In seinem Garten liebt Don Perlimplin Belisa (1962), erotischer Bilderbogen in einer Art Kammerspiel von Wolfgang Fortner (1907-1987), in vier Bildern nach einem Libretto von Federico Garcia Lorca (1898-1936), Bockenheimer Depot Frankfurt, 24.03.2024 (Premiere 22.03.2024)
Karolina Bengtsson (Belisa) und Sebastian Geyer (Don Perlimplin) Fotos: Barbara Aumüller |
Zwischen Tragikomödie
und Aleluya erotica
Langer Titel,
dafür kurze Aufführungszeit von knapp 90 Minuten. Was ist das eigentlich auf
der Bühne? Ist es ein Kammerspiel, eine Kammeroper, eine Tragikomödie, ein Halleluja
Erotika (spanisch: Aleluya erotica) in vier Bildern, oder lediglich ein
Schauspiel mit Musik?
Selbstopferung
zur Rettung der Seelen
Vielleicht von allem ein bisschen. Denn In seinem Garten Liebt Don Perlimplin Belisa, uraufgeführt als Kompositionsauftrag des Süddeutschen Rundfunks am 10. Mai 1962 im Rokoko Theater Schwetzingen, schwankt zwischen Groteske und Tragik, zwischen Karikatur, Heldenepos und Mysterienspiel (wenn man dem Text Lorcas folgt), oder man könnte auch sagen, ein Schauspiel mit musikalischer Begleitung, in der vor allem die Figur des Don Perlimplin zwischen Ohnmacht, Willen und Bezwingen changiert und zu guter Letzt sich selbst opfert, um die Seele Belisas, vielleicht gar die Menschenseele zu retten.
Sebastian Geyer (Don Perlimplin) und Anna Nekhames (Belisas Mutter) |
Aufklärerischer
Freitod?
Was aber geschieht auf der Bühne? Don Perlimplin ein weltunkundiger, ins Alter gekommener Bücherwurm wird von seiner Haushälterin, Marcolfa, zur Hochzeit mit der noch sehr jungen, äußerst hübschen Nachbarin, Belisa, überredet. Sie, die sinnliche, scheint ihn in der Hochzeitsnacht zu betrügen (man ahnt es nur), denn er kann den Eheakt nicht erfüllen, und Perlimplin sinnt auf einen Ausweg. Er verkleidet sich als Liebhaber, in eine rote Capa gehüllt. Vom Zauber umflossen umstreicht er sein eigenes Haus und entflammt damit die Neugier und das Herz seiner allseits begehrten Frau, die sich abgöttisch in diese Gestalt verliebt. Er unterstützt gar noch dieses verhängnisvolle Liebesspiel und arrangiert ein Schäferstünden, in dem er vorgibt, aus Eifersucht den vermeintlichen Ehebrecher zu erstechen. Da er aber selbst den Alter Ego verkörpert, ersticht er sich eigenhändig. Moral von der Geschicht: Er tötet sich selbst, um seiner Frau bewusst zu machen, wie sehr er sie liebt.
Sebastian Geyer (Don Perlimplin) und Karolina Makula (Marcolfa) |
Surreale
Vereinigung
Eigentlich
eine humorvolle Groteske, eine Parodie auf die geistige und sinnliche Liebe.
Was aber das Team der Frankfurter Oper um Dorothea Kirschbaum (Regie), Christoph
Fischer (Bühne), Henriette Hübschmann (Kostüme), Jonathan Pickers
(Licht), Gal Fefferman (Choreographie) sowie Konrad Kuhn (Dramaturgie)
macht, ist schon bemerkenswert und aller Ehren Wert, zumal die zwölftönige
Musik von Wolfgang Fortner (1907-1987), hier von einem gut 40-köpfigen Ensemble
unter der Leitung von Takeshi Moriuchi präsentiert, ein Übriges dazu
beitrug.
Die Bühne, ganz in Rosa gehalten, gleicht einer geöffneten Muschel, gerahmt von einer surrealen Skulptur, die an ein innig vereintes Paar erinnert. Mittendrin ein Don Perlimplin, der seine Bücher sortiert, sich dabei aber äußerst ungeschickt verhält. Nichts gelingt ihm, alles endet im Chaos. Er fällt in einen erschöpften Schlaf und in Erscheinung treten die Kobolde mit rokokohaft-weißen Perücken, die an Widderhörnern erinnern. In hellgrau wallenden Umhängen bauen sie, von Nebelschwaden umhüllt, die Bücher in einer Domino Reihe auf, während aus dem Off der 5-stimmige mit vierzehn Sängerinnen und Sängern bestückte Chor, den Titel des Kammerspiels intoniert: „In seinem Garten …“. Es dauert circa 7-8 Minuten, bis die Musik des Orchesters und der Gesang der Solisten einsetzt.
rechts sitzend Karolina Bengtsson (Belisa), Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit Dirigent Takeshi Moriuchi |
Ein super
spannendes Hors D’œufre
Bis dahin
ein super spannendes Hors D’œufre. Hier bereits zeigen die Hauptprotagonisten
des Abends, Sebastian Geyer (Bariton) als Don Perlimplin, Karolina
Makula (Mezzosopran) als die Haushälterin Marcolfa, großes
schauspielerisches Talent und mit sehr passenden Stimmen. Auch die Rolle der
Kobolde erhält Sinn, indem sie das Geschehen auf die Spitze treiben,
chaotisieren und sichtbar Spaß daran zeigen, wenn beispielsweise Perlimplin die
Reihe Bücher berührt, und alle umfallen.
Während auf
der Bühne der sehr erotische Liedgesang Belisas („Zwischen meinen geschlossenen
Schenkeln“), gesungen und gespielt von Karolina Bengtsson (Sopran), aus
dem Off zu hören ist, was Perlimplin offensichtlich erregt, drängt seine
Haushälterin ihn, doch Nägel mit Köpfen zu machen, und das heiratsfähige schöne
Geschöpf zu ehelichen. Gesagt getan. Die Mutter erscheint, schwarz wie eine Märchenhexe
mit großem Rokoko Gebinde auf dem Kopf, und willigt selbstverständlich ein,
denn Perlimplin ist reich und eine gute Partie. Hier glänzt die
Koloratursopranistin, Anna Nekhames, die wie ein Derwisch über die Bühne
fegt und dem sexuellen Verlangen ihrer Tochter einen rechten Mann zuführen
möchte.
Gelungene
atmosphärische Zwölftonmusik
An dieser Stelle
sei die dodekaphone Musik erwähnt, die herrlich sinnlich das Geschehen auf der
Bühne untermalte und atmosphärisch Gespräch wie Gesang belebte (großes Lob an Takeshi Moriuchi, das höchst motivierte Frankfurter Opern- und Museums Orchester, Gesang und Spiel bestens führte). Auch die
Leinwandszenerie im Hintergrund mit Cembalo (gespielt von Anne Larlee) und
Belisa gehört in den Ideenreichtum der Regie. Mehrschichtig konnten somit Gedanken-
Traumwelt und vordergründiges Bühnengeschehen musikalisch wie szenisch miteinander
verästelt werden.
links stehend Ursula Hensges (1. Kobold), rechts sitzend Idil Kutay (2. Kobold) sowie Tänzer und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit Dirigent Takeshi Moriuchi |
Laszivität
und hölzerne Pflicht
Im zweiten Bild
wurde die Bühne für die Hochzeitsnacht vorbereitet. Ein Bett und leichtes
Öffnen der Muschel verändern das Ambiente. Belisa erscheint im aufreizenden
Hochzeitskleid (alles aber im Stil des Rokokos). Die nun folgende Liebesszene ist
an Groteske kaum zu überbieten. Die Erotik, wenn man überhaupt davon sprechen
kann, ist einseitig und aufseiten von Perlimplin eher ein Wechsel von der
Bücherwelt zur Ehe-Welt. Laszivität auf der einen Seite und hölzerne Pflicht auf
der anderen.
Verwirrung
in höchste Höhen getrieben
Es ist die Nacht des Betrugs, der Kobolde und der schleierhaften Ereignisse. Fünf Pfiffe, an allen Fenstern Leitern, alle Türen offen. Was ist geschehen. Die Kobolde, Idil Kutay (Sopran) und Ursula Hensges (Sopran), sowie die fünf Tänzer breiten das Tuch des Schweigens und der Spekulation über beide Körper, die sichtbar nicht zusammenkommen. Eine Schlaf- und Verhüllungsszene von außerordentlicher Eindrücklichkeit. Musikalisch wie szenisch steigt die Verwirrung in höchste Höhen. Was ist geschehen? Schlimmes oder alles nur Traum?
Tänzer sowie am Boden liegend Sebastian Geyer (Don Perlimplin) |
Verwandlung
der Humoreske in ein Seelendrama
Perlimplin ist
gehörnt, zumindest fühlt er sich so, Eifersucht keimt auf und er beschließt zu
reagieren. Szenisch ein Genuss, denn jetzt beginnt sich die Humoreske in ein Seelendrama
zu transformieren.
Ein Spiel mit den Gefühlen beginnt. Obwohl zutiefst verletzt, ist Perlimplin der „glücklichste Mensch neben Belisa“. Sein Plan allerdings ist tödlich. Marcolfa ist eingeweiht, sie fungiert als unglückliche Botin, leidet sichtbar, aber erfüllt ihre Aufgabe. Perlimplin reizt das leibliche Begehren seiner Frau bis zum Höhepunkt, lässt sie, er selbst ist bekanntlich der ominöse Liebhaber im roten Capa-Kostüm, beim selbst inszenierten Schäferstündchen das Bekenntnis der absoluten Liebe zu dem Fremden ablegen, und erfüllt damit seinen tödlichen Plan.
Sebastian Geyer (Don Perlimplin) und Karolina Bengtsson (Belisa) |
Die Moral
von der Geschicht´
Alle Bilder
bzw. Akte sind dicht, kurzweilig, voller Kraft und mit Tanz und spanischem
Kolorit bereichert. Auch eine Serenade als Intermezzo fehlt nicht. Der
unerfüllte Liebesakt Belisas, der unheimliche Plan, der dem Publikum verheimlicht
bleibt, das Leid der Haushälterin, Marcolfa, ja die überaktive Mutter und die
bösartigen „Koboldchen“, lassen die Dramaturgie bis zum förmlichen Zerreißen steigern.
Die Schlussszene, Perlimplin tötet seinen vermeintlichen Widersacher und damit sich selbst, lässt allerdings viele Fragen offen. Einmal ist es die Moral: Ist Perlimplin ein verkappter Jesus, der seinen Leib zur Rettung der menschlichen Seelen hingibt? Dazu aber passt die Rolle des unbekannten Capa-Trägers nicht. Ist er gar ein moderner selbstverliebter Narzisst? Einer der den Kontrollverlust scheut, wie der Teufel das Weihwasser? Oder ist der Bücherwurm ein der Phantasmagorie Erlegener, einer, der in der tödlichen Tat den Triumph der Fantasie besingt: „Er wird dich lieben in der unendlichen Liebe der Toten?“
Karolina Bengtsson (Belisa) |
Das literarische Reale
Kommen wir zum literarischen Realen. Federico Garcia Lorca (1898-1936) liebte in seinen Büchern das unentrinnbare Schicksal, das seine Opfer fordert. Er selbst wurde als Kommunist und Homosexueller (auch Fortner war letztgenanntes) in Spanien verfolgt und vermutlich von den Franco Schergen 1936 ermordet. Er beschreibt gesellschaftliche Zustände, die den Menschen quasi ihre Handlung aufzwingen. Hier ist es Perlimplin, der den Widerspruch zwischen geistiger und körperlicher Liebe auf die Spitze treibt und seiner Frau quasi ein aufklärerisches Mittel an die Hand gibt, Liebe nicht allein auf den Leib, den Sex zu reduzieren. Nicht von ungefähr gibt Belisa im Leid des von ihr verschuldeten (?) Freitodes Don Perlimplins zu, dass sie lediglich seinen Leib, nicht aber seine Seele geliebt habe. Sie geht von der Bühne und schlägt eine Tür zu (Heilsame Erkenntnis!?). Die eigentliche, aber versteckte, gar heimliche Liebe zu Perlimplin verkörpert seine Haushälterin, Marcolfa. Sie ist eingeweiht in seine Seele, legt sich zu dem Sterbenden mit den Worten: „Schlaf ruhig, Don Perlimplin.“
Schlussapplaus v. l. Anne Larlee (Cembalistin), Anna Nekhames, Karolina Bengtsson, Sebastian Geyer, Karolina Makula, Idil Kutay, Ursula Hensges |
Eine
gewaltig schöne Inszenierung, mit bester Musik, perfekt geleitet von Takeshi
Moriuchi, und sehr, sehr guten Akteuren. Herauszuheben natürlich die beiden
Hauptprotagonisten Sebastian Geyer als Don Perlimplin und Karolina
Bengtsson als Belisa. Kaum dahinter aber stehen Karolina Makula als
Marcolfa und Anna Nekhames als Mutter, letztere mit unglaublicher
Koloratur und schauspielerischer Finesse. Vielleicht hätte man das
verführerische Treiben und das Doppelspiel des Don Perlimplin etwas handfester
und augenscheinlicher auf die Bühne bringen können. So war viel Fantasie auch
vom Publikum verlangt. Aber Alles in Allem eine ideenreiche, sehens- und vor
allem hörenswerte Inszenierung einer, ich würde mal sagen, Kammeroper von
ungeheurer Dichte und symbolischer Vielfalt. Unbedingt für einen mehrmaligen
Besuch zu empfehlen.
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