1822-Neujahrskonzert mit der Jungen Deutschen Philharmonie (Leitung: Anu Tali) und dem Flötisten Emmanuel Pahud, Alte Oper Frankfurt, 14.01.2024
1822-Neujahrskonzert 2024 (Foto: Salar Baygan) |
Willkommen
im Neuen Jahr 2024!!
Tatsächlich
ist es das fünfundzwanzigste Mal, dass das 1822-Neujahrskonzert in der Alten
Oper Frankfurt stattfindet (1998 hatte es Premiere und fiel während der Coronakrise
zweimal aus), und das mit viel Pomp und einem Schuss Zauber und Magie. Steht
doch gleich zu Anfang die Ouvertüre aus Mozarts Zauberflöte (1791) auf
dem Programm, mit ihrer freimaurerischen Trinität von Erkenntnis, Beherrschung
und Veredelung des Individuums, wiewohl überhaupt die Flöte, als wohl ältestes
von Menschen geschaffenes Instrument, einen archaischen, magischen wie modernen-energetischen
Rahmen in diesem Konzert abbildet.
Von
zivilisatorischen und staatsbürgerlichen Vorsätzen
Bereits die
Ouvertüre beginnt mit den einprägsamen drei Akkorden, der heiligen Zahl der
Freimaurer. Sie deutet den Kampf von Natur, Weisheit und Vernunft an.
Hier von den noch juvenilen Instrumentalisten der Jungen Deutschen
Philharmonie (JDP) unter der Leitung der Estin Anu Talu, hinreißend und
mit ausgelassener Verve vorgetragen. Ja, gleich ein Hinweis auf die
zivilisatorischen und staatsbürgerlichen Vorsätze für das kommende Jahre: Bleibt
standhaft, seid duldsam und schweigt, wenn nötig.
Mozarts berühmtes Andante für Flöte und Orchester KV 315 (1778), ein Auszug aus seinem älteren Flötenkonzert KV 313 (1777), eine Ansammlung von Vogelrufen in einem Feen-Wald, herrlich, mit einem rauchigen Ton, von Emmanuel Pahud (*1970) interpretiert, erinnerte verblüffend an die Schlusspassage des ersten Aktes der Zauberflöte, wo Tamino mit seinem betörenden Flötenspiel die wilden Tiere und Bösewichter aller Couleur besänftigt und zum Guten bewegt.
Ohne Übergang dann zu Transir (2005/06), ein Flötenkonzert von Matthias Pintscher (*1971), mit harmonischer Entfremdung, klanglicher Manipulation und tiefsten Seelenbezügen, das er seinem verstorbenen Freund und musikalischen Mitstreiter, Dominique Troncin (1961-1994), gewidmet hat. Genauer: Er hat dessen Skizzen zu einer Art Requiem verarbeitet.
1822-Neujahrskonzert 2024, Anu Tali, Emmanuel Pahud, Mitglieder der JDP (Foto: Salar Baygan) |
Eine
Wanderer-Musik vom Vertrauten ins Unbekannte
Ein
beeindruckendes Werk zwischen Archaik und Avantgarde, eine imaginäre Reise durch alle Zeiten. Hier wird die Flöte zum
Ritual, zum Instrument, das die Götter zur Nachsicht für die Vergänglichen zu beschwören scheint.
Extrem expressiv, ja an der Entgrenzung streifend, wird vom Interpreten alles
an Blastechnik gefordert, was möglich und „unmöglich“ ist. Dazu gehören Doppel-
und Dreifachtönigkeit, Pizzikato-Effekte, Klapperschläge, Flatterzunge und
whistle-tones. Ein ungeheurer Reichtum an Ausdrucksmöglichkeiten, die Pahud
in Perfektion vortrug.
Aber auch
die Dialoge mit den vier Perkussionisten, die den Solisten mit Xylophon,
Triangel, Marimbaphon, diversen Becken unterfüttern, sowie mit dem Klangkörper durch subtile Geräuschklänge, wie aus einem wilden Urwald, machen dieses Hommage
förmlich zu einer Wanderer Musik im Stile von Franz Schuberts Winterreise.
Unglaublich die langgezogene Coda. Ein schier endloses Ausatmen, ein langsamer
Übergang ins Nirwana, eine wundersame Passage vom irdischen ins geistige Leben.
Ja, die Flöte. Sie ist ein Mythos im Leben. Ihr Atem ist, so Pintscher, „wie eine imaginäre Reise vom Vertrauten ins Unbekannte“.
1822-Neujahrskonzert 2024, Anu Tali, Mitglieder der JDP (Foto: Salar Baygan) |
Das Riesen-Ei
der Unsterblichkeit
Der zweite
Teil des Konzerts dreht sich ebenfalls um Mythen, Geschichten und Märchen. Zunächst
Igor Strawinskys Feuervogel. Diese Ballettsuite für das legendäre Ballets
Russes hatte ihre Uraufführung im Jahre 1910 im Pariser Théatre National de
l´Opera. Strawinsky, damals noch unbekannt, sprang für den indisponierten
Anatoli Ljadow (1855-1914) ein und wurde mit dieser Musik zum wohl berühmtesten
Komponisten seiner Zeit.
Der Feuervogel
erzählt ein
russisches Märchen vom bösen Zauberer Kaschtschej, dem Menschen Ivan und dem
Feuervogel, der das Gute repräsentiert. Kaschtschej hält 13 verzauberte Prinzessinnen
gefangen, darunter die schöne Zarewna, in die sich Ivan verliebt. Der
Feuervogel kennt die Quelle der Unsterblichkeit des Zauberers, ein Riesen Ei,
verrät es Ivan, der es mit einem Schwerthieb zerstört und den bösen Zauber
ebenfalls. Ende gut alles gut.
Melodiöse
Innerlichkeit und gewaltsame Explosion
Strawinskys
Ruhm ließ ihn zu mehreren Orchesterfassungen hinreißen, eine 1911, eine andere
1919 und eine im Jahre 1945. Letztere führte sogar zu einem Hit, ein Slow-Foxtrott
aus dem Reigen der Prinzessinnen. Wegen Urheberrechtsfragen ging
Strawinsky zwar vor Gericht, scheiterte aber grandios. Am gestrigen Abend stand
die Version von 1919 auf dem Programm. Eine sechsteilige Suite, die es in sich
hatte.
Alles drin,
mal der Tanz des Feuervogels mit Variationen, der Reigen der Prinzessinnen, der
Höllentanz Kaschtschejs, das Wiegenlied und schlussendlich das Finale. Ein Tanz
auf der Rasierklinge mit eingängigen Melodien und kontrastreichen Wechseln zwischen
Harmonie und Disharmonie, zwischen melodiöser Innerlichkeit und gewaltsamer
Explosion. Man konnte sich förmlich die Bühnenerscheinungen von doppelköpfigen
Ungeheuern, dem glänzenden Feuervogel, die betörenden Prinzessinnen, den Wunderbaum,
das Riesen Ei und die schillernden Farben vorstellen.
Abgesang auf den Wiener Walzer
Da sollte es
eigentlich La Valse (1919/20) von Maurice Ravel schwer haben. Aber
mitnichten. Hier lief das Orchester noch einmal zu Höchstleistungen auf. Auch La
Valse war im eigentlichen Sinne als Ballett gedacht. Ebenfalls für das
berühmte Ballets Russes unter der Leitung von Sergej Diagilew. Aber es
sollte anders kommen. Es wurde wegen Untanzbarkeit abgelehnt und lediglich als Orchesterstück
mit dem Zusatz: Poème choréographique pour Orchestre in Paris aufgeführt.
Allerdings erfuhr es dennoch Choreographien von Ida Rubinstein (1928), Georges
Balanchine (1951) und Frederick Ashton (1958).
La Valse, ursprünglich auch unter dem Titel Wien gedacht, ist ein Angriff auf den Wiener Walzer. Ein Menetekel der Folgen des 1. Weltkriegs. Die alte Welt ist zerstört, die neue noch nicht geschaffen. Der Walzer ist tot, es lebe der Walzer des 20. Jahrhunderts. Und das als Wahn- und Irrsinn. Ravel schrieb dieses Stück auf seinem Landsitz in den Cevennen unter Kopfschmerzen und Unwohlsein. Herausgekommen ist eine verzerrte Walzerseligkeit mit Harken und Ösen. Tatsächlich verstand es Ina Tali, ihre fast hundertköpfige Truppe noch einmal zu inspirieren und dieses Meisterwerk der Zerstörung zu einem krönenden Abschluss des Konzertabends werden zu lassen.
1822-Neujahrskonzert 2024 (Foto: Salar Baygan) |
Neues
Jahr mit Vernunft, Weisheit und Augenmaß
Langanhaltender
Beifall motivierte sie zu insgesamt drei Zugaben, die das Orchester mit großer
Freude vortrugen.
Dazu zählten die
Ha, Ha, Ha Polka aus der Fledermaus von Johann Strauß, die Hymne aus den
Enigma Variationen von Edward Elgar und die Pussy (r) Polka von
Gerhard Winkler, einem Unterhaltungskomponisten mit bekannten Schlagern wie die
Capri Fischer oder Das Heideröslein. Ein Rausschmeißer im besten Sinne bei
gleichzeitiger Berieselung des Publikums mit Konfetti und dem Entrollen eines
Riesenplakats mit der Aufschrift: Alles Gute zum Neuen Jahr.
In diesem
Sinne: Auf ein Neues Jahr mit Vernunft, Weisheit und Augenmaß, und, im Sinne
der Zauberflöte: Mit Erkenntnis, Beherrschung und Veredelung des
Geistes.
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