Kit Armstrong, Klavier und Orgel Rezital, Alte Oper Frankfurt Großer Saal, 15.02.2024 (eine Veranstaltung der Frankfurter Bachkonzerte e. V.)
Kit Armstrong (Foto: Alte Oper Frankfurt) |
Kontraste
zwischen Klavier und Orgel
Kit
Armstrong (*1992),
gern gesehener und gehörter Gast in der Frankfurter Alten Oper hatte wieder
einmal ein ganz spezielles Programm mitgebracht. Eine Gegenüberstellung von
Flügel und Orgel. Scheinbar macht es für ihn keinen Unterschied, ob er das eine
oder andere Instrument bedient. Denn so sagt er: „Mich interessiert es, eine Partitur
aus ihrem Schlaf zu erwecken, sie mit den Schönheiten meiner Erfahrung zu
prägen.“
Bekanntlich
tritt dieses Wunderkind seit 20 Jahren, also mit dem zarten Alter von zwölf, in
der Öffentlichkeit auf, studierte bereits mit sieben Komposition an der Chapman
University in Kalifornien und befindet sich seit 2005 unter den Fittichen von
Alfred Brendel, den wohl renommiertesten Pianisten der Neuzeit.
Was hatte er dem Frankfurter Publikum dieses Mal mitgebracht? Zunächst die Partita Nr. 6 e-Moll (BWV 552) von Johann Sebastian Bach (1685-1750) für „Clavir“.
Kit Armstrong (Foto: Marco Borggreve) |
Ein
glanzvolles Schlusslicht
Diese Partita
bildet das glanzvolle Schlusslicht von fünf weiteren Klavier-Partiten und formt quasi einen Tanzreigen quer durch das damals bekannte Europa. Sie
beginnt mit einer Toccata, eine gut 100 taktige dreiteilige Improvisation
italienischer Herkunft (Toccata kommt übrigens von Schlagen) mit einer eingebauten Fuge
im Mittelteil, wird dann fortgesetzt von einer Allemande (ein deutscher Tanz, damals
das modernste an Tanzstilen überhaupt, denn man durfte sich berühren), dann
eine italienische Corrente, im Dreivierteltakt, mit virtuos und jazzig anmutenden
Synkopierungen. Das Zentrum bildet das Air, französischen Ursprungs. Ein rein
instrumental gedachter Part, gefolgt von der spanischen Sarabande, ein
Wunderwerk der Figuraturen und Komplexität der Rhythmen, dann einer italienischen Gavotte,
einem Gesellschaftstanz der europäischen Höfe und schließlich einer englischen Gigue.
Eigentlich ein derber Bauertanz mit witzig punktiertem 12/8 Rhythmus. Hier aber
hat sich Bach etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Diese Gigue ist so gar nicht derb
und lebhaft, sondern hier eigentlich eher kunstvoll, polyphon, von majestätischem
Charakter. Auch schreibt er sie in Form eines Fugato, eher etwas sperrig als im
gewohnten beschwingten Tanz.
Ein fragiler
Titan
35 Minuten höchste Konzentration des Interpreten wie auch des sehr aufmerksamen Publikums. Kit Armstrong, immer noch von sehr fragiler Statur, wird hier zum Titanen an den Tasten, und kann sogar András Schiff wie auch Glenn Gould, die beiden unbestrittenen Meister der Bach-Interpretation, Paroli bieten.
Kit Armstrong (Foto: rbb-kultur) |
Parforceritt durch die Musikepochen
Der zweite
Teil des Rezitals bestand ausschließlich aus Werken für die Orgel geschrieben.
Hier präsentierte Kit Armstrong Johann Sebastian Bachs Präludium
und Fuge in Es-Dur (BWV 552) als bildhaften Rahmen für Orgelwerke von
Camille Saint Saëns (1835-1921), Improvisation op. 150/1 (1917), die
erste in molto lento, von Charles-Marie Widor (1844-1937) das Adagio
aus seiner Orgelsinfonie Nr. 8 H-Dur op.42/4 (1887) sowie von Franz
Liszt (1811-1886) Fantasie und Fuge über B-A-C-H (1855, überarbeitet
1870) Dazu muss man wissen, dass Liszt beide Fassungen auch für Klavier transkribiert
hat.
Ein Parforce Ritt also durch den Barock, die Romantik, und im Falle Widor, bis zur Neoklassik und der sukzessiven Auflösung der Tonalität.
Alle Register gezogen
Armstrong
bediente die dreimanualige Tastatur der Orgel wie die Pedale mit großer Variabilität
der Register und ließ seine ausgereifte Handtechnik in jeder Beziehung voll zur
Geltung kommen. Dabei ragte das Adagio aus der achten Orgelsinfonie von
Widor in besonderer Weise hervor. Sehr modern, fast die Freitonalität streifend,
changierte dieses Adagio zwischen simpler Dreitonmotivik und hymnischer
Homophonie mit grenzwertiger Dissonanz. Absolut spannungsgeladen und final mit
versöhnlichen Bluenotes.
Ebenso Liszts Fantasie und Fuge. Man spürt zwar, dass er kein Orgelspezialist war. Was aber gleichzeitig höchste Virtuosität und gewaltige Akkordik für die Hände bedeutet. Dazu werden alle Register gezogen und immer wieder Reminiszenzen an Wagners Tristan geweckt. Auch Liszts Hang zum Spirituellen ist hier durchaus vertreten. Ein gewaltiges, fantastisches Werk, das Armstrong vor allem im Pedalbereich immer wieder vor leichte Probleme stellte.
Kit Armstrong (Foto: H.boscaiolo) |
Ein Hammer
kontrapunktischer Vollkommenheit
Die
abschließende fünfstimmige Tripelfuge in Es-Dur ist ein Hammer von kontrapunktischer
Vollkommenheit. Hier ist Bach von Niemandem zu überflügeln. Armstrong meistert
dieses mit Schwierigkeiten gespickte Werk händisch meisterhaft. Mit den Füßen hat
er so seine Probleme. Möglicherweise ist seine geringe Körpergröße Grund für den technischen Nachteil.
Dennoch, Kit Armstrong ist und bleibt ein Philosoph, ein Denker an den Tasten. Nicht von ungefähr schätzt Alfred Brendel an ihm dessen „Einheit von Gefühl und Verstand, Frische und Verfeinerung.“
Kit Armstrong (Foto: Kimi Rump) |
Stehende
Ovationen
Stehende
Ovationen und zwei Zugaben: Einmal aus Bachs Triosonaten das Allegro
(BWV 525) aus der ersten von insgesamt sechs, wohl in der Köthener Zeit um 1723
entstanden. Und eine spontane Eigenimprovisation. Auch hier zeigen sich Grenzen
des Ausnahmepianisten an diesem Instrument. Gerade die Dreistimmigkeit der
Sonaten, eigentlich für drei Instrumente gedacht, machte das gleichberechtigte
Pedal zum Problem. Armstrongs Improvisationen über Widor, Liszt, Saint Saëns
und Bach waren eher Gedanken aus Bachs Toccata und Fuge in d-Moll. Aber schön
war es trotzdem. Armstrong ist bescheiden, immer noch sehr jugendlich und
voller Elan. 20 Jahre "Öffentlichkeit" sind allerdings kein Pappenstiel.
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