Philippe Herreweghe, das Orchestre des Champs-Élysées und das Collegium Vocale Gent, Alte Oper Frankfurt, 27.11.2023 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)
Philippe Herreweghe (Foto: Michiel Hendryckx) |
Das Opus
summum viri summi
Philippe Herreweghe (*1947) befindet sich mit seinem von ihm selbst im Jahre 1970 gegründeten Collegium Vocale Gent und dem Orchestre des Champs-Élysées (gegr. 1991) zurzeit auf Europatournee mit Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem (1791), dessen letzter unvollständiger Komposition, die dennoch von vielen Kritikern als „das Opus summum viri summi“ (das höchste Werk des höchsten Mannes) bezeichnet wird. Nicht von ungefähr erhob man im 19. Jahrhundert dieses Werk zur „Staatskomposition“ und so erklang es bei prunkvollen Totenfeiern für Könige, Generäle und Komponisten wie beispielsweise Beethoven, Chopin, Napoleon, oder auch der preußischen Königswitwe Luise.
Orchestre des Champs-Élysées (Foto: PRO ARTE Mannheim) |
Serenade
oder Sinfonie?
Mit Mozarts Sinfonie
Nr. 35 D-Dur, der Haffner-Sinfonie KV 385 (1782/83) sollte allerdings
der denkwürdige Abend im nicht vollbesetzten Großen Saal der Alten Oper Frankfurt
eingeleitet werden.
Diese Komposition
wurde dem Sohn Sigmund Haffners, dem Bürgermeister von Salzburg und Freund Leopolds
Mozarts, zur Verleihung der Adelswürde „Edler von Innbachhausen“ gewidmet. Ob
als Serenade oder Sinfonie und ob überhaupt, das war nicht klar. Zumindest
schickte Leopold die Partitur an seinen Sohn zurück, der sie bearbeitete,
instrumental erweiterte und am 23. März 1783 im ausverkauften Wiener
Burgtheater mit größtem Erfolg aufführen ließ. Alfred Einstein (1880-1952),
Musikkritiker und ausgewiesener Mozartkenner, hält diese zweite Version eher
für eine Serenade, also für eine heitere, unbeschwerte Nachtmusik, denn für
eine ernste Sinfonie.
Temporeiche
Frohlaune
Herreweghe scheint sich ebenfalls für die Serenaden Version entschieden zu haben. Sein gut vierzig-köpfiges Orchestre des Champs-Élysées, weltbekannt für seine historische Stiltreue und Aufführungspraxis mit Originalinstrumenten, ließ keinen Zweifel am Festcharakter dieser viersätzigen, sehr komprimierten Arbeit des 25-jährigen, aufstrebenden und in Wien äußerst beliebten junge Wilden. Mit großer Verve, ja temporeich ging es durch die Sätze voll herrlicher Frohlaune im zweiten Satz, dem Andante, einer gehobenen Festlichkeit im Menuett des dritten Satzes, eigentlich ein Scherzo, und einem feurigen Prestissimo Finale, eigentlich lediglich ein Presto vorgeschrieben, im vierten Satz. Hier findet man tatsächlich Anklänge an Mozarts Oper Die Entführung aus dem Serail (Osmins Arie: „Ha, wie will ich triumphieren!“), die er parallel zu dieser Sinfonie schrieb. Ein Parforceritt der Extraklasse.
Orchestre des Champs-Élysées (Foto: PRO ARTE Mannheim) |
Ein
Requiem voller Mythen
Dann, nach
einer ausgedehnten Pause, das Requiem. Sein Mythenreichtum ist legendär,
seine Entstehungsgeschichte wohl einmalig und seine Aufführungspraxis äußerst
vielgestaltig.
Bekanntlich erhielt
Mozart den Auftrag im Sommer des Jahres 1791 von dem anonym bleibenden Grafen
Franz von Walsegg (1763-1827), der ihn gut bezahlte in der Absicht, die fertige
Komposition später als die eigene zu verwenden. Mozart, bereits erkrankt,
sollte sie bis zum Februar 1792, Termin der Seelenmesse für die früh
verstorbene Gattin des Grafen, fertiggestellt haben, was ihn zwar zeitlich
antrieb, aber, wie es heißt, „keine Gehetztheit“ aufkommen ließ. Tatsächlich
konnte Mozart lediglich den Introitus des achtteiligen Requiems komplett
fertigstellen. Das Kyrie und das Dies Irae der dritten Sequenz
waren lediglich als Gerüst vorhanden, das heißt als Gesang und Instrumentalbesetzung.
Im achten Takt des Lacrimosa der dritten Sequenz endet dann die
Handschrift Mozarts endgültig.
Ein
Requiem mit eigenwilliger Entstehungsgeschichte
Wie sollte es weitergehen? Constanze, die Frau Mozarts, fürchtete die Rückforderung der Tantiemen und beauftragte zunächst den Schüler ihres Mannes, Joseph Eibler (1965-1846) mit der Fortführung der Komposition. Er jedoch instrumentierte lediglich die dritte Sequenz (Das Dies Irae bis zum Lacrimosa) und brach die Arbeit aus unbekannten Gründen ab. Es folgte Franz Xaver Süßmayr (1766-1802), ein intimer Begleiter Mozarts bis zu seinem Tode, der die schwere Last auf sich nahm, das Offertorium zu orchestrieren und das Sanctus, Benedictus und Agnus Dei völlig neu zu konzipieren. Das abschließende Lux Aeterna entnahm er dem von Mozart vollständig komponierten Introitus mit entsprechender Textunterlegung.
Collegium Vocale Gent (Foto: Bas Bogaerts) |
Ein
Requiem mit besonderer Aufführungspraxis
Man kann
also sagen, dass etwas 50 Prozent der Kompositen von Süßmayr stammt. Und genau
das hatte Folgen. Nicht wenige versuchten sich in der Folgezeit an diesem
Requiem. Zu nennen wären hier Franz Beyer (1922-1018), der eine komplette
Neufassung versuchte, die sogar von Nikolaus Harnoncourt, Leonard Bernstein und
Neville Marriner übernommen wurde. Auch Charles Richard Francis Maunder (1937-2018)
wagte eine Neuschrift, die 1988 im Druck erschien. Las but not least wäre noch
Robert D. Levin (1947) zu erwähnen, dessen Version 1991 von Helmut Rilling in
Stuttgart uraufgeführt wurde.
Da der
Anteil Süßmayrs am Requiem immer ein Streitpunkt gewesen ist, traf man
sich im Jahre 1800 in einer Wiener Anwaltskanzlei, um diese Sachlage zu klären.
Anwesend waren die Ehefrau Mozarts, Constanze, sowie ein Vertreter des Grafen von
Walsegg sowie der Notar Dr. Johann Nepomuk Sortschan. Es lagen alle wichtigen
Handschriften vor, ein Exemplar des Erstdrucks von Breitkopf & Härtel, die
Ablieferungspartitur und Arbeitspartitur im Besitz der Anwesenden. Man verglich
sich zwar, ohne aber das Problem der Urheberschaft erschöpfend zu klären.
Ein Requiem
ganz Mozart
Heute firmiert das Requiem als Mozarts Schöpfung und niemand würde sich erdreisten, es als Werk Süßmayrs, oder womöglich der oben Genannten zu bezeichnen. Mozart ist und bleibt das Requiem und kein Geringerer als E.T.A. Hoffmann kommentierte 1814 in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung: „Sein Requiem ist wohl das Höchste, was die neueste Zeit für den kirchlichen Kultus aufzuweisen hat.“
Philippe Herreweghe (Foto: Wouter Maeckelberghe) |
Die
klassische Version
Herreweghe
entschied sich für
die klassische Version, die im Übrigen gerade wegen ihrer Qualität weltweit in
den meisten Fällen bevorzugt wird. Neben seinem hervorragenden Orchestre des
Champs-Élysées und seinem überragenden Collegium Vocale Gent
vervollständigten vier Sängerinnen und Sänger das „himmlische Werk“ (Carl
Kraus). Es waren die norwegische Sopranistin Mari Eriksmoen, die nicht allein
wegen ihrer auffallenden Robe herausstach, die Französin und Mezzosopranistin Eva
Zaïcik, die leider ein wenig blass blieb, der türkische
Tenor Ilker Arcayürek, ein leichtgängiger Heldentenor, sowie der deutsche
Bass Samuel Hasselhorn, der sich eher ein lyrischer Bariton erwies und
wenig passend für dieses Gesangsquartett war.
Flott,
scharf und feurig
Herreweghe wählte für das Requiem ein
sehr flottes Tempo, das er neben dem Introitus mit herrlicher
Sopraneinlage, über das fugatisch angelegte Kyrie eigentlich das gesamte
Werk über durchhielt. Das Dies Irae, dies illa war an Schärfe kaum zu
überbieten. Der Chor feuerte hier Angst und Schrecken ins Publikum. Der
solistische Part des Tuba mirum (Laut wird die Posaune klingen) ließ das
Gesangsquartett erstmals vollständig auftreten, wobei leider die Mischung der
Stimmen nicht recht überzeugen konnte. Herausragend immer der Sopran, dagegen
abfallend die Mezzo- und Pseudobassstimme. Allein der Tenor konnte einigermaßen
mithalten. Interessant an dieser Stelle, dass die Solisten nicht am Rand der
Bühne, sondern hinter dem Orchester standen. Eigentlich kein Problem, aber hier
wohl doch.
Das Lacrimosa bedeutet das Ende der handschriftlichen Eintragungen Mozarts. Es beginnt mit einem Seufzer-Zwischenspiel des Orchesters und wird durch den Choreinsatz fortgesetzt mit wunderbarem Legato und ergreifendem Trauergesang. Ein Zitat-Hinweis auf den Sopraneinsatz im Introitus beendet die Sequenz mit einer kurzen Amen-Kadenz.
Philippe Herreweghe (Foto: PRO ARTE Mannheim) |
Ausdrucksstark
und spannungsgeladen
Ab jetzt ist
vorwiegend Süßmayr am Werk. Wunderbar fließende Rückungen des Chores im Hostias
(Opfergaben und Gebete) des Offertoriums und einer glänzenden
abschließenden Fuge, die wohl noch aus Mozarts Hand stammt.
Kurz und
knapp das folgende Sanctus, das Benedictus wie auch das Agnus Dei.
Dafür aber umso ausdrucksstärker und spannungsgeladener. Vor allem im Agnus Dei
brilliert der Chor ein weiteres Mal in gewaltiger Homophonie und ausgereifter
Chromatik. Hier greift Süßmayr wieder auf den Introitus zurück, das Requiem
aeternam, um dann quasi in subito attacca zur Schluss Communio,
dem Lux Aeterna überzuleiten. Zunächst der göttlich schöne Sopran der Mari
Eriksmoen und dann der Chor, dem das ewige Licht leuchtete. Eine notengetreue
Replik auf den Introitus, lediglich mit neuer Textur. Ein Finale von größtmöglicher
Wirkkraft.
Von
raffaelischer Schönheit und moderner Aufführungspraxis
In knapp 50
Minuten schaffte es Herreweghe, Mozarts „umstrittenes Werk“ in raffaelischer
Schönheit (man nannte Mozart im 19. Jahrhundert den „Raffael der Musik“) und
moderner Aufführungspraxis zugleich vorzustellen. Mit einem Orchestre des
Champs-Elysées und einem Collegium Vocale Gent von exorbitanter
Musikalität und einmaliger Klanglichkeit mitnichten ein Problem. Das
Gesangquartett spielt in diesem Requiem keine dominante Rolle, insofern
konnte man die stimmlichen Mängel überhören. Dennoch, mit einer harmonisch besser
passenden Zusammenstellung der Solisten wäre diese Aufführung in die Geschichte
dieses Requiems eingegangen.
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