2 x Hören: Bach, Suite für Violoncello solo Nr. 5 c-Moll BWV 1011 von Johann Sebastian Bach (1685-1750) mit Jean-Guihen Queyras, Violoncello, und Dr. Markus Fein, Moderation, Alte Oper Frankfurt, 08.12.2023
Jean-Guihen Queyras (Foto: Homepage) |
2 x Hören
lebt – und wie
Ja, sie lebt
noch, die Reihe 2 x Hören, auf die man gut 10 Monate warten musste. Dr.
Markus Fein lässt sich viel Zeit für seine Vorbereitungen und hat sich jetzt beim vierten Mal in dieser Reihe auf Johann Sebastian Bachs Cello Suiten kapriziert.
Wie immer besitzt er ein gutes Händchen, Künstler zu finden, ja zu entdecken,
die in höchstem Maße dazu geeignet sind, Musik mit Hintergrund, in allen
möglichen Facetten vorzustellen, sein Publikum zu begeistern und es mit einem
tieferen Verständnis der Werke und ihrer Bedeutung wieder zu entlassen.
Die Französischste
unter den Cello-Suiten
So auch dieses
Mal. Geladen war der kongeniale Kanadier Jean-Guihen Queyras (*1967),
der zunächst auf seinem Cello von Gioffredo Cappa von 1696 die Fünfte Suite
c-Moll (vermutlich um 1720) von Johann Sebastian Bach (1685-1750)
vorstellte, um dann in einen Dialog mit dem bestens vorbereiteten und
kenntnisreichen Moderator, Dr. Markus Fein, einzusteigen.
Ja, die Fünfte
von den insgesamt sechs Suiten für Cello Solo, die er während seines
Aufenthaltes in Köthen, unter dem weltlich eingestellten und musikalisch
versierten Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen (1694-1728), schrieb, ist von
besonderer Bedeutung. Sie ist nicht nur die Französischste unter diesen Suiten,
sondern wohl auch die anspruchsvollste. Auch gibt es Hinweise, dass diese Suite
gar nicht für Violoncello, sondern für Gambe gedacht ist. Ebenso gibt es eine
Fassung für Laute (BWV 995) wie für Cembalo (eine Bearbeitung der englischen
Suiten).
Smart,
gewitzt, jugendlich, charmant
Queyras, smart, gewitzt, jugendlich, sympathisch,
spielt mit seinem Charme, spricht mit ausgreifenden Gesten und entwaffnender
Mimik. Er betont das Faszinosum dieser Tänze, die „wie ein Meteorit auf die Erde
gefallen“ seien. Für ihn wirkten die Suiten „wie eine Oper“. Vor allem die Sarabande
hebt er hervor, die sich „wie ein Weltraum“ anfühle. Sie sei seine „Zauberflöte“
in diesem Tanzzyklus.
„Schwung“, „Fundament“,
„Orgelpunkt“ sind Begriffe, die er immer wieder hervorhebt. Vor allem das Fugato
aus dem Prélude vergleicht er mit einem Doppelchor, Rede und Gegenrede. Demonstriert
es mit Kopfbewegungen, rechts-links, die zwar zu Lachern führen, aber bildhaft
den Sinn von Dux und Comes als Fugenprinzip verdeutlichen. Legato und Portato
sind wichtige Prinzipien der Linienführung und Phrasierung. Auch hier bietet er
Beispiele am Instrument, publikumswirksam mit pantomimischer Leichtigkeit.
Jean-Guihen Queyras (Foto: Gürzenich Orchester Köln, Programm) |
Überraschung
und Welturaufführungen
Markus
Fein wäre nicht
Markus Fein, wenn er nicht Überraschungen parat hielt. Auf die Bühne trat ein
junger Mann mit einem heute nur noch selten gesehenen bzw. gespielten Instrument.
Es handelte sich um eine Viola da Spalla, auch Viola da Basso genannt. Sergey Malov spielte auf diesem „zu heiß gewaschenen Cello“ einige Takte, tief
und seidig im Klang, und erklärte den Zweck dieses Instruments, das mit einem
Gurt über die Schulter (daher Spalla) befestigt wird. Mit seinen fünf Saiten lasse
es sich besser beherrschen als das herkömmliche Violoncello und es sei anzunehmen,
dass Bach seine Fünfte wohl für dieses Instrument komponiert habe.
An dieser
Stelle wurde im Übrigen auch geklärt, wie unsicher die Quellenlage dieser
Suiten überhaupt ist. So gibt es weder ein Autograph (lediglich Kopien von Johann
Peter Kellner von 1727 und Abschriften von Anna Magdalena Bach zwischen 1727 und
1731) noch Spielanweisungen oder klare Instrumentierungsvorgaben, sondern eher
viele Fehler in beiden Urschriften. Ein Glück, so Queyras, denn so habe man eine Menge
Freiheiten im Umgang mit diesem Werk. So könne er, meint er mit schelmischem
Blick, auf seine Weise die Suite extra für das Konzert in der Alten Oper neu
komponieren. Kurzum. Beide spielen quasi im Duett die Courante, in einer
Art Wechselgesang. Satter Ton gegen seidigen Klang. Eine Welt-Premiere in
dieser Konstellation.
Barock
und Romantik durchaus kompatibel
Kaum schwärmt Queyras vom „schwebenden Staub“ und von der gravitätischen Melodik der Sarabande, wird der zweite Überraschungsgast angemeldet. Es ist die Pianistin Isabel von Bernstorff. Warum das? Ganz einfach. Robert Schumann (1810-1856) hat diese Suite für Klavier und Violoncello bearbeitet, und gar der auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt liegende Komponist und Musikpädagoge, Joachim Raff (1822-1882), hat daraus eine reine Klavierfassung gezaubert. Über diese Verfremdung des Ursprungs Werks könnte man trefflich streiten. Aber gerade die Romantik fand zurück in den Barock und den Geist der französischen höfischen Kultur. Beide Versionen legten ein ungeheuerliches romantische Flair auf den Tanz. Ein Lamento voller Seufzer, Tränen und Kummer. Barock und Romantik, durchaus kompatibel, wie beide Versionen bewiesen.
v. l.: Dr. Markus Fein, Isabel von Bernstorff, Madeline Ferricks-Rosevear, Sergey Malov, Jean-Guihen Queyras (Foto: H.boscaiolo) |
Suite mit
Tanz auf der Bühne
Und es
sollte noch ein dritter Gast auf der Bühne erscheinen. Doch zunächst zur
Gavotte. Sie ist wohl der höfischste Tanz unter den Suiten. Eigentlich ein
fröhlicher Tanz im 2/2 Takt, möglicherweise dem Begriff des Galopps entlehnt.
Eine Tänzerin, zart und von feenhafter Gestalt, in schlichter Alltagskleidung,
betrat die Bühne. Es war die Australierin Madeline Ferricks-Rosevear. Sie
kreierte, begleitet vom Cellisten, einen eleganten Hoftanz, zunächst im
barocken Stil, dann gemeinsam mit Queyras, der die Basic Steps in Windeseile lernte, einige Takte, und schließlich die vollständige Gavotte im alten wie im modernen Stil.
Ein wirklicher Hingucker, wohl auch eine Weltpremiere, und ein wunderbarer
Abschluss dieses dialogischen, diskursiven und abwechslungsreichen Mittelteils
dieses Abends. Langanhaltender Beifall galt allen Beteiligten.
Das 2.
Hören – Alles wie neu
Vergessen wir nicht das Zweite Hören der Cello Suite zum Abschluss. Alles wie zu Anfang. Mit Nichten. Alles wie neu, sollte es besser heißen. Jean-Guihen Queyras spielte wie ausgewechselt. Lebendiger, feuriger. Die sechs Tänze gerieten jetzt unter seinen genialen Händen tatsächlich zu einer dramatischen Oper. Unglaublich energetisch das Fugato aus dem Prélude, wunderschön punktiert die Allemande, sehr fließend die Courante und ein wiederholtes Mal, aber noch intensiver, die Interpretation der Sarabande. Fein, herrschaftlich von höfischer Eleganz die beiden Gavotten und schließlich eine ungewöhnliche Gigue. Kein Rausschmeißer mit schneller rasanter punktierter Rhythmik, sondern eher eine innere Sammlung, ein Gefühl von Alles-ist-Gut, Alles-ist-im-Reinen.
v. l.: Dr. Markus Fein, Isabel von Bernstorff, Sergey Malov, Madeline Ferricks-Rosevear, Jean-Guihen Queyras (Foto: H.boscaiolo) |
Eine
wundervolle Reise
Wieder
einmal eine wundervolle Reise in die Welt der Musik, der Komponisten und der Interpreten.
Dr. Markus Fein ist ein Meister dieses Formats. Langsam wird diese Reihe
zum Kult. Ach ja. Da war doch ein poppig bemalter Cellokasten im Hintergrund?
Queyras machte ein wenig Werbung für seinen Bruder Jeremy, ein Maler, der sich
auf Kästen aller Art verwirklicht. Immerhin schön anzusehen. Ein fröhlicher Farbklecks
in der grauen Winterzeit.
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