Freitag, 19. Januar 2024

Chicago Symphony Orchestra unter der Leitung von Riccardo Muti, Alte Oper Frankfurt, 18.01.2024 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)

Riccardo Muti und das CSO (Foto: Todd Rosenberg)

Das Beste und Teuerste

Das Chicago Symphony Orchestra (CSO) unter der Leitung von Riccardo Muti ist zurzeit auf Europatournee und gleich an zwei Abenden zu Gast in der Alten Oper Frankfurt, was eine Kooperation zwischen PRO ARTE und der Alten Oper möglich gemacht hat. Das ist insofern bemerkenswert, weil das CSO wohl zum Besten und möglicherweise zum Teuersten gehört, was die Musikwelt zu bieten hat, und es wohl der guten Beziehungen von PRO ARTE und Alte Oper Frankfurt zu verdanken ist, dass dieser außergewöhnliche Klangapparat unter der Leitung des „Music Director Emeritus for Life“, Riccardo Muti (*1941), ausgerechnet in Frankfurt Halt gemacht hat. Und das mit überaus nachhaltigem Eindruck.

Auf dem Programm des ersten Abends standen Werke von Anatol Liadow (1855-1914), Igor Strawinsky (1882-1971) sowie Johannes Brahms (1833-1897).

 

Nicht der Fleißigste seiner Zunft

Anatoli Liadow zählte seinerzeit nicht gerade zu den Fleißigsten seiner Zunft. Man nannte ihn unter anderem das „Genie der Langeweile“ oder gar einen „kurzatmigen Pianissimo Komponisten“. So soll es zumindest Sergej Prokofjew einmal geäußert haben. Tatsächlich liebte er, so Strawinsky, die poetische Melancholie, das Zarte und die fantastischen Sachen. Bekanntlich sollte er ursprünglich die Ballettmusik zum Feuervogel für das Ballets Russes schreiben. Als aber nach Anfrage ihres Impresarios Sergej Djagilew, wie weit er sei, er zur Antwort gab, er habe bereits das Notenpapier gekauft, zog dieser den Auftrag zurück und übergab ihn an Igor Strawinsky, der, wie wir wissen, damit zu seinem Weltruhm gelang.

Riccardo Muti und das CSO (Foto: Todd Rosenberg)

Französische Impressionismen und pastellfarbene Bilder

Kommen wir zu seiner Komposition Der verzauberte See op. 62 (1909). Unschwer zu erkennen, dass er sie parallel zu seinem Auftrag für den Feuervogel schrieb. Heraus kam ein etwa neunminütiges Werk voller französischer Impressionismen, pastellfarbener Bilder und geheimnisvollen glitzernden Wellenbewegungen. Alles in einem Pianissimo, sternenklar mit kurzem Vogelgezwitscher. Ohne Bleche, dafür mit irisierenden Flöten-, Celesta- und Harfenklängen. Riccardo Muti, der eigenen Aussagen zufolge eine tiefe Partnerschaft mit seinem Orchester pflegt, konnte bereits hier das große klangliche Vermögen der fast einhundert Instrumentalisten voll zur Geltung bringen. Er bot ein mythisches Naturparadies, ohne Menschen, rein und sternenklar. Ein Zauber zwischen russischer Seele und Debussys Pelléas et Mélisande.

 

Der Feuervogel – eine Wucht

Hoch ging es her beim Feuervogel von Igor Strawinsky. Vorweg sei gesagt, dass leider nicht die dritte konzertante Fassung von 1945 gespielt wurde, wie auf dem Programm angegeben, sondern die zweite von 1919. Vielleicht erinnern sich einige Leser, dass ausgerechnet wenige Tage vorher auf dem 1822-Neujahrskonzert, die Junge Deutsche Philharmonie unter der Leitung von Anu Tali, eben diese Version des Feuervogels auf ihrem Programm hatte und ausgezeichnet interpretierte. Ein Vergleich an dieser Stelle wäre unfair. Aber wie das CSO diese beiden Volksmärchen „Der Feuervogel“ und „Der Zauberer Kaschtschej“, den Kampf zwischen Gut und Böse, musikalisch interpretierte, war schon eine Wucht.

Riccardo Muti und das CSO in der Alten Oper Frankfurt
(Foto: Todd Rosenberg)

Schaurig schön – atemlos

Zwischen geheimnisvoller Introduktion von Violoncelli, Kontrabässen und Posaunen, alles im Pianissimo und folgendem gewaltigem Ausbruch, dem leichtgängigen Reigen der Prinzessinnen, dem Höllentanz, der förmlich unter die Haut ging, denn hier schlugen Perkussionisten, Tuba, Posaunen und Trompeten hammerhart zu, dem herrlichen beruhigenden und warmen Wiegenlied und dem abschließenden Wahnsinns-Maestoso, ein Finale, dass sich bis zum vierfachen Forte steigerte – 35-Minuten Spannung pur. Ein schaurig schöner Angriff auf die Gefühlswelten des Publikums. Atemlos.

 

Melancholisch – heiter pastoral

Die Pause war notwendig, um zu sich zu kommen. Es folgte die Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 (1877) von Johannes Brahms. Viersätzig ist sie und entstand in wenigen Monaten am Wörther See, genauer in Pörtschach. Nach der schweren Geburt seiner Ersten, sollte die Zweite ihm leicht von der Hand gehen. Dennoch schreibt Brahms voller Selbstironie an seinen Verleger Simrock: „Die neue Sinfonie ist so melancholisch, dass sie es nicht aushalten. Ich habe noch nie so etwas Trauriges, Molliges geschrieben.“

Dennoch hat sie gleich nach ihrer Uraufführung am 30. Dezember 1877 in Wien größten Erfolg zu verzeichnen. Man lobte die heitere, pastorale Grundstimmung, ihre gesunde Frische und Klarheit. Was nun? Na ja. Brahms ist bekannt für seine depressiven Phasen und selbstkritischen Bemerkungen. Andererseits betont er immer wieder, dass man sie nicht zu ernst nehmen solle.

Riccardo Muti und das CSO in der Alten Oper Frankfurt
(Foto: Todd Rosenberg)


Ein Brillantstein unter den Sinfonien

Diese viersätzige Sinfonie ist tatsächlich ein Brillantstein unter den Sinfonien. Sicher ist sie kein drastisch zugreifendes Werk. Eher dominiert die heitere Gelassenheit eines selbstzufriedenen, in Pörtschach angekommenen Mitvierziger, gemütvoll, selbstzufrieden und gesettled. So ist der Kopfsatz von gut 20 Minuten sehr gesanglich gestaltet. Man kann Parallelen zum Lied: Guten Abend Gute Nacht herstellen, was immer wieder auftaucht. Auch die Coda mit ihren metrischen Verschiebungen endet nicht in einem fulminanten Finale, sondern in ruhigem, fast ersterbendem Ton.

Der zweite Satz, ein Adagio non troppo, ist tatsächlich durch ständige Dur-Moll Wechsel von tiefem melancholischem Charakter geprägt. Dennoch voller Dramaturgie, Zartheit und lyrischer Eleganz. Im kurzen Allegretto grazioso des dritten Satzes ist man förmlich an Dvořáks dritten Satz aus seiner 8. Sinfonie erinnert. Hervorstechend hier die Dreiteilung zwischen Ländler, Galopp und schnellem Walzer. Absolut lebendig. Von großer Lebensfreude erfüllt, dieser kurze Satz.

CSO mit Riccardo Muti neben den beiden ersten Geigern Robert Chen und Stephanie Jeong
(Foto: H.boscaiolo)

„Gewaltsame Brillanz“

Dann das Finale, ein Allegro con spiritu. Ein kaum neun minütiger Schlusssatz von außerordentlicher Heiterkeit und „gewaltsamer Brillanz“ (Reinhold Brinkmann). Jetzt gibt es keine Zurückhaltung mehr. Auffallend hier das sich immer wiederholende Quartmotiv von Flöte, Posaune und Klarinette (stark an Mahlers Erste erinnernd), die synkopischen lombardischen Rhythmen wie auch die fanfarenartigen Übergänge der Themen. Ein mit allen Mitteln der musikalischen Kunst veranstalteter Kehraus. Bemerkenswert noch die lange abschließende Coda mit ihren rotierenden Achtelmotiven, Tremoli und Tonwiederholungen, ihren Skalenläufen mit den Generalspausen und dem mächtigen Durchgang durch die Tonarten bis zum D-Dur Schlussakkord im mehrfachen Fortissimo. Eine der brillantesten Höhepunkte der sinfonischen Musik.

Riccardo Muti und das CSO, Übergabe der Blumen an
Teng Li, erste Stimmführerin Viola
(Foto: Todd Rosenberg)

"Meine Leidenschaft ist so stark – ich folge ihr"

Das Publikum tobte. Zu Recht. Denn was das CSO hier bot, ist wohl einmalig auf dieser Welt. Hier fehlen tatsächlich die Worte. Riccardo Muti ist eine Ausnahmeerscheinung. Mit wenigen Gesten, sparsam aber punktgenau und absolut vorausschauend führte er das Orchester durch diese wunderschöne Sinfonie. Alles andere als düster und melancholisch.

Eine Zugabe musste sein. Muti erinnerte an den einhundertsten Geburtstag von Giacomo Puccini (1858-1924) und spielte aus dessen Oper Manon Lescaut (1893) das Intermezzo sinfonico aus dem dritten Akt. Ein orchestrales Zwischenspiel, das die Gefühle Des Grieux´ zu Manon in der Gefangenschaft beschreibt: "Hier weilte die Geliebte. Meine Leidenschaft ist so stark, dass ich mich als das unglücklichste Geschöpf der Erde fühle …. Ich folge ihr, und wäre es das Ende der Welt.“

Hoffen wir, dass das CSO und Riccardo Muti dem Schicksal Manons entgehen und noch lange die musikalische Welt begeistern können. Ein Gastspiel der Extraklasse und Dank an die Organisatoren.   

 

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