Die Nacht vor Weihnachten, Oper in vier Akten von Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908) mit eigenem Libretto, nach einer Geschichte von Nicolai W. Gogol, Oper Frankfurt, Premiere am 15.12.2023 (erste Frankfurter Premiere 05.12.2021)
Julia Muzychenko als Oksana, Georgy Vasiliev als Wakula (alle Foto: Barbara Aumüller) |
Natur als
beseeltes Element
Ein Ritt auf
der Klinge zwischen Groteske, Humor, Komödie und pantheistischem Ernst. Voller
Scharfsinnigkeit und liebevoller Wärme. Eine Geschichte der Verhältnisse von
Menschen und Göttern, von Gut und Böse, von der wahren Liebe und nicht zuletzt aus
der Einsicht geboren, dass die Natur ein beseeltes Element ist, eine großartige
Schöpfung, der der Mensch als Teil von ihr, größte Achtung entgegenbringen
sollte.
Eine
wahre Geschichte?
Was soll diese Einleitung? Geht es doch lediglich um eine Oper von Nikolai A. Rimski-Korsakow (1844-1908), ein Weihnachtsmärchen mit dem Titel Die Nacht vor Weihnachten, und dem Untertitel: „Eine wahre Geschichte und ein Lied zur Wintersonnenwende“, die der Komponist und zugleich Librettist nach der gleichnamigen Vorlage von Nikolai W. Gogol (1821-1852) in wenigen Wochen schrieb und 1895 nach heftigen Kämpfen mit der Bürokratie und Zensur des Zarenreiches im Petersburger Mariinski Theater aufführen ließ. Und das leider mit sehr mäßigem Erfolg.
Eva Polne (Koljada) und Pascu Orti (Bär) |
Die Schuhe
der Zarin als Beweis der Liebe?
Tatsächlich
ist die Handlung gleichzeitig einfach und verzwickt, langatmig und sehr
kurzweilig. Denn eigentlich geht es um die reine Liebe des Wakula, einem
Schmied, zur reichen Oksana, die Tochter des Kosaken Tschub, die ihn zunächst
ablehnt, und, aus einer Stimmung heraus, ihm die Ehe nur dann verspricht, wenn er ihr
die Schuhe der Zarin bringen werde. Natürlich macht sich der Liebestolle zum
Gespött der Dorfbewohner, da dieses Anliegen unmöglich erscheint. Dennoch. Wakula
geht einen Pakt mit dem Teufel ein, erreicht sein Ziel bei der Zarin und kehrt
mit den Schuhen zurück. Der Hochzeit steht nichts mehr im Wege. So simpel, aber
leider nur die halbe Geschichte.
Ewiger
Kampf der Natur und der Menschen
Darüber
hinaus gibt es Solocha, die Mutter von Wakula, eine ausgebuffte Hexe, die
gemeinsam mit dem Teufel das Mondlicht und die Sterne raubt, um die Menschen in
ewige Finsternis zu stürzen. Die Lichtgötter Owsen und Koljada, die dafür
sorgen, dass Mond, Sterne und Sonne zurückkehren und die bösen Geister und
Dämonen ausgetrieben werden. Man spürt hier schon den ewigen Kampf der Natur
zur Sonnenwende, oder auch Weihnachten, bekannt als der Wechsel zum Frühling.
Dazu eine Menge verzwickter Verhältnisse und Beziehungen. So begehrt Tschub, der Vater Oksanas, Solocha, die gewiefte Hexe. Die aber treibt es auch mit dem Bürgermeister, dem Diakon und natürlich auch mit dem Teufel. Dazu gesellen sich so dubiose Personen wie Pazjuk, ein Quacksalber und Zauberer, Panas, ein reicher Trinkgeselle von Tschub, sowie zwei Klatschfrauen, eine mit gewöhnlicher und eine mit violetter Nase, und dazu noch eine Menge irdischer und götterähnlicher Personen.
Julia Muzychenko (Oksana) und Georgy Vasiliev (Wakula) |
Ein Highlight
der Saison
Christof Loy hat diese Oper bereits für das Corona Jahr 2021 inszeniert, musste dennoch viele, sehr viele Abstriche leisten (wir denken noch an die absurden Abstands- und Maskenregeln, die Reduktion der Publikumszahl bis auf 25 Prozent). Insofern kann man bei der gestrigen Vorstellung durchaus von einer Frankfurter Premiere sprechen.
Und
die hatte es in sich. Denn, es sei vorweggenommen: Sie war wohl ein Highlight
der Saison. Alles stimmte bis auf die feinsten Strukturen. Eine Bühne (Johannes
Leiacker) von ausgewogener Schlichtheit und beeindruckender Tiefe. Mond,
Sterne und Kosmos boten einen überwältigenden Anblick. Kostüme (Ursula Renzenbrink),
die geschickt zwischen Normalität und barockem Überschwang changierten, wozu auch
die Idee, die Lichtgöttin Koljada als Prima Ballerina und Owsen als Akrobat darzustellen
passte. Variantenreiche Lichteffekte und Choreographie (Olaf Winter und
Klevis Elmazaj) unterstützten das Ganze. Hervorzuheben auch die Stunts und
Flugeinlagen (Ran Arthur Braun), die das surreale Geschehen auf der
Bühne anschaulich und akrobatisch bereicherten.
Ausgezeichnete Rollenbesetzung
Wieder
einmal schafft es das Frankfurter Team, großartige Sängerinnen und Sänger, die
wie geschaffen für die Rollen sind, zu engagieren. Allen voran natürlich die
Hauptprotagonisten Wakula und Oksana.
Georgy Vasiliev, ein russischer Tenor, brillierte mit einem klaren Heldentenor, kraftvoll aber durchaus auch mit wunderbaren lyrischen Partien. Und Julia Muzychenko, eine Sopranistin von äußerster Strahlkraft, eine schöne Frau, die vor allem in ihren beiden sehr ausgedehnten Arien einmal ihr Spiegelbild, und dann ihre Selbsterkenntnis der Liebe zu Wakula in bester Theatralik präsentierte.
Herausragend, vor allem in
schauspielerischer Leistung, Enkelejda Shkoza als Solocha und Frau mit
violetter Nase mit doch starkem Vibrato in ihrer Mezzostimme. Ihre gespielte Frivolität
und Erotik, ihr Umgang mit den Freiern war absolut filmreif und führte vor
allem im ersten Bild des zweiten Aktes zu Lachern im Publikum. Daneben gesellte
sich, nicht weniger exzentrisch, der Diakon, vom Tenor Peter Marsh in
perfekter Rollenidentität (man erinnerte sich noch lebhaft an seine ebenso
beeindruckende Piet vom Fass Rolle in Le Grand Macabre) gesungen wie
gespielt.
Der Bariton Andrej Popov machte aus seiner Teufelsrolle eine menschliche Kreatur mit allerlei Ängsten und Wünschen. So beklagte er, dass man ihn nicht mehr ernst nähme und ließ sich sogar von Wakula mit dem Kreuzzeichen überwältigen. Als Lakai des reinen Parzival alias Wakula, führte er ihn zur Zarin und hatte ab da nichts mehr zu sagen. Er sollte vielleicht einen russischen Autokraten aus der Sowjetzeit oder gar Putin, wie einige vermuteten, abbilden. Aber das ist reine Spekulation. Jedenfalls gehörte er mit seiner sonoren, unglaublich frischen Stimme zu den besten des Abends.
Enkelejda Shkoza (Solocha) und Andrei Popov (Teufel; im Sack) |
Gesangliche
wie tänzerische Meisterleistung
Bleiben noch
die Südkoreaner Inho Jeong (Bass) und Changdai Park (Bassbariton)
in den Rollen von Tschub und Panas. Ihr Debüt auf der Frankfurter Opernbühne
kann als voller Erfolg gelten. Sie sangen nicht nur ausgezeichnet (Jeong war
eher auch ein Bassbariton), sondern spielten auch überzeugend und ihren Rollen bestens
angepasst. Ebenso Bianca Andrew als Zarin (alias Katharina die Große,
1729-1796), die mit ausdrucksstarkem Mezzo und herrlicher Spiellaune dem
barocken Hofstaat bzw. Hofstadel wunderbares Flair verlieh. Großes Lob aber
auch an alle weiteren Akteure, gesanglich wie tänzerisch. Eine Augenweide die
Prima Ballerina Eva Polne als Koljada, Gorka Culebras als
Frühlingsgott, wie auch Guillaume Rabain als Monsieur Flic-Flac. Die Nicht-Genannten nicht zu vergessen. Denn alle waren auf ihre Weise Spitzenklasse
in dieser Premiere.
Viel
russische Folklore
Kommen wir zur Musik. Rimski-Korsakow ist ein Meister russischer Folklore. In dieser Oper verwertete er auf seine Weise Melodien der 1872 von Alexander Rubets herausgegeben Sammlung von ukrainischen Volksliedern. Hier zusammengefasst in den sogenannten Koljada Liedern; Lieder, die man an Weihnachten auf den Straßen oder in Gruppen singt. Besonders die Chorpartien sind hier zu nennen, vor allem im zweiten Bild des zweiten Aktes, wo die Menschen ausgelassen den Heiligen Abend feiern. Oder auch im Finale (2. Szene 4. Akt), wo das ganze Dorf zusammenströmt, um zu erfahren, ob Wakula tatsächlich von der Zarin die Schuhe bekommen hat. An dieser Stelle ist vor allem der Frankfurter Opernchor herauszuheben, der unter der Leitung von Tilman Michael wieder zur Höchstform auflief. Mittlerweile sind unter seinen Mitgliedern auch ausgesprochene schauspielerische Talente zu entdecken.
v.l.n.r. vorne liegend Julia Muzychenko, Peter Marsh, dahinter: Inho Jeong, Changdai Park, Enkelejda Shkoza Sebastian Geyer Foto: Barbara Aumüller |
Expressive
Stilmittel
Ebenso sind
seine instrumentalen Besonderheiten und Stilmittel zu erwähnen. Hierzu gehören
Leitmotivik (manches erinnert an Richard Wagners Fliegenden Holländer),
ausgeprägte Klangfarbigkeit (was schon mit der Ouvertüre einsetzt, wo die
Celesta eine leitmotivische Funktion einnimmt) und, neben Harfe, Posaune und Tuba, auch das damals selten gespielte Xylophon, Tamburin,
Tamtam und Schlagzeug gehören. Auffallend auch die
Sparsamkeit der instrumentalen Begleitung (mal nur Flöte oder Cello, oder Streicher
etc.) der Sängerinnen und Sänger sowie die Angepasstheit an ihre Stimmungen in
Tonart, Modulation und Dynamik.
Takeshi
Moriuchi hatte als musikalischer
Leitung dieser Vorstellung ausgezeichnete Arbeit geleistet. Das Opern- und
Museumsorchester avanciert so langsam aber sicher zu einem der besten seiner
Art.
Kein Deus
ex Machina
Kein wirklicher
Deus ex Machina beendet diese Oper, keine prunkvolle Hochzeit und "Wenn
sie nicht gestorben sind …", sondern die schlichte Feststellung von Wakula auf
die Frage der Dorfbewohner, ob er überhaupt die Schuhe von der Zarin bekommen
habe: „Ich werde die Geschichte dem Rudi Panko erzählen. Der wird sie mit
goldener Feder aufschreiben.“ Rudi Panko
alias Nikolai W. Gogol (Sein Konterfei wurde hochgehalten) steht für Echtheit,
Reinheit und charakterliche Vollkommenheit. Denn Wakula hätte die Schuhe der
Zarin gar nicht gebraucht. Ihre Liebe war und ist absolut, ohne Makel und ohne
Wenn und Aber.
Ensemble |
Das Licht hat obsiegt
Die Geister
der Nacht (Teufel und Hexe) sind entmachtet, die des Lichtes (Owsen und Koljada)
haben obsiegt. Ihre göttliche und die der weltlichen Liebe (Wakula und Oksana)
haben gemeinsam Besitz, natürlichen Besitz, ergriffen und lassen voller
Zuversicht in die Zukunft schauen. Mit einer wunderbaren Koljada-Weise
entlassen die gut 80 Akteure auf der Bühne in gleißendem Licht und triumphalen
Orchestertutti das restlos begeisterte Publikum. Ein Abend voller Humor und Ernst, Freude und Leid endete in einem christlichen wie heidnischen Weihnachten:
Stille Nacht, heilige Nacht, Swjati wetscher.
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