Dienstag, 16. Januar 2024

Academy of St Martin in the Fields (Leitung: Adam Fischer) mit Beatrice Rana (Klavier), Alte Oper Frankfurt, 15.01.2024 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)

Beatrice Rana (Foto: PRO ARTE-Programm)

Englischer Humor

Volles Haus und große Erwartungshaltung im großen Saal der Alten Oper Frankfurt. Locker, wie immer erscheinen die britischen Instrumentalisten auf der Bühne. Der Saal applaudiert und wartet dann stumm auf den Dirigenten. Der lässt eine Weile auf sich warten und erscheint dann im Laufschritt auf der Bühne. Allerdings muss die Konzert-Ouvertüre zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ (1826) von Felix Mendelssohn Bartholdy noch auf sich warten, denn ein Handy schrillt in den Raum. Adam Fischer dreht sich zum Publikum, lächelt und grüßt freundlich den vermeintlichen Missetäter. Alles lacht. Es dauert, bis der Klingelton beendet ist. In der Zwischenzeit kommuniziert er mit dem Saal. Englischer Humor pur.

 

Flirrende Traumwelten

Dann die Eröffnung der Ouvertüre mit den magischen vier Bläserakkorden und dem folgenden Elfenreigen. Wir sind in die flirrende Traumwelt des Elfenreiches versetzt. Von burlesker Derbheit, höfischem Festtagsglanz bis zur Liebesleidenschaft, alles drin. Ein Einstieg nach Maß in einen denkwürdigen Abend und einer außergewöhnlichen Pianistin der noch jungen Generation.

Beatrice Rana (Foto: Simon Fowler)

„Das Concert ist unvergleichlich“

Es ist die erst 30-jährige Italienerin Beatrice Rana, die sich gleich zwei Klavierkonzerte der bereits reiferen Komponisten, Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), vorgenommen hatte. Zunächst das 20. von Mozart, in d-Moll KV 466 (1785). Bekanntlich schwärmte bereits Josef Haydn von dieser Komposition wie auch von der Person Mozarts, der dieses Werk höchstpersönlich am 11. Feb. 1785 im Wiener Casino „Zur Mehlgrube“ vortrug: „Das Concert ist unvergleichlich“ schrieb sein Vater Leopold nach Salzburg, und ergänzte, dass Haydn vom „größten Komponisten“ sprach, den „ich von Person und Namen nach kenne“.

 

Unprätentiös und sachlich

Beatrice Rana, in kräftig grüner Robe, setzt bekanntlich erst relativ spät im Laufe der Exposition mit einem eigenen Thema ein. Ihr Spiel ist unprätentiös, sehr sachlich und zunächst von geringem Esprit begleitet. Ihre eigenwillige Kadenz im Kopfsatz erscheint von ihr persönlich zu sein, denn Mozart hat dazu keine Vorlage gegeben. In der Regel spielt man die von Beethoven. Aber Rana spielt hier wohl ein eigenes Ideenkonstrukt, und das sehr durchdacht und mit großer Virtuosität. Der Sonatenhauptsatz klingt aus mit leisen pochenden d-Moll Akkorden und geht nahtlos in die Romanze des zweiten Teils über. Sie ist in B-Dur geschrieben in die Form eines Couplets gefasst. Ein ausgedehntes Andante, in dem vor allem der Dirigent die dialogisierenden Parts mit Blick und Gestik zusammenhält, denn Rana neigt ein wenig zur Eile. Hier zeigt sich bereits die Klasse Adam Fischers, der vorausschauend mit genialischem Überblick, die Musik gestaltet.

Beatrice Rana (concerti.de)

Ein fulminantes Selbstportrait

Das Allegro assai des Finalsatzes, eine Verbindung von Rondo und Sonatensatz, gehört zum Besten, was Mozart je komponiert hat. Das scheint auch das Orchester so zu sehen, denn es spielt hier mit flottem Tempo und leichtgängig ein höchst anspruchsvolles Notenwerk mit größter Präzision und tiefer Musikalität zugleich. Gleichberechtigt mit dem Klavier sind die Dialoge von außergewöhnlicher Schönheit und Anmut. Ranas Kadenz ist ein fulminantes, emotionales Selbstportrait. Hier zeigt sie nicht allein ihre technische Brillanz, sondern auch große Musikalität.

 

Ein Hit des 19. Jahrhunderts

Nach der ausgedehnten Pause steht Mendelssohns erstes Klavierkonzert in g-Moll auf dem Programm. Wieder einmal läuft Fischer wie ein Langstreckenläufer auf die Bühne und schafft so Entspanntheit und Aufmerksamkeit zugleich. Glücklicherweise fehlt jetzt das störende Handygeschrille, aber das Geschwätz einiger Zuhörer lässt ihn wieder einmal pausieren, bevor es gleich in die Vollen geht. Eng verzahnt sind auch hier Orchester und Klavierpart. Gleich geht es los mit einem energiegeladenen, dramatischen Auftritt der Solistin nach einer knappen aber eindrucksvollen Orchesterintroduktion. Mendelssohn hat hier quasi einen Hit des 19. Jahrhunderts geschaffen, voller Energie, Selbstbewusstsein und vor allem Fantasie. Es gab kaum ein Konzert bis zur unseligen Nazizeit, das dieses Werk nicht auf seinem Programm hatte.

Academy of St. Martin in the Fields (Foto: PRO ARTE-Programm)

Poetisches Erlebnis mit furiosem Ende

Tatsächlich strotzt es nur so von Einfällen und virtuosen Ideen. Hier fühlte sich Beatrice Rana sichtlich wohler als bei Mozart. Auch ihre einfühlsame Interpretation des E-Dur Andante des zweiten Teils im Stile eines Nocturnes gehörte dazu. Wunderbare Dialoge mit den Blech- und Holzbläsern machten diesen langsamen Teil zu einem poetischen Erlebnis. Das abschließende Presto geriet unter ihren Händen zu einem perlenden Prestissimo. Ohne Frage, ein furioses Ende mit brillant gebrochenen Akkordläufen und schwierigsten beidhändigen Martellato-Oktav-Passagen.

Ausufernder Beifall ließ die Apulierin noch zu einem herrlichen Chopinschen Nocturne bewegen. Dann war sie auch schon im Off der Bühne verschwunden.

 

Mozart oder/und Mendelssohn Bartholdy?

Die Jupiter Sinfonie, die letzte aus Mozarts Händen, sollte den Abschluss des denkwürdigen Abends bilden.

Davor aber die Beantwortung der Frage, warum die Gegenüberstellung von Mozart und Mendelssohn Bartholdy? Ganz einfach. Beide galten in ihrer Zeit als Überflieger, beide waren schon als Kind weltberühmt und beide schafften in ihrer recht kurzen Lebenszeit gut 600 Werke bei Mozart und ca. 750 bei Mendelssohn. Aber. Die Zeitgenossen wie Robert Schumann, Johann Wolfgang von Goethe, Franz Liszt oder auch Carl Friedrich Zelter waren sich einig darin, dass Mendelssohn Bartholdy wohl der besser von beiden gewesen sei.

Und das wegen seiner unglaublichen kompositorischen Vielseitigkeit, seiner famosen klavieristischen Technik sowie seines überdurchschnittlichen Intellekts. Wie auch immer. Ein Vergleich hinkt in der Regel. Denn beide waren und sind Ausnahmeerscheinung in der Welt der Musik.

Adam Fischer (Foto: PRO ARTE-Programm)

Göttlich vollkommen

Kommen wir zur sogenannten Jupiter Sinfonie. So genannt, weil sie erst viele Jahre später diesen Zusatz erhielt. Nach dem Musikwissenschaftler Kurt Pahlen soll der Pianist Johann Baptist Cramer (1771-1851) sie erstmals in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts so genannt haben, um ihre „göttliche Vollkommenheit“ zu dokumentieren. Tatsächlich ist sie unter KV 551 archiviert und firmierte lange unter dem Beinamen „Die Sinfonie mit der Schlussfuge“. Allerdings hat sich der Beiname Jupiter seit 1820 allgemein durchgesetzt.

Viersätzig, gehört sie zum ausgereiftesten und vorausschauensten Werk aus der Hand des Meisters. Man vergleicht sie mitunter mit der Neunten von Beethoven, als Zusammenfassung dessen, was die Sinfonik in dieser Zeit überhaupt sagen konnte, quasi ein Schlusswort für diese Gattung.

 

Monumentalität und Anmut in Einem

Sie ist tatsächlich eine schwierige Sinfonie mit wenig eingängigen Melodien, vielen ausschweifenden Modulationen und langatmigen Passsagen, vor allem im Andante cantabile des zweiten Satzes. Auch das Menuett des dritten Satzes, eher ein majestätisch daherkommendes Scherzo, fällt eher durch chromatische und fallende Melodie-Linien auf, denn als tänzerisches Zwischenspiel. Schließlich das dominierende Fugato des Schlusssatzes, ein Molto Allegro, nach dem diese Sinfonie lange ihren Namen erhielt. Hier wiederum glänzte alles vor Monumentalität und Anmut gleichermaßen.

Academy of St. Martin in the Fields (Foto: ASMF-Website)

Wie die Unendlichkeit des Weltraums

An dieser Stelle muss Adam Fischer hervorgehoben werden. Er machte aus dem fast 40-minütigen Werk durch seine subtile bis an die Performance grenzende Leitung seines Klangkörpers ein spannendes, kurzweiliges und fantastisches Spiel mit Raum und Zeit. Lassen wir noch einmal Kurt Pahlen sprechen: „Hier kann uns Mozart selbst als Gott erscheinen, der nach freiem Willen Sternenbilder in der Unendlichkeit des Weltraums schafft, zusammenfügt und lenkt.“ No comment.

Tosender Beifall zu Recht und eine Zugabe zum Abschied. Das Air von Johann Sebastian Bach. Immer wieder ein Erlebnis der besonderen Art, die ASMF mit seinen großartigen Instrumentalisten, wie auch Dirigenten. Vielen Dank Adam Fischer, vielen Dank Beatrice Rana.  

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen