Montag, 26. Februar 2024

CRESC … Festival für aktuelle Musik, Fadenspiele 2024 vom 16.02. bis zum 25.02.

 

String Figures, fünf Uraufführungen von fünf ausgewählten Komponisten und Komponistinnen der ICCS Young_Professionals mit dem Ensemble Modern (Dirigenten: Yannik Mayaud und Luke Poeppel), Frankfurt LAB, 25.02.2024

International Composer & Conductor Seminar (ICCS) 
Foto: Wonge Bergmann

Young Generation auf dem Vormarsch

Es sollte ein furioser Abschluss des diesjährigen CRESC-Festivals werden. Er war der Young Generation gewidmet, einem Komponistenquintett und einem Dirigentenduett (zuzüglich einer Mediendramaturgin) von eindrücklicher Qualität. Ausgewählt wurden die Akteure dieses Konzertabends vom International Composer & Conductor Seminar (ICCS), einem Mentoren-Zusammenschluss von Mitgliedern des Ensemble Modern (EM) und der Internationalen Ensemble Modern Academy (IEMA), deren Auftrag es war, im Rahmen der Thematik Fadenspiele des diesjährigen CRESC-Festival über einen open call entsprechende Künstler einzuladen und aus ihnen letztendlich fünf auszuwählen, die ihre kompositorischen Produktionen erstmals auf diesem Festival vom Ensemble Modern aufführen zu lassen. Gleichzeitig entschied man sich für zwei Dirigenten, um diese Uraufführungen zu leiten.

Die Frankfurt LAB-Halle 1 war brechend voll und die Erwartungen entsprechend groß. Alle Akteure und ihre Mentoren anwesend und große Aufregung herrschte allenthalben.

Ensemble Modern, rechts vorne: Yannick Mayaud (Dirigent)
Foto: H.boscaiolo

Grenzen der Grenzenlosigkeit

Gleich zu Beginn eine installative Arbeit der Russin Polina Korobkova (*2001), die mit Private Space (2023/24) erst einmal damit überraschte, dass niemand auf der Bühne erschien. Die elektronischen Geräusche kamen aus dem Off, ein Knarren, Blasen und Knirschen; Wind und Autobahnverkehr wurden durchbrochen von melodischen Fragmenten einer Oboe. Was möchte die Komponistin dem Hörer damit sagen? Sie selbst beschäftigt sich mit der Idee der Grenzenlosigkeit und kommt zu dem Schluss: „Wenn die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichen verschwimmen, erfüllt das Unheimliche den transformierten Raum.“ Wie wahr möchte man antworten. Ihre Installation wirkte denn auch chaotisch, ja ein gewisser Horror war unüberhörbar. Gefallen konnte die Installation wohl kaum, was sie aber auch nicht wollte. Polina Korobkova war übrigens die Einzige, die nicht persönlich anwesend war.

 Yannick Mayaud (Dirigent), Mitglieder des Ensemble Modern
Foto: H.boscaiolo

Das Wimmern und Heulen der Vögel

Žaneta Rydzewska (*1991) sollte mit The Painted Bird (2023/24) eigentlich pures Leben auf die Bühne bringen. Immerhin saßen 16 Musikerinnen und Musiker des EM und der IEMA auf der Bühne. Aber weit gefehlt. Ihre musikalische Geschichte ist eher von Verzweiflung geprägt, denn es geht um Vogelfänger, die den Sängern der Lüfte an den Kragen gehen wollen. Ihre Musik besteht von daher eher aus einem schrecklichen Gewimmer der in den Käfigen Gefangenen. Selbst die Vogelschwärme des Tutti und der vermeintliche Walgesang der Posaunen und Trompeten, das Quaken der Hörner sowie das Flirren der Streicher verbleibt immer im Tenor des Schrecklichen und Verderblichen. Abfallende Glissandi und extrem dissonante Wellenlinien der Streicher und Bläser sowie das ständige Heulen der Flöte und den beiden Oboen lassen keine Entspannung und Sammlung zu. Eigentlich ist man froh, dass das Werk nach 13 Minuten beendet ist. Vielleicht hatten hier eher die Instrumentalisten ihren Spaß, denn es war ein gehöriges technische Können vonnöten, um dieses ständige Wimmern, Reißen und Geklapper musikalisch umzusetzen. Der Schluss, ein Knarren des Kontrabasses, ließ denn auch alle, Publikum wie Spieler, aufatmen.

 

Zwischen Heavy Metal und Bruitismus

Michael Hopes (*1995) Werk Si vouz me regardez (2023/24) sollte denn doch eine Menge Witz und konzeptuellen Einfallsreichtum auf die Bühne bringen. „Wenn Du mich ansiehst“ lautet die Übersetzung und Hope arbeitet mit dem Begriff des Portraits. Er selbst steht auf der Bühne mit einem Bilderrahmen in der Hand und singt im Stil des Heavy Metal (tief und furchterregend nebulös) in Satzfragmenten auf Deutsch, portugiesisch und englisch und zeigt sich als Person indifferent, wobei er sukzessive an seiner Erscheinung im Bilderrahmen verzweifelt. Er sinkt auf den Boden. Dazu schreibt er: „Personen, Körper oder Identitäten als Fragmente zeigen, als unvollendet, veränderbar und offen.“

Die Musik ist entsprechend bruitistisch, absolut vom Lärm und der Antimusik der Futuristen der Neuen Musik des frühen 19. Jahrhunderts geprägt.  Man denke nur an die Geräuschmaschine von Luigi Russolo (1885-1947) aus dem Jahre 1913. Hier von Clustern, Schlägen, Tontrauben und heftigen Ausbrüchen der Bläser dominiert. Dann ein Wechsel. Der „Sänger“ geht durchs Publikum und zeigt einzelne Besucher im Bilderrahmen, so als ob sie Gegenstand des Bildes seien.  

l. v: Michael Hope, r. v.: Yannick Mayaud, Mitglieder des Ensemble Modern
Foto: H.boscaiolo

Viel entlastende Improvisation

Jetzt wechselt das Ensemble mal in melodische, ja liebliche Phrasen, um dann wieder ins extrem Bruitistische überzugehen, wenn Hope der „Sänger“ sich neue „Opfer“ im Publikum sucht. Das geht so sehr lange und ausdauernd, wobei die Improvisation mehr und mehr die Oberhand gewinnt. Glänzend, wie spontan die Instrumentalisten reagieren und somit dem Stück einen humorvollen Zauber verleihen. Das Ganze endet dann im wilden Gezeter, sobald der „Sänger“ bei brummendem Geheule den Bilderrahmen ins Publikum zeigt. Jetzt scheinen aber auch die Musiker genug zu haben. Immer mehr steigen aus und letztlich verschwindet das Geräusch im Äther.

Schwer zu hören, aber unglaublich spannungsgeladen und irgendwie auch witzig. Dieses „Posing“ oder „Composing“ kam gut an. Yannick Mayaud konnte vor allem bei diesem Stück seine dirigistischen Fähigkeiten beweisen. Er machte eine gute Figur oder man könnte auch sagen es gelang ihm ein perfektes Posing.

Ensemble Modern spielt Lichtspiele (Foto: Wonge Bergmann)

Durchdachter Konzeptualismus

Der Südkoreaner Jaeduk Kim (*1995) zeigte mit „Lichtspiele“ (2023/24) sein konzeptuelles Können. Er kombinierte Musikalisches mit Visuellem und kam damit dem Motto der Fadenspiele von allen angebotenen Kompositionen am nächsten. Zuerst projiziert er Linien und Kugeln an Decke und Wände, wobei das Ensemble mit dissonanten, flächigen Strukturen reagiert. Es folgen Figuren und Formen, wie bei einem Fadenspiel, Verbindungen und Ornamente, die musikalisch mit viel Streicher-Glissandi, Celesta, Harfe und Flöte figuriert werden. Schließlich die beabsichtigten Interaktionen. Sie werden durch Farben und stroboskopische Lichtspiele realisiert, wobei das Ensemble einen komplexen Klangteppich produziert, das langsam in ein wildes Durcheinander übergeht.

Spannungsgeladen und von extremer Wildheit geht es im Marschrhythmus dem Finale entgegen. Licht und Spiel bilden jetzt eine Einheit. Ein gelungener Beitrag dieses Abends mit einem bestens ausgedachten Konzept. Ein Konzeptualismus, wie man sich ihn wünscht.

Dietmar Wiesner (Flöte), Christian Hommel (Oboe)
Foto: Wonge Bergmann

Die Pankreasdrüse als Lebensuhr

Den Abschluss bildete ein Werk mit dem ausdehnten Titel:„ Snails of Pure Gold Discovering the Logarithmic Love“ (was so viel bedeutet, wie Schnecken aus purem Gold beobachten die logarithmische Liebe) von dem Spanier Gil Monteagudo Ruiz (*1996). Ruiz ist auch Musikwissenschaftler und versucht Komposition mit seiner Forschung zu verknüpfen. Immerhin ein Bezug zu den Fadenspielen. In dieser Komposition begibt er sich ins Körperinnere des Menschen und beobachten die Pankreasdrüse, die er mit der Lebensuhr vergleicht. Ein lebenswichtiges Organ, das oftmals über Leben und Tod entscheidet. Dazu schreibt er eine Partitur für zwei Soloinstrumente, die Oboe und die Flöte, und spricht gleichzeitig dem Kontrabass eine heilende Wirkung zu.

v. l.: Luke Poeppel (Dirigent) , Michael Maria Kasper (Cello),
Gil Monteagudo
(Komponist) Foto: H.boscaiolo

Heilung durch Pizza

Christian Hommel an der Oboe und Dietmar Wiesner an der Flöte sind nicht allein Solisten in diesem Doppelkonzert, sondern sie spielen und singen noch dazu. Das Orchester im Hintergrund, man sitzt nicht in Gruppen, sondern einzeln beieinander, kommentiert in lauter Geräuschkulisse das Spiel der Solisten, darunter zwei Klaviere und zwei Militärtrommeln. Auch singen sie, nein sie rufen Parolen, sprechen und schreien, während Clowneskes vor den Solisten geschieht. So kommt Rainer Römer (Perkussionist) mit einer Holzklappe und erschrickt die Beiden, oder derselbe erscheint mit David Haller (Perkussionist), jetzt Schellen in der Hand. Sie knien auf Kissen und rufen zur Heilung auf. Dabei wird sogar der Dirigent, Luke Poeppel, ins Spiel mit einbezogen.

Zur Heilung deshalb, weil jetzt der Kontrabass mit Paul Cannon als „Heiler“ seinen Soloauftritt hat. Nicht beruhigend, wie man erwarten sollte, sondern aufgeregt wie ein Maschinengewehr. Es rattert am laufenden Band, Cannon gerät mehr und mehr in Ekstase und schreit schließlich seine Seele aus dem Leib. Wer oder was soll hier geheilt werden? Die beiden Solisten schauen irritiert zurück.

Die Lösung ist simpel wie geschmackvoll … Einer ruft nach "Pizza!", die anderen stimmen ein. Man gerät ins Feiern wechselt die Rhythmen zwischen Vierviertel und Dreiviertel, die Militärtrommeln lassen einen Weckruf los und man befindet sich ohne Übergang wieder am Anfang des Stücks.

v. l.: Yannick Mayaud, Michael Hope, Jaeduk Kim, Zaneta Rydzewska,
Luke Poeppel, Gil Monteagudo

Foto: H.boscaiolo 

Der innovative und kreative Zug rollt wieder an

„Please Silence!“ ruft es jetzt aus allen Winkeln um damit deutlich zu machen, dass das „heilende“ Match beendet ist. Das Publikum ist geheilt und johlt vor Begeisterung. Ein Abschluss nach Maß, sollte man meinen. Die Pankreasdrüse lässt grüßen.

Kurzes Fazit: Nicht alles war perfekt, nicht alles konnte Verknüpfungen zu „Fadenspiele“ herstellen, nicht alles war hörbar, aber eines kann man positiv festhalten: Der innovative, kreative Zug kommt wieder in Bewegung nach den düsteren und lähmenden Zeiten der Coronajahre.         

  

 

 

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