Samstag, 24. Februar 2024

CRESC … Festival für aktuelle Musik, Fadenspiele 2024 vom 16.02. bis zum 25.02.

 

Saitenspiele, Ryoji Ikeda und das Ensemble Modern im Casals Forum Kronberg, 23.02.2024

Ryoji Ikeda (Foto: The Vinyl Factory)

Die experimentelle Reise eines Klang- und Videokünstlers

Der in Japan geborene und in Paris lebende Ryoji Ikeda (*1966) ist eher bekannt als Klang- und Videokünstler und gehört zu den weltweit innovativsten Musikern der zeitgenössischen elektronischen Tanzmusik, so liest man es zumindest in Wikipedia. Musik also für herkömmliche bzw. klassischen Instrumente gehört nicht zu seinem Metier. Dennoch scheint er, der das Spiel mit Raum und Zeit liebt, der als Multimedia Künstler im eigentlichen Sinne mit digitalen Datenströmen, mit algorithmischen Berechnungen arbeitet –  man denke an seine Solo Show 180 studios in London 2021 oder an sein data verse 2019 –, fasziniert zu sein von Interpretationen Beethovenscher Streichquartette: „Wenn erfahrene Musiker ein Beethoven Streichquartett spielen, ist es wirklich beeindruckend. Sie haben die Partitur im Blut, sie brauchen gar nicht mehr zu proben, gleichzeitig öffnen sich Räume zur Interpretation.“  (so liest man ihn im Programm)

v. l.: Jagdish Mistry, Giorgios Panagiotidis am Spieltisch (Foto: Wonge Bergmann)


„paintstakingly tough“Mühsam hart

Dennoch gibt er zu, nie Unterricht in Komposition genommen zu haben. Seine Bekanntschaft mit dem Ensemble Modern vor wenigen Jahren, habe ihn inspiriert, seine elektronische Tanzmusik auf klassische Streichinstrumente zu übertragen. Charakteristische Merkmale wie ständige Wiederholungen von Rhythmuspatterns, minimalistische Technobeats und traditionelle Songschemata gehören ebenso dazu wie die Absicht, tranceartigen Wirkungen zu erzielen. Die Umstellung allerdings war „paintstakingly tough“ (mühsam hart) und er habe eine lange Reise antreten müssen, drei Kompositionen in diesem Sinne zu erstellen.

Es sind MIRROR one for two (2020/23), ein dreiteiliges Werk für zweimal zwei Violinen und einmal zwei Bratschen, PRISM for string nonet (2023), ein Werk für neun Streicher sowie REFLECTION for string nonet (2022/2023), auch hier sind neun Streicher angesagt, das sind vier Violinen, zwei Bratschen, zwei Violoncelli und eine Bassgeige. Alle drei Werke erfuhren am 08.02.2024 ihre Uraufführung (UA) im Muziekgebouw Amsterdam und ihre Deutsche Erstaufführung (DEA) im Casals Forum Kronberg. Beide Male vom Ensemble Modern ausgeführt.

v. l.: Jagdish Mistry, Giorgios Panagiotidis (Foto: Wonge Bergmann) 

Das Bild im Spiegel – ein Spiegelbild?

Gehen wir ins Detail. Zunächst empfängt das Publikum im Kronberger Casals Forum eine lange Notenreihe auf der Bühne, die auf sieben Ständern postiert ist. Dünne Streifen, bestückt mit vielerlei Noten in vier Notenzeilen. Immerhin ein optischer Hingucker. Jeweils zwei Interpreten treten auf die Bühne, stellen sich entgegengesetzt an den beiden etwa acht Meter entfernten Enden der Notenreihe auf und beginnen zu spielen. Sie gehen die Reihe ab, treffen sich in der Mitte, und das Ganze klingt aus, wenn beide am anderen Ende der Reihe angelangt sind. Okay. 

Das erste Violin-Duett, gespielt von Biliana Voutchkova und Veronika Paleeva, glich eher einem kindlichen Reigen mit simpler Melodiefolge, die beiden folgenden Interpreten, Jagdish Mistry und Georgios Panagiotis, hingegen glänzten durch flotte Sechzehntel im kanonischen Stil, und schließlich imitierten die beiden Bratschen, gespielt von Megumi Kasakawa und Victor Guaita Igual, den gregorianischen Gesang mit einem spirituellen Touch á la Orlando Di Lasso oder Claudio Monteverdi. Wunderbare majestätische Intervall-Passagen. Interessant hier, dass beide in der Mitte der Linie zurückgingen und die Noten von hinten nach vorne spielten, also im Krebs. Tatsächlich galt das Spiel von MIRROR dem spiegelbildlichen Abspielen der Notenreihen, mal von der einen, mal von der anderen Seite. Ein schönes Experiment, aber keines von großer Spiegelkraft.

v. l.: Victor Guaita Igual, Megumi Kasakawa (Foto: Wonge Bergmann)

Eine Postierung mit orchestralem Hörerlebnis

Dann die beiden Nonette. Hier saßen die Interpreten in einer Reihe nebeneinander, in der Mitte der Kontrabass mit Paul Cannon, links und rechts davon die Violoncelli mit Eva Böcker und Michael Maria Kasper, dann die Violen mit Megumi Kasakawa und Victor Guaita Igual und schließlich formierten sich an den Enden der Reihe die Geigen mit Jagdish Mistry und Biliana Voutchkova auf der einen und Giorgos Panagiotidis wie Veronika Paleeva auf der anderen Seite.

Eine scheinbar unlogische Postierung, denn man konnte sich nicht sehen, war also auf sich selbst angewiesen. Klanglich dagegen ein Genuss, denn es entstand ein fast orchestrales, sinfonisches Hörerlebnis, wenn alle neun Interpreten spielten.

v. l.: Veronika Paleeva, Biliana Voutchkova (Foto: Wonge Bergmann)

Im Licht der Spektralfarben

PRISM, das zuerst präsentierte Stück, passt in die Kategorie der Fadenspiele. Es ist eigentlich ein geometrischer Körper, der aus zwei parallel verschobenen Vierecken zusammengesetzt ist. Er wird häufig dazu genutzt, das Licht in Spektralfarben zu zerlegen und komplexe Wellenverbindungen herzustellen. Das war es auch, was den Komponisten hier reizte. Die Idee, spektrale Farben durch Klangelemente im harmonischen wie disharmonischen Bereich zu erzeugen.

Alle möglichen Töne zwischen dem tiefen F 1, das bei 43, 65 Hertz liegt, und dem hohen C 6 oder besser dem dreigestrichenen C, das bei 1046,50 Hertz liegt, gehörten in allen Varianten, Intervallen, Viertel- und Halbtonverschiebungen sowie Arpeggien in diese Partitur. Dazwischen poetische Einschübe von einfacher Melodik und Seufzer-Motivik. Ein spektrales Farbenspiel, das bunter nicht sein konnte und ein gleichzeitig ein perfektes Zusammenspiel, das durch innere Rhythmik und gleichmäßiges Pulsieren möglich gemacht wurde.

Casals Forum mit Ensemble Modern Nonett (Foto: Wonge Bergmann)

Minimalismus zum Mitsingen

REFLECTION schließlich stach durch schnelle Tonfolgen im 7/8 Rhythmus hervor. Hier nahm sich Ryoji Ikeda Philip Glass und Steve Reich zu Vorbildern. Ein melodischer Überbau wird durch minimalistische Ostinati mit kaum veränderter Tonfolge aber mit komplexen Ton-Trauben untermalt und in ständiger Spannung gehalten. Besonders die Violinisten und Bratschisten waren hier herausgefordert. Ein Techno-furioso mit heftigen Pizzikati, schnellen Portato-Zellen, extremen Beats und darunter, von Kontrabass und Celli intonierte, wunderbare Vier- bis Sechs-Ton-Melodien – alles fast zum Mitsingen. Der Beifall war groß, selbst Klassik Verwöhnte konnten hier folgen und den Harmoniefolgen wie Disharmonie-Patterns Positives abgewinnen.

v. l.: Jagdish Mistry, Biliana Voutchkova, Victor Guaita Igual,
Eva Böcker, Paul Cannon, Michael Maria Kasper,
Megumi Kasakawa, Giorgos Panagiotidis, Veronika Paleeva
 
(Foto: Wonge Bergmann)


Wortkarger Selbstdarsteller

Ryoji Ikeda erwies sich im nachfolgenden kurzen Interview mit Rainer Römer (EM) als wortkarger Selbstdarsteller und Entertainer mit schüchterner Attitüde. Auf die Frage, wie er seinen Trip zu den klassischen Streichinstrumenten erklärt, kam die kurze Antwort: „Lesen sie den Programmtext!“ Fazit des Ganzen: Er habe keine musikalischen Präferenzen, er begreife sich als Komponist und dazu gehörten auch die Kunstüberwältigung eines Ludwig van Beethoven, die Bilder eines Kaspar David Friedrich wie auch die Video- und Installationskunst eines Bill Viola. Sein Musikverständnis sei universell.

Ein beeindruckender Abend mit einem bestens aufgelegten Ensemble Modern in einem entsprechenden schönen Ambiente und einem sehr überzeugten Publikum.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen