Samstag, 3. Februar 2024

Zwischenwelten, Winterkammermusik 2024 der Jungen Deutschen Philharmonie, Französisch-Reformierte Kirche Offenbach, 02.02.2024

v. l.: Laura Ochmann, Björn Gard, Gesine Rotzoll, Gwenaëlle Le Meignen, Gianmaria Nobile,
Cécile Defendini, Min Ah Yoo
(Foto: Website JDP)

Zwischenwelten voller Zauber und Vielfalt

Unter der Motto Zwischenwelten präsentierten sieben Mitglieder der Jungen Deutschen Philharmonie (JDP) sehr unterschiedlich Stücke, voller Zauber und Vielfalt, um den Französischen Impressionismus, allerdings aus der Sicht von Komponisten des 20. und 21 Jahrhunderts. Darunter Matthias Pintscher (*1971), Olga Neuwirth (*1961), Guillaume Connesson (1970), Eugène Ysaÿe (1858-1931) sowie Maurice Ravel (1875-1937) allerdings in einem Arrangement von Carlos Salzedo (1885-1961).

v. l.: Min Ah Yoo, Cécile Defendini, Gianmaria Nobile (Foto: H.boscaiolo)

Musikalisch höchst anspruchsvoll

Die voll besetzte kleine Kirche direkt an der Haupteinfallstraße Offenbachs erlebte einen äußerst abwechslungsreichen und musikalisch höchst anspruchsvollen musikalischen Abend. Das sei vorweggenommen. Es standen sechs Werke auf dem Programm, darunter zwei von Matthias Pintscher, der zurzeit als Resident Composer des IDP fungiert.

Gleich zu Beginn Beyond II von ihm. Ein Werk für Flöte, Harfe und Bratsche von 2020, das er Claude Debussys Trio mit gleicher Besetzung von 1915 anverwandelt hat. Ein Kompositionsauftrag von Daniel Barenboim für den Boulez-Saal in Berlin. Pintscher ergänzt seine nur wenige Minuten dauernde Komposition mit dem Simon & Garfunkel Song Bridge Over Troubled Water, der er die Bratschenstimme zuteilt. Ganz im Sinne der Farbigkeit und Linienführung Debussys, wechselt er zwischen nebulösen, von Grautönen geprägten Passagen, zu heftigen Eruptionen, vom Dunklen zum Hellen sowie vom Pianissimo zum Fortissimo. Die drei Instrumentalisten, Gianmaria Nobile (Viola), Min Ah Yoo (Flöte), Cécile Defendini (Harfe) führten souverän durch die effektvoll gestaltete, von ausgesprochen schönen Klangwelten umsäumte Hommage.

v. l.: Gesine Rotzoll, Björn Gard (Foto: H.boscaiolo)


Rock-Pop-Jazz-Barock – passt

Konträr zu dieser Musik dann die Disco-Toccata für Klarinette und Violoncello (1994) von Guillaume Connesson (*1970). Ein französischer Komponist, der die Spielfreude und Klangsinnlichkeit auf sein Panier geschrieben zu haben scheint. Ein Husarenritt durch Disco, Techno, Jazz, Rock, Pop und nicht zuletzt Barock. Man glaubt es nicht, wie all das zusammenpasste. Die beiden Interpreten, Gesine Rotzoll (Klarinette) und Björn Gard (Violoncello) hatten nicht nur alle Hände voll zu tun, sondern auch gehörigen Spaß an ihrem Spiel. Phänomenal.

v. l.: Min Ah Yoo, Gwenaëlle Le Meignen, Gianmaria Nobile, (Cécile Defendini) 
Foto: H.boscaiolo

Impressionismus unter neuem Licht

Ravels Sonatine pour piano (1903) - Bearbeitung für Harfe, Flöte und Viola in fis-Moll von Carlos Salzedo und Mark Childs (*1944, beide übrigens Harfen- wie Bratschen-Solisten) stand voll in der Tradition der Impressionisten. Thematisch wie strukturell ganz im Stil der Sonatine, aber virtuos und farblich unter gänzlich neuem Licht betrachtet. Nicht von ungefähr hat Ravel selbst dieses Arrangement aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mit den Worten gelobt: "Warum ist mir das nicht selbst eingefallen!“

Die drei Solisten, Gwenaëlle Le Meignen (Harfe), Min Ah Yoo (Flöte) und Gianmaria Nobile (Bratsche) ließen virtuelle Bilder berühmter Impressionisten wie Manet, Monet oder auch Cézanne entstehen. Wunderschöne Variationen mit hellen flirrenden Harfen- und Flötentönen.

Laura Ochmann (Foto: H.boscaiolo)

Alle Leidenschaft, Liebe und Verzweiflung komprimiert

Eugène Ysaÿe ist ja eher als Violinist, denn als Komponist bekannt. Seine Sonate für Violine in d-Moll op. 27 Nr. 3 gehört allerdings zum Besten aus seiner Hand. Eine Ballade aus dem dreiteiligen Solo-Zyklus, in der er alle Leidenschaft, Liebe, Hoffnung und Verzweiflung, wie er selbst sagt, komprimiert zum Ausdruck bringt. 

Die Interpretin dieses Bravourstückchens, Laura Ochmann (Violine), spricht in einer kurzen Erläuterung von großer Vitalität, die dieses Werk – das Ysaÿe übrigens seinem Freund, dem rumänisch-französischen Komponisten Eugène Ionesco gewidmet hat – ausstrahlt. Sie selbst glänzte durch perfekte Technik, wunderbar ausgereiftem Strich sowie ausgefeilter Interpretation und differenzierter Ausdruckskraft. Dazu ein enormes Selbstbewusstsein für eine so junge Frau. Chapeau.

Pelinnur Isikci, Björn Gard (Cello) Foto: H.boscaiolo


Vom Dunkel ins Licht

Das zweite Werk Matthias Pintschers nannte sich kurz Uriel für Cello und Klavier (2011/12). Es ist der dritte Teil seines Zyklus´ Profile des Lichts, aber ähnlich strukturiert wie sein Beyond II., das bedeutet u.a. einen Spannungsbogen zwischen Extremen aufbauen und sich entfalten lassen. Hier konzentriert auf das Violoncello. Björn Gard ist hier voll gefordert und muss an die Grenzen seiner technischen und musikalischen Möglichkeiten gehen. Das Klavier (Pelinnur Isikci) bietet lediglich den Teppich, oder auch zuweilen einen dialogischen Gegenpart.

Ein Stück vom Dunkel ins Licht (so Pintscher), oder man könnte ebenso von einer Reise zwischen Enge und Weite sprechen. Auch hier ist die Musik eng angelehnt an impressionistische Vorgaben. Aber vor allem dominiert Pintschers Hang zum Nebulösen, nicht Fassbaren, sowie zum emotional Extremen. Der Schluss, wunderbar intoniert vom Duo, gleicht denn auch weniger einer Lichtfahrt des Erzengels, sondern vielmehr einem Smorzando, einem langsamen Ersterben durch das Cello-Solo.

 

v. l.: Min Ah Yoo, Pelinnur Isikci, Laura Ochmann, Gesine Rotzoll,
Gianmaria Nobile (
Foto: H.boscaiolo)

Fünf Inseln der Müdigkeit

Olga Neuwirths Coronation II für Flöte, Klarinette, Violine, Viola und Klavier (2020) sollte quasi den krönenden Abschluss eines bis dahin großartigen Konzerts bilden. Sie ist bekannt für ihre Gattungsunabhängigkeit, für ihre Multi-Stilistik. Sie schreibt Musiktheater und Opern und ist vor allem am politischen Geschehen in der Welt interessiert.

In Coronation II ist, wie man unschwer erkennt, der Coronabegriff enthalten. Tatsächlich gehört Coronation II, welches sie auch umständlich: Schiffbrüchige der Welt, die noch ein Herz haben – fünf Inseln der Müdigkeit betitelt, zu einem sechsteiligen Zyklus, der sich coronAtion nennt und einen Zeitraum von 2020 bis 2023 umfasst, in dem sie ihre „Haltung“ zur Pandemie musikalisch verarbeitet. Fünf Inseln stehen für fünf Instrumentalisten, die zunächst isoliert, mit großem Abstand (!), unisono langgezogene Klänge spielen. Der Flügel bildet das Zentrum der Inseln und fasst mit akkordischen Schlägen das Geschehen zusammen. Die Spieler bewegen sich durcheinander, ohne gegenseitige Wahrnehmung. Dann erregt sich der Zustand, das musikalische Geschehen wird differenzierter und schlussendlich findet man sich zusammen in einem wirklich beeindruckenden Tango. Ein Tanz zwischen Liebe und Gewalt, zwischen Enge und Ablehnung. Dazu ein ausgedehntes exzessives Flötensolo von erschreckender Schönheit.

Das gesamte Team beim Schlussapplaus (Foto: H.boscaiolo) 

Atomisierung – soziale Identität

Ein sehr expressives Stück von großer Wirkkraft. Wer Corona ausschließen möchte, könnte auch von der Atomisierung des Menschen, seiner Isolierung und Vereinzelung sprechen, der er nur durch das Bewusstsein seiner sozialen Identität entgehen kann.

Ein wirklich sehr bemerkenswertes Konzert von acht sehr guten und hoffnungsfrohen Musikerinnen und Musikern der Jungen Deutschen Philharmonie, ein Kleinod in den Räumen des Ensemble Modern für die Stadt Frankfurt, wie auch für das Rhein Main Gebiet überhaupt.

Noch zweimal treten sie auf: am 03.02. in der Romanfabrik Frankfurt und am 04.02. im Landratsamt Hofheim. Sehr zu empfehlen.  

 

 

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