Jekyll & Hyde, ein Musical von Frank Wildhorn (Musik) und Leslie Bricusse (Buch und Text), basierend auf dem Roman Der seltsame Fall des Mr. Jekyll und Mr. Hyde (1886) von Robert Louis Stevenson, Premiere im Staatstheater Darmstadt am 03.11.2023, zweite Aufführung 17.11.2023
Verlobungsszene, Mitte: Barbara Obermeier, Florian Minnerop, oben auf der Treppe: Livio Cecini (Foto: Martin Siegmund) |
Gut und
Böse – Die unversöhnlichen Zwillinge
Jekyll &
Hyde gehört zu den meistgespielten Musicals überhaupt, ist seit seiner Uraufführung
im Jahre 1990 in Houston/Texas und seiner Broadway Premiere im Plymouth Theater
in New York im Jahre 1997 vielfach ausgezeichnet worden (Grammys etc.) und wird
weltweit in sechs Sprachen aufgeführt. In Deutschland gehört es seit seiner
Erstaufführung in Bremen am 19. Februar 1999 zum Produktionsrepertoire nahezu aller
großen Theater und Musikhäuser.
Dem Komponisten Frank Wildhorn (*1959), dem Textkünstler Leslie Bricusse (1931-2021) sowie dem Drehbuchautor Steve Cuden (*1955) ist es zu verdanken, dass dieses Musical die Herzen der Menschen weltweit eroberte und die Thematik der zwei Seelen im Menschen, dem übermächtigen Kampf zwischen dem Guten und Bösen – den bekanntlich unversöhnlichen Zwillingen –, zu einem zeitlosen und immer wieder neu zu denkenden Thema auf den Bühnen der Welt quasi zeitlos lebendig bleibt.
Verlobungsszene, Ensemble (Foto: Martin Siegmund) |
Dunkle
bedrohliche Atmosphäre
Das
Darmstädter Team hat sich erstmals entschieden, diese Thematik in einer Art
Musiktheater auf die Bühne des Staatstheaters zu bringen, mit einer ergänzenden
Orchestrierung von Kim Scharnberg (?) und Arrangements von Jason
Howland (*1971).
Ein opulentes Bühnenwerk also, wie sich bereits hier erkennen lässt. Das Darmstädter Regieteam unter Gil Mehmert hat sich mächtig ins Zeug gelegt und eine Drehbühne aus der viktorianischen Zeit (Jens Kilian) mit dunkler, bedrohlicher Atmosphäre gebaut. Entsprechend fallen die steifen Kostüme im schweren Brokat aus (Falk Bauer). Die Musik aus dem Orchestergraben kommt von Mitgliedern des Staatsorchesters (Leitung: Nicolas Kierdorf), professionell und in guter Abstimmung mit den Sängerinnen und Sängern. Bunt dagegen sind die Bordellszenen. Hier vor allem kommt Leben in die doch insgesamt etwas steife Bude.
Bordellszene, Nadja Scheiwiller und Tänzerinnen und Tänzer (Foto: Martin Siegmund) |
Fatales Misslingen
Die Handlung ist kurz erzählt folgende:
Mr. Henry Jekyll, hier gesungen und gespielt von Florian Minnerop (Tenorlage)
möchte das Gute vom Bösen trennen und hat dazu eine chemische Substanz gemischt
(man lese und staune), die dieses Vorhaben realisieren soll. Er braucht dazu
lediglich die Zusage des Expertengremiums (hier das des St. Jude Hospitals) und
natürlich auch einen Probanden. Beides wird negativ beschieden und Mr Jekyll
greift zum Selbstversuch. Der aber misslingt auf fatale Weise. Mr. Jekyll
wandelt sich zu einer mordenden Bestie, nennt sich in diesem Zustand Mr. Edward
Hyde, und macht Tabula rasa vor allem unter den Reichen und Einflussreichen
seines sozialen Umfelds.
Urmenschliche
Eigenschaften – schicksalhafte Erkenntnis
Die Erkenntnis folgt auf dem Fuß. Gut und Böse sind urmenschliche Eigenschaften. Nur beide zusammen können leben. Stirbt das eine, dann auch das andere. Seine Antwort nach einer Spiegelkonfrontation kann demnach nur heißen: „Sterbe ich als Mr. Jekyll, dann stirbt auch Mr. Hyde. Ich bin Du und Du bist ich.“ (Hieraus erklärt sich auch sein Testament, das er Mr. Hyde, den keiner kennt, zuspricht.) Die abschließende Hochzeit mit seiner Verlobten Lisa Carew (Barbara Obermeier, Sopran) ufert denn auch zum Todesdrama aus. In seiner schicksalhaften Erkenntnis stürzt er sich bewusst in die Pistole seines Freundes John Utterson (Livio Cecini, Bariton). Seine Braut singt am sterbenden Bräutigam: „Du bist jetzt frei, es ist vorbei. Du bist bei mir.“
Barbara Obermeier und Florian Minnerop (Foto: Martin Siegmund) |
Spannungsgeladenes
Abenteuer
Jekyll & Hyde ist eine Nummern-Produktion mit durchlaufender Handlung. Es wird sehr viel gesprochen. Die Songs sind eingängig und eng an den Broadwaystil der 1980er Jahre orientiert. Keine wirklichen musikalischen Besonderheiten, wenngleich viele der Songs angeblich in die Charts, wie Someone like you, A new Life oder auch This is the Moment, aufgenommen und sogar bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta und bei einigen Super Bowls abgespielt wurden. Sei es drum. Insgesamt 34 Nummern, auf gut zweieinhalb Stunden verteilt, sorgten in zwei Akten und einer langen Pause dazwischen, für einen kurzweiligen lockeren Zeitvertreib, vielen Lachern, und, trotz einiger Patzer und technischer Mängel (vielfach übersteuert und oft zu laut), für ein spannungsgeladenes Abenteuer auf der sich ständig drehenden Bühne.
Florian Minnerop (Foto: Martin Siegmund) |
Ein überragender
Hauptprotagonist
Herausragend dabei der Hauptprotagonist
Florian Minnerop in der Doppelrolle als Mr. Henry Jekyll, der Gute, und
als Mr. Edward Hyde, der Böse. Seine klare, sehr gut akzentuierte Tenorstimme passte
blendend zu seiner extrem kontrastierenden Rolle. Die Wechsel von Gute nach
Böse und umgekehrt gelangen ihm überragend. Er konnte als Ersatz für den leider
erkrankten Alexander Klaws auf der ganzen Linie überzeugen.
Türkis kann mehr
als eine schöne Farbe sein
Seine Mitstreiter waren vor allem seine Verlobte Lisa Carew in ein auffallendes türkisfarbenes Kleid gehüllt. Hier gesungen von der Sopranistin Barbara Obermeier, die ihre Rolle als Geliebte und selbstbewusste junge Frau, vor allem im Song: „Nimm mich wie ich bin“ und im Duett mit der Prostituierten Lucy Harris (Nadja Scheiwiller, Mezzo): „Nur sein Blick“ herausragend sang. Ihre Schlussarie am sterbenden Geliebten und Bräutigam nicht zu vergessen, war hinreißend schön.
Nadja Scheiwiller und Florian Minnerop (Foto: Martin Siegmund) |
Lucy mit Erotik
und wirklichem Leben
Ja Lucy Harris alias Nadja Scheiwiller. Sie verstand es, durch laszive Überredungskunst den scheuen Mr. Jekyll für sich zu gewinnen. Der allerdings ihrem Werben widerstand, ohne es aber zu versäumen, ihr seine Hilfe in der Not anzubieten. Erst als Mr. Hyde erobert er gewaltsam diese Frau und ermordet sie schließlich (Prostitution als das Böse?). Nadja Scheiwiller spielte und sang lebendig und gab der ansonsten doch etwas steifen Atmosphäre einen Hauch von Erotik und wirklichem Leben. Allerdings war gerade bei ihren Songs „Freundlichkeit und Zärtlichkeit“ wie auch „Jemand wie Du“ wegen ungenauer Artikulation nicht immer alles zu verstehen, wobei das Versagen der Technik durch Übersteuerung der Stimme sein Übriges beitrug.
Ensemble (Foto: Martin Siegmund) |
Intimer Kenner
seines Freundes
Kommen wir noch zu seinem Busenfreund Daniel
John Utterson. Livio Cecini erwies sich in dieser Rolle mit
seinem gutturalen Bariton als bester Begleiter, intimer Kenner seines
Gegenübers und gestaltete die Dialoge mit seinem Freund: „Suche nach Wahrheit“,
„Sein Lebenswerk“ bis hin zum „Hochzeit“-Drama mit großer Zuneigung und tiefem Verständnis.
Seine klare Stimme, sehr gut akzentuiert, machten die Szenen mit ihm zu einem
Genuss.
Insgesamt war das riesige Ensemble mit
sehr guten Sängerinnen und Sängern besetzt. Herausragend die mehrmaligen
Choreinlagen mit „Fassade“ sowie zu Beginn des zweiten Aktes „Mörder, Mörder“
(Opernchor: Michael Mündel).
Nadja Scheiwiller und Florian Minnerop (Foto: Martin Siegmund) |
Eine faustische Geschichte
mit vielen Adaptionen
Die Frage stellt sich abschließend nach dem Gehalt dieser doch faustischen Geschichte der Suche nach dem 'Verbleibe doch du bist so schön'-Syndrom. Tatsächlich gibt es viele Adaptionen dieses Stoffes in der modernen Horrorliteratur (Stichwort: Sherlock Holmes sowie Sebastian Haffners: Betrachtungen des Dritten Reichs von 1940) sowie in diversen Verfilmungen. Man denke hier nur an Spiderman, an Batman, die Maske oder gar Hulk. Auch Jack The Ripper und gar Stephen Kings Eine gute Ehe gehören in dieses Genre.
Lebt vom
Hauptdarsteller
Jekyll & Hyde wird immer ein Dauerthema bleiben. Darmstadt hat sich streng an die Vorlage gehalten. Dabei aber der sensiblen Entwicklung der Hauptfigur intensive Aufmerksamkeit gewidmet. Das heißt stark an die zweideutige Hauptfigur gebunden, lebt diese Inszenierung doch sehr vom Hauptdarsteller. Florian Minnerop hat diese Rolle bestens erfüllt und somit der Vorstellung sozusagen den wichtigsten Grundstoff für den Erfolg geboten. Die beiden Frauen verkörpern zeitgerecht das Gute alias Lisa, wie das Böse alias Lucy. Harmlos zwar, denn beide kommen sich nicht in die Quere und singen sogar ein Liebesduett: „Nur sein Blick“, bevor „das gefährliche Spiel“ (Song: Lucy und Hyde) mit dem Tod der Prostituierten endet.
Schlussapplaus, In der Mitte: Florian Minnerop (Foto: H.boscaiolo) |
Trotz lässlicher
Fehler ein spannendes Spektakel
Leider ist die Musik sehr Broadway
lastig, die Songs sind wenig eingängig. Man wird den Eindruck eines durchkomponierten
Theaters mit Musik nicht los. Viele gesprochene Dialoge und etliche Songs
erinnern an die typischen Rezitative aus den Opern der Barockzeit und der
frühen Klassik. Zwar werden die Akteure durch ein fast 30-köpfiges Orchester
begleitet, aber eine kleinere Besetzung täte es wohl auch, denn die Lautstärke
und vielfache Übersteuerung lag wohl auch an der Schwierigkeit, das Volumen der
Sänger mit dem des Orchesters auszutarieren. Jekyll & Hyde lohnt sich
dennoch sehr, denn die lässlichen Fehler sind einfach zu beheben und das
Spektakel ist doch insgesamt sehr spannend gestaltet, und lässt nicht umsonst
an die vielen Adaptionen und Vergleiche erinnern, die dieser Stoff ermöglicht.
Immerhin kann man das Musical noch bis
in den April des kommenden Jahres besuchen. Vielleicht ein Weihnachtsgeschenk?
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