Freitag, 26. Januar 2024

Quatuor Elmire, Streichquartett mit Werken von Ludwig van Beethoven und Anton Webern, Alte Oper Frankfurt, 25.01.2024 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e. V.)

Quatuor Elmire:
v .l.: David Petrlik, Hortense Fourrier, Rémi Carlon, Yoan Brakha
(Foto: Website Quatuor Elmire) 

Jung und dynamisch

Momentan scheinen Streichquartette wie die Pilze aus der Erde zu schießen. Allen voran die Franzosen, die mit Quatuor Ébène, Quatuor Modigliani, Quatuor Arod oder auch Quatuor Agate bereits in der Alten Oper Frankfurt Debütauftritte hatten und für Furore sorgten. Dieses Mal debütierte das Quatuor Elmire mit David Petrlik (1. Geige), Yoan Brakha (2. Geige), Hortense Fourrier (Viola) und Rémi Carlon am Violoncello. 

Jung, dynamisch und aufgeschlossen boten sie im gut besetzten Mozartsaal der Alten Oper zwei Werke von Anton Webern (1883-1945), den langsamen Satz für Streichquartett (1905) und die Sechs Bagatellen für Streichquartett  op. 9 (1911/13), sowie zwei Streichquartette von Ludwig van Beethoven (1770-1827): Das Opus 135 F-Dur (1826) und das Opus 59/3 genannt auch „3. Rasumowsky-Quartett“ C-Dur (1806/7).

 

Absolut tonal, melodisch und kontrapunktisch

Wer glaubt, Webern könne nur atonal und zwölftönig, der ist gänzlich auf dem Holzweg. Gleich zu Beginn des Konzerts stand dessen Frühwerk Langsamer Satz für Streichquartett auf dem Programm des Abends. Webern schrieb dieses Werk im Jahre 1905, drei Jahre vor seinem Opus 1 der Passacaglia für Orchester. Zwar war Webern zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre Schüler bei Arnold Schoenberg (1874-1951), aber sein Faible für Johannes Brahms (1833-1897) kommt hier augenscheinlich zum Tragen. Das Stück ist absolut tonal, melodisch und mit kontrapunktischer Finesse durchwoben. Dennoch hat es auch einige Neuheiten, die damals durchaus erkannt und gehört wurden, zu verzeichnen. Darunter fällt sein bedingungsloses Streben nach Ausdruck, besonderen Effekten (wie das tremolo sul ponticello) oder auch nach ätherischer Klangfülle. Der Pianist Peter Stadlen (1910-1996) soll einmal dazu geäußert haben: „Sie (Weberns Musik d. V.) wurde geformt durch einen riesigen Aufwand von ständigem Rubato und einer unmöglich vorherzusehenden Verteilung von Akzenten.“

So auch hier. Alle vier Streicher spielten tatsächlich auswendig und versuchten gleich zu Anfang ihres Auftritts, ihren besonderen Klangcharakter zu vermitteln. Nicht immer perfekt, was womöglich einer gewissen Nervosität zu verdanken war.

Quatuor Elmire:
v .l.: David Petrlik, Hortense Fourrier, Rémi Carlon, Yoan Brakha
(Foto: Website Quatuor Elmire) 

Bilanz mit Humor und Ironie

Dann das letzte große Werk Beethovens, wenige Monate vor seinem Tod zu Ende geführt. Das Opus 135 in F-Dur. Hier war eigentlich nichts von seiner Radikalität im Umgang mit der Form und Auflösung der Satzcharaktere zu verspüren. Beethoven zieht mit diesem Schlussopus wohl auf „unauffällige und unaufwendige Weise“ (Arnold Werner-Jensen) Bilanz seiner bisherigen kompositorischen Tätigkeit, wie schlussendlich auch seines Lebens. Er war bereits sehr krank und hinfällig und zudem belastete ihn der Selbstmordversuch seines Neffen und Ziehsohns Karl mit all den Folgen mehr als erträglich. Dennoch enthält es viel Humor, Witz und Ironie.

 

Widerstreit zwischen Ernst und Freude

Bereits das Allegretto des ersten Satzes kommt unaufgeregt und fröhlich daher. Ein typischer Sonatenhauptsatz mit durchbrochener Arbeit, wie es so schön heißt und eigentlich die Vorstellung der einzelnen Instrumente meint. Dazu viel Risse und Dissoziationen, Beethoven typisch, die den Widerstreit zwischen Ernst und Freude widerspiegeln.

Der zweite Satz, ein vivace aber eher ein Scherzo mit Trio, ist wild, ausufernd mit großem Tonumfang und virtuosen Passagen vor allem für die Erste Geige. Dazu ein Trio mit einem Bauerntanz. Was will man mehr. Es folgt das Lento, ein ruhevoll dahinfließender Satz, variativ und kantabel und ergreifend schön. Ein Kontrast, der alles wieder ins Reine kommen lässt.

 

Ein schwer gefasster Entschluss

Das Finale ist legendär. Es ist umschrieben mit der Bemerkung: „Ein schwer gefasster Entschluss“ und hat vielen Spekulationen Raum gegeben. Tatsächlich kreist die Thematik um die Frage: „Muss es sein? In G-A-Es und der Antwort: „Es musss sein! Es muss sein!“ in A-C-G und G-B-F. Aber genug der musikalischen Details. Dieser „schwer gefasste Entschluss“ Beethovens lässt tatsächlich viele Interpretationen zu. Aber das Tänzerische, das Gesanglich-kanonische dieses Satzes könnte auch auf einen simplen Vorgang hinweisen, den der zweite Geiger des damals berühmten Schuppanzigh-Quartetts, Karl Holz, erzählte. Offensichtlich ging es dabei um ein nicht gezahltes Honorar von einem gewissen Ignaz Dempscher für eine ausgeliehene Streichquartett-Partitur (op.130). Beethoven forderte das Geld ein und Dempscher soll geantwortet haben: „Wenn es sein muss!“, worauf Beethoven erwidert haben soll: „Es muss sein, ja, ja, ja, heraus mit dem Beutel!“ Banal – aber dennoch keine allgemeine Einigkeit darüber. Denn immerhin gibt es auch die verbreitete Version der tiefen Resignation und der Lebensmüdigkeit mit dem Ausspruch des schwer gefassten Entschlusses.

Quatuor Elmire:
v .l.: Yoan Brakha, Hortense Fourrier, Rémi Carlon, David Petrlik  
(Foto: Website Quatuor Elmire) 


Einfach gestrickt und lebensfroh

Sei´s drum. Dieses Opus ist eher einfach gestrickt, lebensfroh und voller Selbstironie. Auch Hinweise auf Haydn und Mozart fehlen nicht, und auch wenn Adorno zum Schluss kommt, dieses Werk sei „vom Tode berührt … die Risse und Sprünge darin, Zeugnis der endlichen Ohnmacht des Ichs vom Seienden, sind ihr letztes Werk“, so ist die Wirkung doch eher auf Spielfreude, Musikantentum und gelöste Stimmung angelegt.

 

Zwischen Aquarell und Öl

So auch das Elmire Quartett. Sie spielten, um es farblich zu umschreiben, zwischen Aquarell und Öl. Die beiden Geigen spielten durchsichtig, ein wenig spröde ihren Part, während Viola und Cello satt und in romantischer Farbfülle auftraten. Eine Mischung, die nicht immer passte, aber durch Transparenz und starke Akzentuierung der Klangfülle weitestgehend ausgeglichen wurde.

 

Kompromisslos verknappte Form

Der Webern des zweiten Teils war vollständig atonal und zwölftönig. Seine sechs Bagatellen op. 9 sind zwischen den Jahren 1911 und 1913 entstanden und dokumentieren eindrücklich die Auflösung jeglicher Form, jeglichen Klangs, jeglicher Linie und musikalischer Gewohnheit überhaupt. Diese Mini Stücke von jeweils kaum mehr als einer Minute dokumentieren die völlige Abkehr vom romantischen Klangbild hin zu einer herben Klanglichkeit in kompromisslos verknappter Form. Dennoch ein unglaublicher musikalischer Aufbruch, von dem Schoenberg meinte: „Jeder Blick lässt sich zu einem Gedicht, jeder Seufzer zu einem Roman ausdehnen.“ Oder anders formuliert: In jedem Ton steckt eine Welt.

 

Jeder Ton eine Welt des Klangs

Was das Elmire Quartett hier zwischen mäßig, leicht bewegt, ziemlich fließend, sehr langsam, äußerst langsam und fließend bot, war unter heutigen Klanggewohnheiten ein Genuss. Auch hier spielten die vier auswendig und legten quasi in jeden gespielten Ton eine Welt des Klangs, einen Roman und ein Gedicht von tiefer Romantik.

 

Die Wende 

Den Abschluss bildete Beethovens op. 59/3 in C-Dur (1806/07). Viersätzig und noch stark inspiriert von Haydn und Mozart (Klarinettenquintett A-Dur KV 581 bspw.), leitet dieses sogenannte „Rasumowsky-Quartett“, auch „Russisches Quartett“ genannt, die Wende in Beethovens Musikschaffen ein. Nicht allein durch die Anhäufung der Sätze, sondern auch durch melodische und harmonische Neuerungen, wie auch durch Dramatik und Kontrastreichtum. Nicht von ungefähr wurde es vom Musikwissenschaftler Arnold Schering (1877-1941) mit dem Don Quijote von Miguel Cervantes verglichen. Der dritte Satz (Menuett) mit seinem Kampf gegen die Windmühlen und der Finalsatz (Allegro molto) mit seinem Sieg gegen alles Unrecht aber auch der Erkenntnis seines Irrtums. Bekanntlich ist der vierte Satz die Erkennungsmelodie des beliebten Literarischen Quartetts aus den 1980/90er Jahren gewesen, mit den legendären Literaturpäpsten Marcel Reich-Ranicki, Hellmuth Karasek und Sigrid Löffler. Auch hier mit Weitblick in die szenische Struktur des Streichquartetts.

Quatuor Elmire:
v .l.: David Petrlik, Hortense Fourrier, Rémi Carlon, Yoan Brakha
(Foto: Website Quatuor Elmire) 

Ein Glanzstück ohne Abstriche

Hier glänzte das Quatuor Elmire ohne Abstriche. Dieses Opus war ihnen auf den Leib geschnitten. Alle vier Sätze ein Genuss. Vor allem der Schlusssatz eine Granate. Ein Feuer von Agilität und Espressivo. Nein, kein Allegro molto, sondern ein Prestissimo, und zwar durchlaufend. Präzise Triolenreihen und unglaublich Kontrastreich. Hier fühlten sich die Vier zuhause, in ihrem Element. Das Publikum johlte begeistert und das zu Recht.

Eine Zugabe war unumgänglich. Man ließ sich nicht lange bitten und spielte das Scherzo aus Beethovens op. 18/1 (1799). Absolut gelöst, voller Spielfreude, bester Kommunikation, kurz: Man hatte sich freigespielt. Wunderbar. Das Quatuor Elmire sollte nicht zum letzten Mal die Alte Oper Frankfurt besucht haben.  

         

 

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