Freitag, 16. Februar 2024

Kit Armstrong, Klavier und Orgel Rezital, Alte Oper Frankfurt Großer Saal, 15.02.2024 (eine Veranstaltung der Frankfurter Bachkonzerte e. V.)

Kit Armstrong (Foto: Alte Oper Frankfurt)

Kontraste zwischen Klavier und Orgel

Kit Armstrong (*1992), gern gesehener und gehörter Gast in der Frankfurter Alten Oper hatte wieder einmal ein ganz spezielles Programm mitgebracht. Eine Gegenüberstellung von Flügel und Orgel. Scheinbar macht es für ihn keinen Unterschied, ob er das eine oder andere Instrument bedient. Denn so sagt er: „Mich interessiert es, eine Partitur aus ihrem Schlaf zu erwecken, sie mit den Schönheiten meiner Erfahrung zu prägen.“  

Bekanntlich tritt dieses Wunderkind seit 20 Jahren, also mit dem zarten Alter von zwölf, in der Öffentlichkeit auf, studierte bereits mit sieben Komposition an der Chapman University in Kalifornien und befindet sich seit 2005 unter den Fittichen von Alfred Brendel, den wohl renommiertesten Pianisten der Neuzeit.

Was hatte er dem Frankfurter Publikum dieses Mal mitgebracht? Zunächst die Partita Nr. 6 e-Moll (BWV 552) von Johann Sebastian Bach (1685-1750) für „Clavir“.

Kit Armstrong (Foto: Marco Borggreve) 

Ein glanzvolles Schlusslicht

Diese Partita bildet das glanzvolle Schlusslicht von fünf weiteren Klavier-Partiten und formt quasi einen Tanzreigen quer durch das damals bekannte Europa. Sie beginnt mit einer Toccata, eine gut 100 taktige dreiteilige Improvisation italienischer Herkunft (Toccata kommt übrigens von Schlagen) mit einer eingebauten Fuge im Mittelteil, wird dann fortgesetzt von einer Allemande (ein deutscher Tanz, damals das modernste an Tanzstilen überhaupt, denn man durfte sich berühren), dann eine italienische Corrente, im Dreivierteltakt, mit virtuos und jazzig anmutenden Synkopierungen. Das Zentrum bildet das Air, französischen Ursprungs. Ein rein instrumental gedachter Part, gefolgt von der spanischen Sarabande, ein Wunderwerk der Figuraturen und Komplexität der Rhythmen, dann einer italienischen Gavotte, einem Gesellschaftstanz der europäischen Höfe und schließlich einer englischen Gigue. Eigentlich ein derber Bauertanz mit witzig punktiertem 12/8 Rhythmus. Hier aber hat sich Bach etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Diese Gigue  ist so gar nicht derb und lebhaft, sondern hier eigentlich eher kunstvoll, polyphon, von majestätischem Charakter. Auch schreibt er sie in Form eines Fugato, eher etwas sperrig als im gewohnten beschwingten Tanz.

 

Ein fragiler Titan

35 Minuten höchste Konzentration des Interpreten wie auch des sehr aufmerksamen Publikums. Kit Armstrong, immer noch von sehr fragiler Statur, wird hier zum Titanen an den Tasten, und kann sogar András Schiff wie auch Glenn Gould, die beiden unbestrittenen Meister der Bach-Interpretation, Paroli bieten.

Kit Armstrong (Foto: rbb-kultur)

Parforceritt durch die Musikepochen

Der zweite Teil des Rezitals bestand ausschließlich aus Werken für die Orgel geschrieben. Hier präsentierte Kit Armstrong Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge in Es-Dur (BWV 552) als bildhaften Rahmen für Orgelwerke von Camille Saint Saëns (1835-1921), Improvisation op. 150/1 (1917), die erste in molto lento, von Charles-Marie Widor (1844-1937) das Adagio aus seiner Orgelsinfonie Nr. 8 H-Dur op.42/4 (1887) sowie von Franz Liszt (1811-1886) Fantasie und Fuge über B-A-C-H (1855, überarbeitet 1870) Dazu muss man wissen, dass Liszt beide Fassungen auch für Klavier transkribiert hat.

Ein Parforce Ritt also durch den Barock, die Romantik, und im Falle Widor, bis zur Neoklassik und der sukzessiven Auflösung der Tonalität.


Alle Register gezogen

Armstrong bediente die dreimanualige Tastatur der Orgel wie die Pedale mit großer Variabilität der Register und ließ seine ausgereifte Handtechnik in jeder Beziehung voll zur Geltung kommen. Dabei ragte das Adagio aus der achten Orgelsinfonie von Widor in besonderer Weise hervor. Sehr modern, fast die Freitonalität streifend, changierte dieses Adagio zwischen simpler Dreitonmotivik und hymnischer Homophonie mit grenzwertiger Dissonanz. Absolut spannungsgeladen und final mit versöhnlichen Bluenotes.

Ebenso Liszts Fantasie und Fuge. Man spürt zwar, dass er kein Orgelspezialist war. Was aber gleichzeitig höchste Virtuosität und gewaltige Akkordik für die Hände bedeutet. Dazu werden alle Register gezogen und immer wieder Reminiszenzen an Wagners Tristan geweckt. Auch Liszts Hang zum Spirituellen ist hier durchaus vertreten. Ein gewaltiges, fantastisches Werk, das Armstrong vor allem im Pedalbereich immer wieder vor leichte Probleme stellte.

Kit Armstrong (Foto: H.boscaiolo)

Ein Hammer kontrapunktischer Vollkommenheit

Die abschließende fünfstimmige Tripelfuge in Es-Dur ist ein Hammer von kontrapunktischer Vollkommenheit. Hier ist Bach von Niemandem zu überflügeln. Armstrong meistert dieses mit Schwierigkeiten gespickte Werk händisch meisterhaft. Mit den Füßen hat er so seine Probleme. Möglicherweise ist seine geringe Körpergröße Grund für den technischen Nachteil.

Dennoch, Kit Armstrong ist und bleibt ein Philosoph, ein Denker an den Tasten. Nicht von ungefähr schätzt Alfred Brendel an ihm dessen „Einheit von Gefühl und Verstand, Frische und Verfeinerung.“

Kit Armstrong (Foto: Kimi Rump)


Stehende Ovationen

Stehende Ovationen und zwei Zugaben: Einmal aus Bachs Triosonaten das Allegro (BWV 525) aus der ersten von insgesamt sechs, wohl in der Köthener Zeit um 1723 entstanden. Und eine spontane Eigenimprovisation. Auch hier zeigen sich Grenzen des Ausnahmepianisten an diesem Instrument. Gerade die Dreistimmigkeit der Sonaten, eigentlich für drei Instrumente gedacht, machte das gleichberechtigte Pedal zum Problem. Armstrongs Improvisationen über Widor, Liszt, Saint Saëns und Bach waren eher Gedanken aus Bachs Toccata und Fuge in d-Moll. Aber schön war es trotzdem. Armstrong ist bescheiden, immer noch sehr jugendlich und voller Elan. 20 Jahre "Öffentlichkeit" sind allerdings kein Pappenstiel.  


 

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