Ascanio in Alba, Serenata teatrale in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), nach einem Text von Guiseppe Parini, Oper Frankfurt, Frankfurter Erstaufführung am 17.12.2023
v.l.n.r. Karolina Bengtsson (Silvia; in der Mitte der Dreiergruppe) umgeben von Statisterie der Oper Frankfurt, Andrew Kim (Aceste) und Cecelia Hall (Ascanio) Fotos: Barbara Aumüller |
Ein neues
musikalisches Zeitalter eingeläutet
Ascanio in
Alba ist im eigentlichen Sinne ein Schäferspiel, oder auch eine Pastorale zur Erbauung
einer adeligen oder zumindest großbürgerlichen Festgesellschaft. Der erst 15-jährige
Mozart komponierte dieses musikalische Theaterstück, ein Auftragswerk für die Hochzeit des erst
17-jährigen Ferdinands von Österreich mit seiner vier Jahre älteren Maria
Beatrice von Este, in sagenhaften zwölf Tagen und hatte damit nicht allein
größten Erfolg, nein, er hatte damit auch ein neues musikalisches Zeitalter
eingeläutet. Der barocke Stil fand sein Ende, die Klassik mit ihrer
vorherrschenden Sonatenform konnte ihren Siegeszug beginnen. Uraufgeführt wurde
diese festa teatrale übrigens am vierten Tag der
Hochzeitsfeierlichkeiten, am 17.10.1771 im Mailänder Teatro Ducale.
Eine
allegorische Aufführung
Trotz des
Erfolgs verschwand dieses Werk für lange Zeit in der Versenkung und findet erst
im 21. Jahrhundert wieder Zugang auf die Opernbühnen. Die Gründe könnten
einerseits im konkreten Anlass liegen (die Serenade war Bestandteile der
Hochzeitsfeierlichkeiten der Fürstenkinder), aber wohl auch darin, dass diese Serenata
ein Zwitterdasein führt, eines zwischen der bis dahin herkömmlichen barocken Opera
seria oder auch dem Dramma per musica, ernst und tugendhaft, und
eines der aufkommenden Opera buffa und der ausgedehnten Singspiele,
komisch und scherzhaft, einfach lebensfroh.
Hier haben wir es mit einer allegorischen Aufführung zu tun, in der die Figuren aus der Mythologie entnommen sind, aber konkrete Personen charakterisieren. So ist die Venus durchaus ein Pendant der damals amtierenden Kaiserin Maria Theresia, deren 14. Sohn Ferdinand war und hier Ascanio genannt ist. Silvia, eine Nymphe, repräsentiert die Tochter der Mailänder Fürstenfamilie de Este, Aceste ein Priester, verkörpert den Sekretär und willigen Vollstrecker der Interessen seiner Herrin, der Venus, und Fauno, eine Art Waldgeist, hat gewaltigen Spaß daran, das Liebesspiel mit Ironie und Humor zu begleiten. Dazu die Genien, Schutzgeister, die quasi den Laden zusammenhalten, hier durch den Chor vertreten.
v.l.n.r. Kateryna Kasper (Venus), Statisterie der Oper Frankfurt, Cecelia Hall (Ascanio) |
Modern,
angemessen und passend
Hieraus eine moderne, ansprechende „Oper“ zu bauen, ist nicht einfach, vor allem dann, wenn man, wie das Frankfurter Team um Nina Brazier (Inszenierung), unbedingt einen aktuellen und geistreichen Bezug herstellen möchte. So befinden wir uns in einer Art Panoptikum, einem kerkerähnlichen Rundbau, der die absolute Kontrolle über die Insassen ermöglicht (Christopher Fischer). Man ist aber auch an Fritz Langs Metropolis erinnert, ein gesellschaftskritischer utopischer Filmklassiker der 1920er Jahre. Blau sind die Akteure gekleidet, eine Art „Business Setting“ (Henriette Hübschmann), das an Lufthansa Uniformen erinnert. Warum Gelb-Blau zunächst vorherrscht, sei einmal dahingestellt. Immer mal wieder werden diverse Artefakte auf die Bühne geschoben. So ein moderner Büroschreibtisch mit Laptop und Drucker, eine Ministadt für Alba, oder auch ein reichgedeckter Tisch etc. Ansonsten verändern sich lediglich die Kostüme wie auch die Lichteffekte (Jonathan Pickers). Ascanio wechselt von blau in Rot und Silvia vom buntigen Kostüm in die Hochzeitsrobe. Schlichtes Outfit aber durchaus angemessen und passend. Auch die Bühne ist abwechselnd in rot, grün, blau oder gelb beleuchtet
Cecelia Hall (Ascanio) |
Typisch
dynastisch
Venus, hier
ausgezeichnet vertreten durch Kateryna Kasper (Sopran) verkörpert die
Übermutter und den Kontrollfreak. Sie möchte, dass alle Fäden der Handlung bei
ihr zusammenlaufen. Ihre Arien, mit Koloraturen gespickt, sind von großer
Strahlkraft und dramatischem Gestus. Als Unternehmerin wie auch als
treusorgende Mutter ihres Sohnes, den sie natürlich zur Verbesserung ihres Stauts
quo möglichst an eine mächtige Familie vermitteln will, kann sie absolut überzeugen.
Ascanio, eine Hosenrolle, gesungen von der amerikanischen Sopranistin Cecilia Hall, ist durch und durch Romantiker und singt auch entsprechend in lyrischem Tonfall. Eigentlich an der Macht wenig interessiert, lässt er sich auf das Spiel seiner Mutter ein, durch die Prüfung des Verzichts zu gehen. Sie nämlich hat sich bereits Silvia als seine Gattin ausgesucht – ohne ihn zu fragen versteht sich – und verlangt von ihm, sich keinesfalls als ihr zukünftiger Gatte erkennen zu geben. Dabei ist natürlich festzuhalten, dass trotz ihres Arrangements, Silvia genau seiner Vorstellung entspricht. Wie gesagt, Ascanio ist zwar durchaus von seiner Mutter manipuliert, aber als Göttin kennt sie seine Bedürfnisse und möchte natürlich auf diesem Weg, sowie der Gründung der Stadt Alba, seinen und ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss vergrößern. Eine typische dynastische Einstellung der damaligen Zeit also.
Karolina Bengtsson (Silvia; in der Mitte sitzend) und Statisterie der Oper Frankfurt |
Der Mann
ihrer Träume
Silvia
wiederum, gesungen und gespielt von der Sopranistin Karolina Bengtsson lebt
von ihren Träumen, die sie von Amor seit vier Jahren nächtlich erhält. Dort sieht
und lebt sie ihren zukünftigen Gatten, glaubt, ihn in Ascanio zu erkennen,
verfällt aber zunehmend in Zweifel, da er entsprechend seines Versprechens bewusst Abstand von ihr hält und sich
als interessierter Unternehmer in Sachen Alba-Gründung ausgibt. Sie, ebenfalls
in lyrischem Ausdruck, beeindruckt durch wunderschöne Höhen und emotionalem
Liebesgesang. Ihre insgesamt vier Dacapo Arien glänzen im liedhaften Gesang. Ihre
Koloraturen, glücklicherweise nur rar gesetzt, gelingen dafür nicht immer.
Buffo und
Koloratur in perfekter Manier
Aceste, ein
klassischer Buffo-Tenor, hier überzeugend von Andrew Kim gesungen und
gespielt, agiert als Sekretär der Göttin und kommt seiner Aufgabe nach, die
Interessen seiner Arbeitgeberin zu vertreten, indem er unternehmerischen Erfolg auch durch das
Arrangement der Ehe generiert. Er wurde von Auftritt zu Auftritt besser und
brillierte zum Abschluss noch einmal im Trio mit Silvia und Ascanio in der
Arie: „Meine Angst ist verschwunden“.
Die Sopranistin und Koloraturspezialistin, Anna Nekhames als Fauno, stach neben Kateryna Kasper hervor und bot mit ihren Auftritten absolute Koloratur Highlights. Sie wird gerne mit Cherubino aus Mozarts Le Nozze di Figaro verglichen. Na ja. Sie spielte hier eine Immobilienhändlerin, konnte ihren Spaß an den Tugendprüfungen allerdings nicht verbergen. Denn ihr unternehmerischer Erfolg war ihr sowieso gewiss. Sie bereicherte allerdings mit ihren wenigen Auftritten ungemein das Geschehen auf der Bühne.
Anna Nekhames (Fauno) |
Multibelasteter
Chor
Leider kam der Chor, die Genien, immerhin ein wichtiger Bestandteil des Werks mit seinen zahlreichen Nummern, lediglich aus dem Off. Hier wäre seine physische Präsenz – als Volk bzw. Volkes Wille – unbedingt notwendig gewesen, denn in der kommentierenden Funktion des Geschehens spielt er eine wichtige Rolle, was so nicht recht herauszuhören war. Nach Auskunft der Dramaturgin, Deborah Einspieler, musste man diese Lösung wählen, weil der Frankfurter Opernchor bereits für Aida, Die Nacht vor Weihnachten sowie Martha aktiv ist, und alle in zeitlicher Enge stattfinden.
Kateryna Kasper (Venus) |
Kein
barockes Prozedere mehr
Wie bereits angedeutet, hat sich der junge Mozart in diesem Werk einfach über das barocke Prozedere hinweggesetzt, und ganz eigene musikalische und stilistische Elemente eingebaut. So ist bereits die barocke dreiteilige Ouvertüre aufgehoben und durch Tanz und Choreinlagen erweitert. Barocke Dacapo-Arien und Secco-Rezitative werden ergänzt durch Accompagnato-Rezitative, die mehr an kurze, liedhafte Ariosi denken lassen als an Sprechgesänge. Auch sind die Dialoge sehr gesanglich konstruiert und weisen schon auf die Nummernfolgen der Singspiele hin. Warum kommt einem immer wieder Cosi fan tutte von 1789 in den Sinn? fragt man sich immer wieder. Das gut 30-köpfige Frankfurter Museums- und Opernorchester unter der Leitung von Alden Gatt, transportierte in frischer und fröhlicher Manier diese Musik Mozarts, perfekt in ihren Accompagnato Begleitungen und auch im Secco, was unter anderem der Dirigent persönlich am Cembalo verantwortete, und das ausgezeichnet.
Andrew Kim (Aceste) |
Frei von
Intrigen mit viel Augenzwinkern
Mozart schafft es schon als Teenager, sein Publikum mitzunehmen und aus einer barocken Pastorale ein durchschaubares allegorisches Spiel über reale Personen zu zaubern. Dabei gab ihm das Libretto von Guiseppe Parini (1729-1799) durchaus Hilfestellung. Er nämlich galt als ein einfühlsamer Dichter und schaffte für die Hochzeitsgesellschaft ein Libretto, frei von Intrigen und voller allegorischer Überhöhungen. Die Prüfungen (wer denkt da nicht an die Zauberflöte) werden hier eher zum lustigen Schauspiel als zur schwierigen Übung, mit viel Augenzwinkern und wohligem Wissen darüber, dass die Sache bestens enden wird.
v.l.n.r. Andrew Kim (Aceste), Karolina Bengtsson (Silvia), Kateryna Kasper (Venus), Cecelia Hall (Ascanio) und Anna Nekhames (Fauno) |
Die echte
Liebe siegt
Zwar kann
man den Versuch des Frankfurter Inszenierung, aus dieser Serenade teatrale
ein ernstes Machtspiel mit feministischem Beigeschmack zu erstellen, lediglich mit
Abstrichen folgen. Immerhin geht es um Machterhalt, Kontrolle und Geschäft. Die
reine Liebeshochzeit ist auch heute nicht die Regel. Aber Mozart und Parini
haben sich wohl mit keiner Zelle ihres Gehirns darum geschert. Jede Hochzeit
ist auf ihre Weise eine Staatsangelegenheit. Die eigentlich große Leistung
dieses Werks ist es, der echten Liebe im dynastischen Getriebe nicht nur eine
Chance zu geben, sondern sie auch obsiegen zu lassen und das mit viel Humor,
herrlichen Allegorien und einem triumphalen Abschlusschor, in dem auch die Venus – Kontroll-
und Machtsucht hin oder her – mit unwiderstehlichem Charme und warmer Sympathie
von der Bühne gehen kann.
Ein
stimmlich gut besetzter Abschluss des Jahres 2023 mit ausschließlichen
Debütrollen. Ein dreistündiges Spektakel, glänzend instrumentiert und interpretiert,
das durchaus ein Besuch wert ist.
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