Montag, 20. November 2023

Jonathan Leibowitz (Klarinette), Debütkonzert mit Ariel Lanyi (Klavier), Samuele Telari (Akkordeon), Maciej Kulakowski (Violoncello), Alte Oper Frankfurt, 19.11.2023

Jonathan Leibowitz (Kaupo Kikkas)

Ausgewogene Harmonie in Farbe und Ausdruck

Da haben sich vier Künstler gefunden, vier Edelsteine sehr unterschiedlicher Couleur, aber mit ausgewogener Harmonie in Farbe und Ausdruck. Jonathan Leibowitz, quasi ihr Namensgeber und im besten Sinne Anführer des „Quartetts“ bot in dem Debütkonzert am Sonntagnachmittag – übrigens ein neues Format des sehr emsigen und einfallsreichen Intendanten der Alten Oper Frankfurt, Dr. Markus Fein – im gut besetzten Mozartsaal eine umfangreiche Repertoire Fülle eines Mittzwanzigers (geb. 1997) an seiner Klarinette. Mit ihm der Pianist Ariel Lanyi (*1997), der Akkordeonist Samuele Telari (?) und der Cellist Maciej Kulakowski (*1996). Alle vier, das sei vorweggenommen, zeigten sich von ihrer besten Seite, boten sowohl Klassik als auch Klezmer, und bewegten sich in den unterschiedlichsten Genres wie Fische im Wasser.

 

Zwischen Klassik und Klezmer

Was boten sie? Zunächst begannen sie mit Werken von Claude Debussy (1862-1918), Clara Schumann (1819-1996), Paul Ben-Haim (1897-1984) und Francis Poulenc (1899-1963). Ein Wechsel also zwischen Impressionismus, tiefer Romantik und gemäßigter Moderne. Dann wechselten sie in den Bereich des Klezmers, mit kurzen Stücken von zeitgenössischen Komponisten wie Béla Kovács (*1970), Volodymyr Runchak (*1960), Guillaume Connesson (*1970) und Martin Fröst (*1970). Mit einer Ausnahme, nämlich Maurice Ravels (1875-1937) Kaddish (1914). Dazu aber später.

Jonathan Leibowitz (Kaupo Kikkas)

Pflichtlektüre der Alumnen des Pariser Konservatoriums

Neun doch sehr unterschiedliche Werke. Gleich zu Beginn von Debussy die Rhapsodie Nr. 1 (1909/10). Ein gut sieben minütiges Stück, das der Komponist ursprünglich für Altsaxophon vorgesehen hatte (ein Auftragswerk der amerikanischen Saxophonistin Elise Hall) und dessen Titel er mehrfach änderte, unter anderem in Rhapsodie Orientale oder auch Rhapsodie arabe.

Kurz, es wurde nichts daraus und schlussendlich entschied er sich als Mitglied des Pariser Konservatoriums, es für Klarinette und Klavier umzuschreiben, nannte es Premiere Rhapsodie und sehr bald wurde es als Aufnahmeprüfung des Instituts zur Pflichtlektüre der Alumnen erhoben.

Jonathan Leibowitz und Ariel Lanyi (Foto: Salar Baygan)

„Mit zarter duftender Hand geschrieben“

Was Jonathan Leibowitz und Ariel Lanyi dann daraus zauberten, war gleich zu Beginn des Konzerts an herrlicher Dynamik, Farbenreichtum und spannungsgeladenen Impressionen kaum noch zu überbieten. Ein Duo der Sonderklasse, wie sich auch in den folgenden drei Romanzen op.22 (1853) heraushören ließ. Clara Schumann hatte sie eigentlich dem Geiger und Freund Joseph Joachim gewidmet und war selbst gar nicht so recht überzeugt von diesem Zyklus. Dennoch kamen sie auf Anhieb an und wurden in den höchsten Tönen gelobt. So schrieb beispielsweise ein Kritiker der Neue Berliner Musikzeitung: „Alle drei Stück zeigen einen individuellen Charakter, wahrhaft aufrichtig konzipiert und in zarter duftender Hand geschrieben.“ Ergänzend könnte man noch hinzufügen, dass ein exotischer Zigeunerpathos voller Wehmut und Energie das dreiteilige Werk beherrscht.

Auch hier zeigte das Duo wunderbare Eintracht. Romantisch gefärbte Rubati mit langen Phrasierungen und ausgedehnten Legato Partien ließen diese Bearbeitung zu einem Genuss bei fiktivem Kaffee und Kuchen werden. Beste Salonmusik.

Ariel Lanyi (Foto: ycat)

„Tonbilder in orientalischer Stimmung“

Gleiches gilt für die Drei Lieder ohne Worte op.30 (1952) von Paul Ben-Haim, der vor seiner Auswanderung nach Palästina im Jahre 1933 mit bürgerlichem Namen Frankenburger hieß und sich einen Namen durch seinen „Mittelmeerstil“ gemacht hat. Man versteht darunter eine Mischung aus westeuropäischer Harmonik und östlich-arabischer Melodik und Pentatonik. Seine drei Lieder ohne Worte, wer denkt da nicht an Mendelssohn-Bartholdys gleichnamigen Liederzyklus, changieren denn auch in diesem Stilmix. Ben-Haim nennt sie nicht von ungefähr „Tonbilder in orientalischer Stimmung“. Herauszuheben die Ballade. Sie schafft in besonderer Weise die Verbindung zwischen orientalischem Klang und impressionistischem Farbenspiel.

Es versteht sich auch hier, dass das Duo diesen Charakterzug bestens zum Ausdruck brachte. Vor allem die sephardische Volksmelodie des Abschlussliedes mit improvisatorischen Einlagen beider Künstler riss das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin.

Samuele Telari (Foto: Kaupo Kikkas)

Ein Werk für Giora Feidman, Benny Goodman und Leonard Bernstein

Francis Poulenc schrieb seine Sonate für Klarinette und Klavier (1962) als letztes seines Werkschaffens überhaupt, denn er starb kurz nach Fertigstellung der Komposition und konnte die Uraufführung am 10.April 1963 nicht mehr erleben.

Der erste Sonatenhauptsatz, Allegro tristamente, beginnt gleich mit einem atonalen Einstieg, extrem expressiv, bevor es in einen Mittelteil, einer Art Durchführung, voller Melancholie wechselt: ein a-Moll-Feeling, um das sich ein „grauer Regentag“ im geschäftigen Paris dreht. Geheimnisvoll, in einem hellen C-Dur, endet dieser eher schwungvolle als traurige erste Satz mit einem witzigen Tremolo der Klarinette. Die Romanza des zweiten Satzes steckt voller Lyrik und herrlicher Erzählstruktur bevor im abschließenden Allegro con fuoco ein fröhliches, ja freches Finale in C-Dur alles auf den Kopf zustellen scheint. Ständige metrische Wechsel, extremer Kontrastreichtum und ausgesuchte Virtuosität machen es zu einem exzeptionellen Hörerlebnis. Nicht von ungefähr gehört es zum Repertoire des weltberühmte Klarinettisten Giora Feidman (*1936), nein, besser noch, die Uraufführung in der Carnegie Hall wurde von keinen Geringeren bestritten wie Benny Goodman und Leonard Bernstein. Der Erfolg inbegriffen.

Das Duo Leibowitz Lanyi konnte hier ohne Abstriche mithalten. Ihre Interpretation war ein Gedicht und feuriger Krimi in einem Guss

v. l.: Samuel Telari, Jonathan Leibowitz, Maciej Kulakowski (Foto: Salar Baygan)

Klezmer: alles zwischen Freud und Leid

Eine kurze Einführung in die Klezmer Kultur leitete den zweiten Teil des Nachmittags ein. Klezmer ist die typische Ausdrucksmusik der jüdischen Gemeinden weltweit. Die Herkunft ist vermutlich in der Ukraine des 18. bzw. frühen 19. Jahrhunderts anzusiedeln. Ihre Besonderheit liegt vor allem in der instrumentalen Besetzung von Klarinette, Bass und Akkordeon, in der Adaption verschiedener folkloristischer Traditionen der Herkunftsländer sowie in den Anlässen der musikalischen Ausübung, nämlich vor allem auf Hochzeiten, Tanzveranstaltungen aber auch auf Trauerfeierlichkeiten gespielt zu werden. In diesem Sinne wechselt sie auch zwischen Freude, Leid, Trauer und Lachen.

Maciej Kulakowski (Foto: Woiciech Grzedzinski)

Bis zu den Grenzen der manuellen Möglichkeiten

Jetzt ergänzte sich das Duo durch den Akkordeonisten, Samuele Telari, und den Cellisten, Maciej Kulakowski. Der ausgezeichnete Pianist, Ariel Lanyi, konnte in die verdiente Pause gehen.

Im Trio spielten sie jetzt von Béla Kovács Shalom Aleichem (1987), frech und herausfordernd, schräg aufmüpfig. Dann wechselten sie gleich zu Volodymyr Runchaks Hutsul Mosaik (2004), ein Duett mit ständig überlappender Metrik, volkstümlicher Melodien, starken improvisatorischen Einlagen der Klarinette wie auch des Akkordeons, und nicht zuletzt mit einer extrem perkussiven Ausdrucksweise. Hier gelangten beide an die manuelle Grenze ihrer Möglichkeiten.

Ariel Lanyi und Jonathan Leibowitz (Foto: Salar Baygan)


Ein atmosphärisches Bild jüdischen Glaubens

Die folgende sehr kurze Disco-Toccata (1994) des Franzosen Guillaume Connesson, ein dahingeworfenes Meisterstück zwischen Barock und Modern Jazz wurde dann fortgesetzt durch Ravels Kaddish (1914). Zwei hebräische Melodien beherrschten dieses eindrückliche Werk. Zunächst sei festgehalten, dass dieses Werk für Singstimme geschrieben ist und das erste Lied in aramäischer, das zweite aber in jiddischer Sprache gesungen wird. Es wurde am 03. Juni 1914 mit Alvina Alvi, der Widmungsträgerin, und Maurice Ravel am Klavier im Pariser Salle Malakoff uraufgeführt.

Das Publikum bekam sozusagen ein Arrangement des Trios geboten, was der Atmosphäre des Stücks keinen Abbruch bescherte. Im Gegenteil. Inbrünstig geriet ihnen das Totengebet der ersten Melodie und ängstlich, ja enigmatisch das von Dissonanzen beherrschte zweite Lied. Ravel, der kein Jude war, gelingt es mit dieser Musik, ein eindrückliches atmosphärisches Bild des jüdischen Glaubens zu zeichnen, ein ewiges Rätsel musikalisch zu lichten. Ein wirklich sehr untypischer Ravel und ein wirklich großartig eingestelltes Trio, das dieser Musik liturgisches Leben einhauchte.

v. l.: Samuele Telari, Ariel Lanyi, Jonathan Leibowitz, Maciej Kulakowski
(Foto: H.boscaiolo)
 

Junge Talente mit besten Aussichten für die Weltbühnen

Den Abschluss bildete Martin Frösts Let´s be happy (2010), ein virtuoses Arrangement des schwedischen Klarinettisten aus der Feder Giora Feidmans. Hier legten alle noch einmal mächtig los und verzückten mit allerlei Finessen das Publikum.

Wirklich ein wunderbares Quartett, vier „Zwanziger“, die alles mitbringen, was man heute auf den Bühnen der Welt so braucht. Natürlich war Jonathan Leibowitz der absolute Mittelpunkt dieses Nachmittags. Aber seine Mitspieler konnten ihm durchaus das Wasser reichen. Allen voran der Pianist Ariel Lanyi, der sich als ausgesprochen perfekter Begleiter am Klavier präsentierte.

 Eine Zugabe musste sein. Jonathan Leibowitz spielte solo von Béla Kovács, selbst ausgezeichneter ungarischer Klarinettist, A la Flamenco, ein spanischer Tanzfuror, der noch einmal das besondere Talent des jungen Künstlers herausstrich.

 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen