Jonathan Leibowitz (Klarinette), Debütkonzert mit Ariel Lanyi (Klavier), Samuele Telari (Akkordeon), Maciej Kulakowski (Violoncello), Alte Oper Frankfurt, 19.11.2023
Jonathan Leibowitz (Kaupo Kikkas) |
Ausgewogene
Harmonie in Farbe und Ausdruck
Da haben
sich vier Künstler gefunden, vier Edelsteine sehr unterschiedlicher Couleur,
aber mit ausgewogener Harmonie in Farbe und Ausdruck. Jonathan Leibowitz, quasi
ihr Namensgeber und im besten Sinne Anführer des „Quartetts“ bot in dem
Debütkonzert am Sonntagnachmittag – übrigens ein neues Format des sehr emsigen
und einfallsreichen Intendanten der Alten Oper Frankfurt, Dr. Markus Fein – im
gut besetzten Mozartsaal eine umfangreiche Repertoire Fülle eines
Mittzwanzigers (geb. 1997) an seiner Klarinette. Mit ihm der Pianist Ariel
Lanyi (*1997), der Akkordeonist Samuele Telari (?) und der Cellist Maciej
Kulakowski (*1996). Alle vier, das sei vorweggenommen, zeigten sich von ihrer
besten Seite, boten sowohl Klassik als auch Klezmer, und bewegten sich in den unterschiedlichsten
Genres wie Fische im Wasser.
Zwischen
Klassik und Klezmer
Was boten sie? Zunächst begannen sie mit Werken von Claude Debussy (1862-1918), Clara Schumann (1819-1996), Paul Ben-Haim (1897-1984) und Francis Poulenc (1899-1963). Ein Wechsel also zwischen Impressionismus, tiefer Romantik und gemäßigter Moderne. Dann wechselten sie in den Bereich des Klezmers, mit kurzen Stücken von zeitgenössischen Komponisten wie Béla Kovács (*1970), Volodymyr Runchak (*1960), Guillaume Connesson (*1970) und Martin Fröst (*1970). Mit einer Ausnahme, nämlich Maurice Ravels (1875-1937) Kaddish (1914). Dazu aber später.
Jonathan Leibowitz (Kaupo Kikkas) |
Pflichtlektüre
der Alumnen des Pariser Konservatoriums
Neun doch
sehr unterschiedliche Werke. Gleich zu Beginn von Debussy die Rhapsodie
Nr. 1 (1909/10). Ein gut sieben minütiges Stück, das der Komponist ursprünglich
für Altsaxophon vorgesehen hatte (ein Auftragswerk der amerikanischen
Saxophonistin Elise Hall) und dessen Titel er mehrfach änderte, unter anderem
in Rhapsodie Orientale oder auch Rhapsodie arabe.
Kurz, es wurde nichts daraus und schlussendlich entschied er sich als Mitglied des Pariser Konservatoriums, es für Klarinette und Klavier umzuschreiben, nannte es Premiere Rhapsodie und sehr bald wurde es als Aufnahmeprüfung des Instituts zur Pflichtlektüre der Alumnen erhoben.
Jonathan Leibowitz und Ariel Lanyi (Foto: Salar Baygan) |
„Mit
zarter duftender Hand geschrieben“
Was Jonathan
Leibowitz und Ariel Lanyi dann daraus zauberten, war gleich zu
Beginn des Konzerts an herrlicher Dynamik, Farbenreichtum und spannungsgeladenen
Impressionen kaum noch zu überbieten. Ein Duo der Sonderklasse, wie sich auch in
den folgenden drei Romanzen op.22 (1853) heraushören ließ. Clara Schumann
hatte sie eigentlich dem Geiger und Freund Joseph Joachim gewidmet und war
selbst gar nicht so recht überzeugt von diesem Zyklus. Dennoch kamen sie auf
Anhieb an und wurden in den höchsten Tönen gelobt. So schrieb beispielsweise
ein Kritiker der Neue Berliner Musikzeitung: „Alle drei Stück zeigen
einen individuellen Charakter, wahrhaft aufrichtig konzipiert und in zarter
duftender Hand geschrieben.“ Ergänzend könnte man noch hinzufügen, dass ein exotischer
Zigeunerpathos voller Wehmut und Energie das dreiteilige Werk beherrscht.
Auch hier zeigte das Duo wunderbare Eintracht. Romantisch gefärbte Rubati mit langen Phrasierungen und ausgedehnten Legato Partien ließen diese Bearbeitung zu einem Genuss bei fiktivem Kaffee und Kuchen werden. Beste Salonmusik.
Ariel Lanyi (Foto: ycat) |
„Tonbilder
in orientalischer Stimmung“
Gleiches
gilt für die Drei Lieder ohne Worte op.30 (1952)
von Paul Ben-Haim, der vor seiner Auswanderung nach Palästina im Jahre 1933 mit
bürgerlichem Namen Frankenburger hieß und sich einen Namen durch seinen „Mittelmeerstil“
gemacht hat. Man versteht darunter eine Mischung aus westeuropäischer Harmonik
und östlich-arabischer Melodik und Pentatonik. Seine drei Lieder ohne Worte,
wer denkt da nicht an Mendelssohn-Bartholdys gleichnamigen Liederzyklus,
changieren denn auch in diesem Stilmix. Ben-Haim nennt sie nicht von ungefähr „Tonbilder
in orientalischer Stimmung“. Herauszuheben die Ballade. Sie schafft in
besonderer Weise die Verbindung zwischen orientalischem Klang und
impressionistischem Farbenspiel.
Es versteht sich auch hier, dass das Duo diesen Charakterzug bestens zum Ausdruck brachte. Vor allem die sephardische Volksmelodie des Abschlussliedes mit improvisatorischen Einlagen beider Künstler riss das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin.
Samuele Telari (Foto: Kaupo Kikkas) |
Ein Werk
für Giora Feidman, Benny Goodman und Leonard Bernstein
Francis
Poulenc schrieb seine Sonate für Klarinette und Klavier (1962) als
letztes seines Werkschaffens überhaupt, denn er starb kurz nach Fertigstellung
der Komposition und konnte die Uraufführung am 10.April 1963 nicht mehr erleben.
Der erste
Sonatenhauptsatz, Allegro tristamente, beginnt gleich mit einem atonalen
Einstieg, extrem expressiv, bevor es in einen Mittelteil, einer Art
Durchführung, voller Melancholie wechselt: ein a-Moll-Feeling, um das sich ein „grauer
Regentag“ im geschäftigen Paris dreht. Geheimnisvoll, in einem hellen C-Dur, endet
dieser eher schwungvolle als traurige erste Satz mit einem witzigen Tremolo der
Klarinette. Die Romanza des zweiten Satzes steckt voller Lyrik und
herrlicher Erzählstruktur bevor im abschließenden Allegro con fuoco ein
fröhliches, ja freches Finale in C-Dur alles auf den Kopf zustellen scheint. Ständige
metrische Wechsel, extremer Kontrastreichtum und ausgesuchte Virtuosität machen
es zu einem exzeptionellen Hörerlebnis. Nicht von ungefähr gehört es zum
Repertoire des weltberühmte Klarinettisten Giora Feidman (*1936), nein, besser
noch, die Uraufführung in der Carnegie Hall wurde von keinen Geringeren
bestritten wie Benny Goodman und Leonard Bernstein. Der Erfolg inbegriffen.
Das Duo Leibowitz Lanyi konnte hier ohne Abstriche mithalten. Ihre Interpretation war ein Gedicht und feuriger Krimi in einem Guss
v. l.: Samuel Telari, Jonathan Leibowitz, Maciej Kulakowski (Foto: Salar Baygan) |
Klezmer: alles zwischen Freud und Leid
Eine kurze Einführung in die Klezmer Kultur leitete den zweiten Teil des Nachmittags ein. Klezmer ist die typische Ausdrucksmusik der jüdischen Gemeinden weltweit. Die Herkunft ist vermutlich in der Ukraine des 18. bzw. frühen 19. Jahrhunderts anzusiedeln. Ihre Besonderheit liegt vor allem in der instrumentalen Besetzung von Klarinette, Bass und Akkordeon, in der Adaption verschiedener folkloristischer Traditionen der Herkunftsländer sowie in den Anlässen der musikalischen Ausübung, nämlich vor allem auf Hochzeiten, Tanzveranstaltungen aber auch auf Trauerfeierlichkeiten gespielt zu werden. In diesem Sinne wechselt sie auch zwischen Freude, Leid, Trauer und Lachen.
Maciej Kulakowski (Foto: Woiciech Grzedzinski) |
Bis zu
den Grenzen der manuellen Möglichkeiten
Jetzt ergänzte
sich das Duo durch den Akkordeonisten, Samuele Telari, und den Cellisten,
Maciej Kulakowski. Der ausgezeichnete Pianist, Ariel Lanyi,
konnte in die verdiente Pause gehen.
Im Trio spielten sie jetzt von Béla Kovács Shalom Aleichem (1987), frech und herausfordernd, schräg aufmüpfig. Dann wechselten sie gleich zu Volodymyr Runchaks Hutsul Mosaik (2004), ein Duett mit ständig überlappender Metrik, volkstümlicher Melodien, starken improvisatorischen Einlagen der Klarinette wie auch des Akkordeons, und nicht zuletzt mit einer extrem perkussiven Ausdrucksweise. Hier gelangten beide an die manuelle Grenze ihrer Möglichkeiten.
Ariel Lanyi und Jonathan Leibowitz (Foto: Salar Baygan)
Ein
atmosphärisches Bild jüdischen Glaubens
Die folgende
sehr kurze Disco-Toccata (1994) des Franzosen Guillaume Connesson,
ein dahingeworfenes Meisterstück zwischen Barock und Modern Jazz wurde dann fortgesetzt
durch Ravels Kaddish (1914). Zwei hebräische Melodien
beherrschten dieses eindrückliche Werk. Zunächst sei festgehalten, dass dieses
Werk für Singstimme geschrieben ist und das erste Lied in aramäischer, das
zweite aber in jiddischer Sprache gesungen wird. Es wurde am 03. Juni 1914 mit
Alvina Alvi, der Widmungsträgerin, und Maurice Ravel am Klavier im Pariser
Salle Malakoff uraufgeführt.
Das Publikum bekam sozusagen ein Arrangement des Trios geboten, was der Atmosphäre des Stücks keinen Abbruch bescherte. Im Gegenteil. Inbrünstig geriet ihnen das Totengebet der ersten Melodie und ängstlich, ja enigmatisch das von Dissonanzen beherrschte zweite Lied. Ravel, der kein Jude war, gelingt es mit dieser Musik, ein eindrückliches atmosphärisches Bild des jüdischen Glaubens zu zeichnen, ein ewiges Rätsel musikalisch zu lichten. Ein wirklich sehr untypischer Ravel und ein wirklich großartig eingestelltes Trio, das dieser Musik liturgisches Leben einhauchte.
v. l.: Samuele Telari, Ariel Lanyi, Jonathan Leibowitz, Maciej Kulakowski (Foto: H.boscaiolo) |
Junge
Talente mit besten Aussichten für die Weltbühnen
Den
Abschluss bildete Martin Frösts Let´s be happy (2010), ein
virtuoses Arrangement des schwedischen Klarinettisten aus der Feder Giora
Feidmans. Hier legten alle noch einmal mächtig los und verzückten mit allerlei
Finessen das Publikum.
Wirklich ein
wunderbares Quartett, vier „Zwanziger“, die alles mitbringen, was man heute auf
den Bühnen der Welt so braucht. Natürlich war Jonathan Leibowitz der
absolute Mittelpunkt dieses Nachmittags. Aber seine Mitspieler konnten ihm
durchaus das Wasser reichen. Allen voran der Pianist Ariel Lanyi, der
sich als ausgesprochen perfekter Begleiter am Klavier präsentierte.
Eine Zugabe musste sein. Jonathan Leibowitz
spielte solo von Béla Kovács, selbst ausgezeichneter ungarischer Klarinettist, A
la Flamenco, ein spanischer Tanzfuror, der noch einmal das besondere Talent
des jungen Künstlers herausstrich.
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