Montag, 15. Januar 2024

1822-Neujahrskonzert mit der Jungen Deutschen Philharmonie (Leitung: Anu Tali) und dem Flötisten Emmanuel Pahud, Alte Oper Frankfurt, 14.01.2024

1822-Neujahrskonzert 2024 (Foto: Salar Baygan)

Willkommen im Neuen Jahr 2024!!

Tatsächlich ist es das fünfundzwanzigste Mal, dass das 1822-Neujahrskonzert in der Alten Oper Frankfurt stattfindet (1998 hatte es Premiere und fiel während der Coronakrise zweimal aus), und das mit viel Pomp und einem Schuss Zauber und Magie. Steht doch gleich zu Anfang die Ouvertüre aus Mozarts Zauberflöte (1791) auf dem Programm, mit ihrer freimaurerischen Trinität von Erkenntnis, Beherrschung und Veredelung des Individuums, wiewohl überhaupt die Flöte, als wohl ältestes von Menschen geschaffenes Instrument, einen archaischen, magischen wie modernen-energetischen Rahmen in diesem Konzert abbildet.

 

Von zivilisatorischen und staatsbürgerlichen Vorsätzen

Bereits die Ouvertüre beginnt mit den einprägsamen drei Akkorden, der heiligen Zahl der Freimaurer. Sie deutet den Kampf von Natur, Weisheit und Vernunft an. Hier von den noch juvenilen Instrumentalisten der Jungen Deutschen Philharmonie (JDP) unter der Leitung der Estin Anu Talu, hinreißend und mit ausgelassener Verve vorgetragen. Ja, gleich ein Hinweis auf die zivilisatorischen und staatsbürgerlichen Vorsätze für das kommende Jahre: Bleibt standhaft, seid duldsam und schweigt, wenn nötig.

Mozarts berühmtes Andante für Flöte und Orchester KV 315 (1778), ein Auszug aus seinem älteren Flötenkonzert KV 313 (1777), eine Ansammlung von Vogelrufen in einem Feen-Wald, herrlich, mit einem rauchigen Ton, von Emmanuel Pahud (*1970) interpretiert, erinnerte verblüffend an die Schlusspassage des ersten Aktes der Zauberflöte, wo Tamino mit seinem betörenden Flötenspiel die wilden Tiere und Bösewichter aller Couleur besänftigt und zum Guten bewegt.

Ohne Übergang dann zu Transir (2005/06), ein Flötenkonzert von Matthias Pintscher (*1971), mit harmonischer Entfremdung, klanglicher Manipulation und tiefsten Seelenbezügen, das er seinem verstorbenen Freund und musikalischen Mitstreiter, Dominique Troncin (1961-1994), gewidmet hat. Genauer: Er hat dessen Skizzen zu einer Art Requiem verarbeitet. 

1822-Neujahrskonzert 2024, Anu Tali, Emmanuel Pahud, Mitglieder der JDP 
(Foto: Salar Baygan)

Eine Wanderer-Musik vom Vertrauten ins Unbekannte

Ein beeindruckendes Werk zwischen Archaik und Avantgarde, eine imaginäre Reise durch alle Zeiten. Hier wird die Flöte zum Ritual, zum Instrument, das die Götter zur Nachsicht für die Vergänglichen zu beschwören scheint. Extrem expressiv, ja an der Entgrenzung streifend, wird vom Interpreten alles an Blastechnik gefordert, was möglich und „unmöglich“ ist. Dazu gehören Doppel- und Dreifachtönigkeit, Pizzikato-Effekte, Klapperschläge, Flatterzunge und whistle-tones. Ein ungeheurer Reichtum an Ausdrucksmöglichkeiten, die Pahud in Perfektion vortrug.

Aber auch die Dialoge mit den vier Perkussionisten, die den Solisten mit Xylophon, Triangel, Marimbaphon, diversen Becken unterfüttern, sowie mit dem Klangkörper durch subtile Geräuschklänge, wie aus einem wilden Urwald, machen dieses Hommage förmlich zu einer Wanderer Musik im Stile von Franz Schuberts Winterreise. Unglaublich die langgezogene Coda. Ein schier endloses Ausatmen, ein langsamer Übergang ins Nirwana, eine wundersame Passage vom irdischen ins geistige Leben.

Ja, die Flöte. Sie ist ein Mythos im Leben. Ihr Atem ist, so Pintscher, „wie eine imaginäre Reise vom Vertrauten ins Unbekannte“.

1822-Neujahrskonzert 2024, Anu Tali, Mitglieder der JDP 
(Foto: Salar Baygan)

Das Riesen-Ei der Unsterblichkeit

Der zweite Teil des Konzerts dreht sich ebenfalls um Mythen, Geschichten und Märchen. Zunächst Igor Strawinskys Feuervogel. Diese Ballettsuite für das legendäre Ballets Russes hatte ihre Uraufführung im Jahre 1910 im Pariser Théatre National de l´Opera. Strawinsky, damals noch unbekannt, sprang für den indisponierten Anatoli Ljadow (1855-1914) ein und wurde mit dieser Musik zum wohl berühmtesten Komponisten seiner Zeit.

Der Feuervogel erzählt ein russisches Märchen vom bösen Zauberer Kaschtschej, dem Menschen Ivan und dem Feuervogel, der das Gute repräsentiert. Kaschtschej hält 13 verzauberte Prinzessinnen gefangen, darunter die schöne Zarewna, in die sich Ivan verliebt. Der Feuervogel kennt die Quelle der Unsterblichkeit des Zauberers, ein Riesen Ei, verrät es Ivan, der es mit einem Schwerthieb zerstört und den bösen Zauber ebenfalls. Ende gut alles gut.

 

Melodiöse Innerlichkeit und gewaltsame Explosion

Strawinskys Ruhm ließ ihn zu mehreren Orchesterfassungen hinreißen, eine 1911, eine andere 1919 und eine im Jahre 1945. Letztere führte sogar zu einem Hit, ein Slow-Foxtrott aus dem Reigen der Prinzessinnen. Wegen Urheberrechtsfragen ging Strawinsky zwar vor Gericht, scheiterte aber grandios. Am gestrigen Abend stand die Version von 1919 auf dem Programm. Eine sechsteilige Suite, die es in sich hatte.

Alles drin, mal der Tanz des Feuervogels mit Variationen, der Reigen der Prinzessinnen, der Höllentanz Kaschtschejs, das Wiegenlied und schlussendlich das Finale. Ein Tanz auf der Rasierklinge mit eingängigen Melodien und kontrastreichen Wechseln zwischen Harmonie und Disharmonie, zwischen melodiöser Innerlichkeit und gewaltsamer Explosion. Man konnte sich förmlich die Bühnenerscheinungen von doppelköpfigen Ungeheuern, dem glänzenden Feuervogel, die betörenden Prinzessinnen, den Wunderbaum, das Riesen Ei und die schillernden Farben vorstellen.

 

Abgesang auf den Wiener Walzer

Da sollte es eigentlich La Valse (1919/20) von Maurice Ravel schwer haben. Aber mitnichten. Hier lief das Orchester noch einmal zu Höchstleistungen auf. Auch La Valse war im eigentlichen Sinne als Ballett gedacht. Ebenfalls für das berühmte Ballets Russes unter der Leitung von Sergej Diagilew. Aber es sollte anders kommen. Es wurde wegen Untanzbarkeit abgelehnt und lediglich als Orchesterstück mit dem Zusatz: Poème choréographique pour Orchestre in Paris aufgeführt. Allerdings erfuhr es dennoch Choreographien von Ida Rubinstein (1928), Georges Balanchine (1951) und Frederick Ashton (1958).

La Valse, ursprünglich auch unter dem Titel Wien gedacht, ist ein Angriff auf den Wiener Walzer. Ein Menetekel der Folgen des 1. Weltkriegs. Die alte Welt ist zerstört, die neue noch nicht geschaffen. Der Walzer ist tot, es lebe der Walzer des 20. Jahrhunderts. Und das als Wahn- und Irrsinn. Ravel schrieb dieses Stück auf seinem Landsitz in den Cevennen unter Kopfschmerzen und Unwohlsein. Herausgekommen ist eine verzerrte Walzerseligkeit mit Harken und Ösen. Tatsächlich verstand es Ina Tali, ihre fast hundertköpfige Truppe noch einmal zu inspirieren und dieses Meisterwerk der Zerstörung zu einem krönenden Abschluss des Konzertabends werden zu lassen.

1822-Neujahrskonzert 2024 (Foto: Salar Baygan)

Neues Jahr mit Vernunft, Weisheit und Augenmaß

Langanhaltender Beifall motivierte sie zu insgesamt drei Zugaben, die das Orchester mit großer Freude vortrugen.

Dazu zählten die Ha, Ha, Ha Polka aus der Fledermaus von Johann Strauß, die Hymne aus den Enigma Variationen von Edward Elgar und die Pussy (r) Polka von Gerhard Winkler, einem Unterhaltungskomponisten mit bekannten Schlagern wie die Capri Fischer oder Das Heideröslein. Ein Rausschmeißer im besten Sinne bei gleichzeitiger Berieselung des Publikums mit Konfetti und dem Entrollen eines Riesenplakats mit der Aufschrift: Alles Gute zum Neuen Jahr.

In diesem Sinne: Auf ein Neues Jahr mit Vernunft, Weisheit und Augenmaß, und, im Sinne der Zauberflöte: Mit Erkenntnis, Beherrschung und Veredelung des Geistes.      

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