Die Banditen, Opéra Bouffe in drei Akten von Jacques Offenbach, deutsche Fassung von Katharina Thoma, Oper Frankfurt, Premiere und Frankfurter Erstaufführung am 28.01.2024
Eine Offenbachiade
Um das Werk nicht mit Schillers Schauspiel Die Räuber zu verwechseln, hat Jacques Offenbach (1819-1880) seinem Öperchen, wie er das Werk auch schelmisch benannte, den Titel: Die Banditen vergeben, im Original: Les Brigands. Eine gesellschaftliche Satire erster Güte, witzig, geistvoll und ausgelassen, wie viele seiner übrigen Produktionen auch, was seinem besonderen Genre auch das Erkennungsmerkmal der „Offenbachiade“ eintrug.
Das
Beste, aber kaum gespielt
Die
Banditen, 1869 in
Paris uraufgeführt, gehört, und das sei vorweggenommen, wohl zum Besten, was
Offenbach zu seinen Lebzeiten komponierte, wobei die beiden Librettisten, Henri
Meilhac und Ludovic Halévy, mit einbezogen werden müssen. Dennoch
hatte es nur eine kurze Aufführungszeit und versank dann sehr schnell über
viele Jahrzehnte in der Versenkung. Das hatte vor allem den Grund, dass 1870 der
Deutsch-Französische Krieg ausbrach, demzufolge eine jahrzehntelange
Feindschaft zwischen beiden Ländern ausbrach und Jacques Offenbach, als Deutscher
– er war gebürtiger Kölner – Frankreich verlassen musste, und seine Werke von
den Bühnen beider Länder verschwanden.
Gerard Schneider (Falsacappa) und Elizabeth Reiter (Fiorella) |
Ein
gewisser Charme
Das erklärt unter anderem auch die Frankfurter Erstaufführung am 28.01.2024. Eine Premiere, die gleich noch eine besondere Note aufwies, hatte doch die für die Inszenierung verantwortliche Katharina Thoma, die Idee, das Stück nicht in der Originalsprache, sondern auf Deutsch singen zu lassen. Was zunächst gewagt anmutet, entwickelte sich allerdings in der Praxis als gelungenes Experiment. Die beabsichtigte „Unmittelbarkeit des Handlungsgeschehens auf der Bühne“, wie der Witz der gesprochenen Dialoge, konnten absolut überzeugen und gaben dem Ganzen noch einen gewissen Charme.
Carabinieri (Herrenchor der Oper Frankfurt) |
Passend und
kreativ
Überhaupt
bestach diese Inszenierung wieder einmal durch passende und kreative Einfälle.
Da wäre zunächst das Bühnenbild von Etienne Plus zu nennen. Sie und ihr
Team verstanden es, die Örtlichkeiten zeitgemäß zu illustrieren. Da war das abgelegene
Gebirgstal, der Versammlungsort der Räuberbande, direkt unter einer Autobahnbrücke, ein großartiges an Caspar David Friedrich erinnerndes Landschaftsbild (wohl aus der
Malerabteilung der Oper) mit flexiblen Baumgruppen, hinter denen sich die Banditen
versteckten. Oder das Wirtshaus Zum fröhlichen Grenzverkehr im 2. Akt,
was sich sinnigerweise Ristouroute nannte. Eine Herberge zwischen
zwei Staaten angesiedelt, deren Grenze „unbekannt“ war. Nicht zuletzt der
runtergekommene Hofpalast des Prinzen von Mantua, mit abgehängten Prunkbildern,
nur zwei hängen noch verlassen herum, ein wenig Renaissance und Naturalismus,
ansonsten schlecht tapezierte Wände mit Wärmepumpe und schäbigem Mobiliar sowie
EU-Fähnchen. Was will uns die Regie wohl damit sagen?
Auch die Kostümierung unter Irina Bartels gelang ausgezeichnet. Die Räuber trugen, teils abgerissen, die unterschiedlichsten Modetrends, die Mantueser dagegen ein bisschen Armani und die Spanier einen übertriebenen Renaissance-Outlook. Auch die Wirtsleute wie das Wirtshaus glänzten durch weiß und rosa, alles ein wenig geckig. Und alles in allem hatte im Finale jeder von jedem etwas an seinem Outfit. Herrliche Vielfalt mit dezenten Lichteffekten von Olaf Winter und angebrachter Choreographie von Katharina Wiedenhofer.
Elizabeth Reiter (Fiorella) und Peter Marsh (Der Prinz von Mantua) |
Eine
Chorinszenierung
Wie der
Titel bereits andeutet, ist diese Opéra bouffe eine Chorinszenierung. Insgesamt bevölkern
die Bühne mehr als 60 Akteure aller Couleur, von vier New Age Mädels, die einem
vermeintlichen Guru (der sich als Räuberhauptmann outet) hinterherpilgern, den
zwölf Haremsdamen des Prinzen von Mantua, den sechs Carabinieri in streng preußischer
Uniform, den rosaroten Restaurantangestellten, bis zu den Delegationen der
Mantueser und Spanier – ein Aufgebot, was allein schon ausgefeilte Logistik und
vor allem enorme Bühnen-Disziplin erforderte.
Ein
permanenter Rollentausch
Die Handlung ist zwar sehr kompliziert, geht es doch um ein ausgeklügeltes Verwirrspiel mit permanenten Verkleidungen und Rollentausche, lässt sich aber dennoch kurz skizzieren: Es geht um eine arrangierte Hochzeit der Prinzessin von Granada mit dem Prinzen von Mantua, eine lieblose Eheschließung, bei der es lediglich um den Austausch von Millionen Geldern geht (hier insgesamt 5 Millionen Euro). Um einen geplanten Coup der Banditen, an die zirkulierenden drei Millionen ranzukommen, der kläglich scheitert. Um die unverbrüchliche Liebe der Tochter des Gangsterbosses Falsacappa (der mit den falschen Umhängen), Fiorella, zu dem von den Banditen ausgeraubten Biobauern Fragoletto (Verdis Rigoletto lässt grüßen).
Gerard Schneider (Falsacappa; links stehend mit erhobenen Händen), am Boden Wirtsleute sowie Ensemble |
Wer sind
die größeren Banditen?
Ebenfalls um die
unverbrüchliche Liebe der Prinzessin von Granada mit ihrem Pagen Adolfo von
Valladolid und nicht zuletzt um die offene Frage, wer nun die größeren Banditen
sind. Denn von den 5 Millionen bleiben lediglich 1.235, noch etwas EUR übrig. Der
Rest ist verprasst. Antonio, der Schatzmeister, mehr ein Meister der Korruption,
schafft dennoch den Deal mit den Spaniern, denn beide haben gehörig Dreck am
Stecken und die Einzigen, denen man bürgerliche Tugenden zubilligt, sind die
Banditen. Sie haben Raub, Intrige, ständige Maskerade und „ewiges Zittern“ satt
und … verschwinden in der Versenkung. Wer oder was übrigbleibt, das mag sich
der Leser selber denken.
Gewöhnung
an Lug und Trug?
Sicher könnte man eine Menge gesellschaftspolitische Verbindungen herstellen, wie Korruption, Staatsbankrott, Milliardenverschuldung, Lug und Trug auf den Parketten der internationalen Eliten. Eine moderne Offenbachiade also. Aber auf heutige Verhältnisse bezogen, wirkte das alles irgendwie harmlos. Haben wir uns doch schon resignierend an den ständigen Betrug unsere Mächtigen, milliardenschweren Philanthropen und sogenannten Staatslenker gewöhnt.
Ein
Faschingsschwank
Offenbach, der seinerzeit der französischen Zensur Rechnung tragen musste, kommt zwar zu einem scheinbar versöhnlichen Fine Lieto, indem er die Banditen bürgerlich werden lässt (Immerhin war das Genre der Räuber im ausgehenden 19. Jahrhundert äußerst beliebt). Aber gleichzeitig macht er doch deutlich, dass die kriminelle Energie des Fürstenhofes (hier sinnigerweise die der Italiener) die der Banditen bei weitem übersteigt. Heute ist das Ganze eher ein Klamauk, ein Faschingsschwank mit der Gewissheit, sich seiner Erkenntnis sicher zu sein, in einer Welt der Charaktermasken zu leben.
vorne v.l.n.r. Kelsey Lauritano (Fragoletto), Elizabeth Reiter (Fiorella) und Michael McCown (Domino) sowie im Hintergrund Ensemble |
Alle auf
der Höhe
Die
zahlreichen Akteure auf der Bühne waren durchweg voll auf der Höhe. Allen voran
der Banditenanführer Falsacappa, gesungen und gespielt vom Tenor Gerard
Schneider und seiner höchst agilen Tochter, Fiorella, von der Sopranistin Elizabeth
Reiter vorzüglich intoniert und geschauspielert. Außerdem seien
hervorzuheben Fragoletto, der Biobauer und Geliebte Fiorellas, Kelsey
Lauritano, eine Mezzosopran-Hosenrolle, die sie mit großer Verve bewältigte.
Dazu der Prinz von Mantua, vom Tenor Peter Marsh überzeugend
vorgestellt, wozu auch der Bariton Theo Lebow als Mantuesischer Baron von
Campotasso, der Bassbariton Dietrich Volle als Kapitän der Carabinieri,
der Tenor Abraham Bretón, als Graf von Gloria-Cassis und die Sopranistin
Juanita Lascarro als Prinzessin von Granada zu zählen sind. Nicht
zuletzt trumpfte der Tenor Peter Bronder als Schatzmeister der Mantueser auf mit seiner bekannten Gestik und seinem Hang zur Gebärde und Posse. Ein
absoluter Lacher dieser Vorstellung.
Ein
schauspielernder Chor
Allen voran ist dem Chor unter der Leitung Tilman Michaels wieder größte Referenz zu zollen. Was er wieder mit seiner Compagnie auf die Bühne brachte, war erneut von bester Qualität. Ein schauspielernder Chor mit großer sängerischer Qualität. Weltklasse.
Sicher nach der Originalpartitur
Die Musik Offenbachs, heißt es, sei transparent, zart, gar zerbrechlich. Er habe sie stark auf die Handlung ausgerichtet und viel Wert auf Rhythmus und Tanz gelegt. All das trifft vollständig auch hier zu. Karsten Januschke, der musikalische Leiter, stützt sich, eigenen Aussagen zufolge, auf die Originalpartitur, vor allem deshalb, weil man gerade bei Offenbachs Kompositionen gerne dazu neige, Veränderungen und Arrangements vorzunehmen, die selten dem Werk gerecht würden. Tatsächlich aber scheut sich der Komponist nicht, Anlehnungen, Zitate und Allusionen aus anderen Kompositionen zu verarbeiten, wie z. B. aus Verdis Rigoletto, aus Mozarts Zauberflöte wie auch dessen Cosi fan tutte. Daher auch seine Bezeichnung als Mozart der Champs Élysée.
Peter Marsh (Der Prinz von Mantua) und Cláudia Ribas (Die Marquise; mit rotem Haar) sowie Ensemble |
Einfach
gestrickt
Seine rhythmischen Präferenzen bestehen nicht allein aus Walzer und Märschen, sondern, wie immer wieder augenscheinlich, in Tanz und Gesang aus Can Can, Boléro, Flamenco wie auch höfischer Quadrille. Sicher hat er viele Ohrwürmer geschrieben, allen voran seine Barkarole aus Hoffmanns Erzählungen. Hier ist es das berühmt berüchtigte Stiefeltrab-Lied, das wie ein Leitmotiv die gesamte Opéra bouffe durchzieht, von der Ouvertüre bis zur spöttischen Schlussmusik. Alles in allem aber ist die Musik hier einfach gestrickt und kann nur selten mitreißen.
vorne sitzend v.l.n.r. Gerard Schneider (Falsacappa), Elizabeth Reiter (Fiorella), Kelsey Lauritano (Fragoletto) und Yves Saelens (Pietro) mit Ensemble |
Operneigene
Produktion
Zusammengenommen
sind die Handlung, der Tanz, der Gesang und die Musik ein buntes Gemisch aus
Faschingsschwank und spitzbübischem Humor. Einer selbstgerechten Pariser High
Society gewidmet, die danach die Sektkorken knallen lässt. Die Frankfurter tun
gut daran, sie in den Faschingsrummel einzuordnen. Dazu passt sie ausgezeichnet
und kann nur empfohlen werden, zumal, wie immer, das Frankfurter Opernteam,
hier mit fast ausschließlichen Mitgliedern des Opernstudios und hundertprozentigen
Rollendebüts, blendend agierte.
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