Montag, 4. Dezember 2023

Die Zauberflöte, Oper in zwei Aufzügen von Wolfgang Amadeus Mozart mit einem Libretto von Emanuel Schickaneder, Premiere im Staatstheater Wiesbaden, 03.12.2023

Fleuranne Brockway, Vera Ivanovic, Kai Kluge, Romina Boscolo 
(Foto: Karl und Monika Forster)

Sagenhafte Aufführungsrekorde

Machen wir uns nichts vor. Mozarts Zauberflöte, die ihre Uraufführung am 30. September 1791 im Theater an der Wieden in der Wiener Vorstadt erfuhr, gehört zu den meist gespielten Werken auf diesem Globus, und selbst Stars und Sternchen der heutigen Zeit, wie, sagen wir mal, Britney Spears, Rihanna, Madonna, Michael Jackson, oder gar die Beatles, die Rolling Stones, können nur davon träumen, jemals so oft die Bühnen der Welt betreten zu dürfen bzw. zu haben, wie überhaupt nach gut 230 Jahren ihres Erfolgs – so alt ist mittlerweile die Zauberflöte – zu hoffen, überhaupt noch gehört zu werden. Von Anfang an, ein voller Erfolg, wurde Die Zauberflöte gleich 223-mal hintereinander aufgeführt und hält bis heute weltweit einen sagenhaften Aufführungsrekord – täglich weltweit bis zu 20 Aufführungen. Keine Oper der Welt kommt ohne sie aus.

 

Aktuell und zeitlos

Aber, stellt sich die Frage: Ist sie nicht auch ein wenig ausgelutscht. Hört man nicht ihre Arien bereits in großen Einkaufsketten und Werbespots? Kann man dem Inhalt dieser Oper bzw. diesem Singspiel, heute überhaupt noch etwas abgewinnen? Sind ihre freimaurerischen Ideen noch zeitgemäß und kann das Textbuch von Schickaneder (1751-1812) heute noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken? Nicht von ungefähr gehört dieses Werk gegenwärtig vor allem in die Weihnachts- oder Osterzeit, also in die Zeiten des verstärkten Konsums und der Feierlaune.

Und doch ist sie so aktuell und zeitlos, wie kaum ein anderes Werk dieses Genres. Uwe Eric Laufenberg, der scheidende Intendant des Wiesbadener Staatstheaters, hat mit seinem Team eine wahrhaft goldrichtige und mit politischen Allusionen versehene Inszenierung hingezaubert, die den vollen Respekt verdient.

Kai Kluge, Anastasiya Taratorkina (Foto: Karl und Monika Forster)

Eine der seltsamsten Opern 

Aber gehen wir ins Detail. Die Zauberflöte ist eines der seltsamsten Opern überhaupt. Sie changiert zwischen heiter, volkstümlich und exotisch auf der einen Seite und als ein Lehrspiel für Eingeweihte über Gut und Böse, über das menschliche Streben nach Vervollkommnung, Auslese und Wahrheit auf der anderen Seite. Heute würde man das mit Human Enhancement beschreiben.

Wir sprechen hier von zwei Ebenen mit sehr unterschiedlichen Prinzipien. Im Mittelpunkt steht dabei Sarastro. Er ist Oberpriester des "Weisheitstempels" und verkörpert als Eingeweihter die Vertreter des Guten, das Helle und Wissende auf dieser Welt. Seine Ideale stimmen mit denen der Freimaurer überein. Dagegen verkörpert die Königin der Nacht das Böse. Ihr Reich ist das der Dunkelheit, der Unwissenheit und der niederen Leidenschaften.

 

Die Initiationsriten der Freimaurer

Dazwischen tummeln sich Menschen verschiedenster Couleur. Die einen, wie der Prinz Tamino und seine Geliebte Pamina, suchen nach Erkenntnis und echter Liebe, die anderen sind eher den menschlichen Trieben verhaftet. Dazu gehören unter anderem der Naturmensch Papageno sowie Papagena. Entsprechend der freimaurerischen Idee der Dreiheit – die heilige Zahl ihrer Geheimlehre – sind die menschlichen Wesen in Dreiergruppen aufgeteilt: die drei Knaben, die drei Herolde als Vertreter Sarastros, die drei Damen als Vertreterinnen der Königin der Nacht. Aber auch die drei Stufen der Erkenntnis, Beherrschung und Veredelung – hier in den Prüfungen der beiden Antipoden, Tamino und Papageno, auf ihre Standhaftigkeit, Duldsamkeit und Verschwiegenheit konzentriert – gehören dazu. Alles ist den Initiationsriten der Freimaurer entnommen, denen sowohl Mozart, als auch Schickaneder aktiv angehörten.

Limburger Domsingknaben, Kai Kluge(Foto: Karl und Monika Forster)

Wunderbare Musik der Freude und Gelöstheit

Gleich zu Beginn eröffnen drei (!) Akkorde die Ouvertüre und führen bereits jetzt schon mit großer Verve den inneren Kampf der Menschen vor. Nach anfänglichem Zögern gelingt es dem kleinen aber feinen Orchester des Staatstheaters, unter der Leitung von Konrad Junghänel, ins wilde musikalische Geschehen einzusteigen und der wunderbaren Mozartischen Musik Freude, Leichtigkeit und Gelöstheit einzuhauchen.

Die Bühne (Rolf Glittenberg) zeigt sich als schlichtes romanisches Bauwerk und alle Akteure erscheinen in ihren ganz spezifischen, individuellen Kostümen (Marianne Glittenberg), mal geckig und absurd, wie bei Papageno und Papagena, mal in erhabenem Schwarz-weiß, wie bei den Priestern und Sarastro; märchenhaft in weißem Tüll, wie bei Tamina, oder gar im kecken Outfit der 1920er Jahre, wie bei den drei Damen, der Königin der Nacht sowie den drei Knaben. Sehr einfallsreich und thematisch wohl durchdacht.

Charles M. Anderson, Vera Ivanovic, Romina Boscolo, Beate Ritter, Fleuranne Brockway
(Foto: Karl und Monika Forster)

Mysterien der Auserwählten

Entscheidend auch die Licht Effekte (Andreas Frank), mit vielen farblichen Nuancen und herrlichen Spots, vor allem während der Prüfungen. Die großen menschlichen Veredelungsschwerpunkte werden durch Videos (Gérard Naziri) mit Menschenmassen und eingeblendeten großen Lettern wie: „Desillusionierung – Deine Pläne sind haltlos – erkenne dich selbst“, „Die kleinen Mysterien für alle – Beherrsche dich selbst“, sowie „Die großen Mysterien der Auserwählten – Über den Tod schaue die Wahrheit – veredele dich selbst“, sehr anschaulich verdeutlicht, und geben der doch sehr ausgedehnten Handlung von fast drei Stunden einen perfekten geistreichen Rahmen.

 

Mensch ohne Bosheit und Kalkül

Freimaurerisch, philosophisch ist aber nur die eine Seite. Die andere ist durch Natur, Unvernunft und Triebhaftigkeit gekennzeichnet. Papageno, ihr Hauptprotagonist, der Vogelhändler, der nichts weiter möchte als Essen und Trinken und, na ja, auch ein Weib zu besitzen, verkörpert die menschlichen Schwächen in Reinform. Ihm ist jeglicher Geistesadel fremd, er ist aber auch ganz Mensch, ohne Bosheit und Kalkül.

Anastasiya Taratorkina, Charles M. Anderson(Foto: Karl und Monika Forster)

Menschlich Allzu Menschliches

Der Regie gelingt es fabelhaft, diese beiden Kontraste wunderbar zu vermischen und das Edle wie das Natürliche zu seinem Recht kommen zu lassen. Sicher gehört das freimaurerische Ideal zum Knackpunkt dieser Oper, aber das Menschliche, allzu Menschliche kommt hier auch zu seinem Recht. 

Und wie. Hier ist vor allem der Bariton Johannes Martin Kränzle als Papageno hervorzuheben. Er bewies sich nicht nur als ausgezeichneter Sänger, sondern auch als versierter Schauspieler. Seine Einlagen gehörten zum Besten und Humorvollsten dieses Abends, nein, sein Part war einfach Weltklasse und hätte in jeder anderen Inszenierung einen besonderen Rang eingenommen. Er spielte den Durchschnittsbürger wie Du und Ich, ohne Häme und Herablassung. Einfach wie man ihn im Alltag erlebt. Leben und Leben lassen.

Tamino, sein vermeintlicher Gegenspieler, gesungen und gespielt vom Buffo-Tenor Kai Kluge, erfuhr seine Aufnahme in den Kreis der Auserwählten Schritt für Schritt mit Mut und Beharrlichkeit. Gesanglich eher ein Heldentenor, spielte er seine Rolle absolut überzeugend. Seine Duette mit Papageno sowie ihre Flöten- und Glockenspielszenen waren durchweg von großer Qualität und von ausgesprochenem Einfallsreichtum des Regieteams. Selten so schöne Videos von wilden Tieren sowie tanzenden Bösewichtern auf der Bühne erlebt.

Darcy Carroll, Young Doo Park, Ralf Rachbauer, Gustavo Quaresma, Johannes Martin Kränzle, Chor
(Foto: Karl und Monika Forster)


„Wichtigste Versammlung unserer Zeit“

Sarastro, ein angeblicher Vertreter der Unterwelt, entpuppt sich sehr bald als Oberpriester und geistiger Führer des Guten in ägyptischer Manier (Mumien und Sphinxe bereichern die Bühne). Er wird von Young Doo Park, Bass, zumindest was seine Ausstrahlung anbetrifft, in bester Weise vertreten. Großartig seine Eingangsrede zu Anfang des zweiten Aktes, wo er, möglicherweise in Anspielung auf die etwas unappetitlichen Vorgänge am Wiesbadener Staatstheater, "auf der wichtigsten Versammlung unserer Zeit“ davon spricht, "dass böse Vorurteile schwinden mögen und die Menschen sich ihrer Weisheit und Vernunft wieder bewusstwerden" sollten. Freimaurerische Ansprüche, die auch heute noch gelten. Seine Arien, vor allem jene: In diesen Heil’gen Hallen …, glänzten vor allem in den mittleren Registern. Die absolute Tiefe seines Basses ließ dennoch einige Wünsche offen.

KS Thomas de Vries, Ralf Rachbauer (Foto: Karl und Monika Forster)


Die Rache ist süß

Großartig an dieser Stelle die Rolle der Anastasiya Taratorkina als Pamina. Wie ein unschuldiger Engel flog sie förmlich über die Bühne und sang auch so. Leicht, glockig und dabei wunderbar ausdrucksstark. Sie gehörte ebenso wie Kränzle zu den Highlights dieser Premiere. Last but not least wären dann noch die Königin der Nacht, gesungen von der Sopranistin und Koloratursängerin, Beate Ritter, und ihre drei Damen im Schlepptau, Vera Ivanovic, Sopran, Fleuranne Brockway, Sopran, und Romina Boscolo, Mezzosopran zu nennen. Vor allem die berühmt berüchtigte Rachearie Mitte des zweiten Aktes gelang Beate Ritter ausgezeichnet. Sie war eine Meisterin des klaren Tons, nicht sonderlich kraftvoll, dafür aber mit einem sehr warmen Timbre. Die drei Damen mischten dagegen gehörig die Szene auf und vertraten ihre Königin in ausgesprochener Ergebenheit: Wild, erschreckend und voller Erotik. Einfach klasse.

Allen anderen Bühnenakteuren, Sängerinnen und Sängern gebührt die vollste Anerkennung. Großartige Arien und kurzweiliges Schauspiel

v. l. Vera Ivanovic, Romana Boscolo, Lena Haselmann, Johannes Martin Kränzle, Anastasiya Taratorkina, Kai Kluge, Young Doo Park, Beate Ritter, Chor
(Foto: H.boscaiolo)

Zwischen Pa-Pa-Pa und Heiligen Hallen

Das Finale des Ganzen wird noch einmal aufgelockert durch das allzu menschliche Zusammenfinden von Papageno und Papagena (Lena Haselmann, Mezzosopran). Ihr Duett: Pa-Pa-Pa auf der Vorderbühne ließ noch einmal mächtige Freude im Saal aufkommen, und der Triumpfgesang des wie immer höchst präsenten Chores (Albert Horne), wie der glücklichen Protagonisten entließ ein restlos begeistertes Publikum. Eine wirklich gelungene Inszenierung mit ganz neuen unorthodoxen Aspekten und Anspielungen und einem würdigen Abgang des sehr verdienten und leider viel zu früh das Wiesbadener Terrain verlassenden Intendanten Eric Uwe Laufenberg. Vielen, vielen Dank für Ihre Zeit.   

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