Herbert Schuch, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 09.02.2024
Herbert Schuch (Foto: eigene Website) |
Ein
pianistischer Leckerbissen
Ein
pianistischer Leckerbissen sollte es werden: Dieses Klavierrezital des,
zumindest in der Frankfurter Alten Oper erstmals in Erscheinung getretenen Herbert
Schuch (*1979). Der durchaus weit über die Grenzen Deutschlands bekannte, im rumänischen Temesburg
geborene und seit 1988 in Deutschland lebende Tastenkünstler, hatte ein ganz
besonderes Programm vorzustellen. Nämlich die Vermischung von Alt und Neu, von Klassik
und zeitgenössischer Avantgarde, sowie von Romantik und folkloristischer
Moderne.
Hier konkret
die Verschränkung von Ludwig van Beethovens (1770-1827) späten Elf Bagatellen
op.119 (1823/24) mit der Musica Ricercata (1951/53) von György Ligeti
(1923-2006), sowie den postum veröffentlichten vier Impromptus op. 142 D
935 (1827/1838) von Franz Schubert (1797-1828) mit einer Auswahl des zehnteiligen
Klavierzyklus´ Auf verwachsenen Pfaden (1911) von Leos Janáček
(1854-1928).
Gewagtes
Experiment oder geniale Verschmelzung
Was zunächst
als gewagtes Experiment erschien, erwies sich jedoch sehr bald als geniale Verschmelzung
so unterschiedlicher musikalischer Stile.
Kommen wir
zunächst auf Beethovens Elf Bagatellen und Ligetis musica ricercata
zu sprechen. Beethovens 11 Bagatellen, die er selbst „Kleinigkeiten“ nannte, sind
zwar als op. 119 aufgeführt, in Wahrheit aber besteht es aus einer zusammengewürfelten
Kombination älterer und neuerer Stücke, die disparater nicht sein können.
Beethoven befand sich, trotz sehr misslicher persönlicher und materieller
Umstände, in einem Schaffenshoch (Stichwort: 9. Sinfonie und die letzten Streichquartette).
Aber irgendwie wollten die Bagatellen, mit denen er schnelles Geld für die
Begleichung seiner Schulden machen wollte, nicht so recht bei den Verlegern fruchten.
Sie befanden die Stücke als „zu schwach“ und nicht Beethoven-like.
So wurden aus den vier schnell sechs, aus den sechs dann elf und schließlich schaffte es Ferdinand Ries, ein ehemaliger Schüle Beethovens, die sog. „Kleinigkeiten“ dem Londoner Verleger Clementi schmackhaft zu machen, der sie 1823 gewinnbringend herausbrachte, unter op.112. Das op. 119 erhielt dieses Konglomerat aber erst Jahre später, nämlich 1851, vom Breitkopf & Härtel Verlag.
Herbert Schuch (Foto: eigene Website) |
Geburtswehen
hier wie dort
Ähnlich erging es Ligeti mit seiner „recherchierten/erforschten Musik“, wie er selbst sein ricercata verstand. In diesem musikalischen Experiment eines elfteiligen Klavierzyklus (von einem Ton bis auf elf Töne erweitert) ging es ihm darum, neue Strukturmerkmale über bestimmte Tonhöhenklassen herauszufinden. Das beginnt bei einem Ton, hier die Tonhöhe A mit den Satzangaben Sostenuto, Misurato, Prestissimo und endet in einer Fuge, Andante misurato e Quietlo, in der er alle zwölf chromatischen Tonhöhen verwendet. Eine Studie mit unglaublichen Kontrasten und variablen Rhythmen mit Rückgriffen auf Elemente des Frühbarocks bis hin zu zeitgenössischen Vorbildern wie Béla Bartók oder auch Zóltan Kodály.
Leider aber, und das sei hier vermerkt, konnte dieses Experiment „wegen politischer Repressalien“, so Ligeti, nicht aufgeführt werden. Um es nicht gänzlich dem Vergessen anheimfallen zu lassen, schrieb er sechs Teile für Bläserquintett um, das dann 1953 uraufgeführt werden konnte. Allerdings unter Auslassung des letzten Fugensatzes. Erst nach seiner Flucht aus Ungarn durfte dieser Zyklus seine echte Premiere feiern. Das sollte im Jahre 1969 im schwedischen Sundsvall sein. Wie man sieht, auch hier ein langer Prozess bis zur endgültigen Verwirklichung.
Eine Welt
fügt sich zusammen
Herbert
Schuch verschränkte die doch sehr disparaten Stücke in einer Weise miteinander,
die mitunter vergessen ließ, dass zwischen beiden Stilen eine Welt
lag. Das gelang ihm vor allem durch sein fantastisch variables Spiel mit und
auf den Tasten. Allein der Einstieg auf dem A-Ton in unterschiedlichen Tonhöhen,
vom allmählichen Crescendo und Accelerando bis hin zu polyrhythmischen Schichtungen,
ein Hörgenuss.
Schuch schaffte schon hier eine Spannung zum Zerreißen, die dann von der lyrischen Bagatelle im getragenen B-Dur Allegretto aufgelöst wurde. Und in diesem Sinne agierte der Künstler weiter mit diesen unterschiedlichen Sujets. Bemerkenswert die vierte Ricercata im Tempo di valse mit extremen Rubati, Acceleranti und Ritenuti, mit Trommeleinlagen und abrupten Pausen. Dann in Folge dieser Aufregung eine romantisierende Bagatelle zum Erholen und Kraftschöpfen. Extrem dann die Schlussfuge. Ein kontrapunktisches Kunstwerk von außerordentlicher Ruhe (Andante misurato e tranquillo = maßvoll und ruhig) und chromatischer Finesse.
Hier bildet Schuch pianistisch einen großartigen Ruhepol von außerordentlicher Stille im fast vierfachen Pianissimo. Überhaupt schafft er es in Perfektion, die leisesten Töne noch transparent und klar hörbar zu machen. Eine seltene Gabe seiner Tasten- und Pedalbehandlung. Ja er schaffte mitunter den Eindruck zu vermitteln, er spiele im Flageolett. Die folgende B-Dur Bagatelle gehört zum schönsten des Beethoven Zyklus. Ihre Lyrik weist schon tief in die Romantik und Schubert hätte seine Freude an ihr gehabt.
Herbert Schuch (Foto: eigene Website) |
Zwischen
Lebensfreude und Melancholie
Im zweiten
Teil des Klavierabends verschränkte Herbert Schuch die letzten vier
Impromptus Schuberts mit dem selten gespielten zehnteiligen Zyklus Auf
verwachsenem Pfad von Leos Janáček.
Bekanntlich
sind diese Impromptus erst 10 Jahre nach Schuberts frühem Tod veröffentlicht
worden. Das lag allerdings hauptsächlich am Desinteresse der Verleger. Man
glaubte, kein Geld damit machen zu können. Erst als die Beliebtheit der
Schubertschen Werke zunahm, gedachte man auch der vier Impromptus. Sie gehören
zum Besten, was Schubert an Klaviermusik komponiert hat. Irgendwie gehören sie
strukturell zusammen, und nicht wenige Musikwissenschaftler behaupten, die vier
Impromptus seien in einer großen Sonatenform zusammenzufassen. Das aber ist
unerheblich, denn jedes einzelne Stück ist eine separate Aufführung wert.
Janáček wiederum legt mit seinem Zyklus ein ganz persönliches Bekenntnis ab. Er hat den frühen Tod seiner Tochter Olga im Jahre 1903 nicht verkraftet und versucht mit diesem Zyklus, den er bereits kurz nach ihrem Tode beginnt, seinen Kummer musikalisch und seelisch zu bewältigen. Ursprünglich für Harmonium gedacht, nimmt dieses Werk sukzessive Gestalt an und wird 1911 herausgebracht. Allerdings werden 1942, also 14 Jahre nach seinem Tode, noch fünf weitere Sätze hinzugefügt, sodass der Zyklus letztlich aus 10 Sätzen besteht. Mit Satzbezeichnungen unter anderem wie: „Unsere Abende“ (1), „Ein verwehtes Blatt“ (2), „Es stockt das Wort (6), „In Tränen“ (9), „Das Käuzchen ist fortgeflogen“ (10).
Herbert Schuch im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt (Foto: Kimi Rump) |
Schwierige
Auswahl
Schuch wählte vier dieser zehn Piecen aus, wo zu vermuten ist, (es wird leider nicht angegeben) dass er eine Auswahl getroffen hat, die Schuberts Intention nahekommt. So ist das erste Impromptu in f-Moll eher von einer gewissen Melancholie umgeben, wozu Janáčeks Andante, Ein verwehtes Blatt in Des-Dur bestens zu passen scheint. Das zweite in As-Dur ist sehr gesanglich, wozu Janáčeks fünftes und sechstes: Sie schwatzten wie die Schwalben und Es stockt das Wort passen könnte. Das dritte in B-Dur ist das wohl bekannteste der vier. In fünf Variationen aufgeteilt, hat es Schubert melodisch aus seiner Zwischenmusik für das romantische Schauspiel Rosamunde ausgewählt. Hierzu passt durchaus Das Käuzchen ist nicht fortgeflogen, der zehnte und letzte Satz aus Janaceks Zyklus.
Mit dem Allegro
Scherzando in f-Moll endet der Vierteilige Impromptu Zyklus. Ein verwegener
höchst anspruchsvoller Abschluss oder auch, wenn man von einer großen Sonate
ausgehen möchte, ein grandioses Finale.
Eine
wunderbare Synthesis
Hier gelingt Schuch nicht nur eine wunderbare Synthesis zwischen dem eigenwilligen, insgesamt doch melancholischen Selbstportrait Janáčeks und der doch eher lebensbejahenden, gesanglichen und mitunter auch tänzerischen Improvisationen, wie man auch die Impromptus nennen könnte. Ein unfassbar schönes Schauspiel auf der Tastatur des Flügels, wo Schuch mitunter sein eigenes Dirigat übernahm. In demonstrativer Gestik zähmte er sich oder regte sich an, immer aber mit höchster Konzentration und einfach mit unüberbietbarem Anschlag und Pedaltechnik. Sein „Finale“, gemeint das f-Moll Impromptu, war kein Allegro, sondern ein Prestissimo. So rasend, wie es selbst Alfred Brendel – sein ehemaliger Lehrer und ausgewiesen bester Schubertinterpret aller Zeiten – es besser kaum hätte spielen können.
Herbert Schuch im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt (Foto: Kimi Rump) |
Unglaublich hörbar - unerhört
Zwischen
Gedicht und Drama, zwischen Essay und Dokumentation, alles war musikalisch vorhanden
in einem gut zweistündigen unglaublich hörbaren unerhörten Klavier-Rezital.
Seine Zugaben,
zunächst die Campanella von Franz Liszt und dann noch in Memoriam an
seinen verstorbenen Freund, Lars Vogt, das Choralvorspiel aus Johann Sebastian
Bachs Nun kommt der Heiden Heiland, zeugten noch einmal von der pianistischen
Vollkommenheit des Herbert Schuch. Dazu ein gewagtes musikalisches Experiment,
das nur durch die Genialität dieses Ausnahmepianisten möglich ist, und welches er absolut überzeugend vermitteln konnte.
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