Quartet Integra, Streichquartett mit Werken von Joseph Haydn, Iannis Xenakis und Ludwig van Beethoven, Alte Oper Frankfurt, 21.03.2024 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e. V.)
Quartet Integra v. l.: Ye Un Park, Rintaro Kikuno, Kyoka Misawa, Itsuki Yamamoto (Foto: Alte Oper Frankfurt, Daniel Delang) |
Japanische
Saitenkünstler
Wieder einmal
ein Streichquartett der Sonderklasse: jung, dynamisch, bereits mit bedeutenden
Preisen ausgezeichnet und erstmals in der Alten Oper Frankfurt. Ein
Debütkonzert, das es in sich hatte. Mit
vier japanischen Saitenkünstlern: Kyoka Misawa an der ersten Violine, Rintaro
Kikuno an der zweiten Violine, Itsuki Yamamoto an der Viola und Ye Un Park am
Violoncello.
200 Jahre
Streichquartett
Auf ihrem Programm standen Werke aus einem Zeitraum von gut 200 Jahren. Gleich zu Beginn Joseph Haydns (1732-1809) Streichquartett h-Moll op.33/1 (1781). Das erste von sechs „gantz neuen Quartetten dieses grossen Mannes“, so sein Wiener Verlag Artaria. Und Haydn höchstselbst wies darauf hin, dass seine sechs Streichquartett „auf eine gantz neue Besondere Art“ geschrieben seien. Was hat es damit auf sich? Vor allem, dass sie weniger akademisch und gelehrsam als die vorangegangen (sie lagen übrigens 10 Jahre zurück), dafür aber humorvoll, witzig, galant und vor allem volkstümlicher erscheinen.
Quartet Integra v. l.: Itsuki Yamamoto, Ye Un Park, Rintaro Kikuno, Kyoka Misawa (Foto: Abby Mahler) |
Dialogisches
Feuer
Tatsächlich strotzt
dieses knackige, viersätzige, kaum 12 Minuten dauernde Werk vor Lebenslust und
dialogischem Feuer. Nicht allein, dass Haydn mit diesem Zyklus die Epoche des
klassischen Streichquartetts einleitet, nein, er glänzt in diesem op. 33/1 auch
durch Finessen wie beispielsweise der starken Kontrastierungen im Allegro
moderato des ersten Satzes, übrigens ein klassischer Sonatenhauptsatz mit
konsequenter Dreiklangs Verarbeitung, oder dem klar konturierten, bis dahin
selten verwendeten, Scherzando des zweiten Satzes plus das gesangliche Trio.
Den Presto-Schlusssatz, wieder in Sonatenform, gestaltet Haydn im Wechsel zwischen
Dur und Moll, bis dahin ebenfalls eher selten, und lässt die Streicher alle Register ziehen.
Makelloses
Zusammenspiel
Hier werden die vier Solisten bereits gehörig gefordert. Nicht immer gelingt es perfekt, aber die Spielfreude und das makellose dialogische Zusammenspiel lassen die große Qualität dieses erst 2015 gegründeten Quartetts erspüren.
Quartet Integra im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt (Foto: H.boscaiolo) |
Architektonische Klarheit und Form
Jannis Xenakis´
(1922-2001) Tetras (1983) sollte denn auch die außergewöhnliche Klasse
dieses Ensembles unter Beweis stellen. Xenakis Musikschaffen ist geprägt von
architektonischer Klarheit und Form. Zehn Jahre arbeitete er in Frankreich unter
dem weltberühmten Architekten Les Corbusier, lernte sein kompositorisches
Metier unter anderem bei Arthur Honegger und Olivier Messiaen, und schaffte
kompositionstechnisch mit der aleatorischen Verwendung der Stochastik ein
Pendant zur damaligen vorherrschenden Seriellen Musik.
„Musik
ist keine Sprache“
Sein zweites Streichquartett Tetras ist insofern weit entfernt von der Absicht der klassischen Quartettstruktur, einen musikalischen Dialog zu kreieren, in dem alle Instrumente eine gleichberechtigte Rolle zu spielen haben. Die Verbindung von Musik und Sprache lehnt Xenakis ab. Sein Credo lautet dagegen: „Musik ist keine Sprache. Ein musikalisches Werk ist wie eine komplexe Gesteinsformation mit eingravierten Rillen und Mustern, die Menschen auf tausend verschiedene Arten entziffern können.“
v. l: Kyoka Misawa, Ye Un Park, Rintaro Misawa, Itsuki Yamamoto (Foto: H.boscaiolo) |
Eine
futuristische Klangwelt
Tetras besteht aus neun Teilen, man könnte
es auch in eine dreiteilige A-B-A´ Form gliedern. Es beginnt mit heulenden
Glissandi, die sich bis ins Flageolett auftürmen. Zwischendrin unterbrochen
durch Reiben, Knurren und Quietschen, Col legno Passagen und heftiges Klopfen
aufs Holz. Der Mittelteil ist durch das Spiel mit bestimmten Tonhöhen geprägt,
mächtige Intervall Sprünge, akkordische Strukturen und polyrhythmische Verklanglichungen.
Eine ungeheure virtuose, von flirrenden und fauchenden Tontrauben gesäumte
farbenreiche Landschaft, die vielfältige Assoziationen eröffnet. Es entsteht eine futuristische
Klangwelt von großer emotionaler Kraft. Das Finale, synkopisch, von schrägen Skalenfolgen
gesäumt und mit schnellsten Tremoli ins Glissandi-Flageolett des Anfangs überführt,
klingt wie eine Reminiszenz aufs Vergangene und schließt mit einem sirrenden
Flageolett aller Streicher im dreifachen pianissimo.
Ein Klangerlebnis wie selten gehört. Hier spürte man die innere Verbundenheit des Ensembles. Beste Dynamik und unglaublich gutes rhythmisches Verständnis. Ein Gesang über außermusikalische Phänomene zwischen akustischer Hölle, explodierender Stille, Verzweiflung und Zuversicht.
Quartet Integra (Foto: crescendo) |
„Seelenkranke
Stimmung – peinigende Misanthropie“
Ludwig van
Beethovens (1770-1827) op.131 cis-Moll (1826) gehört zu seinen letzten Kompositionen
überhaupt. In der Reihenfolge 132, 130 und 131 komponiert, muss dieses
Streichquartett in die Zeit seiner schweren Erkrankung und des Suizidversuchs
seine Neffen Karl eingereiht werden, denn es dokumentiert zweifellos seine Stimmung.
Nicht von ungefähr beurteilt der Komponist und Dirigent Ignaz von Seyfried das
siebenteilige Werk folgendermaßen: „Unbezweifelt war der Autor in einer
seelenkranken Stimmung, mit sich selbst zerfallen, wohl gar von peinigender Misanthropie
heimgesucht.“
Außergewöhnliche
Satzfolge und pausenlose Übergänge
Die
außergewöhnliche Satzfolge von sieben Teilen reduziert sich schnell auf die
gewöhnlichen vier, denn die übrigen drei Sätze (2,3, und 6) fungieren eher als
Übergangsglieder, zwischen 11 und 28 Takte. Auch das cis-Moll war für Beethoven eher eine
unübliche Tonart (er benutzte sie lediglich noch in seiner Mondscheinsonate),
wurde aber in diesem Opus zumeist durch andere Tonarten ersetzt. Kommen wir aber ins Detail.
Der erste
Satz besteht aus einer Adagio Fuge, in Anlehnung an Bachs cis-Moll Fuge Nr. 4
aus seinem Wohltemperierten Klavier, das Richard Wagner zurecht wohl als „das
Schwermütigste, was je in Tönen gesagt worden ist“, bezeichnete. Gleich geht es
über zum Rondo in D-Dur des zweiten Satzes mit ausgeprägter Punktierung und
tanzartigem Charakter. Der dritte Satz, bestehend aus elf Takten, eingeleitet
durch zwei Tutti Akkorde, führt in den vierten Variationensatz über.
Ein Andante mit sieben Variationen, das anspielt auf Mozarts Cosi fan Tutte und von wechselnden Metren im Stil eines Alla Marcia geprägt ist. Die Übergänge sind fließend und kaum hörbar, auch wechselt dieser Teil zwischen Zweiviertel-, Sechsachtel- oder gar Neunviertel-Takt beispielsweise in der sechsten Variation. Auch in den Tonarten ist Beethoven flexibel, so changiert er zwischen Es-Dur und F-Dur und lässt die siebente Variation gar erst in der abschließenden Coda zu.
Quartet Integra im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt (Foto: H.boscaiolo) |
„Sein Tag
ist vollbracht“
Hier setzt
allgemein die Pause ein. Aber das Quartet Integra wechselt übergangslos zum Presto
des fünften Satzes. Eigentlich ein Scherzo in E-Dur mit auffallend
exponierten Fermaten zwischen dem Trio und dem kinderliedähnlichen Thema – höchst
virtuos und lebendig.
Der sechste
Satz, ein 28 taktiges Überleitungsglied zum Finalsatz lässt die Bratsche in
einem gis-Moll, einer viertönigen Umkehrung des Fugenthemas aus dem Kopfsatz
glänzen, um in das Allegro des Schlusssatzes überzuleiten (übrigens der
einzige Sonatensatz des Quartetts). Absolut kontrastreich wirkt dieses Finale,
das durch eine überlange Coda von 127 Takten auffällt. Beethoven scheint hier
wieder Lust am Leben zu bekommen, denn das majestätische Pathos überwiegt hier. An dieser Stelle wird gerne Richard Wagner zitiert, der von höchster
Wonne, wilder Lust, Liebesentzücken, aber auch von Jammer, Leid und
schmerzlicher Klage spricht. Wichtig vielleicht sein Schlusskommentar: „So
winkt ihm die Nacht. Sein Tag ist vollbracht.“
Quartet Integra im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt v. l.: Kyoka Misawa, Ye Un Park, Rintaro Kikuno, Itsuki Yamamoto (Foto: H.boscaiolo) |
Große
Affinität zum musikalischen 19. Jahrhundert
Das
beschreibt das Finale wohl am überzeugendsten. Im Ganzen ein düsterer Abschied
aus dieser Welt, kann Beethoven mit diesem doch selten gespielten
Streichquartett noch einmal sein ganzes Repertoire an tonaler und formaler
Innovation zur Geltung bringen. „Ein Werk, das man mehrfach hören muss, um es
gänzlich zu verstehen“, so der Rezensent Johann Friedrich Rochlitz nach der
Uraufführung am 05. Juni 1828 in Halberstadt.
Eine perfekte
Interpretation dieses sehr komplexen und vor allem musikalisch äußerst anspruchsvollen Streichquartetts. Viel Beifall für das Quartet Integra, das seinen erfolgreichen
Weg gehen wird. Japan hat einen würdigen Nachfolger für das aufgelöste Tokyo
String Quartet gefunden und Frankfurt eine Bereicherung seiner Musikkultur.
Die Zugabe,
das Adagio molto aus Robert Schumanns 3. Streichquartett A-Dur
op.41/3 ließ noch einmal das Tor zur romantischen Innerlichkeit weit öffnen.
Gerade hier zeigte das Quartett noch einmal seine große Affinität zum musikalischen
19. Jahrhundert. Bravissima.
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