Ensemble Modern unter der Leitung von Stefan Asbury mit Werken von György Ligeti, Unsuk Chin und Michael Pelzel, Alte Oper Frankfurt, 19.01.2024
György Ligeti (Foto: Co Broers) |
Große
Vielfalt und herzliches Gedenken
Ein denkwürdiger
Konzertabend des Ensemble Modern im gut besuchten Mozart Saal der Alten Oper
Frankfurt sollte es werden. Ein Programm von außergewöhnlicher Vielfalt und
spannungsgeladen Hörerlebnissen.
Gewidmet war der Abend dem Jubiläumsjahr zum 100. Geburtstag von György Ligeti (1923-2006) unter anderem mit einer Auswahlwahl von Ensemblebearbeitungen seiner Études pour piano, die zwischen 1985 und 2001 entstanden sind, dem schwersten und aberwitzigsten der Klavierliteratur. An diesem Abend sechs der insgesamt achtzehn von drei renommierten Komponisten, darunter vom Dänen Hans Abrahamsen (*1952) die Etüden 5 und 11, vom Kanadier Chris Paul Harman (*1970) die Etüden 2 und 8, sowie Johannes Schöllhorn (*1962) mit den Etüden 12 und 15. Ebenfalls spielte das Ensemble Modern (EM) das Kammerkonzert für 13 Instrumentalisten (1969/70). Aber auch die Schülerin und geistige Verwandte Ligetis, die Südkoreanerin Unsuk Chin (*1961), kam mit ihrer 1994 komponierten und 1997 revidierten Fassung Fantaisie Mécanique zu Gehör. Ebenso durfte eine Uraufführung nicht fehlen. Die galt dem Schweizer Michael Pelzel (*1978), mit Melting Pianotude für Transducer-Flügel und Ensemble (2023). Michael Pelzels Bezüge zu Ligetis Atmosphères (1960) sind augenscheinlich zu hören in seinen Werken Chromosphére (2018) und Mysterious Benares Bells (2019).
Ensemble Modern (Foto: Wonge Bergmann) |
Illusionspatterns
und mechanisches Klavier
Spannend, wie man die überaus komplexen und nur für ausgereifte Pianisten spielbaren Etüden für Ensemble bearbeitet hat. Bekanntlich wollte Ligeti seine eigene Unvollkommenheit am Klavier mit diesen Übungen verbessern. Dazu orientierte er sich zwar an Chopin, Liszt und Debussy, aber gleichzeitig erkundete er mit ihnen musikalisches Neuland in Anlehnung an Conlon Nancarrows (1912-1997) mechanischen Klavierexperimenten wie der sogenannten Illusionspatterns nach den Ideen der Musikethnologen Gerhard Kubik (*1934) und Simha Arom (*1930). Gemeint damit sind parallel verlaufende Geschwindigkeitsschichten.
György Ligeti (Foto: Peter Andersen) |
Sehr
farbig und jazzig
Tatsächlich halten sich die drei Komponisten im Wesentlichen an die Klavierpartituren sowie die Spielanweisungen Ligetis. Ligetis Absicht, die Etüden trotz ihrer immensen Schwierigkeiten unterhaltsam zu gestalten und mit Spaß und Freude zu inszenieren, haben wohl alle drei beherzigt. Sehr farbig und jazzig kommen ihre "Etüden" daher. Vor allem die achte mit dem Titel Fem (Metall), voller Synkopen, metrischen Verschiebungen und improvisatorischen Elementen. Auch die fünfte Arc-en-ciel (regenbogenfarben) mit der Spielanweisung: molto rubato, mit Eleganz und swing gehört dazu. Romantik und Jazz müssen sein, um die Hörer zu erfreuen und zu entlasten.
Höchst virtuos und anspruchsvoll sind die 12 Entrelacs (Flechtwerk) und 15 White and White. Beide von Johannes Schöllhorn (der anwesend war) für großes Ensemble aufbereitet, glänzten durch rhythmisches Schweben, rasend schnellem mikrotonalem Klangteppich von Klavier und Streichern, metrische Verschiebungen bzw. Illusionspatterns sowie chaotischer Asynchronität. Nicht immer gelang es dem Ensemble, diesen extrem technischen Anforderungen gerecht zu werden. Dennoch schaffte es der umsichtige und souveräne Dirigent, Stefan Asbury, das wild-rhythmische Geschehen mit Humor und einer gewissen Verspieltheit zu überblicken und zu ordnen. Sehr aufschlussreich. Vielleicht wäre ein direkter Vergleich mit Klavier und Ensemble mal eine Idee für eine zukünftige Aufführung.
Unsuk Chin (Foto: New York Times) |
Apollinisch
und Dionysisch
Dann Unsuk Chin mit ihrer Mechanischen Fantasie für fünf Instrumentalisten. Diese waren Ueli Wiget am Klavier, Uwe Dierksen an der Posaune, Sava Stoianov an der Trompete sowie Rainer Römer und David Haller am Schlagwerk mit Xylophon, Marimba, Glocken und viel Becken. Ein 6-sätziges Konvolut von historischen Satztypen, wie Variationen, Etüde, Episode, Improvisation oder Arie. Man ist aber tatsächlich geneigt, von Klavierkonzert zu sprechen. Der Flügel dominiert ohne Frage und grenzt vor allem in der Etüde an pianistische Möglichkeiten. Chin spricht vom Kampf zwischen apollinischen und dionysischen Kräften, vom anarchischen Drang, Bestehendes zu zerstören, aber auch zu verändern, umzugestalten und zu transformieren. Das Werk changiert zwischen Chaos und klarer Struktur, es kontrastiert in Extremen, treibt voran mit ungeheurer Vehemenz. Es fordert alles von den Instrumentalisten und lässt das Publikum keine Sekunde in Ruhe. Chin ist bekannt für ihren Humor und ihre spielerische Imagination. Dieses „Klavierkonzert“ für Fünf gehört zu ihrem Besten. Großes Lob an Ueli Wiget - aber auch an das geniale Quartett - , der mit einer außerordentlichen Interpretation seines Parts hervorstach.
Hyper-Perkussions-KonzertEnsemble Modern: v. l.: David Haller, Uwe Dierksen, Rainer Römer,
Sava Stoianov, Ueli Wiget, Stefan Asbury
(Foto: H.boscaiolo)
Nach der Pause Melting Pianotude für Transducer-Flügel und Ensemble von Michael Pelzel. Auch er war vor Ort und die Erwartungshaltung an diese Uraufführung war allgemein sehr groß. Zumal vor dem Hintergrund der Frage: Was ist ein Transducer-Flügel? Die Antwort: Es ist ein elektronisch veränderter Konzertflügel durch Midi-Abnehmer. Midi-Abnehmer sind bekannt bei Gitarren, deren Ton dadurch verzerrt werden kann. Genau das trifft auch auf diesen Flügel zu. Der Klavierklang wird verfremdet und bekommt eine ungewohnte elastische Klanglichkeit. Mit Celesta und großen Ensemble mit drei Perkussionisten versucht Pelzel, klangliche Interaktionen herzustellen und nennt in diesem Sinne sein Werk auch Hyper-Perkussions-Konzert in drei Sätzen.
Michael Pelzel (Foto: Vinzenz Niedermann) |
Angriff
auf die Psyche
Angesagt als „ätherische Klangverzauberung“ entpuppt sich das Werk allerdings bald als Angriff auf die Psyche. Hitchcocks Psychotriller Psycho von 1960 lässt grüßen. Man jaulte, pochte, drangsalierte alle Tonhöhen und -tiefen, pfiff und lallte Unverständliches in die Mikrophone. Krieg, Kampf, Angst und Schrecken kamen in den Sinn, weniger Verzauberung. Vielleicht ein Spiegel unserer Zeit? Eigentlich ist das Werk, so kurzweilig es erschien, lediglich eine strukturlose Ansammlung von Klangzellen mit der Auslotung von möglichen Klangfarben, ein Experiment, das durchaus noch Luft nach oben hat. Dem Publikum zumindest hat es gefallen
Ensemble Modern: Ligetis Kammerkonzert für 13 Instrumentalisten
Foto: H.boscaiolo
„Musik
mit Schlingpflanzen durchwachsen“
Zum Abschluss wieder György Ligeti. Sein bereits 1969/70 komponiertes Kammerkonzert für 13 Instrumentalisten. Viersätzig, vielstimmig, traditionell und gleichzeitig von radikaler Binnengestaltung. Der Hörer wird irritiert durch vielfältige polyrhythmische wie polymetrische Texturen. Seine Hörgewohnheiten werden brutal infrage gestellt. Ligeti übernimmt zwar die Formstruktur traditioneller Werke wie mäßig schnell (Allegretto) für den ersten Satz, langsam (Adagio) für den zweiten, Scherzo und Presto für den dritten und vierten, aber Wert legt er auf die „innere Komplexität“. Sie führt von heterogenen Rhythmen, über homophone Schichtungen, Polyrhythmik und Polymetrik bis zum finalen Presto, welches, so Ligeti, „aus den Fugen gerät, in Fetzen zerrissen“ und zu einer „Musik mit Schlingpflanzen durchwachsen“ wird.
Stefan Asbury (Foto: Eric Richmond) |
Damals Revolution
heute gewohnte Kost
Perfekt mal
wieder vom 21-köpfigen Ensemble Modern vorgetragen. Gute zwanzig Minuten
herrliche Melodik, eklektische Stilanleihen und mikropolyphone Texturen. Damals
eine Revolution unter den Avantgardisten und heute fast schon gewohnte Kost.
Unter der sehr engagierten und präzisen Leitung von Stefan Asbury konnte
eh nichts schief gehen.
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