hörer mit leisen Tönen.

Dietmar Wiesner im Gespräch mit Kristupas Bubnelis, EM (Foto: H.boscaiolo)

Sekundenbruchteile, Sandspiele

Den Abschluss des Abends bekommt der Litauer Kristupas Bubnelis (*1995). Sein Werk für Ensemble betitelt er mit split second, shifting sand (zu Deutsch: Sekundenbruchteile, Sand bewegen …). Im Gespräch mit Wiesner weist er auf seinen Schwerpunkt der Obertöne hin sowie auf die dominierende Chromatik in diesem Stück. Strukturell ist es in ABA aufgeteilt, wobei sich der Mittelteil B durch rhythmische, kryptische wie zerfließende Klangspiele von den A-Teilen unterscheidet. Insgesamt fühlt man sich in eine Fantasiewelt versetzt, in der alles erscheint und wieder vergeht. Ein sprichwörtlicher Zauberwald, wo das Klavier zum Glockenspiel mutiert und die Bläser und Streicher mit Ratschen und Fanfaren in Sekundenbruchteilen immer wieder Neues versprechen, ohne es auch nur halbwegs einzuhalten. Mit leisen Glissandi in den Himmel endet das Stück wie auch der Konzertabend.

v. l.: Kristupas Bubnelis, Dietmar Wiesner, Sofia Ouyang, Lukas Stamm, Bo Huang, Xizi Wang
Im Hintergrund Mitglieder des EM (Foto: H.boscaiolo)

Das Glück neuer Ohren

Kurzweilig war diese Werkstatt allemal. Die Idee des gemeinsamen Austauschs zwischen Luzern und Frankfurt scheint sich zu bewähren. Die Plattform HNE ist mit Sicherheit ein perfektes Puzzle für die noch sehr junge Karriere der Komponistinnen und Komponisten. Einmal im Jahr, was will man mehr, und der Idee von John Cage (1912-1992) wie dem Initiator des Zyklus HNE im Jahre 1993, Hans Zender (1936-2019), kommt diese Kooperation durchaus entgegen. „Das Glück neuer Ohren“ (Norbert Abels) wird weiterhin gefördert.

An dieser Stelle sei auf das Sonderkonzert am 15.11. in der HfMDK 30 Jahre Happy New Ears erinnert, in Memoriam Hans Zender, wo dessen Cabaret Voltaire (2001) nach Lautgedichten des Dadaisten Hugo Ball aufgeführt wird. Dazu vielleicht der sinnhafte Spruch des Schweizer Enfant terrible: „Wie kommt man der unterdrückten Sehnsucht zur Hilfe? Indem man Wände beseitigt. Indem man Ziele erhöht.“ Ein Bonmot, bei dem sich jeglicher Kommentar erübrigt.     

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