Samstag, 23. März 2024

2 x Hören: Mendelssohn, Streichoktett Es-Dur op.20, Belcea Quartet und Simply Quartet, Moderation Dr. Markus Fein, Alte Oper Frankfurt, 22.03.2024

Belcea Quartet (oben), Simply Quartet (unten)
Foto: (Alte Oper Frankfurt)

Spannungsgeladen, fesselnd, erkenntnisreich

Zum fünften Mal seit 2022 findet die Reihe 2 x Hören in der Alten Oper Frankfurt statt und bekommt langsam Kultstatus. Ein brechend voller Mozart Saal erlebte wieder einmal eine spannungsgeladene, fesselnde und vor allem erkenntnisreiche Abendveranstaltung mit zwei renommierten Streichquartetten, dem Belcea Quartet (1994 in London gegründet) und dem Simply Quartet (2008 in Shanghai gegründet und heute in Wien ansässig), sowie einem bestens präparierten Dr. Markus Fein, seit 2020 Intendant der Alten Oper, großartiger Kenner der Musik und begnadeter Moderator dazu.

 

Zweimal anders hören

Wie bereits im Titel ersichtlich, spielte man zuerst das gesamte, etwa 30 Minuten in Anspruch nehmende viersätzige Werk, um dann in die Werkstatt einzutreten. Abschließend wird es noch einmal interpretiert, dann aber mit anderen Ohren des Publikums und möglicherweise neuen Einsichten des Klangkörpers.

Simply Quartet (Foto: MEDIA)

Sinfonisch und orchestral

Vorweg zum Werk. Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) schrieb dieses sinfonische Meisterwerk bereits als 16-Jähriger Teenager. Das Einmalige dieses Oktetts in Es-Dur op-20 liegt in der Besetzung. Es stehen sich nicht zwei Quartette gegenüber (wie bis dahin üblich; man verweise auf Louis Spohrs Doppelquartett D-Dur op. 65), sondern vier Geigen, zwei Violen und zwei Violoncelli. In dieser quasi orchestralen Formation traten denn auch die beiden Quartette auf.

 

„Ein geistes- und musikgeschichtliches Dokument“

Das Werk sprüht nur so vor jugendlichem Elan und gehört seit seiner Uraufführung im Berliner Gartenpalais, einem Hauskonzert der Bankerfamilie Mendelssohn im Spätsommer 1825, zu den meistgespielten und beliebtesten Kompositionen des Meisters. Nicht von ungefähr sprach man von einem Wunderwerk und von einem „geistes- und musikgeschichtliches Dokument ersten Ranges“ (Kammermusikführer) für das Berlin des frühen 19. Jahrhunderts, denn der Ort dieser Aufführung führte die Crème de la Crème der damaligen Zeit zusammen, darunter, neben Johann Wolfgang von Goethe auch Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schleiermacher, E.T. A. Hofmann, Friedrich Hegel und viele andere mehr.

Belcea Quartet (Marco Borggreve)


Größter Spaß, elegant, anspruchsvoll

Doch gehen wir zum Werkstattgespräch über. Zunächst musikalisch: Strahlende Jugend, Bezüge zu Goethes Faust, Schubertscher Lyrismus, Bachscher Kontrapunkt und vor allem Vitalität charakterisieren das Werk wie die Interpretation des Oktetts und reißen das Publikum nach jedem einzelnen Satz zu Begeisterungsstürmen hin.

Dann sitzen alle acht Instrumentalisten zusammen – zwei Frauen, Sarah Christian (1. Geige Belcea Quartet, sie ersetzt Corina Belcea) und Antonia Rankersberger (2. Geige, Simply Quartet), sowie sechs Männer, Danfeng Shen (1. Geige), Xiang Lyu (Viola), Ivan Valentin Hollup Roald (Violoncello), alle vom Simply Quartet, Wolfgang Koprowski (2. Geige, ersetzt Suyeon Kang), Krzystof Chorzelski (Viola), Antoine Lederlin (Violoncello), alle vom Belcea Quartet –, mittendrin Dr. Markus Fein, und geben erste Kommentare zum Oktett ab. So meint der Cellist Antoine Lederlin, das Werk bereite ihm größten Spaß, sei elegant und anspruchsvoll. Das bestätigt auch die erste Geigerin Sarah Christian. Es gebe Zeugnis strahlender Jugend ab und sei zudem technisch höchst versiert mit vielen Stolpersteinen gepflastert. Zur Frage der Vorbereitung auf dieses Konzert hat Dr. Markus Fein einen kurzen Film parat, wo sich die Mitglieder des Belcea Quartetts durch Gymnastik fit machen. Witzig und von Lachern begleitet.

 

Das Musikantische dominiert

Das Stück sei entgegen der parallel entstanden Streichquartette Beethovens (op. 130 bis 135 zwischen 1825 und 1826) nicht tiefgründig, nachdenklich oder gar von düsterer Gestalt, sondern ein Ausbund an Musikalität. Kurz: Das Musikantische sei vorherrschend, alles was die Spielfreude der Musikerinnen und Musiker anregt.

 

Kammermusikalisches Neuland

Dazu geht Dr. Markus Fein ins Detail. Die ersten acht Takte des Allegro moderato, ma con fuoco. Er lässt die Unterschiede herausarbeiten, spricht von „Entstellung“ und meint damit das Spiel ohne Dynamik, ohne Atmung, ohne Synkopik, ohne Auftakt und ohne Phrasierungsbögen. Alle Unterschiede muss das Oktett quasi spontan herausarbeiten und spielen. Hier wird deutlich, wie differenziert die Herangehensweise an dieses Werk sein soll, ja sein muss. Ebenso erkennbar wird auch die kammermusikalische Anlage als Oktett im Vergleich zum Doppelquartett. Dazu wechseln sie die Positionen auf zwei x vier und spielen die ersten Takte aus Louis Spohrs Doppelquartett d-Moll op. 65 (1823), um zu demonstrieren, dass dieses Oktett vor allem sinfonischen Charakter hat, während bei Spohr lediglich zwei separierte Quartette aufeinandertreffen. Eindrücklich und hörbar.

 

Zwischen Stillstand und Ausbruch

Nach einem Ausflug in die Durchführung des ersten Satzes mit Notenbeispielen an der Videowand – hier möchte Fein die Dramaturgie zwischen Stillstand und Ausbruch über das Notenbild verdeutlichen, was zumindest optisch durchaus gelingt –, wendet er sich dem Scherzo des dritten Satzes zu.

Belcea Quartet und Simply Quartet gemischt
 im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt
(Foto: H.boscaiolo)

Walpurgisnacht aus Goethes „Faust“

Dieser Satz hat es in sich, denn er wird gänzlich im staccato und pianissimo vorgetragen, nimmt Bezug auf Goethes Faust Walpurgisnachtszene und wird von Mendelssohns Schwester Fanny folgendermaßen beschreiben: „Man fühlt sich so nahe der Geisterwelt, so leicht in die Lüfte gehoben, ja man möchte selbst einen Besenstil zur Hand nehmen, der luftigen Schar besser zu folgen.“  Eigentlich ist alles dazu gesagt.

Dr. Markus Fein meinte despektierlich, sie sollten es einfach mal schlecht spielen. Ein albernes Ansinnen zwar. Und hier streikten denn auch die Akteure. Denn entweder man kann es, oder nicht. Das Scherzo wie das Finale Presto sollten aber zu einer erneuten „Welturaufführung“ werden, denn, wie bereits üblich, hat sich der Moderator wieder etwas ausgedacht und zwei Pantomime eingeladen. Es sind Wolfram Bodecker und Alexander Neander, ehemals Schüler des legendären Marcel Marceau.

Belcea Quartet und Simply Quartet gemischt
 im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt
(Foto: H.boscaiolo)

Pantomimische Musik

Sie haben sich zur Walpurgisnacht einen Sketch einfallen lassen, den sie schlicht Geben und Nehmen nennen. Nach dem Prinzip Und täglich grüßt das Murmeltier wechseln die Szenen von Haben und Nicht-Haben, während das Oktett die Geister fliegen lässt. Witzig mit vielen Lachern, aber irgendwie auch befremdlich, denn musikalische Idee und Pantomime klaffen weit auseinander. Sie selbst scheinen sich mit Felix Mendelssohn Bartholdy zu beschäftigen und einen entsprechenden Themenabend vorzubereiten. Wie auch immer. Jetzt wechselt die Szene zum abschließenden Presto. Hier spielt das Oktett mehrere Male die ersten 16 Takte, während die beiden Pantomime ein Rendezvous vorbereiten. Mit einfachen Mitteln, einer schwarzen Wand, Michel-Hut der eine und rote Rose der andere, kreieren sie bei rasend schneller Hintergrundmusik ein Date, das schlussendlich nicht zustande kommt. Kurzweilig und beim Publikum bestens angekommen.

Belcea Quartet und Simply Quartet, Dr. Markus Fein (ganz links),
Wolfram Bodecker, Alexander Neander (daneben)

 im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt
(Foto: H.boscaiolo)

Vor achtzig Jahren

Die Zeit ist um. Wieder einmal ein äußerst unterhaltsamer, wenn auch nicht besonders tiefgreifender Abend, bei dem zum Abschluss Dr. Markus Fein darauf hinweist, dass auf den Tag genau, am 21.03.1944 vor 80 Jahren, die Alte Oper durch einen Fliegerangriff vollständig zerstört wurde. „Genießen wir dafür umso mehr die wunderbare Musik, die heute in dem wiederaufgebauten Gebäude stattfinden kann“, womit er das Publikum zur zweiten Vorstellung entlässt.

Belcea Quartet und Simply Quartet, Dr. Markus Fein (ganz links),
Wolfram Bodecker, Alexander Neander (3. und 4. v. rechts)

 im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt
(Foto: H.boscaiolo)

Ein Phänomen

Die Wiederholung des Oktetts, und das kann man als Phänomen bezeichnen – denn es scheint ein ehernes Gesetz zu sein – war wieder einmal beeindruckender und einfach besser als die erste Interpretation. Unglaublich der Elan und die Spielfreude der beiden Quartette, die herrliche Liedhaftigkeit des Andante, die geheimnisvolle Leichtigkeit des Scherzo und die gewaltige rhetorische Kraft des abschließenden Presto mit seiner wahnsinnigen Doppelfuge. Ich denke, das Oktett bestehend aus Simply Quartet und Belcea Quartet, hat sich mit dieser zweiten Aufführung noch einmal selbst überboten, was auch für die Abendveranstaltung insgesamt gelten kann.

 

 

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